Schweitzer Fachinformationen
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Götz Aly zählt zu den bekanntesten Autoren zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust – hier stellt er die zentrale Frage: Wie konnte das geschehen?
In einer schweren Krise wurde die NSDAP 1932 zur mit Abstand stärksten Partei gewählt. Bald konnte sie die Macht übernehmen und auf wachsende gesellschaftliche Zustimmung bauen. Hitler brauchte den Krieg – das Volk fürchtete sich davor. Dennoch terrorisierten schließlich 18 Millionen deutsche Soldaten Europa. Wie kam es dazu? Warum beteiligten sich Hunderttausende an beispiellosen Massenmorden?
Die Antwort ist vielschichtig. Die NSDAP versprach den Deutschen Aufstieg und Wohlstand, zugleich hielt man die Menschen in Bewegung, keine Atempause, keine Zeit zum Nachdenken, so ging es Richtung Krieg. Als der Glaube an einen Sieg nachließ, wurde aus der Volksgemeinschaft eine Verbrechensgemeinschaft. Jeder konnte wissen, welche Schuld die Deutschen auf sich luden, die Angst vor dem, was nach einer Niederlage geschehen würde, wurde bewusst geschürt.
Götz Aly schildert in einer fesselnden Erzählung die Herrschaftsmethoden, mit denen die NS-Machthaber Millionen Deutsche in gefügige Vollstrecker oder in vom Krieg abgestumpfte Mitmacher verwandelten – und von denen nicht wenige beängstigend aktuell sind.
Die Voraussetzungen für die vorliegende Studie haben sich dank der zahlreichen Spezialforschungen und Dokumentationen zum Nationalsozialismus in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verbessert. Das quellentechnisch belegbare Wissen zur Judenverfolgung, zum Primat der Politik über die Ökonomie, zu den Fragen des inneren sozialen Zusammenhalts oder den Stimmungsschwankungen in der Bevölkerung ist wesentlich dichter geworden. Dasselbe gilt hinsichtlich der Entscheidungsabläufe in den politischen und militärischen Führungszirkeln. Dank vielfältiger empirischer Studien gerieten frühere Versuche, die hitlerdeutschen Jahre in sogenannte Faschismustheorien, wahlweise in pauschalisierende Begriffe wie Diktatur oder Totalitarismus zu bannen, mit Recht in Vergessenheit. Inzwischen sind Hitlers Reden vor 1933 vom Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) ediert. Im Internet lassen sich zahlreiche Quellen, Aufsätze und Hinweise auf Bücher leicht und schnell finden.
In den folgenden Kapiteln spielt Joseph Goebbels aus zwei Gründen eine wichtige Rolle. Zum einen als Minister für Volksaufklärung und Propaganda. Heute würde man ihn als Director eines ständig wachsenden Executive committee of communications and political branding bezeichnen, der - gestützt auf mitdenkende, hochmotivierte und kreative Multimediateams - Tag für Tag das politische Wording und Framing festlegt, nachjustiert, es an die jeweiligen, häufig wechselnden Lagen anpasst, das ständige Schwanken oder nur geringfügige Oszillieren der Volksstimmung im Auge behält und zu beeinflussen versucht.
1939 arbeiteten in dem neu errichteten, für damalige Verhältnisse riesigen Ministerium 2000 Bedienstete, hinzu kamen die Reichspropagandaämter der NSDAP. Goebbels leitete den gesamten Apparat, den des Staats und den der Partei. Geschaffen worden war das Ministerium im März 1933 mit einem Erlass von Reichspräsident Hindenburg. In seiner Verordnung vom 30. Juni 1933 definierte Hitler dessen vielfältige Zuständigkeiten und Aufgaben: die »geistige Einwirkung auf die Nation, die Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, die Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit«.[1]
Goebbels ist neben Hitler die zentrale Figur dieses Buches: Er diente seiner Partei von 1926 bis 1945 als Gauleiter von Berlin, von 1930 bis 1945 als Reichspropagandaleiter, von 1933 bis 1945 steuerte er zudem das auf ihn zugeschnittene Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda; vor allem aber hinterließ er ein voluminöses Tagebuch. Da er zu den dauerhaften, regelmäßigen und zeitweise engsten Gesprächspartnern Hitlers zählte, bilden seine Notate eine wichtige, fast komplett erhaltene Quelle für die zentralen politischen Entscheidungen jener Jahre. Die 29 Bände seiner Tagebücher liegen mittlerweile in digitaler Form vor. Die Edition dieser für die Forschung so bedeutenden Quellen ist der jahrzehntelangen Arbeit und Geduld von Elke Fröhlich, ihren Mitarbeitern am IfZ und damit auch den jeweiligen Direktoren zu verdanken.
Zusätzlich erleichtern die immer besser verzeichneten Archivbestände die Arbeit, ebenso das Deutsche Zeitungsportal - Deutsche Digitale Bibliothek. Die vielfältigen Einzelstudien zum Nationalsozialismus erlauben es, schnell und unkompliziert Informationen über die Sozialstruktur und das Lebensalter von NSDAP-Kreisleitern, Besatzungsfunktionären in Polen oder KZ-Wachleuten und anderes mehr zu gewinnen. Benutzt habe ich vor allem die glänzend ausgestattete, fachkundig geleitete Bibliothek der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin.
Die Rechtschreibung folgt auch in den Zitaten den derzeit gültigen Regeln. In Teilzitaten passe ich Flexionen gelegentlich meiner Satzkonstruktion an; kurze erklärende Einfügungen innerhalb der Zitate setze ich in runde Klammern; kursiv gedruckte Wörter oder Textpassagen entsprechen stets einer Hervorhebung im Original. Seinerzeit gebräuchliche Begriffe wie Judenfrage, Führer, Arisierung, Blutschutz, Mischling, entjuden, Arier usw. setze ich, von Ausnahmen abgesehen, nicht in Anführungszeichen, sondern vertraue dem Urteilsvermögen meiner Leserinnen und Leser. Die Namen von Städten, Regionen und Staaten schreibe ich in der seinerzeit gebräuchlichen Form und ergänze sie nur dann um spätere Bezeichnungen, sofern Unklarheiten vermieden werden sollen. Kiew bleibt Kiew, Leningrad wird nicht zu St. Petersburg.
Die bis 1933 in Deutschland ansässigen Juden waren zu mehr als 80 Prozent deutsche Staatsbürger, also Deutsche, und nicht selten stolz darauf. Dennoch spreche ich aus praktischen Gründen immer wieder vereinfachend von Deutschen und Juden. Sofern es dabei um deutsche Juden geht, möge der verständige Leser das mitdenken. Das generische Maskulinum diskriminiert meines Erachtens niemanden. Mir kommt es jedenfalls seltsam vor, wenn der Autor Hitler im Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin mittlerweile als »Hitler, Adolf, 1889-1945 (VerfasserIn), .« geführt wird. Die Doppelform Jüdinnen und Juden unterschlägt die eineinhalb Millionen Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Jugendlichen, die im Holocaust von deutschen Massenmördern deportiert und dann erschossen oder mit Hilfe von Giftgas getötet wurden. Außerdem macht die habituelle Nennung der männlichen und der weiblichen Formen (Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen, Mörder und Mörderinnen, Rassistinnen und Rassisten) die Sprache unbequem, sperrig und wenig elegant.
Häufig spreche ich von deutschen anstatt von nationalsozialistischen Tätern. Damit sind nicht alle Deutschen gemeint, aber doch sehr viele, meist arbeitsteilig Agierende oder nur passiv Schulterzuckende, die weder überzeugte Anhänger noch Gegner Hitlers waren. Hinter inzwischen allgegenwärtigen Sätzen wie »Die Nationalsozialisten errichteten das Vernichtungslager XY« und »dort ermordeten die Nationalsozialisten soundso viele hunderttausend Menschen« verschwinden die vielen deutschen Gleichgültigen, Mitmacher, Helfer und Helfershelfer aus dem geschichtlichen Blickfeld. Ich halte es insoweit mit Thomas Mann, der dazu im März 1945 schrieb:
Unmöglich, von den misshandelten Völkern Europas, von der Welt zu verlangen, dass sie einen reinlichen Trennungsstrich ziehen zwischen dem »Nazismus« und dem deutschen Volk. (.) Die Welt ist durch fünf Jahre eines von Deutschland entfachten, leidens- und opfervollen Krieges gegangen, und in diesem Krieg hatten die Gegner Deutschlands es vom ersten Tage an mit der ganzen deutschen Erfindungsgabe, Tapferkeit, Intelligenz, Gehorsamsliebe, militärischen Tüchtigkeit, kurz, mit der gesamten deutschen Volkskraft zu tun, die als solche hinter dem Regime stand und seine Schlachten schlug.[2]
Hitlers Buch »Mein Kampf« zitiere ich nach der gut durchsuchbaren, weil nicht in Frakturschrift gedruckten, 851.-855. Auflage (München 1943), die als PDF im Internet steht. Weil verschiedene Teilausgaben der Tagebücher von Joseph Goebbels erschienen sind, gebe ich nur das Datum des jeweiligen Eintrags an. Fast immer beziehen sich die Einträge auf den Vortag, weshalb das Datum im Haupttext von dem in der Fußnote meist um einen Tag abweicht. Für Zitate aus der 14 Bände umfassenden Edition »Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933« nenne ich das Datum und die Dokumentennummer, da ich diese wie auch die Edition der Goebbels-Tagebücher in digitalen Versionen benutzt habe. Ungedruckte Quellen wie zum Beispiel das Tagebuch von Hermann Voss werden am Anfang des Literaturverzeichnisses separat nachgewiesen.
Ich danke allen, die mich bei meiner Arbeit unterstützt und gefördert, mit mir diskutiert und gestritten haben. Darüber hinaus und vor allem gilt mein Dank den vielen, die jahrzehntelang an den Grundlagen arbeiteten und noch immer arbeiten, die auch das vorliegende Buch ermöglichten: Archivare, Editoren geschichtlicher Urkunden, Autoren, die wichtige Einzelfragen untersucht haben, ebenso den Lexikographen, ob sie nun geschichtliche Grundbegriffe bearbeiten oder Einträge für Wikipedia schreiben. An Letzteren wird gerne die unterschiedliche Qualität bemängelt. Solche Mängel bestehen offenkundig. Nur finden sich dieselben Probleme auch in hochvornehmen gebundenen Ausgaben. Wer das nicht glaubt, schaue sich in dem von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck herausgegebenen Werk »Geschichtliche Grundbegriffe« den schmalbrüstigen, offenbar in letzter Minute aufgenommenen Eintrag zum Begriff »Antisemitismus« an. Die für die Sozialgeschichtsschreibung und eben auch für den Verlauf und die Gewaltausbrüche des 20. Jahrhunderts außerordentlich wichtigen Begriffe »Aufstieg, sozialer« oder »Mobilität, soziale« kommen darin überhaupt nicht vor.
Im Sinne von Raul Hilberg (1926-2007) benutze ich Adjektive des Abscheus oder innerer Empörung nicht. Fast nicht - manchmal geht es nicht anders. Typische, noch immer gern gebrauchte, stets pejorativ oder distanzierend verstandene Wörter wie »völkisch«, »Scherge«, »Diktatur«, »charismatisch«, »Wahn«, »wahnhaft«, »Rassenlehre« oder »Rassentheorie« sucht man in der 1350 Seiten langen, 1991 erschienenen deutschen Ausgabe von Hilbergs Hauptwerk »Die Vernichtung der europäischen Juden« vergeblich. Hitler heißt bei ihm durchweg Hitler - nicht »der Diktator«. Das in aller Regel als Schimpfwort verwendete Wort »Ideologie« kommt bei ihm zweimal vor und dort...
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