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Walther von der Vogelweide - das Leben eines Genies zwischen Rausch und Sehnsucht
Seine Geburt ist geheimnisumwittert, seine Kindheit die eines Wunderkindes. Er wird der Hofsänger und Dichter des Mittelalters - geschätzt von Fürsten und Königen, begehrt von Frauen.
Man nennt ihn Walther von der Vogelweide.
Als enfant terrible und auf dem Höhepunkt seines Schaffens nimmt er sich jede Freiheit, jeden Rausch. Doch sein Herz ist einsam, Genie und Wahnsinn sind nah beieinander. Walthers ganze Liebe gehört einem Mädchen, das er nicht haben kann: Anna. In ihr sieht er das Gute, Reine in einer Welt, die ihm feindlich und verlogen zu sein scheint. Sie ist der einzige Mensch, dem sich der sensible Dichter öffnen kann. Sie begleitet ihn durch seine dunkelsten Nächte - und bis in den Tod.
Ein großer Roman über einen Mann, dessen Namen jeder schon einmal gehört hat und dessen Leben doch weitgehend unbekannt und voller Geheimnisse ist. Spannend und mit großem Einfühlungsvermögen in Mensch und Zeit füllt Viola Alvarez diese historische Lücke und macht Walther zu einer kinskihaft zerrissenen Persönlichkeit, die zwischen genialem Wahn und der Sehnsucht nach Liebe schwankt.
Im Tal stand ein Hof, auf den ein schmaler Pfad zuführte, der nicht einmal von Pferdehufen, nur von ein paar Ziegen ausgetreten war. Man konnte schon von weitem sehen, wie arm die waren, die hier wohnten - vielleicht nicht immer arm gewesen waren, denn das Haus hatte ein zweites Stockwerk. Wenn man von Osten über den Hang kam, dann lag der Hof ungünstig zwischen zwei Bergen; wenn es, bedingt durch den heftigen Herbstregen, einen Erdrutsch gäbe, dann wäre das Anwesen samt und sonders verloren. Im Süden stand eine Linde, die im Sommer dem Haus wohl Schatten spenden sollte. Es war früher November, und es regnete. Herbstkinder starben leichter als andere, keine gute Zeit, ein Kind zur Welt zu bringen.
Drinnen schrie eine Wöchnerin seit Stunden, die Hebamme war schon am Abend gekommen, aß und trank ungeniert auf Kosten der werdenden Eltern, die wohl kaum selbst genug hatten. »Es wird noch dauern«, sagte sie dem Herrmann, dessen Erstes es werden sollte, ohne Freundlichkeit. »Die Ersten dauern immer. Und mit der ihrem Becken.« Die Hebamme winkte ab, als sei die Unzumutbarkeit ihrer Aufgabe mit Worten gar nicht angemessen zu beschreiben.
Herrmann hielt die Schreie Gunis', seiner Frau, gepaart mit der dumpfen Gleichgültigkeit der Hebamme nicht aus. Er trat in den Regen hinaus und blickte den verschlammten Pfad empor. Der Regen fiel so dicht, dass er kaum die Wegstrecke nach Ried erkennen konnte, nur eine nasse Mulde vor dem Schatten der Berge. Obwohl es sehr kalt war, schwitzte Herrmann, die Haare klebten ihm am Kopf, und sein Rücken juckte unter der Rupfenjacke, die er trug. Er hatte Bauchschmerzen vor Anspannung, Furcht und Hunger, da die Hebamme sich mit Genuss von dem nährte, was eigentlich für die Woche hätte reichen sollen. Der Rest blieb besser für die Gebärende.
Oben am Weg stand zwischen den grauen, teuflisch tanzenden Strichen des Regens eine Gestalt, schien es. Die Wolken hingen so tief, dass Herrmann dachte, an ihnen ersticken zu müssen. Er keuchte und kniff die Lider zusammen, um besser sehen zu können. Der Schweiß, den er sich nicht erklären konnte, brannte ihm in den Augen.
»Hallo«, glaubte er jetzt gehört zu haben, gedämpft vom Prasseln des Regens, verschluckt von den Schwaden des Nebels, die sich körperlos der überfeuchten Erde entwanden und fetten, riesigen Würmern gleich umherkrochen. »Hallo.«
Der schemenhafte Schatten bewegte sich fließend mit dem endlosen Guss, dem boshaften Plätschern, der alles Leben und alle Hoffnung abschnürenden feuchten Luft. Herrmann sah über die Schulter zum Haus, vom Dach troff das Wasser, sammelte sich in Pfützen, der Regen warf Blasen, die eine um die andere endlos zerplatzten. Im Haus war es still, Gunis schrie nicht mehr. Vielleicht war sie kurz eingeschlafen.
»Hallo«, rief die Stimme wieder von der Anhöhe aus.
Herrmann griff sich einen Knüppel und machte sich auf, den schlammigen Pfad hinaufzuklettern, er keuchte, ihm wurde noch heißer, der Rücken juckte unter dem herabfließenden Schweiß noch schlimmer. Er kam der Gestalt näher; wer immer es war, ihm schien der Regen nichts auszumachen. Still wartete das Wesen auf den Bauern. »Höchstens der Teufel ist bei so einem Regen unterwegs«, keuchte Herrmann zwischen den Zähnen, packte den Knüppel fester und spuckte aus.
In den Dörfern zwischen den Bergen muss man die Gedanken nicht weit schweifen lassen, wenn man sich über den Teufel klar werden will. Er saß kichernd in den zerklüfteten Felsen, die sich lösten, um einem Wanderer den Schädel einzuschlagen. Oder er lockte einen Unwissenden auf die Weiden, um dann mit dem Blitz nach ihm zu werfen. Dass der Teufel im Regen nach einem Bauern rief, das hatte Herrmann zwar noch nicht gehört, aber das hieß nichts. So kurz vor dem allseits verkündeten Weltenende fand der Teufel immer neue Wege.
Die Gestalt war ein Mönch in einer grauen Kutte, völlig durchnässt wie der, den er gerufen hatte, aber lächelnd, heiter, als wartete er die Ankunft des Aufsteigenden bei Maienluft und Sonnenschein ab.
»Was willst du?«, rief Herrmann, als er nahe genug heran war. »Wer bist du? Wo kommst du her?«
Der Mönch war klein, sein Gesicht von einer verstörten Zartheit, zu der das heitere Lächeln nicht passen wollte. Zwischen den Vogelaugen standen ihm tiefe Falten, als wäre er gezwungen, zu häufig Dinge zu sehen, die ihn schmerzten. Herrmann blieb stehen, doch da der Mönch keinerlei Anstalten machte zu sprechen, bewegte er sich nach einiger Zeit weiter auf ihn zu. »Was?«, bellte er.
»Im Dorf sagen sie, dass du einen Sohn erwartest.« Die Stimme des Mönchs verwischte sich in ihrer plätschernden Sanftheit fast vollkommen vor dem Hintergrund des tückischen Regens, der ungestört in seiner brodelnden Gleichförmigkeit niederrauschte. Hatte die Gestalt wirklich gesprochen?
»Ich kann dir nichts zahlen fürs Beten«, sagte Herrmann lauter, als er wollte, wie um das Stimmchen des Mönchs durch sein Beispiel zu heben. »Und Platz haben wir auch keinen. Die Hebamme ist da.«
»Ich will doch gar nichts«, sprach der Mönch, bescheiden schüttelte er den Kopf. »Ich wollte nur etwas weitergeben.«
Herrmann starrte den kleinen Mann an.
»Gebt mir die Hand«, forderte der Mönch in seiner sanften Stimme, der Mund schlingernd hinter den silbernen Bindfäden des Regens, wie die Bewegungen eines Forellenfisches. Herrmann hielt den Knüppel erst fester, nahm ihn dann nur mit der Linken und streckte die schwielige Rechte zögerlich nach dem nassen Mönch aus.
»Oh«, lachte der Mönch überrascht und fasste dann mit beiden Händen schnell zu. So heiß es Herrmann auch gerade gewesen war, mit einem Mal war ihm eiskalt.
»Dein Sohn wird mit Sand in den Schuhen geboren«, redete der körperlose Forellenmund schmeichelnd. Herrmann hörte die Stimme ganz dicht an seinem Ohr, als flüsterte der Mönch direkt hinein.
»Der bleibt dir nicht lange, der geht dir durch.« Herrmann wollte seine Hand zurückziehen, war aber gefangen zwischen seinem Aberglauben, seiner Machtlosigkeit und seiner Furcht.
»Und du musst es wissen, damit du ihn gehen lassen kannst, ja. Weil er Wichtiges vorhat.«
»Was redest du da für einen Unsinn«, wollte Herrmann brüllen, aber es kam nur ein Flüstern heraus.
»Ich geb's nur weiter. Es ist, wie es ist. Auf dem Hof bleibt der nicht«, meinte der Mönch nachsichtig und entließ die große Hand aus seinem zierlichen Gefängnis.
»Vergelts Gott«, plätscherte er noch und ging dann weiter auf dem Weg nach Ried, seine Fußspuren nach ein paar Schritten schon aufgelöst, als wären sie nie da gewesen.
Herrmann schüttelte den Kopf, dass die Tropfen flogen. Er hörte eine Krähe und kniff die Daumen ein. Um überhaupt etwas zu tun, spuckte er noch mal aus.
»Weibergewäsch, Bangemacherei«, sagte er sich vor, als er den schlammigen Pfad wieder hinabstieg, vorsichtig, damit er sich nichts brach. Ein Scherz war es vielleicht gewesen, ein Jokus, den sich der Hannis und der Fede gemacht hatten. Woher hätte der Mönch sonst gewusst, dass er auf sein Kind wartete. Und Mönch! Das war ein Gaukler gewesen, ein Schnurrer. »Wenn nur alles gut geht!«
Als er dem Haus näher kam, hörte er, dass Gunis wieder zu schreien begonnen hatte. Der Regen nahm kein Ende. Herrmann blieb trotzdem draußen sitzen.
Am frühen Abend kam das Kind zur Welt. Es war gesund und schlief gleich. »Haare hat es schon!«, rief die Hebamme begeistert aus und naschte vom Kindsfett.
Es war ein Sohn. »Meinst du, du kannst morgen hier alleine fertig werden?«, fragte Herrmann seine Frau, die, obwohl die Geburt nun hinter ihr lag, weiter weinte und nicht recht beisammen schien. »Ich muss ins Dorf.«
»Ich kann ja noch einen Tag bleiben«, bot die Hebamme berechnend an und zeigte stolz das Kind der Mutter, die kaum kräftig genug war, es zu halten. Schließlich drehte sie sich, den ruhigen Sohn auf der Armbeuge liegend, einfach auf die Seite und starrte vor sich hin.
»Du kriegst noch andere«, erklärte die Hebamme wohl zu ihrem Trost. »Ich kenn mich aus. Wer beim Ersten nicht draufgeht und halbwegs heil bleibt, der kriegt noch andere.«
»Ich muss ins Dorf«, erinnerte Herrmann vorsichtig an sein Anliegen. Sein Sohn begann zu wimmern; draußen rauschte der endlose Regen.
Fede und Hannis schworen beide, dass sie weder einen Possenreißer angestiftet noch einem Wandermönch von der bevorstehenden Geburt erzählt hätten. Auch weitere Nachforschungen im Gasthaus blieben ohne Ergebnis, so- dass Herrmann beschloss, das Vorgefallene zu vergessen.
Das Herbstkind überlebte, und Gunis rappelte sich bald hoch. Zum Fest der Unbefleckten Empfängnis tauften sie den Sohn Walther. Sonst wären sie vor Lichtmess nicht mehr zur Messe gekommen, so hoch wie der Schnee lag.
Alle redeten davon, wie schön er sei, zumeist wegen seiner vielen Haare. Aber Herrmann behielt noch für Monate ein mulmiges Gefühl, und als sein Sohn laufen lernte, das war schon im späten Sommer darauf, konnte er sich nicht recht freuen. Irgendetwas stimmte nicht.
»Besser, wir haben noch andere«, sagte er seiner Frau. Aber damit wurde es einstweilen nichts.
Herrmann mühte sich redlich, und wenn auch Gunis seinen ehelichen Umarmungen nicht mehr als ein paar Augenblicke selbstmitleidigen Trotzes abgewinnen konnte, so verhalfen seine nutzlosen Versuche, die Brut des Vogelweidhofes zu vergrößern, doch wenigstens dazu, zwischen den Eheleuten klare Fronten zu schaffen. Gunis' Verachtung für ihren Mann wuchs in gleichem Maße wie ihre abendlich im Halbschlaf beschworene Überzeugung, dass sie ein...
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