Schweitzer Fachinformationen
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EINS
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»Wird man Penisse sehen?«
Die Showrunnerin mit den blauen Dreadlocks starrt Karla so fassungslos an, als wäre das die dümmste Frage überhaupt. Sie zieht die Augenbraue hoch und erklärt Karla in einem Therapeutinnenton: »Schätzchen, aber ja! Schwänze. Muschis. Schwänze in Muschis. Muschis auf Muschis. Schwänze mit Schwänzen. Das ist der Sinn dieser Show. Hast du ein Problem damit?«
»Nein, ich bin seit drei Wochen solo.«
»Uuups. Solo und professionell hoffentlich. Die Show ist intim, aber nicht privat, du verstehst.«
Karla ärgert sich über diese Ansprache. Sie ist ja nicht bescheuert, sondern nur zum ersten Mal bei der Produktion einer TV-Show dabei. Mehr aber wurmt es Karla, dass sie sich so schnell verunsichern lässt. Das liegt eben daran, dass sie gerade verlassen wurde. Matthis, ihr langjähriger Lebenspartner, ihr Seelenverwandter, ihre große Liebe, hat sich einfach verkrümelt, in Luft aufgelöst, ist klammheimlich verschwunden. Karla schiebt den Gedanken an ihn weg und konzentriert sich auf ihre neue Kollegin. So busy und überlegen diese Dreadlockqueen auch tut, sie wird wie alle nur mit Wasser kochen. Also besinnt Karla sich darauf, was sie ihren Kunden immer sagt, wenn die in ihrer Liebeskummerpraxis sitzen und von ihren Demütigungen berichten.
»Kritik ist erst mal nur eine Art von Information. Versuchen Sie, die Sachebene und die persönliche Ebene zu trennen. Schieben Sie die Gefühle weit weg, und sehen Sie sich die Sache an: Ist die Kritik berechtigt? Dann lernen Sie jetzt etwas. Ist sie substanzlos und besteht nur aus Gehässigkeit? Dann braucht sie Sie nicht zu interessieren. Sie ist bedeutungslos für Sie. Und der Mensch, der sie geäußert hat, ist es auch. Gehässigkeiten interessieren uns nicht. An echter Kritik können wir wachsen.«
Das fällt Karla leicht, wenn sie in ihrem Sprechzimmer sitzt mit den schönen Blumen auf der Fensterbank und dem Muschelwindspiel, mit dem duftenden Tee und den Keksen und den flackernden Kerzen. Und vor allem in ihrer Rolle. Als Liebeskummerexpertin hat sie immer eine Idee, und meistens hilft es den Kunden weiter, aber wenn es um sie selbst geht, ist sie wie eine kettenrauchende Lungenärztin: Obwohl sie es theoretisch weiß, kann sie es nicht umsetzen.
Karla hört die Showrunnerin neben sich Regieanweisungen in ihr Headset zischen und versucht diese kurze Pause zu nutzen, um sich von einer TV-Anfängerin in einen Kuppelspielprofi zu verwandeln. Immerhin wollte die Showleitung genau sie haben, um die Kandidaten dieses neuen Formats zu betreuen. Sie, Karla. Also strafft sie die Schultern, schiebt sich die Nerdbrille etwas höher auf die Nase und streicht sich über den schwarzen Bob. Als zwei Bühnenarbeiter einen großen Spiegel vorbeitragen, bemerkt sie sehr wohlwollend, dass sie in diesem schwarzen Bleistiftrock mit der violetten Seidenbluse und den Ballerinas genau den richtigen Look hat, halb Fräulein Rottenmeier, halb beste Freundin, so fühlt sie sich am wohlsten. Und die Showrunnerin, dieses junge Mädel, die nebenher Dildos aus einem Koffer aussucht und von ihrer Assistentin einen Smoothie gereicht bekommt, der grünlich wie vergammeltes Sperma im Plastikbecher herumschwappt, ist vielleicht gar nicht überheblich, sondern unsicher und kaschiert das mit übertriebener Selbstgefälligkeit. Karla fühlt sich gleich besser, sie ist wieder in ihrem Analysemodus. Damit wird die Welt übersichtlich. »Es ist viel angenehmer, wenn man sich nicht ständig beleidigt fühlt«, sagt sie ihren Kunden immer.
Die Showrunnerin macht es ihr aber schwer. Jetzt tätschelt sie Karla auch noch herablassend den Arm.
»Das Showbiz kann verwirrend sein. Dauernd Neues. Und das in deinem Alter.«
Karla atmet tief durch. Sachebene sehen. Faktisch richtig, sie ist Mitte dreißig, also deutlich älter als ihr Gegenüber. Und es stimmt, sie hört gerade viel Neues. Karla nickt und bemüht sich, freundlich zu lächeln. Aber dieses therapeutische Säuseln, das die Showrunnerin wohl für einfühlsam hält, macht sie irre. So würde sie nie mit ihren Kunden sprechen.
In ihrer Zeit als Kummerkastentante eines Männermagazins - KARLA: NA KLAR - hat sie jahrelang die Sorgen und Nöte der Leser verarztet. Da musste sie schnell und knackig auf den Punkt kommen. Wobei das damals gegen ihr heutiges Leben ein echter Spaziergang war.
Eigentlich liefen die Leserprobleme bei all den Variationen immer auf die drei großen Fragen des Sexuallebens hinaus: Ist das normal? Oder: Wie bekomme ich mehr Sex? Oder: Wie bekomme ich überhaupt mal Sex? Und ihre Antworten waren im Grunde auch immer die gleichen: Wenn es juckt, gehen Sie zum Arzt. Ansonsten: Reden Sie miteinander.
Selbst ihr Ausflug in den Beruf der Sexualassistentin erscheint ihr rückblickend übersichtlicher als dieses bunte Chaos hier. Sie fand die Idee, Menschen, die es alleine nicht schaffen, zu einem erotisch befriedigenden Leben zu verhelfen, immer schon faszinierend. Sie hatte sich extra ausbilden lassen, aber dann war es ihr doch zu viel geworden, die Schicksale, die Nöte und dass es immer auf Sex hinauslief. Sie hat eigentlich keine Probleme damit, bei ihren Kunden auch mal Hand anzulegen, wenn es ihr berechtigt erscheint, bei manchen hilft reden einfach nicht weiter. Matthis wusste immer, dass es in ihrer Praxis auch zu Körperkontakt kommen kann, aber das hat ihn doch nie wirklich gestört. Oder hat er sie am Ende deswegen verlassen? Wie soll etwas jahrelang okay sein und dann ganz plötzlich gar nicht mehr? Warum ist auf einmal alles so verwirrend?
Karla schüttelt die leicht klebrige Hand auf ihrem Arm ab und wünscht sich eine Sekunde zurück in ihr altes Leben als Tittenmagazin-Ratgeberin. Da war wirklich alles viel simpler. Sie klappte einfach ihren Laptop auf und gab ihren Senf zu den immer gleichen Würstchen. Jetzt hat sie die Praxis, wo sie realen Menschen gegenübersitzt. Unglücklichen Menschen. Oder völlig verkorksten. Der Erfolgsdruck ist wesentlich höher, als bloß eine E-Mail zu beantworten. Aber wenn eine Klientin, nachdem sie ein paar Sitzungen durchgeheult hat, plötzlich wieder lacht und ausgeht und flirtet, dann liebt Karla ihren Job. Und der Erfolg gibt ihr ja auch recht, die meisten ihrer Kunden beherzigen Karlas Programm, und irgendwann stehen sie dann mit Pralinen in der winzigen Wohnung, die Karla für ihre Sprechstunde angemietet hat, und fallen ihr dankbar um den Hals. Es macht nicht nur die Klienten, sondern auch sie selbst glücklich, und eigentlich wollte sie, dass alles genau so weiterging. Tagsüber in der Praxis Menschen glücklicher machen und sich selbst abends von Matthis beglücken lassen. Und das konnte er gut. Er kam nach Hause, fragte, wie ihr Tag war, sie kochten Pasta, dann vögelten sie, und alles war irgendwie klar und einfach. Aber das ist jetzt vorbei.
Und dass sie jetzt zusätzlich bei dieser Show beteiligt sein wird, verkompliziert alles noch. Als ihr der Job angeboten wurde, hatte sie gedacht, es sei eine gute Werbung für ihre Praxis. Außerdem ist ein zweites Standbein ja nie verkehrt. Und Nackt-Dating-Show hörte sich auch lustig an, Matthis und sie hatten beim Lesen des Exposés so gelacht. Genital-Dating, wer bitte denkt sich so was aus? Sie hatte einfach geglaubt, es sei eine gute, witzige Sache. Aber dann war Matthis plötzlich weg, von heute auf morgen, ohne ein Wort. Jedenfalls ohne ein persönliches. Es lag nur ein Zettel auf seinem Arbeitstisch:
Ich muss allein sein und einiges für mich klären. Such mich nicht, wir sprechen, wenn ich so weit bin. Ich brauche eine Beziehungspause.
Was bitte sollte sie damit anfangen? Mieze, die einzige ihrer Freundinnen, die verheiratet ist, würde jetzt zu einem Monolog ansetzen, dass eine Pause nie eine Pause bedeutet, sondern das Ende, nur hübscher angezogen. Trennung mit rosa Tüll drüber. Oder Zuckerguss. Eher Zuckerguss. Miezes Metaphern stammen meistens aus dem Backbereich.
Gerade jetzt, wo Karla so gar nicht in Dating-Laune ist und am Konzept der wahren Liebe schwer zweifelt, fühlt sie sich hier fehl am Platz. In dieser Show und auch in ihrer Liebeskummerpraxis. Eine Liebeslebenexpertin, die ihre eigene Beziehung nicht auf die Reihe bekommt, wie glaubwürdig soll das denn bitte sein? Das ist doch wie eine Kosmetikerin mit Akne, ein vegetarischer Metzger oder eine allergische Katzenzüchterin. Prompt, als hätte die Showrunnerin Karlas Gedanken gelesen, sagt sie etwas von »Muschis«. Karla versucht sich zu konzentrieren. Muschis?
»Das da, da drüben, das sind die Peep-Kabinen für die Muschis«, erklärt die Showrunnerin und deutet auf die neonpink bemalten Nischen, in denen Gynäkologenstühle stehen. Auf einem liegt eine Statistin mit entblößtem Unterkörper und liest mit weit gespreizten Beinen eine Taschenbuchausgabe von Einkommenssteuer und Abgabenordnung, während Arbeiter um sie herumräumen und ein Beleuchter einen grellen Lichtkegel zwischen ihre Beine richtet.
Schau an, ich habe nicht den schrägsten Job bei dieser Produktion, denkt Karla, während die Statistin mit einem Textmarker etwas in ihrem Buch unterstreicht. Wie, oh Herrin, wird man Vagina-Lichtdouble? Ihre Freundin Fine, die Künstlerin mit der großen Klappe, würde jetzt wahrscheinlich fragen, ob der Beruf vielleicht Mösenmodel heißt.
»Mehr Licht aufs Mumu-Tal!«, brüllt die Showrunnerin neben Karla so laut, dass sie zusammenzuckt.
»Noch mehr Licht, ich will die Kitzler glitzern sehen. Die Klittis sind...
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