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Sex ohne Schwangerschaft? Ohne sexuell übertragbare Krankheiten? Kondome sind da eine gute Wahl. Zumindest wenn ein Penis in die ganze Sache involviert ist und das Glied nicht zu so 'nem Typen gehört, der es partout blank irgendwo reinstecken muss, egal was das Gegenüber möchte, weil es sich sonst »nicht echt anfühlt« . Halt doch die Fresse und zieh dir einfach eins über!
Was ich aber eigentlich erzählen will: Ich habe in meinem Leben schon überall in Nordafrika Kondome käuflich erworben, wie man im Kapitalismus so schön sagt. In Deutschland geht man dafür in den Supermarkt (und wundert sich über die limitierte Auswahl) oder in die Drogerie (und ärgert sich über die horrenden Preise) oder zum Automaten (der auch im Jahr 2022 weiterhin nur 2-Euro-Stücke nimmt, die man natürlich nie dabeihat). In Tunesien, Algerien, Ägypten und Marokko geht man für Kondomshopping in die Apotheke. Dort wird man als Kund*in schnell in mal unangenehme und mal erkenntnisreiche Gespräche verwickelt.
Die Sonne knallte erbarmungslos auf meinen Kopf, und ich irrte bei einer Recherche mitten in der Hauptstadt Tunesiens umher. Ich starrte - von der Hitze benommen - auf die Menschen, die an einer Tram-Haltestelle herumschwirrten. Im Geografieunterricht in Marokko hatte ich vier Fakten über sie gelernt: Die Tunesier*innen leben in einem kleinen Land, haben mit das höchste Pro-Kopf-Einkommen Nordafrikas, werden von einem autokratischen Polizeistaat unterdrückt, und sie können null kochen. Das mit der Autokratie war seit August 2013 fürs Erste Geschichte, der Rest stimmte.
Den Tunesier*innen wird auch nachgesagt, dass sie - gesellschaftlich betrachtet - besonders progressiv seien. Frauenrechte, Religionsfreiheit und sexuelle Befreiung: alles easy und viel besser als in so manchem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, wie Polen zum Beispiel. Immerhin hatte Habib Bourguiba, Tunesiens erster Präsident nach der Unabhängigkeit von der französischen Besatzung, im Fastenmonat Ramadan tagsüber und öffentlich einen Orangensaft geschlürft und eine Zigarette dazu geraucht. Diese geschmacklich fragwürdige Kombination fand im Jahr 1958 statt. Zur damaligen Zeit undenkbar in einem anderen mehrheitlich muslimischen Land, heutzutage hier und da auf jeden Fall unmöglich.
Also stieß ich - das Image der grenzenlosen Progressivität Tunesiens im Hinterkopf - mit Schwung die Tür zur kleinen Apotheke an der Tram-Haltestelle auf. Jede noch so kurze Pause vor den Sonnenstrahlen war willkommen, und ich wollte sowieso eine Packung Sodbrennen-Blocker (die tunesische Küche ist wirklich nicht mein Ding) und Kondome kaufen.
Hinter der chaotischen Glastheke, in der sich alte Flaschen mit Sonnenmilch und Babymilchpulver stapelten, lugte ein Mann hervor. Er hatte eine kleine weiße Gebetsmütze auf, die ihn direkt als orthodox-gläubig erkennbar machte. Dabei hätte er den Strickstoff auf dem Kopf gar nicht dafür gebraucht: Am minutiös-gerade rasierten 8-Tage-Bart und dem beachtlich großen und dunklen Gebetsfleck auf der Stirn konnte ich schnell erkennen, dass es sich hier um einen besonders überzeugten Bruder handelte. In Nordafrika wird zwischen jenen »Geschwistern« differenziert, die für sich orthodox leben, und anderen, die politisch ihren Glauben der Gesellschaft aufzwingen wollen. Vom parteipolitischen Islam haben sich - Allah sei dank - in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen in der Region abgewendet. Schon damals wusste ich, dass sich einige von ihnen durch eine Art Schönheitsoperation den Gebetsfleck auf der Stirn vergrößern ließen. Je imposanter der Fleck, desto ausgiebiger und intensiver der Niederwurf vor Allah im Gebet. Oder eben nicht, wenn man chirurgisch nachhelfen muss.
Dennoch rutschte mir das Herz in die Hose, als ich auf seiner Stirn den Gebetsfleck sah, der sich vor meine frisch geblendeten Augen wie der Mond vor die Sonne schob. Ich weiß nicht, ob mein sommerweichgekochtes Hirn meinem Herzen einfach nicht schnell genug in die Hose folgen konnte oder mein Kopf wieder mal in diesen Jetzt-erst-recht-Modus schaltete, der mich schon öfter im Leben in missliche Lagen befördert hatte; auf jeden Fall sprudelten beim Hineintreten in den muffigen Laden folgende Sätze aus mir heraus: »Salam Aleikum, Allahs Barmherzigkeit und seine Gnade sei mit euch. Ich hätte gerne etwas Starkes gegen Sodbrennen und eine Packung Kondome.«
Der Bruder schaute mich skeptisch an. Er kramte aus dem Regal hinter ihm eine rote 12er-Packung mit Magentabletten hervor und knallte sie auf den Tresen. Dann fragte er: »Bist du verheiratet?« Ich neigte den Kopf und fragte zurück, ob der Bund der Ehe Sodbrennen fördere. Ich fand den Witz äußerst lustig, merkte aber zugleich erschrocken, dass ich spätestens jetzt im trotzigen Mohamed-Modus gefangen war. Er sagte, dass sein »pharmazeutischer Ehrenkodex« es nötig mache, diese Frage zu stellen, und dass er sogar legal eine Heiratsurkunde verlangen könne, wenn ihm danach sei. Mein Blick schweifte auf eine kleine Vitrine am äußersten rechten Rand des Tresens. Dort waren eine Handvoll Packungen mit der Aufschrift »préservatifs« aufgereiht. Sie waren verstaubt. Seit Jahren hatte in dieser Apotheke niemand Kondome gekauft, so schien es.
Ich scannte die Reihe von rechts nach links und bat ihn, mir die größte und teuerste Packung zu geben. 65 tunesische Dinar (rund 20 Euro) stand auf dem Etikett. Dabei war »größte Packung« mit nur 12 Kondomen relativ. Aber hier ging es ums Prinzip, und der Apothekenbruder spürte meine Energy. Er überlegte kurz und schloss dann die Vitrine auf. Profitgier schlägt »pharmazeutischen Ehrenkodex« dachte ich mir und fühlte mich wie der arabische Dildo-König.
Während eine extreme Auslegung des Christentums darauf abzielt, Kondome ganz zu verbieten, damit sich jedes weibliche Ei und jedes Spermium in kleine Ministrant*innen verwandeln, ist es dem Muslimbruder wichtiger, dass es keinen außerehelichen Sex gibt. Innerhalb der Ehe geht für ihn bestimmt auch viel. Verhütung ist selbst für viele orthodoxe Muslim*innen kein Problem. Der Apotheker schien mir ein wenig baff, als könnte er es selbst nicht recht glauben, dass seine Hände nun eine winzige Plastiktüte über die Kondompackung stülpten. Ich bat ihn noch überheblich um eine größere Packung Magentabletten, bezahlte mit den größten Scheinen, die ich in meinem Portemonnaie hatte, und nahm die kleine Plastiktüte wie eine Trophäe mit in die Hitze der Stadt.
Dass es mit diesen Apothekenbrüdern auch anders geht, zeigt ein Kondomkauf etwas mehr als ein Jahr später in der westalgerischen Stadt Oran. Auch hier habe ich mich an die wichtigsten Fakten aus dem Geografieunterricht in meiner marokkanischen Grundschule erinnert: Die Algerier*innen leben in einem Staat, der sich vor allem mit den Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung am Leben hält und deswegen unabhängiger von Steuereinnahmen ist. Sie lassen fast keine europäischen Touris in ihr Land und vergeben nur wenige Visa (weil sich hier Ausländer, vor allem aus Frankreich, schon mal schlecht benommen haben), dennoch sprechen viele Algerier*innen gerne und gut Französisch. Fakt ist auch: Das Trauma des Bürgerkriegs in den Neunzigerjahren haben die meisten Algerier*innen nicht überwunden. Damals, nach dem Sieg der Islamisten bei der Parlamentswahl 1991, war zwischen den politisch-religiösen Kräften und dem Militär ein erbitterter Machtkampf entbrannt. Das Land war in eine blutige Kriegsdekade um Deutungshoheit, Identität und Ressourcen versunken.
Vielleicht lag es auch an dieser schmerzvollen Geschichte, dass der Muslimbruder in der hellen, aufgeräumten Apotheke im Zentrum der Stadt so ganz anders war, als ich es mir zunächst einbildete. Der Laden befand sich in einem schneeweißen Gebäude aus der französischen Kolonialzeit. Es war November, angenehmes Wetter, mein Kopf war kühl. Dennoch schaltete ich beim Anblick seines Gesichts samt Bart und Gebetsfleck innerlich wieder in den besagten Modus, auch wenn er, im Gegensatz zu seinem tunesischen Kollegen, keine weiße Strickmütze auf dem Kopf hatte. ...
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