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Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich zwei Tage nach diesem schrecklichen Verbrechen zum Haus von Daniel gegangen bin. Seine Eltern und Schwestern, die wenige Stunden zuvor hier ihr Leben verloren, hatte ich nicht gekannt. Dennoch war es mir ein Bedürfnis, meiner Bestürzung über diese grausame Tat Ausdruck zu verleihen. Ich war damals 19 Jahre alt und hatte vorher noch keine Berührungspunkte mit dem Tod gehabt. Sie wissen selbst, dass dieses Thema in dem Alter unter normalen Umständen nicht das attraktivste bei Jugendlichen ist.
Bevor ich mich auf den Weg machte, ging ich in einen Drogeriemarkt, kaufte eine von diesen roten Grabkerzen, machte einen Abstecher zu einem Blumengeschäft und nahm dort einen kleinen Strauß gelber Osterglocken mit - passend zum Osterwochenende.
Meine Knie fühlten sich an, als bestünden sie aus weichem Pudding. Mein Hals war ganz trocken, meine Hände dafür umso feuchter. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so eine unangenehme Beklemmung verspürte - vielleicht kann ich mich deshalb auch noch so gut daran erinnern.
Als ich an dem eierschalengelben Haus der Familie Klein ankam, fiel mein Blick sofort auf die weiß getünchte Bank, die neben dem Hauseingang stand. Auf dem verwitterten Holz hatten schon einige Nachbarn, Bekannte und Freunde der Familie Blumengestecke niedergelegt. Davor befand sich ein winziges Meer aus flackernden Trauerkerzen. Ich legte meinen Blumenstrauß zu den anderen, zündete meine Kerze an und stellte sie zu dem kleinen Lichtermeer.
Daniel tat mir so leid. Zugegeben: Gut kannte ich ihn nicht. Er ging in meine Parallelklasse. Aber hin und wieder hatten wir auf dem Schulhof mal ein paar Worte gewechselt. An Daniel kam man aber auch irgendwie nicht vorbei, jeder auf dem Wirtschaftsgymnasium wusste, wer er war. Nicht nur, weil er extrovertiert war, sondern auch, weil er im Schultheater als wirklich guter Laiendarsteller aufgefallen war.
Wer mir auch unheimlich leidtat, war Daniels bester Freund Christopher Fischer - auch ihn muss das Verbrechen sehr erschüttert haben. Christopher ging auf das gleiche Wirtschaftsgymnasium wie Daniel und ich. Ich weiß aber nicht mehr, ob die beiden Jungen auch in einer Klasse gewesen sind. Was ich aber noch sehr gut in Erinnerung habe, ist, dass Christopher wie Daniels Schatten war. Er klebte förmlich wie ein ABC-Pflaster an ihm. In der Schule gingen sogar Gerüchte herum, dass es sich, zumindest von Christophers Seite aus, nicht nur um eine Freundschaft handelte. Das wäre an sich ja auch nicht weiter verwerflich gewesen, aber irgendwie ... Die beiden passten von ihrem Wesen her so gar nicht zusammen. Christopher war eher ein schüchterner Typ. Aber vielleicht war es ja grade auch das, was ihre Freundschaft ausmachte. Christophers Vater sagte irgendwann mal gegenüber einem Journalisten, dass die beiden Jungen wie zwei Zahnräder ineinandergepasst hätten.
Am Morgen des Karfreitags frühstückten die beiden Freunde bei den Eltern von Christopher, bevor sie beschlossen, den restlichen Tag bei Daniel verbringen zu wollen. Dort angekommen, bot sich ihnen ein schreckliches Bild. Daniels Eltern lagen im Eingangsbereich des Hauses - tot. Erschossen. Es musste alles sehr schnell gegangen sein, denn sie hatten nicht einmal mehr die Gelegenheit gehabt, sich ihre Jacken auszuziehen. Doch als hätte das Entsetzliche damit nicht schon seinen Höhepunkt erreicht, offenbarte sich im Obergeschoss des Hauses ein weiterer Albtraum. Auch Daniels beide Schwestern hatte der Mörder hingerichtet.31 Schüsse wurden in dieser Nacht abgegeben. Können Sie sich vorstellen, dass dies unbemerkt von anderen Bewohnern der Straße blieb? Aber genau so war es. Niemand hatte etwas von dem Vierfachmord mitbekommen. Womöglich hatte niemand in der Nachbarschaft die Schüsse gehört, weil selbst gebaute Schalldämpfer aus Plastikflaschen benutzt worden waren. Aber das kam natürlich erst viel später heraus. Zunächst schien es unerklärlich, dass es keine Zeugen des brutalen Verbrechens gab.
Nach der fürchterlichen Entdeckung setzte Daniel einen Notruf ab. Als die Einsatzkräfte am Haus der Familie Klein angekommen waren, kauerten die beiden Freunde auf dem Bürgersteig. Sie sollen fix und fertig gewesen sein - verständlicherweise. Die Nachricht vom Tod der Familie machte im Ort schnell die Runde und so wussten schon bald alle, dass der 18-Jährige von einem Tag zum nächsten alle seine nächsten Angehörigen verloren hatte. Mich überkam damals allein bei dem Gedanken daran, dass Daniel sich jetzt wahrscheinlich wie der einsamste Mensch auf dieser Welt vorkommen musste, ein seltsames Gefühl. Es war eine Mischung aus Mitleid, aber auch Angst. In den ersten Tagen war ja gar nicht klar, wer die Familie getötet hatte.
Mein Vater ist Polizist. Er versuchte, mir die Sorge, dass auch meiner Familie so etwas passieren könnte, zu nehmen. Er sagte, dass nach all den schockierenden Berichten in der Zeitung und den bedrückenden Nachrichten im Radio vieles darauf hindeute, dass der Täter mit besonderer Aggression aus einem zutiefst persönlichen Motiv gehandelt haben musste. 31 Schüsse - ein klassischer Overkill, wie er mir erklärte: Der Täter tut mehr, als nötig ist, um sein Opfer zu töten. Außerdem ließ sich der Berichterstattung entnehmen, dass im Haus der Familie Klein nichts entwendet worden war und dass die Ermittler keine Einbruchsspuren feststellen konnten. Selbst Laien war damit klar, dass höchstwahrscheinlich kein Raubmord stattgefunden hatte.
Was unterdessen allerdings wohl niemand ahnte, war, dass ausgerechnet Daniel und Christopher in das Visier der Ermittler geraten waren. Einige Tage nach den Morden, es muss Mitte April 2009 gewesen sein, machten zunächst Gerüchte die Runde, dass die beiden Freunde verhaftet worden waren. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass das Entsetzen bei uns allen groß war. Nur wenige Stunden später wurde die Nachricht durch die Medien bestätigt. Es war für mich kaum vorstellbar, dass sich zwei meiner Schulkollegen im Gefängnis befanden, während für mich nach den Osterferien der normale Schulalltag wieder begann.
Aber so richtig krass wurde es, als bekannt wurde, dass Christopher ein Geständnis abgelegt hatte. Er sagte, dass sich Daniel den Mord an seiner Familie ausgedacht und ihn gebeten habe, seinen Plan in die Tat umzusetzen.
Erst sagte Christopher, er habe nur die Mutter erschossen, dann erklärte er, er habe alle Familienmitglieder allein ermordet. Außerdem verriet Christopher den Vernehmern, wo sich das Waffenversteck befand. Die Tatwaffe, samt der Kleidung, die sie während der Morde trugen, hatten sie im nahe gelegenen Waldstück in einem Erdloch vergraben.
Aber erst, als den beiden Freunden der Prozess gemacht wurde, kam das ganze Ausmaß ihrer Taten ans Tageslicht. Ich wusste damals zum Beispiel nicht, dass die zwei Mitglieder in unserem örtlichen Schützenverein gewesen waren. Wovon ich aber gehört hatte, war der Einbruch in das Vereinsheim der Schützen, bei dem 17 Pistolen und 15.000 Schuss Munition geklaut worden waren. Sie liegen richtig: Dafür waren niemand Geringere als Daniel und Christopher verantwortlich gewesen.
Ich wusste auch nie, was es bedeutete, wenn sich Christopher und Daniel ab und zu die Zahlen "5 4 1 2" zuriefen. Erst während der Verhandlung kam heraus, dass es sich dabei um einen Geheimcode handelte. Die 5 stand für alle Familienmitglieder der Familie Klein: Vater, Mutter, die beiden Schwestern und Daniel. Die 4 stand für die Mitglieder, die getötet werden mussten. Die 1 symbolisierte, dass nur Daniel die Nacht zum Karfreitag überleben sollte und die 2 stand symbolisch für die Freundschaft zwischen den beiden Jugendlichen. Glauben Sie nicht auch, dass das ein klares Zeichen dafür ist, dass sie die Tat schon lange im Vorfeld geplant haben mussten?
Während der Berichterstattung über den Prozess kam dann auch der Tatablauf ans Licht: Am Abend des 9. April 2009 gingen Daniels Eltern zum Feiern in eine Kneipe. Die Schwestern, beide Pädagogikstudentinnen, machten es sich im Obergeschoss des Hauses gemütlich und schauten gemeinsam einen Film an. Irgendwann zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr schlichen sich Christopher und Daniel in das Zimmer. Sie richteten ihre Waffen auf die beiden jungen Frauen. Eine der Schwestern soll noch gefragt haben, was der Scheiß denn solle, dann drückten sie ab - 19-mal.
Nachdem sie den ersten Teil ihres Plans hinter sich gebracht hatten, zogen sich die beiden Mörder frische Klamotten an und statteten Daniels Eltern in der Gaststätte einen Besuch ab. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen! Wenige Minuten zuvor hatten die beiden zwei Menschenleben kaltblütig ausgelöscht und jetzt scherzten sie fröhlich mit dem Ehepaar Klein, das nicht den Hauch einer Ahnung hatte, dass ihre beiden ältesten Kinder ermordet worden waren - von ihrem jüngsten Sohn und dessen bestem Freund. Und was den dreifachen Eltern noch bevorstand - das hätten sie sich bestimmt nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen ausmalen können.
Die beiden Freunde blieben nicht lange in der Kneipe, bis sie sich von Daniels Eltern verabschiedeten und sich auf den Weg zurück zum Haus der Familie Klein machten. Dort angekommen, zogen sie ihre Täterkleidung an, die sie auch schon bei der Ermordung der beiden Schwestern getragen hatten, und legten sich im Flur auf die Lauer. Die Ermittler konnten rekonstruieren, dass das Ehepaar Klein gegen 00.30 Uhr die Kneipe verließ und sich auf...
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