3 Operational Excellence Reifegradmodell für KMUs
Dieses Kapitel beschreibt die Entwicklung des individuellen Operational Excellence Reifegradmodells für KMUs sowie die Ausarbeitung des zugehörigen OPEX-Assessments zur systematischen Bewertung und Analyse.
Im Folgenden wird zunächst das methodische Vorgehen erläutert. Danach erfolgen die Problemdefinition und die Formulierung von Anforderungen an das Modell. Nach einem Vergleich der bestehenden Reifegradmodelle wird die verwendete Entwicklungsstrategie festgelegt und die Modellentwicklung durchgeführt. Die anwendungsreife Ausarbeitung stellt den Schluss dieses Kapitels dar.
Es wird antizipiert, dass das gesamte Operational Excellence Konzept für KMUs samt Reifegradmodell & Assessment in englischer Fassung ausgearbeitet wurde. Gründe hierfür sind die internationale Verteilung, kohärente Anwendung und vergleichbare Auswertung innerhalb global agierender Unternehmen. Um aus wirtschaftlicher Sicht zeitliche und intellektuelle Ressourcen einzusparen, wird zunächst auf eine multilinguale Ausarbeitung verzichtet, wobei in Kapitel 4.4 näher auf diesen Aspekt eingegangen wird und basierend auf unterschiedlichen Rückmeldungen Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden.
Im Rahmen der Recherche wurden mehrere Ansätze zur Entwicklung von Reifegradmodellen identifiziert. Aus diesen Ansätzen wird das spezifische Vorgehen der Modellentwicklung eines Reifegradmodells für KMUs abgeleitet.
Die Entwicklung von Reifegradmodellen ist ein sehr aufwendiges Vorhaben. Ziel der Entwicklung ist ein vereinfachtes Abbild der Realität. In der Literatur werden verschiedene Vorgehensmodelle für die Entwicklung von Reifegradmodellen vorgeschlagen, die in der Regel aus einer Anzahl von Phasen bestehen und zugehörige Aktivitäten umfassen. Zentrale Aspekte bei der Entwicklung von Stufenmodellen sind die Identifikation relevanter Problemfelder und deren Elemente, die Festlegung der Stufenanzahl und deren handbarer Messgrößen sowie die Beschreibung des Evolutionspfads durch die Stufen.[57]
Hier haben sich generell zwei Vorgehensmodelle durchgesetzt, die im Folgenden näher beschrieben werden.
Das Vorgehensmodell nach Bruin/ Rosemann/ Freeze/ Kulkarni gliedert sich in sechs verschiedene Phasen, die die zentralen Aktivitäten und Gestaltungsentscheidungen des Modells beschreiben. Das Modell, siehe Abb. 8, umfasst die Definition des Modellumfangs (Scope), den Entwurf der Modellarchitektur (Design), das Füllen des Modells mit Inhalten (Populate), den Test von Modell und Analysetool (Test), die Modellanwendung (Deploy) sowie die Pflege und Weiterentwicklung (Maintain).[58]
Abb. 7: Vorgehensmodell nach Bruin et al.
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bruin, In: Bensiek, 2013, S.60.
Da dieses Modell in der Literatur nur oberflächlich beschrieben wird und der nachfolgend beschriebene Leitfaden nach Becker et al. darauf aufbaut, indem er das Reifegradmodell nach Bruin et al. um detaillierte Phasen und deren präzise Beschreibung erweitert, wird hier nicht näher darauf eingegangen, sondern das Modell nach Becker et al. im Folgenden ausführlicher beschrieben.
Das Vorgehensmodell nach Becker/ Knackstedt/ Pöppelbuß, siehe Abb. 9, umfasst insgesamt acht Phasen, die zum Teil iterativ durchlaufen werden.
In der ersten Phase, der Problemdefinition, wird der betrachtete Bereich der Domäne, die Zielsetzung und Zielgruppe sowie detaillierte Anforderungen an das Reifegradmodell formuliert und festgelegt. Anschließend ist ein Vergleich bestehender Reifegradmodelle anhand der festgelegten Anforderungen erforderlich, um eine Entwicklungsstrategie für die Modellentwicklung festzulegen. Da bestehende Reifegradmodelle verfügbar sind, wird die strukturierte Weiterentwicklung und Kombination mehrerer Modelle die Entwicklungsstrategie festlegen. Hierbei wird das verwendete Basismodell festgelegt, von dem die Struktur und Inhalte partiell übertragen werden. In der iterativen Modellentwicklung werden die genauen Handlungsfelder, deren Inhalte und Reifegradstufen festgelegt, der Modellbereich und dessen Darstellung gestaltet sowie abschließend auf Vollständigkeit geprüft.
Hierbei wird zwischen der Gestaltung der Modellarchitektur (Form und Darstellung) und der Gestaltung der Modellinhalte (Handlungsfelder, Elemente und Reifegrade) unterschieden.[59]
Abb. 8: Vorgehensmodell nach Becker et al.
Quelle: Becker/ Knackstedt/ Pöppelbuß, In: Bensiek, 2013, S.60.
Im Rahmen der Evaluation werden der Transfer des Reifegradmodells in Theorie und Praxis mittels erforderlicher Dokumentation konzipiert und dessen Evaluation durchgeführt. Somit werden zum einen das erstellte Reifegradmodell und das verwendete Assessment-Instrument zum anderen evaluiert.[60]
Dieser Leitfaden bietet im Vergleich zum Vorgehensmodell nach Bruin et al. eine größere Detaillierung der einzelnen Phasenbeschreibungen und berücksichtigt explizit forschungs- und gestaltungsorientierte Richtlinien.[61] Im Rahmen dieser Arbeit werden jedoch die Phasen fünf bis sieben zu einer übergreifenden Phase Evaluation, siehe Kap. 4, zusammengefasst, um das Vorgehen in gleichmäßige Arbeitspakete zu gliedern. Zur Validierung des Reifegradmodells ist es notwendig, anhand empirischer Untersuchungen nachzuweisen, dass verschiedene Unternehmen mithilfe dieses Reifegradmodells vergleichbar sind. Die letzte Phase, das Verwerfen des Reifegradmodells, entfällt und wird durch die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung des Konzepts ersetzt.
In den folgenden Kapiteln wird das beschriebene Vorgehen nach Becker et al. angewendet und die Aktivitäten als auch die getroffenen Entscheidungen für die einzelnen Phasen im Detail erläutert.
3.2 Anforderungen an das Reifegradmodell bei KMUs
Das zu entwickelnde Reifegradmodell soll sich auf die Domäne der Operational Excellence fokussieren. Typische Aktivitäten und Eigenschaften dieser Domäne wurden bereits in den Kapiteln 2.1 bis 2.3 erläutert. Primäre Zielgruppe des Modells sind Lean Manager, Produktionssystem-Koordinatoren und Geschäftsführer, die Prozesse mithilfe von Managementansätzen wie Lean optimieren, um Operational Excellence zu erreichen. Um Unternehmen und Standorte hinsichtlich ihrer Status und Entwicklungsfortschritte auf dem Weg zur Operational Excellence vergleichbar beurteilen zu können, ist Ziel dieses Reifegradmodells, ein geeignetes Konzept für Operational Excellence bei KMUs zu erarbeiten. Zudem soll durch ein Assessment ein Beurteilungssystem des Operational Excellence "Niveaus" ermöglicht werden.
Das Modell soll jedoch nicht nur die Reife bewerten, sondern insbesondere auch einen Pool bieten, um systematisch Verbesserungspotential zu identifizieren und Handlungsempfehlungen aussprechen.
Somit lassen sich folgende Anforderungen an das Operational Excellence Reifegradmodell für KMUs von der Zielsetzung ableiten:
1. Es soll die Bewertung und Optimierung der fokussierten Domäne Operational Excellence ermöglichen.
2. Es soll die Identifizierung und das Ableiten von Verbesserungsmaßnahmen sowie deren Umsetzung unterstützen.
3. Es soll eine selektive Verbesserung von einzelnen Kriterien und den damit verbundenen Prozessen und Methoden unterstützen.
4. Es soll die Selbstbewertung mittels Assessmentbogen innerhalb eines Tages und ohne zusätzlichen Schulungsaufwand ermöglichen.
5. Es soll die zentralen Handlungsfelder der Operational Excellence sowie die spezifischen Elemente von Produktionssystemen und Managementsystemen als Modellinhalte berücksichtigen.
Die Anforderungen 1-3 charakterisieren die Form und Darstellung der Modellarchitektur, Punkt 4 die Art und Weise der Modellanwendung sowie Anforderung 5 die zu berücksichtigenden Modellinhalte, deren Kriterien und präzise Beschreibung jeder Reifegradstufe.[62]
Dieses Kapitel widmet sich der Analyse der zum Stand der Technik bestehenden Reifegradmodelle zu Operational Excellence. Es erfolgt eine Vorstellung und Charakterisierung bestehender Reifegradmodelle, welche im folgenden Kapitel verglichen werden. Der Vergleich wird tabellarisch dargestellt und zeigt die spezifischen Handlungsfelder der Reifegradmodelle auf.
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