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Eigentlich war Snezana Subic, die Kordesch gerne Schneeflocke nannte, seine liebste Kollegin. An diesem Tag, einem Donnerstag im Mai, hörte er sie allerdings im Büro nebenan in einem fort auf und ab rennen. Gerade redete sie mit sich selbst: »Wo sind jetzt wieder die Perlenohrringe, jebem ti?«
Ihre Nervosität übertrug sich auf Oberst Benedikt Kordesch. Dabei war es die Hochzeit von Snezanas Schwester und nicht ihre eigene, die am Samstag bevorstand. Den Freitag hatte sie sich zwar freigenommen, doch schon am Donnerstag hielt sie offenbar nichts mehr in ihrem Bürosessel. Alle paar Minuten lief sie in Kordeschs Büro und fragte ihn etwas anderes.
Seit einer Stunde versuchte er, sich auf die Statistik vor ihm zu konzentrieren und die Werte in den Tabellen zu addieren. Doch bald erschien Snezana wieder in der Tür. Sie zeigte auf ihre Ohrringe: »Oder findest du die besser?«
Um zwei Uhr am Nachmittag reichte es ihm. Als er sich gerade zwischen drei Lippenstiften entscheiden sollte, schaute er sie streng an und sagte: »Schneeflocke, du gehst jetzt nach Hause. Da kannst du in Ruhe alles anprobieren. Ich melde dich um fünf bei der Zeiterfassung ab.«
Sie starrte ihn fragend an und entgegnete ihm: »Du willst mich doch nur loswerden.«
»Du hast mich wieder einmal durchschaut«, sagte Kordesch und zwinkerte. »Wir sehen uns am Dienstag. Du wirst sehen, es wird eine super Hochzeit und du wirst die zweitschönste Schneeflocke von allen sein.«
»Warum nicht die schönste?«
Benedikt Kordesch reichte es. Alles, was er sagte, war falsch.
»Die Schönste muss die Braut sein, jebem ti!«, sagte er und stand aus dem Bürosessel auf. »Du kannst ihr doch nicht den Tag vermiesen, an dem sie sich ihr restliches Leben vermiest.«
Snezana umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Aus nächster Nähe musste er die Düfte aller bereits ausprobierten Parfums auf einmal inhalieren. »Schönes Wochenende, du alter Grantscherben! Das werde ich dir nie vergessen.«
Kordesch atmete auf, als sie weg war. Er setzte sich wieder, streckte sich in seinem Bürostuhl aus und starrte einfach in die Luft. Zwei, drei Minuten saß er reglos so da, dann hörte er, wie die Tür aufging. Wieder kam Snezana in sein Büro. »Ich hab was vergessen. Die Mappe auf meinem Schreibtisch muss noch heute zu Frau Dr. Adrian zur Begutachtung. Kannst du das machen?«
»Was muss ich tun?«
»Einen Fahrradboten bestellen und ihm die Mappe geben. Die Adresse von Dr. Adrian steht auf dem Post-it, das auf der Mappe klebt«, sagte Schneeflocke.
»Dr. Adrian«, sagte er und legte die Stirn in Falten. »Ist das die groß gewachsene, schlanke Dame mit den blauen Augen und den guten Manieren, die hier schon öfter was abgeholt hat?«
»Ja, das ist sie. Kannst du dich erinnern? Im Februar war sie mal bei dir. Und kurz vor Ostern war ich schon im Urlaub und sie hat Unterlagen für ein Gutachten abgeholt«, sagte Snezana. »Sie sagt immer, du bist ein Ritter, der ins Mittelalter gehört, sich aber in die Neuzeit verirrt hat.«
»Sagt sie das?«
»Ja! Du hältst ihr immer die Tür auf und nimmst ihr den Mantel ab.«
Natürlich konnte Kordesch sich erinnern; besonders an den letzten Karfreitag. Da war er alleine im Büro gewesen. Diese Dr. Adrian war am Nachmittag gekommen und hatte eine Mappe abgeholt. Kordesch wollte selbst gerade gehen. Und dann gingen sie beide den Kai entlang. Frau Dr. Adrian sagte, dass sie bis zu ihrem nächsten Termin noch Zeit habe, und fragte ihn, ob er mit ihr ein Gläschen in der Stadt trinken wolle. Davon hatte er Snezana wohlweislich nichts erzählt.
Kordesch hatte Ja sagen wollen, dann aber zog er sich mit einer Notlüge aus der Affäre und ging alleine nach Hause. Warum, wusste er nicht. Er mochte diese Dame. Aber er wusste genau, dass er bei einer solchen Gelegenheit zu schwitzen beginnen oder ein Glas umstoßen oder etwas Unbedachtes sagen würde. Die Gastritis war damals gut unter Kontrolle und er fürchtete, sie würde vom Sekt oder Wein sofort wiederkommen. Meist wurde ihm ja schon übel, wenn nur der saure Geruch von Weißwein in seine Nase stieg. Nein, Kordesch war einfach nicht gemacht für solche Abenteuer. Und vor allem: Worüber sollte er sich mit einer Juristin unterhalten?
Der Witz dieser Geschichte war, dass Kordeschs Gastritis ab dem nächsten Tag schlimmer wütete als je zuvor. Wieder ging er zu allen Ärzten und hörte dieselben Sätze, die er schon seit Jahren kannte: »Wir müssen wohl eine Magenspiegelung machen«; »Vielleicht sollten Sie Ihre Ernährung umstellen«; »Haben Sie es schon einmal mit traditioneller chinesischer Medizin versucht?«
»Und warum kommt sie nicht her, um die Mappe abzuholen?«, fragte Kordesch.
Snezana stampfte mit einem Fuß auf. »Bene, nerv mich nicht. Ich habe andere Sorgen. Sie kann nicht von zu Hause weg, ich glaube, weil ihr Enkelkind bei ihr ist. Bitte, bitte, ruf einfach einen Fahrradboten. Wenn die Unterlagen nächsten Mittwoch nicht im Parlament sind, bin ich tot.«
»Ist ja gut!«, sagte Kordesch. Als Schneeflocke vom Enkelkind von Frau Dr. Adrian gesprochen hatte, hätte er am liebsten laut aufgelacht. Da hatte Snezana etwas falsch verstanden. Dr. Adrian war ein paar Jahre jünger als er und bestimmt noch keine Großmutter. Aber Lachen war jetzt das Falsche. Snezana war nervös. Kordesch blieb todernst und sagte: »Ich mach das. Du kannst dich zu hundert Prozent auf mich verlassen.«
»Vergiss nicht darauf! Ich schreib dir deswegen noch ein SMS«, sagte Snezana. »Schönes langes Wochenende!«
Sie ging ein zweites Mal. Er wartete noch einige Minuten, ob sie nicht noch einmal zurückkam. Dann ging er nach nebenan. Ihr Schreibtisch war so penibel aufgeräumt, dass Kordesch sich sofort für das Chaos auf seinem Schreibtisch genierte. Auf Snezanas Computertastatur lag eine schwarze Aktenmappe mit einem großen Post-it darauf: Dr. Franziska Adrian, Colloredogasse 35, 1180 Wien.
Plötzlich war ihm nicht mehr danach, im Büro zu bleiben. Er würde die Abmeldung von der Zeiterfassung für Snezana und sich am nächsten Tag nachtragen. Er nahm die Mappe unter den Arm und ging.
Wie jeden Tag ging Kordesch auf dem Nachhauseweg die Berggasse entlang, überquerte den Donaukanal am Oskar-Morgenstern-Platz und ärgerte sich wieder einmal, dass er sich seit Jahren nicht fünf Minuten Zeit nahm, um zu googeln, wer dieser Oskar Morgenstern gewesen war. Wie jeden Tag ging er auf der Rossauer Brücke die Stufen zum Donaukanal hinunter. Und wie jeden Tag spazierte er auch an diesem Donnerstag den Treppelweg entlang. Trotz der Jahreszeit war es nicht wirklich warm. Kordesch richtete sich beim Anziehen nach dem Kalender und nicht nach dem Thermometer, trug eine leichte Hose und ein T-Shirt und fror. Er war nicht sicher, ob bei der Hochzeit am Samstag neben der menschlichen Schneeflocke nicht vielleicht auch wirkliche Schneeflocken auftauchen würden. In den vergangenen zwei Wochen hatte es fast jeden Tag geregnet. Von der Sonne keine Spur.
Das Pfingstwochenende stand bevor. Kordesch wusste nicht, was er mit dem kommenden Samstag und Sonntag anfangen sollte. Und dann kam auch noch der Pfingstmontag dazu, an dem er ebenfalls frei hatte. Beängstigend! 147 Überstunden hatte er angesammelt. Das bedeutete, dass er sich fast vier Wochen freinehmen könnte - eine noch beängstigendere Vorstellung.
Er wollte sich auf eine der Parkbänke setzen, aber an jeder, an der er vorbeiging, hatte er etwas auszusetzen. Die eine war ihm zu dreckig. Vor der anderen stand ein Baum, der ihm die Aussicht verstellte. Denn Kordesch saß gerne da und sah zu, wenn eines der Passagierschiffe stromaufwärts vorbeifuhr. Er wollte die nächste Bank nehmen, die war perfekt. Doch als er näher kam, sah er, dass jemand dort Die Sonne liegen gelassen hatte, die Boulevardzeitung, das Revolverblatt, wie Kordesch sie nannte. Er ging schnell weiter, schaffte es aber nicht, dabei die Schlagzeile nicht zu lesen: Hitler lebte bis 1980 in Südwestafrika.
Sein Magen krampfte sich zusammen. Die chronische Gastritis quälte Kordesch seit Wochen. Wie gut, dass er an diesem Tag noch nichts gegessen hatte. Er blickte in den Himmel. Noch dunklere Wolken waren aufgezogen. Er blieb stehen. Heute muss es sein, sagte er zu sich selbst. Seit einem Jahr nahm Kordesch sich vor, in das kleine Geschäft am Franz-Josefs-Kai zu gehen. Eigentlich nahm er sich seit einem Jahr vor, dort Autohandschuhe aus braunem Leder zu kaufen, seit er manchmal wieder mit einem Auto fuhr. Vor allem aber gab es dort Schirme, schöne englische Regenschirme mit Holzgriff. Und dieser Tag war der richtige. Er würde in das Geschäft gehen und sich den teuersten und edelsten Schirm aussuchen.
Eigentlich hatte er schon sein ganzes Leben vorgehabt, sich einmal einen schönen englischen Schirm zu kaufen, aber seine Frau Ulli hatte ihm das Vorhaben immer wieder ausgeredet. Er würde doch damit nur an einem Regentag außer Haus gehen, den Schirm in einem Kaffeehaus in den Schirmständer stecken und dann, weil es inzwischen aufgehört hatte zu regnen, auf dem Heimweg nicht mehr daran denken und ihn liegen lassen. Und schon wären hundertfünfzig Euro beim Teufel und er würde sich nur Vorwürfe machen. Jahrelang hatte Ulli den Schirmkauf verhindert. Aber inzwischen waren die beiden schon seit sechs Jahren geschieden.
Kordesch brauchte nur ein paar Minuten, bis er das Geschäft erreicht hatte. Er...
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