Schweitzer Fachinformationen
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Eines Nachmittags traf Ester in einem Café eine Freundin. Sie tranken Kaffee und aßen Muffins und sprachen darüber, was in ihrem Leben passierte. Ester hatte ihre Freundin gern, sie kannten sich schon lange. Als sie eine Weile geredet hatten, musterte die Freundin Ester forschend und fragte:
»Bist du verliebt in Hugo Rask? Du wirst rot, sowie sein Name fällt. Tatsache ist, dass dein Gesicht die ganze Zeit rot ist.«
Ester packte ihre Serviette.
»Aber ich werde Per nicht verlassen.«
Die Freundin war nicht mehr neugierig, sondern verblüfft. »War das denn aktuell?«
»Nein.«
Die Freundin war nicht mehr verblüfft, sondern von wissendem Mitleid erfüllt.
»Wir verstehen uns sehr gut und werden Freunde werden«, sagte Ester.
Die Freundin lächelte belustigt. Aber Ester glaubte, was sie sagte. Sie begriff nicht, dass sie eine Grenze überschritten hatte. Das Gehirn kennt kein Tempus. Das, wonach es sich sehnt, hat es bereits gehabt. Der Sprung geschieht, wenn wir nicht die Zukunft verlieren wollen, die wir bereits kennengelernt haben.
»Du bist sehr rot im Gesicht«, sagte die Freundin.
Ester hob die Hand an die Wangen, vor allem, um sie zu verdecken, aber auch, um sie abzukühlen.
»Hier ist es warm«, sagte sie.
Das Leiden tobte in ihr. Die Verbrennungsmotoren liefen auf allen Zylindern. Sie lebte von Luft. Sie aß nichts und brauchte keine Nahrung. Sie trank nichts und verspürte keinen Durst. Mit jedem Tag hing die Hose lockerer um ihren Leib. Ihr Fleisch brannte, und sie konnte nicht schlafen. Sie legte jetzt das Mobiltelefon in die Nachttischschublade, und in der hemmungslosen Ich-Bezogenheit der Verliebtheit begriff sie nicht, dass der Mann neben ihr in stummer Wut wach lag. Verzweiflung war ein zu großes Wort, denn er war sogar sich selbst gegenüber verschlossen, aber viel zu hoch gegriffen war es nicht.
War es früher selbstverständlich gewesen, dass Per und Ester sich miteinander wohl fühlten und immer zusammen waren, war es jetzt selbstverständlich, dass Ester abends erst nach Hause kam, wenn es unbedingt sein musste. Ihre ganze Beziehung war selbstverständlich gewesen, weshalb auch ihre Auflösung ohne große Worte vor sich ging.
Hugos SMS liefen nachts ein, wenn seine Mitarbeiter und Dragan nach Hause gegangen waren und er allein weiterarbeitete. Jeden Abend gegen Mitternacht schickte er eine freundliche Mitteilung, die sie sofort las. Im Nachbarbett lag ein Mensch, den es nicht gab.
Sein Atelier lag in der Kommendörsgata in einem der wenigen unansehnlichen Häuser in dieser Straße. Abends ging sie durch die Gegend. Sie hoffte auf einen Blick, darauf, dass jemand, der mit ihm in Kontakt stand, oder vor allem er selbst, aus der Tür käme. Und eines Abends war es so weit. Auf dem Heimweg aus dem Kino machte sie den Umweg an seinem Haus vorbei, um dann eine weitere Runde durch die Nachbarschaft zu drehen. In diesem Moment sah sie ihn auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig. Mit schnellen Schritten lief er in die Gegenrichtung. Sie machte kehrt und folgte ihm in einiger Entfernung. Er bog einige Male ab und betrat dann den ICA Supermarkt im Karlaväg. Ester wartete draußen.
Nach dreieinhalb Minuten kam er heraus und ging mit einer kleinen Tüte in der Hand denselben Weg zurück. Sie blieb zwanzig Meter hinter ihm. Als sie sich seinem Eingang näherten, holte sie auf, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:
»Was für ein Zufall!«
Er brachte keine Überraschung zum Ausdruck, berührte ihren Arm und sagte:
»Komm mit rauf. Wir hängen noch ein bisschen herum nach der Arbeit und reden, ein paar andere und ich.«
»Glaubst du, den anderen ist das recht?«
»Mir ist es recht. Komm mit.«
Fünf Personen standen in der Küche des Ateliers, mit Gläsern voll Rotwein und den Ellbogen auf dem Bartresen. Er packte seine Einkäufe aus, Kekse, Trauben und einen Grünschimmelkäse, den er aus der Verpackung wickelte.
Eine Mitarbeiterin schielte verärgert zu Ester hinüber, eine jüngere Frau mit struppigen Haaren und einer auffälligen Brille, aber das war vermutlich eine Fehldeutung, denn Ester begriff nicht, welchen Grund die andere haben sollte.
Sie aßen und tranken und sagten, der Käse schmecke gut. Hugo erklärte, dass es Jahrhunderte gebraucht habe, die Geschmackskombination Brot, Käse und Weintrauben zu entwickeln. Nur vor dem Hintergrund eines so langen Zeitlaufes habe sich evolutionär gesehen eine Anpassung der Geschmacksnerven entwickeln können. Er staunte über alles, was Zeit brauchte. Das war Ester schon früh aufgefallen, und sie hatte es auch in ihrem Vortrag erwähnt. Aufgelöst in Fleisch und Gefühlen, weil sie neben ihm stand, dachte sie jetzt an den Käse, der den Wettbewerb mit allen anderen Käsen gewonnen hatte, und an die Schimmelpilze, die im Kampf um die Gunst der menschlichen Geschmacksnerven ausgesondert worden waren. Sie fand es wunderbar, dass er über solch große, ernste Dinge nachdachte.
Das Einzige, was sie störte, war, dass er immer von Leuten umgeben war. Das sagte etwas über ihn aus, das sie mit einer vagen Skepsis erfüllte. Sie hatte sich vorgestellt, er sei eine einsame Gestalt mit einem Spalt aus Sehnsucht in sich, den sie füllen könnte.
Ehe man begreift, wohin das Gefühl führen wird, spricht man mit allen und jedem über das geliebte Wesen. Und plötzlich hört das auf. Dann ist das Eis dünn und glatt. Man erkennt, dass jedes Wort die Verliebtheit verraten kann. Sich unberührt zu geben, ist ebenso schwer, wie normal zu tun, und im Grunde ist es dasselbe.
Ester war noch nicht so weit, was sich herausstellte, als sie bei einer Veranstaltung die Redakteurin der philosophischen Zeitschrift Die Höhle traf, für die sie manchmal schrieb, und unvermittelt das Gespräch auf Hugo Rask lenkte, obwohl das Thema ein anderes gewesen war. Die Redakteurin fand ihn ebenfalls überaus interessant und hatte im selben Moment eine Idee. Sie sagte, sie legten soeben letzte Hand an eine Sondernummer über Altruismus und Pflicht, und in der Nummer fehle noch etwas, etwas, das die Sache abrunden und zugleich Leser anlocken könnte. Der Redakteurin ging erst jetzt auf, was das sein könnte. Da es in Hugo Rasks Werk immer um ethische Fragen ging, schlug die Redakteurin ein Interview mit ihm vor, über das Spannungsverhältnis zwischen dem Ich und Du in seinem Werk und in ihm selbst.
Ester Nilsson fragte mit glühender Kopfhaut, warum die Redakteurin gerade sie für geeignet für diese Aufgabe halte, denn mit diesem Spannungsverhältnis habe sie sich weder philosophisch noch bei ihrem Studium seiner Arbeit beschäftigt.
»Weil du in Hugo Rask verliebt bist und dich trauen wirst, Fragen zu stellen, die niemand anders stellen würde.«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Auf welche Idee?«
»Dass man dann eindringliche Fragen stellt. Ich dachte, es sei umgekehrt, dass Verliebtheit unkritisch und urteilslos macht.«
»Urteilslos wird man wohl. Aber nicht unkritisch, sondern streng. Wenn der Geliebte sich als jämmerlich, widersprüchlich und schwach erweist, liebt man ja nur noch mehr.«
»Das klingt nach eigener Erfahrung.«
Die Redakteurin lächelte breiter, als ihre von Wein und Zigaretten angefressenen Zähne es eigentlich gestattet hätten.
»Aber ich habe auch noch einen anderen und näherliegenden Grund, dich darum zu bitten.«
»Und der wäre?«
»Nur ein verliebter Mensch kann solch einen Artikel in einer Woche schreiben. Und mehr Zeit kann ich dir leider nicht geben.«
»Wieso glaubst du eigentlich, dass ich verliebt bin?«
»Das sehe ich dir an.«
»Ich schätze seine Kunst«, sagte Ester. »Das tue ich wirklich.«
Die Redakteurin lächelte nachsichtig und ein wenig hämisch.
»Höchstens zwanzigtausend Zeichen und mindestens achtzehntausend. Abgabe in einer Woche.«
Ein Interview dieser Art verlangte stundenlange Gespräche und danach einigen Austausch über die Gestaltung des Textes. Das war ihre Chance.
Am nächsten Morgen rief sie Hugo an. Er fühlte sich geschmeichelt, wollte sich die Sache aber überlegen, das Thema sei schwierig und erfordere Gedankenarbeit und Zeit, es müsse richtig getan werden und es müsse gut werden. Aber im Prinzip sei er interessiert und habe Respekt vor der Höhle.
Im Laufe des Tages ging ihr auf, dass sie ihrem Lebensgefährten unmöglich von diesem Auftrag erzählen könnte, und nun wusste sie, dass ihre Beziehung zu Ende war. Die Frage war nur noch, wie sie es ihm sagen sollte. Sie hoffte, er werde ihr helfen. Und so geschah es auch. Er konnte mit der Ambivalenz nicht leben, und am folgenden Abend packte er ihren Oberarm und sagte:
»Hat das hier überhaupt noch Sinn? Mit uns?«
Aber hinter diesen Worten hörte Ester vor allem den Wunsch nach Linderung und Erleichterung heraus. Er stellte die Frage, um zu hören, dass er sich geirrt habe. Es gibt einen Widerstand in dem, der fort will, eine Furcht vor dem Unbekannten, vor dem Streit und vor der Reue. Wer nicht verlassen werden will, sollte diesen Widerstand nutzen. Aber dann muss er das Bedürfnis nach Klarheit und Aufrichtigkeit unterdrücken. Nur so können wir einen Menschen behalten, der nicht bei uns sein will. Daraus ergibt sich das weltweite Schweigen in den Beziehungen.
Ester dachte: Ich darf das nicht. Ich darf seinen Schmerz und meine eigenen Probleme nicht lindern. Das darf ich nicht.
»Nein, es hat keinen...
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