Die Qantara! Was der Name wohl bedeutet? Bewundernd blicke ich von der schmalen, steilen Treppe aus in den Kajütraum der größten Privatjacht auf dieser Bootsmesse. Das Schiff füllt die halbe Halle aus. Meine Hand berührt den kühlen, glänzenden Stahl des Geländers. Chrom, Gold, blendend weißer und tiefschwarzer Lack, wohin ich auch blicke.
Die Kombüse, also die Schiffsküche, hat nichts mit den dunklen Kammern auf Tauchbooten oder den riesigen grauen Funktionsräumen auf Kreuzfahrtschiffen gemeinsam, auf denen ich schon in Urlauben mitgefahren bin. Diese Pantry ist vielmehr eine High-Tech-Versorgungszentrale in futuristischem Design, an idealer Stelle im Schiff zwischen Offiziersmesse, einer im Halbkreis geschwungenen Bar mit einer glänzend polierten schwarzen Ebenholztheke und der kleinen, aber edlen Lounge, die durch das Tageslicht aus dem runden Deckenfenster ausgeleuchtet wird.
An Urlaub brauche ich in nächster Zeit allerdings nicht zu denken – meinen Job als Köchin im Hamburger Sterne-Restaurant Wallerstein habe ich gerade gekündigt. Freiwillig. Vielleicht ein Fehler, denn den letzten Michelin-Stern habe ich geholt. Aber es ist Zeit für etwas Neues, Zeit für Ideen und Inspirationen.
Ich öffne die Türen der Kücheneinbauten, freue mich an dem leisen Klicken, mit dem sie magnetisch einrasten. Der Stauraum dahinter ist knapper bemessen, als ich erwartet habe. Seltsam. Weshalb? Warum hat der Einrichter den Raum nicht besser genutzt? Hat er denn bei der Planung keinen Koch zu Rate gezogen?
Die 5-Millionen-Dollar-Jacht ist ein Prachtstück – kann es denn überhaupt sein, dass sie innen nicht hält, was sie außen verspricht? Raum, den man hätte nutzen können, liegt damit brach. Sehr untypisch für Bootsdesign, bei dem es normalerweise um jeden Millimeter geht.
Gedankenverloren mache ich mich auf den Weg zurück, die steile Treppe wieder hinauf. Ich sehe zurück, mag bei aller Verwunderung immer noch nicht den Blick von der schönen Einrichtung abwenden.
»Sie sehen verwirrt aus«, erklingt eine angenehme, tiefe Stimme aus der Küche hinter mir, in der ich doch gerade noch allein war.
Erschrocken fahre ich herum. Unglücklicherweise verliere ich dabei die Balance. Meine Hand verfehlt das rettende Geländer, mein Fuß rutscht von der Treppenstufe ab. Der Sturz ist unausweichlich, Panik ergreift von mir Besitz.
Doch im letzten Augenblick fängt ein extrem schneller, ziemlich harter Griff den drohenden Fall ab. Mit einer raschen Bewegung ergreift mein Retter meine Arme und hält mich fest. Mein Kopf stößt an die Schulter des Mannes, der so überraschend aufgetaucht ist und das Unglück verhindert hat. Wie ist er so schnell am Fuß der Stiege erschienen?
Dann erblicke ich den Mann zu der Stimme, die ich gehört habe.
»Darf ich Ihnen helfen?«, erklingt die rauchige Stimme ganz dicht an meinem Ohr. Wow! Ich bin beeindruckt! Sein Anblick übertrifft die wohltönende Stimme sogar noch. Seine markanten Gesichtszüge mit dem kräftigen Kinn bilden einen interessanten Gegensatz zu seinem teuren, tadellos sitzenden Anzug.
»Danke! Das war knapp«. Ich bin vor Schreck noch ganz atemlos.
Ein paar einzelne graue Spitzen lassen sein kurzes dunkles Haar silbrig glitzern. Er ist etwas größer als ich, vielleicht Anfang vierzig, also deutlich älter. Trotz seiner schnellen Rettungsaktion gerade eben strahlt er eine souveräne Ruhe aus, als wäre er gar nicht in Bewegung gewesen.
»Steinburg, Konstantin«, stellte er sich vor. Ein jungenhaftes Lächeln breitet sich über seinem Gesicht aus, Fältchen auf den Wangen und neben den Augen lassen ihn gleichermaßen reif und verwegen aussehen. Sehr interessant, denke ich. Ist er in Wahrheit jünger oder älter, als er scheint?
Langsam befreie ich meine Arme aus seinem Griff.
»Sie befinden sich auf meinem Schiff«, erläutert er amüsiert, »und Sie erscheinen mir nicht eben glücklich mit dem, was sie sehen.«
»Wenn Sie wirklich Millionen für dieses Schiff ausgegeben haben, hätten Sie den Innenarchitekten über Bord schmeißen sollen und die Küchenschränke gleich hinterher«, platzt es aus mir heraus.
Oje, was habe ich gesagt? Ich möchte am liebsten im Erdboden versinken. Wie unhöflich von mir! Vor mir steht der stolze Besitzer einer neuen Luxusjacht, und ich verderbe ihm prompt den Spaß. Am liebsten möchte ich mich unsichtbar machen. Das Schlucken fällt mir schwer. Deutlich weniger forsch, blicke ich ihn trotzdem tapfer an. Zu meiner Überraschung verwandelt sich seine kurze Versteinerung in lautes Lachen.
»Die Pläne für die Inneneinrichtung sind von mir. Ich kaufe nicht, ich verkaufe Schiffe.«
Erschrocken zucke ich zusammen. Gibt es nicht irgendwo ein Mauseloch, in das ich verschwinden könnte?
»Ich treffe nicht oft Menschen, die meine Entscheidungen in Frage stellen. Wer sind Sie?«
»Valerie Blum.« Schweigen. Ich lege nach: »Ich koche!«
Klingt immer noch nicht sehr eindrucksvoll. Wieder mal habe ich mein Licht unter den Scheffel gestellt. Typisch. Selbstdarstellung einmal mehr vermasselt. Verlegen gebe ich ihm die Hand. Er ergreift sie, und es fühlte sich an, als ziehe ein Blitz aus Wärme und Energie durch mich hindurch. Er hält meine Hand länger als nötig. Ist er sich dieser Wirkung bewusst? Will er mich provozieren? Ich bin mir dessen fast sicher und will mich dem Griff entziehen, aber es geht nicht. Seine Hand ist fester und stärker, als man es von einem Anzugträger in dieser Liga erwarten würde. Die Hand eines Mannes, der zupacken kann, wenn es nötig ist. Ist er noch sauer? Bin ich in Schwierigkeiten?
»So? Was kochen Sie denn?«
Mein professionelles Selbstbewusstsein hat mich wieder. Ich habe schon ganz andere Küchen von Grund auf umgekrempelt, damit man optimal darin arbeiten kann.
»Bis vor vierzehn Tagen habe ich im Wallerstein gekocht und da den dritten Stern geholt. Ich koche kreativ, und was nicht geht, wird gebraten, gegrillt, in einen anderen Aggregatzustand versetzt oder einfach richtig kombiniert!«
Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch, dann lacht er laut und schallend. »Im Wallerstein? Dann haben Sie eben aber ganz schön tief gestapelt! Das gefällt mir. Bis vor vierzehn Tagen? Und was machen Sie jetzt?«
»Jetzt suche ich mir entweder einen neuen Job oder ich schaue mir erst mal die Welt an.«
Er runzelt die Stirn, lässt endlich meine Hand los. Sein Blick wandert aufmerksam an mir nach unten und wieder nach oben. Er sieht eine junge Frau in Jeans und geschnürter weißer Bluse, schlank mit kleinen Rundungen – déformation professionnelle rede ich mir gerne ein –, mit halblangen, glatten, mittelbraunen Haaren, einem kleinen bunten Stirnband, meinem Markenzeichen, und dunklen Augenbrauen, die im Kontrast zu meinen hellen Augen stehen. Sieht er sonst noch etwas?
»Wie wäre es mit beidem gleichzeitig?«
Ich blicke ihn verständnislos an.
»Ich suche noch jemanden, der das Catering und die Küche auf der Qantara leitet. Das wird anspruchsvoll – es gibt viele internationale Gäste. Also jemanden, der sich Gedanken macht und Ideen hat. Sind Sie wirklich so kreativ wie Sie sagen?«
Ich nicke und habe sofort das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein.
»Die Stelle ist noch offen – Interesse?«
Mir schwirrt der Kopf. Will ich wirklich schon wieder einen festen Job? Was ist mit meinen Reiseplänen? Andererseits …
»Ich bin aber nicht billig«, erwidere ich, wie um mir noch einen Ausweg freizuhalten.
»Solange Ihnen klar ist, dass ich Sie nicht fürs Reden bezahle«, sagt er mit einem frechen, fast arroganten Grinsen, »geht der Preis schon in Ordnung. Hier ist meine Karte. Setzen Sie sich mit Viktoria in Verbindung, und Ihr Vertrag könnte schon morgen unterschriftsreif sein.«
Sein Blick gleitet noch einmal abschätzend an mir auf und ab, er ist beinahe körperlich spürbar. Ich folge seinem Blick. Oben an der Bluse hat sich die Schnürung ein wenig gelockert, stelle ich fest. Das muss bei dem Beinahe-Sturz passiert sein. Im nun recht weit geöffneten Ausschnitt blitzt die Spitze meines BHs hervor. Ich schnappe nach Luft. Jetzt schaut er Richtung Treppe, hinauf zu der Stelle, an der ich beinahe abgerutscht wäre.
»Sind Sie okay?« Er hat die Hände in die Hüften gestemmt und blickt abwechselnd zu mir und dem Geländer
Oh, das ist es also. Fast enttäuscht murmele ich ein »Ja«. Er nickt und verschwindet, bevor ich noch etwas hinzufügen kann.
Meine Knie werden weich. Was für ein Mann! Würde ich tatsächlich mit ihm an Bord seines wunderschönen Schiffes um die Welt fahren? Ich habe tatsächlich einen neuen Job, und was für einen! Reisen und Geld und ein Chef, der mich umhaut. Und der mir höchst interessiert in den Ausschnitt geschaut hat, wie ich vergnügt feststelle. Doch wer zum Teufel ist Viktoria?
Zufrieden mit mir selber und meiner Job- und Reiseperspektive für das nächste Jahr wandere ich über die Jacht, um mir alle Räume, Lager und die kürzesten Transportwege genau einzuprägen. Ich habe einen Vertrag als Chef de Cuisine für ein Jahr, unglaublich gut bezahlt, dafür ständige Bereitschaft auf der Jacht.
Ich stelle mir mein kommendes Jahr wunderbar vor. In meinem Kopf leuchten Bilder von Meer und Himmel und Küsten. Ich kann den warmen Wind schon fast auf meiner Haut spüren, das Salz in der Luft...