Schweitzer Fachinformationen
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In dem weiten Areal des Stadtteils Pelourinho im Herzen von Bahia lehren und lernen Männer wie Frauen. Eine große, vielseitige Universität, die sich mit ihren Verästelungen bis nach Tabuão, Portas do Carmo und Santo Antônio Além do Carmo erstreckt, nach Baixa dos Sapateiros, über die Märkte, nach Maciel, Lapinha, den Largo da Sé, Tororó, Barroquinha, Sete Portas und Rio Vermelho, überall dorthin, wo Männer und Frauen Metall und Holz bearbeiten, mit Kräutern und Wurzeln handeln, Rhythmen, Schritte und ihr Blut mischen; mit dieser Mischung haben sie eine Farbe und einen Klang geschaffen, ein neues, ganz eigenes Bild.
Hier erklingen die Trommeln, Rasseln, die Doppelglocken, die Schellentambourins, Rahmentrommeln, Kalebassen - die Berimbaus, Pandeiros, Adufes, Caxixis, Ganzás - Instrumente der Armen, reich an Rhythmus und Melodie. Hier, wo das einfache Volk lebt, entstanden die Melodie und der Tanz:
Camaradinho ê
Camaradinho, camará
In einem Haus neben der Sklavenkirche zum Rosenkranz der Schwarzen hatte im ersten Stock mit fünf Fenstern zum Largo do Pelourinho Mestre Budião seine Schule für Capoeira Angola eingerichtet; die Schüler kamen am späten Nachmittag oder frühen Abend, müde von des Tages Arbeit, aber bereit zum Kampf. Die Berimbaus bestimmen den Rhythmus der verschiedenen Attacken, allesamt schrecklich: Halbmond, Beinstellen, Kopfstoß, Rachenschwanz, Peitschenschlag, Bananenstaude, Galoppierender, Hammer, Bauchtritt, Gertenhieb, Handkantenschlag, Krabbenmaul, Fußtritt von vorn, von der Seite und von hinten. Die jungen Männer bewegen sich zum Klang der Berimbaus in der wahnwitzigen Geographie der Rhythmen: São Bento Grande, São Bento Pequeno, Santa Maria, Cavalaria, Amazonas, Angola, Angola Dobrada, Angola Pequena, Heb-die-Orange-auf-Tico-Tico, Iúna, Samongo und Cinco Salomão - und damit nicht genug, es gibt noch mehr, Leute, und ob! Hier in diesem Viertel hat die Capoeira Angola sich weiter entwickelt und verändert, ist immer noch Kampftanz, doch nun auch Ballett.
Mestre Budiãos Beweglichkeit ist beispiellos - kann eine Katze so wendig, leichtfüßig und geschmeidig sein? Er springt zur Seite und zurück, keinem Gegner wird es je gelingen, ihn zu treffen. In dieser Schule haben sie ihre Fähigkeit und Stärke, ihr ganzes Können gezeigt, die großen Meister: Gottes Liebling, Käpten Ketch, Chico da Barra, Antônio Maré, Groß-Zacaria, Pimmel-Peixoto, Sieben Tode, Seidenschnauzer, Pacífico aus Rio Vermelho, Schönes Haar, Vicente Schmalzlocke, Zwölf Mann, Tiburcinho aus Jaguaribe, Gib-her-Chico, Nô da Empresa und Barroquinha:
Junge, wer war dein Lehrer?
Mein Lehrer war Barroquinha
Einen Bart hatte er nicht
Gegen die Polizei zog er das Messer
Leute von hier behandelte er besser.
Eines Tages kamen die Choreographen und erfanden die Tanzschritte. Es kamen die Komponisten, aller Moden und Richtungen, Ernsthafte und Scharlatane, für alle ist genug Platz und noch mehr, oder etwa nicht? Hier, in Pelourinho, dieser freien Universität, entsteht Kunst, vom Volk geschaffen. Bis spät in die Nacht singen die Schüler:
Ai, ai, Aidé
Schöner Tanz, den ich lernen will
Lehrer finden sich in jedem Haus, jedem Laden, jeder Werkstatt. Im Innenhof des Gebäudes von Budiãos Schule hat der Afoxé »Söhne Bahias« seinen Auftritt im Karneval vorbereitet und geprobt, und hier hat die Singspielgruppe »Terno da Sereia« ihren Stammsitz unter der Leitung des jungen Valdeloir, einem leidenschaftlichen Tänzer bei den Hirtenspielen und im Karneval; über Capoeira weiß er alles, hat sie mit neuen Figuren und Rhythmen angereichert, als er seine eigene Schule in Tororó eröffnete. Samstags und sonntags trifft man sich im großen Hof auch zum Samba de Roda, dann tritt der schwarze Ajaiy auf, als Afoxé-Botschafter Lídio Corrós Rivale, doch einzig und unerreicht beim Samba de Roda, sein bedeutendster Rhythmiker, sein größter Choreograph.
Es gibt auch etliche Wundermaler, sie arbeiten mit Öl, mit Leimfarben oder mit Buntstiften. Wer vor Unserem Herrn zum guten Ende, Unserer Lieben Frau von den Kerzen oder einem anderen Heiligen ein Gelübde abgelegt hat und erhört wurde, Gnade und Wohltat erfahren hat, geht zu den Wundermalern und bestellt ein Bild, um es zum Dank in der Kirche aufzuhängen. Diese einfachen Maler heißen João Duarte da Silva, Mestre Licídio Lopes, Mestre Queiroz, Agripiniano Barros, Raimundo Fraga. Mestre Licídio fertigt auch Holzschnitte an, für Deckblätter von Heftchen mit Cordel-Literatur.
Bänkelsänger, Klampfenspieler, Stegreifdichter, Verfasser schmaler Broschüren, zusammengestellt und gedruckt in der Werkstatt des Mestre Lídio Corró und anderen primitiven Läden, verkaufen hier Romantik und Poesie für fünfzig Reis und einen Tostão.
Sie sind Dichter, Pamphletisten, Chronisten, Moralisten. Sie berichten über das Leben der Stadt, kommentieren die Ereignisse und fassen alle Geschichten in Reime, auch erfundene und mitunter recht erstaunliche: »Die Jungfer mit dem Damenbart, die es mit einer Banane tat« oder »Die Prinzessin Maricruz und der Ritter der Lüfte«. Sie protestieren und kritisieren, lehren und amüsieren, und ab und an ersinnen sie einen vortrefflichen Vers.
In Agnaldos Werkstatt verwandeln sich edle Hölzer - Palisander, Brasilholz, Mahagoni, Peroba, Putumuju, Massaranduba - in die Doppelaxt von Xangô, dem mächtigen Herrn über Blitz, Donner und Feuer, in Statuetten der Wassergöttinnen Oxum und Iemanjá, in Figuren der Caboclos-Weltenfahrer, Drei Sterne, Sieben Degen, mit blitzenden Schwertern in den mächtigen Händen. Mächtig ist auch Agnaldos Hand: Als ihm das Herz unter der Marter der Chagas-Krankheit (dieses fatalen Leidens, das damals noch nicht einmal einen Namen hatte, nur langsames, aber sicheres Sterben bedeutete) schon versagen wollte, schufen seine unermüdlichen Hände noch Orixás und Caboclos, und sie haben etwas Geheimnisvolles, niemand kann es genau benennen, als hätte Agnaldo, dem Tod so nah, ihnen einen unsterblichen Lebensodem eingehaucht. Beunruhigende Figuren, sie erinnern an legendäre Wesen und normale Menschen zugleich. Einmal bestellte ein Kultpriester aus Maragogipe einen riesigen Oxóssi, den Gott der Jäger, und brachte ihm dafür den Stamm eines Brotbaums; sechs Männer waren nötig, ihn zu tragen. Agnaldo, schon todkrank, lachte, nach Atem ringend, bei seinem Anblick: So einen Baumstamm zu bearbeiten, welche Freude. Er schnitt das Holz zu einer übergroßen Gottheit, dem großen Jäger Oxóssi; doch nicht mit Pfeil und Bogen, sondern mit einem Gewehr. Es war ein anderer Oxóssi - ganz fraglos der König von Ketu und Herr des Waldes, nur sah er aus wie Lucas da Feira, ein Bandit aus dem Sertão, ein Gesetzloser wie der berühmte Capoeirakämpfer Besouro Cordão de Ouro:
Bevor Besouro starb,
machte er den Mund auf und sprach:
Lass dich nicht erwischen, mein Sohn,
dein Vater wurde nie erwischt.
So sah Agnaldo Oxóssi, und so gestaltete er ihn: mit Lederhut, Messer und Gewehr und an der Hutkrempe den Banditen-Stern. Doch der Pai-de-santo lehnte ihn ab, zu weltlich war ihm die Figur - Oxóssi blieb und wachte viele Monate über die Werkstatt, bis eines Tages ein französischer Reisender kam, ihn erblickte und sofort gutes Geld für ihn bot. Wie es heißt, landete er in einem Museum in Paris. Man erzählt sich so allerhand dort in Pelourinho.
In den Händen von Mário Proença - einem schmächtigen, fast weißen Mulatten - werden Weißblech, Zink, Kupfer zu Schwertern des Kriegers Ogum, zu runden Fächern der Meeresgöttin Iemanjá, fischförmigen Abebés, den Fächern der Süßwassergöttin Oxum, zu Paraxôs, den Wanderstäben von Oxalá, dem Herrn der Schöpfung. Eine große Iemanjá aus Kupfer ist das Wahrzeichen seiner Werkstatt: Tenda da Mãe-d'Água, Werkstatt der Mutter des Wassers.
Mestre Manu, verdreckt, grimmig und streitlustig, ein Mann der klaren Worte und anspruchsvoll, schmiedet in seinem Feuer den Dreizack des Götterboten Exu, die Waffen des Ogum, Gott des Eisens, den gespannten Bogen des Jägers Oxóssi, die Schlange des Regenbogengottes Oxumaré. In Manus Feuer und seinen gewaltigen Pranken nehmen die Orixás und ihre Insignien Gestalt an. In den kreativen Händen all dieser ungebildeten Menschen entstehen wunderbare Skulpturen.
Mestre Didi, der sich in Portas do Carmo niedergelassen hat, arbeitet mit Perlen, Palmstroh, Rosshaar, Leder; er stellt immer neue Zepter, Diademe, Rosshaar- oder Kuhschwanzpeitschen und Piassavawedel - Ebiris, Adês, Eruexins, Eruquerês und Xaxarás - für Omolu her, den Gott der epidemischen Krankheiten. Sein Nachbar ist Deodoro, ein Mulatte mit gellendem Lachen, Spezialist für die Trommeln der verschiedenen Kultnationen - Nagô und Jeje, Angola und Congo - sowie für Ilus, die doppelseitig bespannten Trommeln der Ijexá. Er fertigt auch die Rasseln aus Kalebassen wie Agbês und Xerés an, die besten Agogôs aber macht Manu.
In der Rua do Liceu, vor einer Tür, an der sich frei und fröhlich plaudern lässt, schnitzt und bemalt Mestre Miguel einfache Engel, Erzengel und Heilige. Katholische Heilige, in der Kirche verehrt, die Jungfrau der Unbefleckten Empfängnis und der heilige Antonius von Lissabon, der Erzengel Gabriel und das Jesuskind - wie eng sind sie eigentlich mit Mestre Agnaldos Orixás verwandt? Etwas haben diese vom Vatikan Erwählten einerseits und die Hilfsgottheiten und Caboclos...
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