Schweitzer Fachinformationen
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Der Morgen ist gerade erst angebrochen. Die Sonne streckt bereits ihre scharlachroten Strahlen aus und kündigt einen sengend heißen Tag an. Aber lässt sich anderes zu dieser Jahreszeit erwarten? Die Regenzeit ist nur noch eine ferne Erinnerung. Der Januar neigt sich dem Ende zu und mit ihm ziehen die letzten kühlen Brisen fort, die einen vor der großen Hitze noch einmal durchatmen ließen. Die Felder reichen bis zum Fuß des Gebirges, trockenes Sorghum bedeckt den Boden und unterstreicht die goldenen Töne der Landschaft. Die wenigen dürren Blätter, die noch an den Akazien hängen, sind schon lange vergilbt, wie auch die von der Sonne verbrannten Kräuter. Die Hirse trägt keine Körner mehr, aber sie steht noch aufrecht, sie wankt, aber ist tief in der nährenden Erde verwurzelt. Graue Berggipfel wachen wie große Hunde über das Dorf.
Kondems Gesicht ist verschlossen. Doch die Falten auf ihrer dunklen Stirn lassen tiefe Niedergeschlagenheit erahnen. Schweigend reißt sie die letzten Bohnenschoten von den Stängeln und entlädt ihren Ärger an der ausgedörrten Erde. Das junge Mädchen an ihrer Seite lässt sich von der schlechten Laune der Mutter nicht beirren. Auch sie bebt vor Wut, aber bietet ihr die Stirn, entschlossen, ihren Willen dieses Mal durchzusetzen.
Vier Monate ist es her, dass es das letzte Mal geregnet hat. Fünf weitere werden vergehen, bis der erste Tropfen aus diesem hoffnungslos klaren Himmel fällt, einem Himmel so klar, dass nicht eine einzige Wolke Schutz vor der zornigen Sonne bietet. Der trockene Boden wird rissig, wehrt sich, versucht hartnäckig zu schützen, was von seinen kostbaren Schätzen noch übrig ist.
Kondem richtet sich ruckartig auf und wirft gereizt den Eimer zu Boden. Eine Eidechse sucht schnell das Weite. Die zartgelben Bohnenschoten wirbeln durch die Luft, ehe sie im trockenen Gestrüpp verschwinden. In der Ferne bellt ein Hund und zerreißt die Stille der Morgenstunden, die in diesem verlorenen Dorf mitten in der Savanne immer ruhiger werden. Seit ihre Tochter verkündet hat, sie wolle im etwa fünfzig Kilometer entfernten Maroua als Dienstmädchen arbeiten, ist Kondem nach dem ersten Schock zunächst verzweifelt, dann wütend gewesen - doch nichts hat das Mädchen von seinem Vorhaben abbringen können.
Es ist das erste Mal, dass sich Faydé gegen sie auflehnt, und die heikle Situation belastet Kondem - zur großen Überraschung ihrer Tochter, die nicht versteht, weshalb sich ihre Mutter über etwas aufregt, das in ihrem Umfeld gang und gäbe ist.
Wie um sich Haltung zu geben, stemmt Kondem die Hände in die Hüften, ihre Stimme klingt schrill:
»Ich lasse dich nicht gehen!«
»Du musst aber. Wir haben keine Wahl!«
»Natürlich haben wir die.«
Faydé stößt einen Seufzer aus, sie ist es leid, ihrer Mutter die ewig gleichen Argumente vorzuhalten.
»Dada, sieh dich um. Hier ist nichts mehr. Nichts, worauf es sich zu warten oder hoffen lohnt. Immer mehr Leute verlassen das Dorf. Alle meine Freundinnen arbeiten schon in der Stadt. Außer mir ist hier niemand mehr in meinem Alter.«
»Na und? Ich wünsche mir etwas anderes für dich!«
»Was denn? Was wünschst du dir, das so anders wäre? Was kannst du schon tun?«
Für einen Augenblick mustern sie sich prüfend. Sie haben die gleiche zierliche Figur - und sind inzwischen gleich groß! Der gleiche dunkle Teint, auch wenn jener der Tochter etwas leuchtender ist. Doch von der Last der Probleme und der Verbitterung, die ihre Mutter plagen, ist bei der scheinbar sorglosen Tochter noch nichts zu sehen. Sie haben den gleichen entschlossenen Charakter: Keine der beiden senkt den Blick. Ohnmächtige Wut blitzt in Kondems Augen auf und spiegelt sich in denen von Faydé, die mit den Tränen kämpft.
»Immerhin habe ich dich zur Schule geschickt!«
»Ich gehe seit zwei Jahren nicht mehr hin!«
»Ich finde schon eine Lösung! Ich habe das alles nicht getan, damit du wie ich als Dienstmädchen endest.«
»Ich hätte dir nichts davon erzählen sollen! Ich hätte einfach gehen sollen, wie die anderen! Das wäre besser gewesen!«
Faydé hebt hastig den Eimer vom Boden auf, sammelt die Bohnenschoten ein und macht sich abrupt davon, ohne sich nach ihrer Mutter, die ratlos und bestürzt allein zurückbleibt, noch einmal umzudrehen. Sie ist entschlossen fortzugehen, mit oder ohne Kondems Erlaubnis. Ihr Plan steht fest. Diesmal werden Srafata, Danna und Bintou nicht ohne sie in die Stadt zurückfahren.
Tatsächlich hat Faydé ihre ersten Lebensjahre in Maroua mit ihrer Mutter verbracht, die damals als Dienstmädchen in einer großen concession angestellt war - in einer der für Nordkamerun typischen Hofanlagen, in der alle Angehörigen einer Familie leben und die durch eine Mauer, manchmal auch durch einen Zaun von der Straße getrennt wird. Doch an diese Zeit kann sie sich kaum erinnern.
Faydés Wissen über die mythenumwobene Stadt beschränkt sich auf das, was ihre Freundinnen erzählen, wenn sie am Jahresende mit allerlei praktischen Vorräten für die Dorfbewohner zurückkehren: Sie bringen Seife, getrockneten Fisch, Salz, Zucker, Streichhölzer, Petroleum, manchmal sogar Paracetamol und Chinintabletten mit. Doch vor allem haben sie neue Pagnes, Schmuck und Schuhe dabei, die alle Daheimgebliebenen vor Neid erblassen lassen.
Abends erzählen sie lachend im Schein der Lagerfeuer von ihren Abenteuern. Und zu Weihnachten tragen sie ihre neuen Pagnes. Sie sind unglaublich elegant, wie sie ihren wakkaré, den zweiten Pagne, der das Outfit vervollständigt, perfekt überschlagen, wie es nur die Städterinnen können. Die hohen Schuhe verleihen ihnen einen etwas steifen, aber dennoch anmutigen Gang. Und durch das aufwendige Make-up wirken sie exotisch. Hach, diese Mädchen aus der Stadt! Wie unbefangen, wie selbstsicher sie sind! Faydé beneidet sie.
Diese Festtage sind nun schon lange her. Die einen ganzen Monat andauernden Feierlichkeiten, erfüllt von Musik, Tänzen und schlaflosen Nächten, werden von Jahr zu Jahr kürzer. Das vielleicht deutlichste Anzeichen dafür, dass die Dinge dabei sind, sich zu verändern. Die Zeiten der Sorglosigkeit sind vorbei. Immer mehr junge Männer verlassen das Dorf auf der Suche nach einem besseren Leben oder schlicht zum Überleben. Mit den Feldern haben sie ihre Eltern, Frauen und kleinen Kinder zurückgelassen, die nicht die nötige Kraft besitzen, sie zu bewirtschaften. Doch selbst wenn sie stark genug wären, hätten sie noch immer mit dem sich wandelnden Klima zu kämpfen. Auch mit viel Willenskraft lässt sich kein Regen beschwören. Das Klima wird immer wüstenhafter, der Boden ist vertrocknet, karg und erschöpft. Dabei gibt es so viele hungrige Münder! Alle ziehen in die Stadt, immer weiter weg, bleiben immer länger fort. Selbst Faydés Freundinnen halten sich nie lange auf und diesmal ist sie fest entschlossen, ihnen zu folgen.
Kondem lehnt an dem Zaun und beobachtet ihre Tochter. Faydé sitzt nachdenklich auf einem Hocker im Hof, ihre Brüder tollen um sie herum. Seit sie von dem Plan ihrer Tochter weiß, quält Kondem das Gefühl, einen jahrelang verdrängten Albtraum von Neuem zu durchleben. Was für eine plötzliche Wende! Was für eine Ironie des Schicksals! Hatte sie das nicht etwa alles selbst erlebt? Hatte sie nicht auch mit ihrer Mutter gestritten, um in die Stadt zu ziehen? Hatte sie nicht auch solches Fernweh und die Sehnsucht nach einem besseren Leben verspürt? Und vor allem: Hatte sie nicht auch den im Dorf Gebliebenen die Schattenseiten des Stadtlebens verschwiegen? In ihrem tiefsten Inneren weiß sie, dass sie nichts in der Hand hat, was das eigensinnige Mädchen umstimmen könnte.
Das plötzliche Weinen ihrer jüngsten Tochter, die wach geworden ist, reißt Kondem aus ihren Gedanken und sie eilt zu ihr ins Haus.
»Hast du den Brei gemacht?«, fragt sie Faydé.
»Ja, er ist fertig. Aber wir haben keinen Zucker, keinen Honig und auch keine Tamarinden mehr. Und ich habe kein Geld.«
»Warum hast du es nicht bei Abdou anschreiben lassen? Wir zahlen später!«
»Er will uns keinen Kredit mehr geben. Jedes Mal, wenn du mich zu ihm schickst, beschimpft er mich und macht mich runter.«
»Hast du die Nachbarin gefragt?«
»Du weißt doch, wie arrogant die geworden ist, seitdem ihr Sohn in Douala arbeitet. Mir reicht's, so von oben herab von ihr behandelt zu werden. Ich hab Zitrone reingegeben, wir trinken ihn einfach so! Sonst geh halt selber betteln!«
Faydé kehrt ihr den Rücken zu und presst die Lippen in einer beleidigten Grimasse zusammen, die nicht zu ihrer...
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