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1964 Peschici, August. Vorbemerkung: Da viele Schriftsteller so tun, als seien sie in die Orte, über die sie schreiben, von Genien hingetragen worden, möchte ich bemerken, dass der Aufenthalt in Peschici von meiner Frau bezahlt wurde, die sich dort von ihrer Büroarbeit erholen wollte. Peschici, eine zufällige Wahl, wir hatten eine Photographie gesehen: der Strand, die Felsenkuppe, darauf der Ort, relativ unbekannt, südlich genug für die Nachsaison, also fuhren wir hin. Peschici, knapp bevor es vom Fremdenverkehr verdorben wird. Die deutlichsten Anzeichen beginnender Barbarei, die starken Überreste des Alten. Christentum, Katholizismus, wie es bei uns schon unmöglich wäre. Plakat: »Chi segue il sacerdote segue Cristo.«
Bari, 1. 10. Die zwei Städte, zwischen denen keine Verbindung zu bestehen scheint, mit Ausnahme der Motorräder, die in den Altstadtgassen die Nerven foltern. Die Armen kommen nicht aus der Altstadt heraus, die Reichen gehen nicht hinein. Ein Besucher kann nirgends wohnen, in der Altstadt wirkt er unverständlich, findet kein Bett und kaum einen Tisch, in der Neustadt verfängt er sich in den Netzen des Fremdenfangs. Kann man am Meer sitzen und Wein trinken? Nein, dort verläuft eine Durchzugsstraße, dort sind die Hafensperren oder die Fremdenfang-Restaurants. Vor Jahren saß ich in Rom auf der Piazza Navona, friedlich Wein trinkend, Oliven essend. Heute? Nicht einmal mehr in Rom.
Der Krüppel mit dem Fahrrad, der die billige Pension weiß. Dort gibt er an, wir seien Jugoslawen und suchten ein billiges Zimmer. Anscheinend ist einer, der ein billiges Zimmer sucht, Jugoslawe. Der Strand zwischen Bari und Torre a Mare ist auf eine Weise verdorben, die die Umgebung Genuas in den Schatten stellt. Man müsste einen Führer herstellen, der zu den geschändetsten Punkten der Erde führt. Warum sollte man nur die romantischen Schönheiten der Vergangenheit sehen? Es würde sich vielleicht eher lohnen, die grotesken Schändungen der Gegenwart genauer zu untersuchen.
Sizilien, 22. 9.-8. 10. Die einzige unverfälschte Antike: das Meer.
Ich fahre überall mit dem Schnellzug vor, der mir schon altmodisch und ärgerlich langsam erscheint und mich daran erinnert, dass ich zu wenig Geld für eine Flugreise habe. Ich habe Bilder gesehen, die Sizilien aus einer Höhe von 800 km zeigen. Was aus dem Schnellzug steigt, ist ein Nichts, ein Insekt, das sogleich in den anstrengenden Betrieb des Insektenbaus verwickelt wird, wobei die besonderen Fähigkeiten, die ich anderen voraus habe, mir nicht nützen, ja mir sogar schaden. Nirgends, außer in meinem Kopf, ist ein Ort, wo ich sie anwenden könnte. In anderen Köpfen, die irgendwo herumirren, könnte ich Resonanz finden, aber ich habe, trotz der entwickelten Nachrichtentechnik, keine Möglichkeiten, diese Köpfe aufzufinden.
Die antiken Stätten und Heiligtümer sind umwachsen vom Flickwerk moderner Anlagen. Man hat sich mühsam zum Ausgang eines Autobusses vorgedrängt, ist hinausgequetscht worden, steht jetzt zwischen hin- und herrasenden Fahrzeugen und fragt nach dem griechischen Theater. Manche berühmten Kirchen erscheinen armselig, als müssten sie sich vor dem Chaos ducken; erst wenn man eintritt, öffnet sich der Raum.
Werden die modernen Städte jahrhundertelang stehen? Eine Meerstadt, die aus Hafenbezirken und Fischmärkten, wo der stärkste Verkehr und Lärm, das größte Gedränge, die lockersten Sitten und die ordinärste Sprache vorherrschen, hinaufwächst auf Hügel, wo sie immer stiller wird, bis man schließlich die Bezirke der Meditation betritt, die Gewölbe des Schweigens, in denen das Gold glänzt. Daran dachte ich in der Kirche von Monreale. Der Auge-um-Auge-und-Zahn-um-Zahn-Gott mag in die Trödlerläden wandern, es ist nicht schade um ihn, aber die Plätze und die Gebilde, die das Geheimnis ausdrücken, vor dem wir fassungslos stehen - sollen wir darauf verzichten? Irgendwo in einer Stadt muss sich der Mensch als das zu erkennen geben, was er ist, als der Ratlose und Suchende, und das umso mehr, als andere Viertel ihn als Schöpfer und Konstrukteur ausweisen sollen. Sonst bestünde zwischen einer Stadt und einem Ameisenhaufen tatsächlich kein wesentlicher Unterschied mehr.
Ende Oktober Fluchtcharakter der Wissenschaft. Die Mathematik als Feenreich. Die Zahlen als Phantome. Raketen, die die Erde verlassen, um ihrer Misere zu entfliehen, um neue Sensationen zu schaffen, die das alltägliche Elend übertönen. Der letzte Oktobertag leuchtet Abschied. Schon das Wort »November« scheint etwas von Zersetzung mit sich zu führen, den faden Geschmack von Grabkränzen, vor denen vertrocknete Weiber stehen, und den Vorgeschmack der Weihnachtsdekorationen, der goldenen Reklameengel, die die Schreckgespenster der jungen Ladenmädchen sind.
November Eine merkbare Veränderung ist, dass die sogenannte urwüchsige Sprache, insbesondere am Land, bei jüngeren Leuten, die viel Radio hören, verschwindet. Dafür hört man, wie sie gewisse typische Rundfunkphrasen gebrauchen. Die Mischung verschiedener Sprachen, wie man sie schon längst hätte erwarten können, ist erstaunlich gering. Die Barrieren, die durch Sprachgrenzen gegeben sind, erweisen sich als zäh. Was geschehen wird, wenn nach dem Ausbau des Kommunikationsnetzes zusammen mit den Sprachen auch die Bilder überall gleich gut zu empfangen sind, ist schwer zu prophezeien.
Würden alle Programme unseren jetzigen gleichen, so müsste im Lauf der Zeit notwendig eine Verdummung der Menschheit eintreten. Doch muss man bedenken, dass mit der Universalität der Kommunikationsmittel auch die Chancen der Intellektuellen steigen, sich zu verständigen und gegenseitig zu unterhalten. Dazu würden sie eine gemeinsame Sprache brauchen. Dadurch würden die lokalen Sprachkräfte entscheidend geschwächt werden.
Wie ich im Lärm des unaufhörlichen Regengusses hinuntergehe, um die Frühnachrichten zu hören, und im Morgengrauen diese glatte Musik aus dem Radio kommt, und die abwechselnden Stimmen von Mann und Frau, manchmal in Versen, die Reklametexte sprechen, denke ich, dass die Welt ins Leere geht, ihre guten Geister vergisst und sich irgendwo im All verliert, ein unbedeutender Same, aus dem nichts geworden ist - und ich bin doch froh, dass ich nicht der Mann bin, der da Verse spricht, noch weniger der, der sie verfasst hat, und am wenigsten der, dessen Produkte sie anpreisen. Ich durfte wenigstens der sein, dem davor geekelt hat. Ein paradoxer Trost.
Dezember Ich möchte am liebsten nicht nur der zeitgenössischen Literatur widersprechen, sondern auch der Literatur seit ungefähr 200 Jahren. Es stört mich ein gewisser familiärer Ton. Als hätte man sich zuerst den Magen verdorben und dann kotzen müssen. Es war ein schreckliches Gedränge, jeder machte seine Marotten geltend, erst war man vom Wein befeuert und ungeheuer eloquent, dann kamen die Delirien und jetzt steht man vornüber geneigt und würgt. Und dazu Literaturwissenschaft und Kritik, die das in einem Ton abhandeln, den sie von den exakten Wissenschaften geborgt haben, ehe diese skeptisch wurden. Ist das nicht etwa eine Groteske?
Nun arbeitet man, bei zerbröckelnder Substanz der literarischen Werke, in diesem Ton weiter, und die Folge ist ein komisches Missverhältnis zwischen den ganz problematischen Stilarten der Werke und dem hochtrabenden Stil der Kritik. Man setzt Fixsterne, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie lange sie strahlen können. Man spricht von Umwälzungen, vom Jahre Null, in einem Ton, den das 19. Jahrhundert erfunden hat. Die Literatur hätte einen Einstein nötig. Es müsste untersucht werden, was als selbstverständlich angesehen wird.
1965 »Was ich meine, ist, dass die Menschen für eine Tugend wie die Ordnungsliebe nicht reif sind. Ihr Verstand ist nicht genügend ausgebildet für diese Tugend. Ihre Unternehmungen sind idiotisch, und nur eine schlampige und unordentliche Ausführung ihrer Pläne kann sie vor größerem Schaden bewahren.« (Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche)
Eine Beschwörung ist nichts anderes als eine Bitte, es möge unserer schnellen Intelligenz, die so oft ins Uferlose abirrt, gelingen, etwas zu erreichen, wozu Tiere Jahrmillionen brauchen.
5. 11. Notgedrungen gehe ich bei allen Betrachtungen von einem oberflächlichen Gesichtspunkt aus: Ich sehe mir an, was ich zu verstehen gelernt habe: die Formen. Wenn die Formen verdorben sind, wie etwa in unserer Gesellschaft, so schließe ich daraus, dass die Gesellschaft verdorben ist. Ich kann daher keinem der führenden Männer in der Weltpolitik zustimmen, sondern muss ganz andere Männer fordern.
Die Furcht vor dem Tod ist etwas Gespensterartiges, Flatterndes, das im Widerspruch steht zur fast unverwüstlichen Ruhe, mit der das Leben geführt wird und ohne die es gar nicht bestehen könnte. Aber gerade das Gespensterartige macht einen großen Eindruck, wird uns schärfer bewusst, erscheint uns sensationeller als die...
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