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1.»Corona existiert nicht!«
Die Pandemie der Fake News
Noch bevor das Coronavirus die ganze Welt erfasste, warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits vor einer drohenden »Infodemie«. Falschmeldungen verbreiteten sich schneller als das Virus und seien genauso gefährlich, sagte im Februar 2020 WHO-Präsident Tedros Adhanom Ghebreyesus, den die Trump-Administration später wegen seiner Haltung zu China unter Beschuss nahm. Die Gefahr der Fake News, so viel lässt sich jetzt schon sagen, hat der WHO-Chef zu jener Zeit richtig eingeschätzt. Anfangs wurden noch Witze gemacht - als in Deutschland Toilettenpapier und Trockenhefe und in Frankreich angeblich Rotwein und Kondome knapp wurden -, aber bald grassierten mit dem Virus vor allen Dingen die Ängste. Das mag einer der Hauptgründe sein, weshalb so viele Menschen bereitwillig auch noch den größten Unsinn über den Ursprung von Covid-19 glaubten - und millionenfach in den sozialen Netzen teilten. Wer sich fürchtet, sagen Kognitionsforscher, ist anfälliger für Fake News.
Auf die Ängste folgten Taten: In Großbritannien wurden laut Angaben der Betreiber bis Anfang Juni 2020 rund 80 Sendemasten für den 5G-Mobilfunkstandard angezündet und zerstört, rund zwanzig waren es allein in den Tagen um Ostern. Auch in Irland und in den Niederlanden wurden vermehrt ähnliche Fälle von Brandstiftung gemeldet. Videos von brennenden Masten wurden 100 000-fach geklickt. Auf Youtube und mehreren sozialen Plattformen waren zuvor Berichte aufgetaucht, die einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau des 5G-Standards und der Verbreitung des Coronavirus herstellten. Auch Hollywoodstars wie John Cusack und Woody Harrelson verbreiteten die Falschmeldungen auf Twitter. Das 5G-Mobilfunknetz steht ohnehin unter Generalverdacht, nicht nur in Großbritannien. So fordern beispielsweise in der Initiative 5G Appeal fast 400 europäische Wissenschaftler und Ärzte ein Moratorium für den Ausbau des Mobilfunknetzes, weil sie Gesundheitsschäden befürchten.1
Die einzige reale Verbindung zwischen Covid-19 und 5G bestand darin, dass in der chinesischen Stadt Wuhan, die als Ursprungsort der Corona-Pandemie gilt, derzeit ein 5G-Mobilfunknetz aufgebaut wird. Wie bei jeder guten Verschwörungstheorie lag ihrem Ursprung auch hier ein wahrer Kern zugrunde. Die Schlüsse, die manche daraus zogen, waren jedoch mehr als abenteuerlich. Die Strahlung der Masten greife in die Körperchemie ein, vermuteten die Gegner, und lasse die Menschen so anfälliger für die Viren werden. Corona sei nur erfunden worden, um während der Quarantäne heimlich ein 5G-Netz aufzubauen, behaupteten andere, und die dadurch verursachten Todesopfer vertuschen zu können. Allerdings blieben die Verschwörungstheoretiker die Antwort auf die Frage schuldig, warum sich die Pandemie vor allem dort ausbreitete, wo es keine 5G-Netze gibt - also im größten Teil der Welt.
Für Piers Corbyn, Bruder des früheren Labour-Chefs Jeremy Corbyn und einer der eifrigsten Anti-5G-Aktivisten, ist der Zusammenhang zwischen Covid-19, einem möglichen Impfstoff und dem neuen Mobilfunkstandard offensichtlich: »Den Impfstoff sollen alle bekommen, das dient der Kontrolle«, sagte er auf einer von ihm organisierten Demonstration, über die das ARD-Magazin Weltspiegel Anfang Juni 2020 berichtete. »Da wird gleichzeitig ein Mikrochip in den Körper injiziert, und über 5G werden die Leute mithilfe dieses Chips überwacht.«2
Eine der wesentlichen Quellen für diese Verschwörungstheorien, so fand der britische Guardian Ende April heraus, war ein angeblicher früherer Vodafone-Manager.3 Er hatte in einer etwa halbstündigen Tonbandaufzeichnung als einer der Ersten das »Geheimnis« verraten, die Corona-Pandemie sei nur die Tarnung für eine globale Verschwörung. »Es hat nichts mit biologischer Kriegsführung zu tun, sondern unser Körper reagiert auf hochfrequente Strahlung«, behauptete er. In der Aufzeichnung deutete er ebenfalls an, Multimilliardär Bill Gates sei an der Herstellung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus beteiligt, die Computerchips zur Verfolgung von Personen enthalten sollen. Auch das eine haltlose Behauptung, die unter Verschwörungstheoretikern rasch verbreitet wurde.
In Wahrheit, so enthüllten die Guardian-Journalisten, handelte es sich bei dem Urheber der Spekulationen nicht um einen ehemaligen Vodafone-Manager, sondern um Jonathon James, einen evangelikalen Pastor aus der Stadt Luton in der Nähe von London. James war kurz zuvor bekannt geworden, als er versuchte, die Regierung von Simbabwe zu überzeugen, sie solle in ihrer Wirtschaft Kryptowährungen verwenden.
Spötter lästerten im Netz, die 5G-Masten seien die Nachfolger der sogenannten Chemtrails, über die auch die wildesten Vermutungen kursieren. Gemeint sind die Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel, die bei manchen im Verdacht stehen, sie seien heimlich eingesetzte Nervengifte, die auf die Bevölkerung herniederregnen.
Auf rationale Argumente kommt es dabei nicht unbedingt an. Es half nichts, dass sich umgehend Experten zu Wort meldeten. »Das ist völliger Quatsch«, erklärte Simon Clarke, Zellbiologe an der Universität von Reading, im Fernsehsender BBC. Clarke (Twittername: @dr_simon) nahm während der Corona-Krise sehr ausgiebig an den Diskussionen in den sozialen Netzen teil, wobei er sich nach eigener Aussage als »Stimme der Vernunft« verstand. So warb er schon frühzeitig für den Gebrauch von Schutzmasken, als Politiker und die obersten Gesundheitswächter in Großbritannien in der Frage noch unentschieden waren. Auch in Deutschland war die Maskenpflicht anfangs umstritten. »Die Vorstellung, dass 5G unser Immunsystem schwächt, lässt sich nicht halten«, so der Experte. Zwar könne Strahlung grundsätzlich den Körper aufheizen und dadurch auch auf das Immunsystem einwirken. »Aber das Energieniveau von 5G-Strahlen ist niedrig und nicht annähernd stark genug, um unser Immunsystem zu beeinflussen.«4 Sogar das britische Ministerium für Digitales, Kultur, Medien und Sport sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst: »Es gibt absolut keine glaubwürdigen Beweise für eine Verbindung zwischen 5G und Coronavirus«, stellte das Ministerium Anfang April 2020 auf Twitter klar.5
Die britische Regierung arbeitet nun an einem Gesetz, um Fake News und Verschwörungstheorien einzudämmen. Der konservative Abgeordnete Julian Knight eröffnete die parlamentarische Debatte. »Ich wünsche mir«, so der Vorsitzende des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien und Sport im ARD-Weltspiegel, »dass wir künftig soziale Medien bestrafen, wenn sie wissentlich oder aus Nachlässigkeit Desinformation oder Hassreden verbreiten. Wir haben auch gefordert, dass Social-Media-Plattformen in schweren Fällen von Fahrlässigkeit strafrechtliche Sanktionen drohen, damit sie nicht einfach so davonkommen.«6 Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Und möglicherweise wird das Misstrauen bei den selbsternannten »Wahrheitssuchenden« (truth-seekers) durch solche offiziellen Initiativen nur noch vergrößert.
Forscher der Universität von Bath untersuchen seit 2016 die Entstehung von Verschwörungstheorien und fanden heraus, dass sie in Krisenzeiten besonders häufig aufzutreten scheinen. Das Coronavirus habe für einen »perfekten Sturm« gesorgt, so Tim Hill, einer der beteiligten Forscher, »weil der Staat machtlos zu sein scheint gegenüber dem, was er zu verwalten versucht«. Ein anderes Beispiel, so Hill, seien die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York. »Verschwörungstheorien geben manchen Menschen die Gewissheit, dass es eine Struktur in der Welt gibt und dass hinter all dem bestimmte Mächte stehen, egal, wie böse oder wohlwollend sie sind«, so der Marketingexperte.7
Die Forscher aus Bath, die ihre Studien zusammen mit Kollegen aus Essex und Melbourne, Australien, durchführten, sehen in den 5G-Theorien ein Symptom für das Misstrauen gegenüber der Regierung. In Großbritannien habe der Glaube an Verschwörungen in den letzten Jahren zugenommen. »Deshalb haben wir unsere Untersuchungen begonnen«, berichtet Hill, »denn um das Jahr 2016 gab es eine Reihe von Umfragen, die von YouGov8 durchgeführt wurden und die einen wachsenden Glauben an Verschwörungstheorien und ein zunehmendes Misstrauen gegenüber der Regierung, Autoritäten und vielen Institutionen zeigten.«
Ihre Studien der Verschwörungstheoretiker bezeichnen die Forscher als »ethnografisch«, wie Tim Hill erklärt: »Wir hängen mit ihnen ab, führen Interviews, zeichnen beiläufige Gespräche auf und beobachten, wie sie soziale Medien nutzen.« Die Forschung, so Hill, begleite »Menschen auf einer Reise von radikalen Skeptikern bis hin zu ausgewachsenen Verschwörungstheoretikern«.9
Da wundert es nicht, dass Psychologen der Universität Oxford im Mai 2020 nach einer repräsentativen Befragung zum Ergebnis kamen, die Hälfte der Briten neige in verschiedenen Abstufungen dazu, Verschwörungstheorien zu glauben. 25 Prozent stimmten ihnen »zu einem gewissen Grad« zu, fünfzehn Prozent zeigten »beständige Zustimmungsmuster« und zehn Prozent einen »hohen Grad an Zustimmung«, berichtete Professor Daniel Freeman, der Leiter der Studie, in der Fachzeitschrift Psychological Medicine.10
Mehr als zwanzig Prozent der befragten erwachsenen Briten halten der Studie zufolge das Coronavirus »bis zu einem gewissen Grad für eine Art Erfindung«. 40 Prozent sehen in seiner Verbreitung einen »bewussten Versuch mächtiger...
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