Schweitzer Fachinformationen
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Annajane Hudgens saß in der Kirche Zum guten Hirten und überlegte, ob es einen perfekteren Tag zum Heiraten geben könne.
Der Frühling hatte besonders früh Einzug gehalten in Passcoe, North Carolina. Obwohl es erst Anfang April war, waren Hartriegel und Azaleen bereits ausgeschlagen, und die Kirschbäume entlang dem Pfad zur Kirche ließen blassrosa Blüten auf die Teppiche aus blauen Veilchen und weißem Steinkraut rieseln.
Es schien, als hätte die Braut, die ebenso perfekte Celia Wakefield, das herrliche Wetter irgendwie herbeigezaubert. Oder aber sie hatte bei Petrus blauen Himmel und farblich passende Frühlingsblüten in einem ihrer Schreiben bestellt, die berühmt-berüchtigt für ihre Liebe zum Detail waren. Wenn irgendjemand das konnte, dann Celia, dachte Annajane.
Konnte es eine schönere Kulisse geben? Seit fast zweihundert Jahren ließen sich die Mitglieder der Bayless-Familie in der Kirche Zum guten Hirten trauen, wenn auch nicht in diesem großen Gotteshaus. Die frühere Kapelle war ein uriger, gedrungener Bau aus grauem Granit und schiefen Eichenbohlen mit einem einzigen gotischen Bleiglasfenster über dem Altar und zehn Reihen schlichter Kiefernbänke.
Als Kind hatte Annajane, damals noch mit Zöpfen, sonntags oft mit ihrer besten Freundin Pokey in der Familienbank der Bayless' gesessen. Immer dann, wenn sie bei Pokey übernachtet hatte. Schon damals wurde Pokeys Großmutter langsam senil, auch wenn Annajane das nicht klar gewesen war. Miss Pauline, nach der Pokey benannt worden war, sprach nur wenig, saß aber gerne am Sonntagmorgen in der Kirche, nickte lächelnd zu den Liedern, betupfte ihre vom grauen Star getrübten blauen Augen mit dem allgegenwärtigen Taschentuch und tätschelte Annajanes Hand. »Sie glaubt, du wärst ich«, flüsterte Pokey dann und kicherte über die verwirrte Oma. Sie zog eine Grimasse und hielt sich die Nase zu, wenn Miss Pauline einen fahren ließ, was ziemlich häufig vorkam.
Als Anfang der Neunziger die »neue« Kirche Zum guten Hirten mit Fenster aus Tiffanyglas, soliden Kirschholzbänken und einer speziell angefertigten deutschen Orgel gebaut wurde, erhielt das alte Gotteshaus den Namen Woodrow-Gedenkkapelle in Erinnerung an Pauline Woodrow, die in jenem Jahr im Schlaf gestorben war, als Pokey und Annajane vierzehn wurden.
Annajanes eigene Hochzeit hatte in der Kapelle stattgefunden, das einzige Zugeständnis, das ihre neuen Schwiegereltern gegenüber Annajanes »Spleens« bereit waren zu machen. Da sie selbst die Kosten der Feier getragen hatte, bestand sie darauf, sie im kleinen Rahmen zu halten und nur Verwandte und enge Freunde einzuladen, knapp vierzig Gäste, und Pokey sollte ihre einzige Trauzeugin sein. Am Tag ihrer Eheschließung im November regnete es unablässig, und damals fand Annajane es wildromantisch, dass das laute Trommeln des Regens auf dem Zinkdach den auf dem alten Harmonium gespielten Hochzeitsmarsch zu übertönen drohte.
War das erst fünf Jahre her? Manchmal zweifelte sie sogar, dass irgendetwas davon tatsächlich passiert war und es nicht einfach eine Erinnerung an einen längst vergangenen Traum war.
Die Veranstaltung an diesem Frühlingstag war etwas ganz anderes als Annajanes bescheidene Hochzeit. Die Kirche war bis zum letzten Platz gefüllt. Eigentlich sogar überfüllt, wenn es nach den Brandvorschriften ging, denen zufolge nur fünfhundert Personen in der Kirche Platz fanden. Annajane kam es vor, als hätte sich jeder, der die Bayless' auch nur im Entferntesten kannte, je geschäftlich mit ihnen zu tun gehabt hatte oder auch nur mal eine Flasche ihres Softgetränks namens Quixie getrunken hatte, in die hochglänzenden Holzbänke unter den freiliegenden Dachbalken der eindrucksvollen Episkopalkirche gequetscht.
Sie spürte, wie ihr die Augen zufielen. Es war zu warm in der Kirche, und der betäubende Duft der Lilien und Rosen, die Altarraum und Bänke in üppigen Mengen schmückten, war überwältigend. In der vergangenen Nacht hatte Annajane kaum geschlafen, auch in den Nächten davor nicht sehr viel mehr. Und ja, sie hatte sich zu Hause einen ordentlichen Drink genehmigt, Quixie mit Bourbon auf Eis, bevor sie zur Kirche aufgebrochen war. Einen Moment lang schloss sie die Augen, und ihr Kinn sackte auf die Brust, als ihr plötzlich ein spitzer Ellenbogen in die Rippen gestoßen wurde.
Pokey quetschte sich neben sie in die Bank. »Wach auf, und rutsch rüber!«, befahl sie.
Annajane riss die Augen auf, schaute hoch und bekam gerade noch mit, wie Sallie Bayless in der ersten Reihe, zwei Bänke vor ihnen, sich umdrehte und Pokey einen missbilligenden Blick zuwarf. Sallies kastanienbraunes Haar schimmerte im Kerzenlicht. Sie war vierundsechzig, aber hatte immer noch ein waches Gesicht, funkelnde braune Augen und die schlanke Figur einer zwanzig Jahre jüngeren Frau. Angesichts Pokeys verspätetem, ungepflegtem Auftritt kniff sie die Augen zusammen.
Pokey grinste und winkte ihrer Mutter vorsichtig zu. Sallie drehte sich wieder um, Augen nach vorn, Kinn erhoben. Um den Hals trug sie in einem engen Doppelstrang die Bayless-Perlen.
Annajane lächelte die ältere Dame zu ihrer Rechten entschuldigend an. Die Frau runzelte die Stirn, aber rutschte dann widerwillig beiseite, um Platz für die Nachzüglerin zu machen.
Wie immer merkte Pokey Bayless Riggs überhaupt nicht, welches Aufsehen sie erregte. In den letzten fünfunddreißig Jahren hatte sie täglich Aufsehen erregt, und das war heute nicht anders, da ihr Bruder heiratete.
Pokeys teurer roter Seidenblazer war ihr rechts von der Schulter gerutscht und gab den Blick auf einen BH-Träger im Wildkatzenlook und einen unangemessen tiefen Ausschnitt frei. Der kleine Clayton war inzwischen zwei Jahre alt, aber Pokey kämpfte immer noch mit den Schwangerschaftspfunden. Ein Strassknopf des Blazers war offenbar abgesprungen, und der enge Seidenrock hatte sich irgendwie gedreht, so dass der Reißverschluss jetzt vorne war statt an der Seite. Pokey trug keine Strumpfhose, was an sich schon ein Skandal war, aber dann stellte Annajane fest, dass ihre beste Freundin die von Sallie verordneten langweiligen Seidenpumps auch noch zugunsten von strassbesetzten silbernen Sandalen hatte stehen lassen.
Ihr dünnes blondes Haar hatte bereits den frischen Schwung verloren, und ihr Lippenstift war verschmiert. Aber Pokeys Augen, ihre unglaublichen kornblumenblauen Augen, blitzten vor Schalk.
»Zu spät!«, flüsterte Annajane, traute sich aber nicht, ihre beste Freundin anzusehen.
»Mannomann«, murmelte Pokey. »Das ist echt nicht meine Schuld. Ich hab keine Parklücke gefunden! Der Parkplatz ist dicht, beide Straßenseiten sind zugeparkt. Ich musste den Landrover einen ganzen Block weiter an der Tankstelle stehen lassen und zu Fuß rüberkommen.«
»Müsstest du nicht eigentlich da vorn bei deiner Mutter und den ganzen anderen Verwandten sitzen?«, fragte Annajane. »Ich meine, du bist schließlich die einzige Schwester des Bräutigams.«
»Scheiß drauf«, gab Pokey zurück. »Ich weigere mich, mit dieser Frau einen auf beste Freundin zu machen. Mason weiß, dass ich sie nicht mag. Mama auch. Ich stehe zu meiner Überzeugung.«
»Was sind das überhaupt alles für Leute?«, fragte sie dann mit Blick über die vollen Reihen und spähte angestrengt hinüber zur Seite der Braut. »Doch keine Verwandten, oder? Die arme kleine Celia ist doch ein Waisenkind, sie hat keine anderen Verwandten aufstöbern können als die alte Großtante, die bei Mama übernachtet. Hat Celia einen Bus gemietet, oder was?«
Annajane zuckte mit den Schultern. »Du bist offenbar der einzige Mensch in Passcoe, der nicht der Meinung ist, dass Celia Wakefield die beste Erfindung seit Toilettenspülungen und Glühbirnen ist.«
»Komm mir nicht so! Du kannst sie genauso wenig leiden wie ich«, raunte Pokey.
»Stimmt ja gar nicht«, entgegnete Annajane. »Ich freue mich für die beiden.«
»Yippie yippie yeah«, sagte Pokey. »Friede, Freude, Eierkuchen. Dir kann es ja egal sein. In weniger als einer Woche packst du deine Umzugskartons, und ab geht es nach Atlanta, in dein schönes neues Leben, ohne einen Blick in den Rückspiegel. Neuer Mann, neue Arbeit, neue Wohnung. Und was ist mit mir? Ich hocke hier in diesem ätzenden Passcoe mit Mama, meinem bösen Bruder Davis, dem guten alten Mason und seiner neuen Frau Cruella de Vil.«
»Du arme, arme Pokey«, foppte Annajane zurück. »Das reichste Mädchen der Stadt, verheiratet mit dem zweitreichsten Mann.«
»Drittreichsten«, berichtigte Pokey. »Oder vielleicht viertreichsten. Davis und Mason haben deutlich mehr Geld als Pete.«
»Apropos, wo ist Pete eigentlich?«, fragte Annajane und reckte den Hals, um nach Pokeys Gatten Ausschau zu halten. Doch sie erblickte nicht den großgewachsenen rothaarigen Pete, sondern ein weiteres verspätetes Pärchen, Bonnie und Matthew Kelsey, die den rechten Gang entlangeilten.
Bonnie Kelsey erhaschte Annajanes Blick. Ihr gebräuntes Gesicht lief rot an, schnell sah sie beiseite, umklammerte Matthews Arm und führte ihn zu einer Bank so weit weg von Annajane, wie es in der überfüllten Kirche nur möglich war.
Pokey durchschaute das Manöver. »Zicke«, sagte sie.
»Schon gut«, sagte Annajane gutmütig. »Ich meine, was willst du erwarten? Matt und Mason spielen jede Woche zusammen Golf. So wie ich gehört habe, kommen Bonnie und Celia prächtig miteinander aus. Beste Freundinnen! Und Bonnie ist nicht die Einzige, die so auf Celia abfährt. Alle Frauen in diesem Raum durchbohren mich mit Blicken, seit ich die Kirche betreten habe. Als ich zugesagt habe wusste...
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