Schweitzer Fachinformationen
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Als die Familie als neues Konzept in der therapeutischen Szene auftauchte und es üblich wurde, mit Film und Video zu arbeiten, wurde deutlich, welchen Stellenwert Bindungen und Weisen der Kommunikation für die Gesundheit oder Krankheit einer Familie haben. Diese Erkenntnisse ermöglichten es auch, das Konzept des Genosoziogramms zu entwickeln und zu verfeinern und als Handwerkszeug für Diagnostik und Behandlung zu benutzen.
Das, was wir Familientherapie nennen, basiert auf den Untersuchungen von Frieda Fromm-Reichmann13 (1889-1957), die etwa 1948 anfing, über Psychosen und besonders Schizophrenie nachzudenken. Sie arbeitete mit schizophrenen Patienten und deren Familien, filmte diese und ließ sie filmen von Anthropologen und Psychiatern.
Wenn der Traum nach Freud "der Königsweg zum Unbewussten" war, so gab die Familie des Schizophrenen und ihre Interaktionen - die gefilmt und in Zeitlupe studiert wurden - die Möglichkeit, die innere Welt von Familien mit ihren spezifischen Weisen verbaler Kommunikation und nonverbalen Ausdrucks zu entschlüsseln.
In der Nachfolge von Frieda Fromm-Reichmann versammelten sich etwa 1956 an der Stanford-Universität und in Palo Alto andere Forscher um Gregory Bateson, Jay Haley, John Weakland, Don Jackson und später Paul Watzlawick und die berühmte Familientherapeutin Virginia Satir und begannen, diese Aspekte familiärer Interaktion zu erforschen (vgl. etwa Perceval 1961; Haley 1990; Watzlawick, Beavin u. Jackson 1990; Satir 1997). Man könnte sagen, es war eine glückliche Fügung von Umständen, dass sich so viele hoch qualifizierte Leute aus den verschiedenen Forschungsrichtungen in Palo Alto zusammengefunden hatten, um sich auszutauschen und ihre Standpunkte zu vergleichen. So hatte sich die Palo-Alto-Gruppe gebildet: Die meisten Forscher verbrachten ihr Sabbatjahr in Palo Alto als fellows am Institute for Advanced Study in the Behavioral Science.
Die so genannte "Gruppe von Palo Alto" formulierte die Hypothese vom Double-bind. Darunter versteht man eine schwere Störung in der Kommunikation der Familie: Es werden Botschaften gegeben, diese sind aber sehr widersprüchlich. Sie sind so strukturiert, dass man verbal eine Sache bejaht, gleichzeitig aber durch die Körpersprache z. B. etwas völlig anderes ausdrückt. Beide Aussagen schließen sich aus oder blockieren sich. Das ist eine "doppelte Botschaft, die doppelt bindet". Wenn die Botschaft also ein ausdrücklicher Befehl ist, ein Gebot, dann muss man ihr daher nicht gehorchen, um ihr zu gehorchen.
Aber es ist auch verboten, davon zu sprechen oder gar die Tatsache anzusprechen, dass die Botschaft verwirrend, widersprüchlich und "bindend" ist.
Jemand, der sich in einer Double-bind-Situation befindet, riskiert also, bestraft zu werden oder sich schuldig zu fühlen, wenn er die Dinge "richtig" wahrnimmt. Er wird von seiner Familie als "schlecht" oder "verrückt", als "designierter Patient" bezeichnet, weil er gezeigt hat, dass es einen Widerspruch - eine Unvereinbarkeit - gibt zwischen dem, was er sieht, wahrnimmt, und dem, was er sehen und fühlen sollte. Die Palo-Alto-Gruppe betrachtet in vielen Fällen bei schizophrenen Kindern die Eltern oft als kränker als das Kind und meint, eigentlich müssten die Familie und die familiäre Kommunikation behandelt werden, damit das Kind gesund werden kann.
Diese klassische Familientherapie, die die Palo-Alto-Gruppe entwickelte, stützt sich in ihrer Theorie auf die Idee des "Systems" und der "Homöostase", d. h. auf einen Ausgleich der Kräfte und auf "Familienregeln". Die Praktiker des Mental Research Institute (MRI), wie Watzlawick, Whitaker und Napier, sprechen bereits vom "Geist", der während der Therapie aus der Vergangenheit des Patienten auftaucht (vgl. Le fantome de grand-mère in Napier et Whitaker 1980), sie verweisen auch schon auf die systemische Familientherapie.
Es gibt auch einen intergenerationalen Zweig der Familientherapie, dazu gehören Murray Bowen, Ivan Boszormenyi-Nagy, Maurizio Andolsi, Helm Stierlin. Sie haben das Konzept der Delegation entwickelt, z. B. einer Schuld: Man gibt die "heiße Kartoffel" weiter an die nächste Generation.
Die Systemiker dieser theoretischen Schule, die als "strategische" systemische Therapie bezeichnet wird, benutzen das Paradoxon und das, was es hervorruft, in der Arbeit mit dem "designierten Patienten" und seiner Familie. Sie gehen davon aus, dass die Realität des Problems des Kranken sowohl dem Kranken als auch seiner Familie bekannt ist. Ihr Grundprinzip ist, dass jeder seine eigene Wirklichkeit definieren kann. Die Lösungen, die für die Schwierigkeiten im Leben gefunden werden, seien sie physischer oder psychischer Art, sind das Hauptproblem geworden. Die Intervention zielt darauf ab, die Wirklichkeit neu, auf eine funktionalere Weise zu definieren. Wir könnten in einer Sprache sagen, die vielleicht die des Anthropologen Erving Goffman (1971, 1996) hätte sein können, man muss dahin kommen, ein Ereignis aus einer anderen Perspektive zu sehen und wahrzunehmen, es in einen anderen Rahmen, einen anderen Kontext zu stellen. Man muss ein reframing vornehmen.
Ein anderer Zweig der systemischen Therapie, die "strukturelle" Familientherapie, hat das Ziel, Beziehungsgewohnheiten in der Familie zu ändern, wenn die Beziehungen erstarrt sind. Diese Schule hat vor allem in Philadelphia, in dem Kreis um Minuchin an der Child Guidance Clinic, Verbreitung gefunden. Hier wurden viele ihrer Techniken angenommen und besonders in der Therapie von Kindern angewendet. Dabei konzentriert man sich vor allem auf Interventionen im Hier und Jetzt. Zu erwähnen ist Murray Bowen (1978, 1987). Er ist bekannt für sein Konzept der masse de moi familial14, eine Art familiäre Verschmelzung, bei der ein Individuum nicht unterscheiden kann, wer es selbst ist. Es bedeutet einen langen, schmerzvollen und schwierigen Prozess für ein heranwachsendes Kind oder einen Teenager, sich selbst von der Familie zu unterscheiden. Bowen machte auch darauf aufmerksam, dass in Familien häufig Konflikte auftreten, die auf Dreierkonstellationen (Triangulierungen) zurückgehen, in denen zwei gegen einen stehen. Er entwickelte Techniken, solche triangulären Konflikte in dyadische (Zweier-)Konflikte umzuwandeln. Dabei ergab sich das Problem der Weitergabe von Angst, wenn die Triangulation nicht aufgelöst wird.
Ingmar Bergman sagte 1991 in einem Interview, anlässlich der Aufführung von Strindbergs Fräulein Julie am Königlichen Theater von Stockholm: "Dieses Stück erzählt von drei seelischen Verletzungen von Fräulein Julie, es gibt in dieser Welt Menschen, die gewählt haben, die Schuld der anderen zu tragen, und Julie ist eine von ihnen." Sicher ist dieses Stück, wie das ganze Werk Strindbergs, von autobiografischen Erfahrungen inspiriert. Es erzählt die Angst des Sohnes der Dienstmagd und Familiendramen aus dem Leben des Autors, die sich wiederholen.
Vor langer Zeit haben die Griechen bereits dieses Phänomen beschrieben in der Geschichte von Herkules. Herkules zog die Tunika des Zenturions Nessus an, den er getötet hatte. Die Tunika klebte auf seiner Haut und verursachte ihm solche Schmerzen, dass er seinem Leben selber ein Ende setzte. So haften die familiären Wiederholungen auf der Haut wie Nessus' Tunika und speichern die Angst der Vorfahren.
Die Bewegung, die uns am meisten interessiert, sind die Familientherapeuten, die, von analytischen Grundlagen ausgehend, versuchen, die analytischen Konzepte und Werkzeuge auf die Familie auszudehnen, indem sie die Familie als eine Serie von Dyaden betrachten. Dazu gehören Nathan Ackerman, Ivan Boszormenyi-Nagy und in Frankreich Nicolas Abraham und Maria Török.15 Nathan Ackerman16 gründet seine praktische Arbeit auf Zweierinterviews, um der Familie zu helfen, sich der falschen Ideen und besonders der "Relikte" aus der Vergangenheit bewusst zu werden.
In meiner eigenen analytisch fundierten Arbeit benutze ich manchmal so genannte Vignetten, kurze Psychodramaabschnitte, in denen Patienten ihre Vergangenheit wieder erleben, indem sie sie ausagieren. Dabei gebrauche ich klassische psychodramatische Techniken wie die Projektion in die Zukunft oder eine ausgedehnte Surplus-Realität, in der es möglich ist, einen toten Großvater zu bitten, zu kommen und auf der Bühne zu sprechen. Ich benutze diese Techniken, um Leuten zu helfen, die "heiße Kartoffel" loszuwerden, die sie von der vorhergehenden Generation übernommen haben.
13 Frieda Fromm-Reichmann hat übrigens mit J. L. Moreno zusammengearbeitet. Sie gaben zusammen...
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