DIE VIZSLA IN DEUTSCHLAND
Mag sein, dass der eine oder andere Vizsla schon hier gelebt hat, die offizielle "Geschichtsschreibung" der Vizsla in Deutschland aber beginnt 1971.
"DER GULASCH-KOMMUNISMUS"
Ungarn lag damals zwar hinter dem Eisernen Vorhang, so streng abgeschottet wie andere Ostblockländer aber war das Land nicht. Ganz in Gegenteil, Gäste aus dem Westen waren jederzeit herzlich willkommen. Der Grund war profan. Man wollte ihr Geld. Denn Ungarn hat kaum Bodenschätze. Wer etwas verdienen wollte, musste mit dem Westen handeln.
Der Devisen wegen erließ der nach dem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand im Oktober 1956 von Moskau eingesetzte Ministerpräsident János Kádár deshalb Lockerungen, den sogenannten "Gulasch-Kommunismus". Praktisch hieß das, dass man in Budapest mindestens genauso gut shoppen konnte wie in Berlin, vielleicht sogar besser: In den Auslagen der Schaufenster lagen Rasierapparate von Siemens, japanische Radios und Luxusartikel jeder Art. Kaufwillige "Wessis" gab's genug: Auf den Straßen sah man mehr Mercedes, Renaults und Fiats als in Moskau. Westliche Radiosender wurden nicht gestört, der Empfang des österreichischen Fernsehens war einwandfrei, und an den Eingangstüren der eleganten Geschäfte klebten Plaketten mit der Aufschrift "American Express", "Diners Club" und "Man spricht deutsch".
"PICI", DAS MITBRINGSEL
Fast 900.000 Westtouristen reisten 1971 nach Ungarn, darunter auch ein Zahnarzt aus München. Und statt üblicher Mitbringsel wie einer Flasche "Pálinka", einem traditionellen Obstbrand, oder einer Salami vom "Mangalica"-Schwein, brachte er seiner Familie einen jungen Vizsla mit: eine Hündin namens Pici. Die Familie war begeistert. Doch nicht lange, denn dann kam es, wie es häufig eben so kommt: Der Doktor ging in die Praxis, der Hund blieb allein - und weil Alleinsein langweilig ist, zerlegte Pici die Wohnung: Türen zerkratzt, Möbel angenagt, Teppich herausgerissen, Totalschaden. Das Urteil des Familienrats: Der Hund muss weg! Doch wohin? Einer der Patienten des Zahnarztes war Förster, und der wiederum kannte einen jungen Forstbeamten namens Schröpfer, der einen Hund suchte. Zwischen Schröpfer und Pici war es Liebe auf den ersten Blick, und sie währte drei Jahre. Dann wurde Schröpfer nach München versetzt, bezog eine Wohnung am Ostbahnhof und bekam angesichts des städtischen Umfelds ein schlechtes Gewissen. "Das konnte ich dem armen Hund nicht antun", erinnert er sich in einem Brief und rief in seiner Not jemanden an, der ihn schon mehrfach um Pici beneidet hatte: den Förster Josef Rauwolf. "Du, Sepp", sagte er am Telefon: "Du wolltest doch einen Welpen, jetzt kannst du den ganzen Hund haben. Ich kann der Pici das München nicht antun."
Rauwolf, der die Vizsla aus dem Krieg kannte, sagte sofort "Ja!" - und aus der Zuneigung zu Pici wurde bald eine Passion. Rauwolf beschloss, die Vizsla zu züchten und auch andere Jäger von ihnen zu begeistern. Ein Plan, der schließlich zu seinem Lebenswerk wurde.
© Anna Auerbach
Vizsla am Wasser: Früher hätte so ein Bild Seltenheitswert gehabt. Vizsla galten als wasserscheu!
DIE GRÜNDUNG DES VUV
Am 14. November 1977 gründete er mit einer Handvoll Gleichgesinnter den VUV, den "Verein Ungarischer Vorstehhunde", bis heute der einzige Zuchtverein in Deutschland, der aufgrund seiner Zuchtverordnung und Statuten von der internationalen Hundewelt anerkannt wird. Dass dort nur Jäger Mitglied werden konnten, hat praktische Gründe: Zum einen gab es damals kaum eine andere Zielgruppe, die sich für Hunde interessierte, vor allem aber war die Szene überschaubar: Klingelte ein Jäger an Rauwolfs Tür, um sich die Hunde anzuschauen, klopfte der leutselige Förster im Gespräch unmerklich alle für ihn wichtigen Punkte ab, nur um in den kommenden Tagen eine Menge seiner Dienstzeit dafür zu opfern, Bürgen zu finden, die das von sich selbst gemalte Bild der Bewerber bestätigten. Wer von Rauwolf einen Welpen bekam, war im wahren Sinne des Wortes auserwählt.
EIN GANZ BESONDERER JAGDHUND
Pici war die erste Hündin; bis man genug Hunde für eine anständige Zuchtbasis hatte, dauerte es aber. Denn trotz aller Erleichterungen, die den Handel mit und die Einreise nach Ungarn ermöglichten, war es nicht so leicht, gute Hunde zu finden. Zum einen, weil es selbst in Ungarn gar nicht so viele von ihnen gab, vor allem aber, weil kaum jemand vertrauensvolle Beziehungen nach Ungarn hatte. Hinzu kamen Sprachprobleme. Kaum ein Ungar sprach Englisch oder Französisch. Mit Russisch wär's wohl gegangen, aber das sprachen nur wenige Deutsche. Und wenn es sprachlich klappte, gab's unterschiedliche Auffassungen darüber, was einen guten Jagdhund ausmachte. Mit feiner Nase suchen, das gefundene Wild fest vorstehen und es auf Kommando aus der Deckung drücken - mehr wurde von einem guten Vizsla in Ungarn nicht verlangt. In Deutschland war das ganz anders: Hier muss ein guter Jagdhund ein "Vollgebrauchshund" sein. Ein Hund, der bei der Jagd im Feld eine ebenso gute Figur macht wie am Wasser oder im Wald. Der auf der schwierigen Nachsuche nach verletztem Wild einsetzbar ist, Wildschweine laut bellend aus der Dickung treibt und auch nicht lange zaudert, wenn es gilt, einen Fuchs oder Marder zu greifen. Kurz: ein Alleskönner für jede Gelegenheit. Und das war das Problem: Denn so gut Vizsla im Feld arbeiteten, so wenig waren die meisten für den Rest zu gebrauchen. "Als ich zwölf Jahre alt war, stand eines Morgens der Förster Josef Rauwolf bei uns vor der Tür, um meinen Vater zu fragen, ob er an den Teichen in unserem Revier üben könne", erinnert sich ein VUV-Gründungsmitglied. "Er habe da diese zwei ungarischen Vorsteher, die noch ein bisschen Probleme mit dem Wasser hätten ."
"Ein bisschen Probleme mit dem Wasser", das war sehr nett ausgedrückt, die Hunde gingen nämlich gar nicht rein. Also schickte der Vater seine beiden Söhne in den moderigen Teich, um die Hunde an Leinen hinter sich herzuziehen. "Wochenlang ging das so, bis wir Jungs irgendwann aus dem Fenster kletterten, sobald wir den jagdgrünen Wagen des Försters auf den Hof rollen sahen."
© Anna Auerbach/Kosmos
"Voran Apport": Vizsla sind heute auch bei Jägern im Kommen. Die Zucht hat Schwächen ausgebügelt.
SONDERBARE MENSCHEN
Doch es waren nicht nur die mitunter unerfüllten jagdlichen Ansprüche, die das Bild der Vizsla in den ersten Jahrzehnten prägten. Auch die "Vizsla-Leute" schienen sonderbare Menschen zu sein: Sie lehnten die damals für Jagdhunde übliche Zwingerhaltung ab, dachten sich alternative Methoden der Hundeausbildung aus, legten ihren Hunden im eiskalten Wind wärmende Decken um und hatten überhaupt nichts dagegen, sich mit ihnen das Sofa zu teilen. Manche - und damit war das Maß an Unverständnis dann auch voll! - hatten sogar Katzen im Haus. Große Güte: Ein friedlich mit einer Katze zusammenlebender Jagdhund, das überstieg die Vorstellungskraft der meisten damaligen Jäger, und mit Blick auf ihren Lang- oder Drahthaar urteilten sie: "Nein, das kann nichts werden!" "Wenn wir damals zu einer Hundeprüfung antraten, ging es nicht um hohe Punktzahlen, sondern allein ums Bestehen", erinnert sich eine ältere Vizsla-Führerin aus Niedersachsen. "Und wenn die Richter keine Lust auf unsere Hunde hatten, dann ging's zuerst ans Wasser. Danach war die Prüfung dann meist tatsächlich vorzeitig beendet."
© Kristina Wätzel
Gruppenbild mit Vogel: Der Autor mit seinem Rudel.
GESCHICHTEN AUS DEN FRÜHEN JAHREN
Seltsam anmutende Geschichten aus den frühen Jahren der Vizsla in Deutschland gibt es viele. So sah Theo Janisch, eines der ersten Mitglieder des VUV und seit fast 50 Jahren ein glühender Anhänger der Rasse, seinen ersten Vizsla im Vorbereitungskurs auf die Jägerprüfung. Einer der Teilnehmer, er saß da gemeinsam mit seiner Frau, war ein ungarischer Adeliger. Ein eher stiller, sehr vornehm wirkender Mann, der oft nach Deutschland kam, um bei seiner Verwandtschaft zu jagen, und deshalb einen hier gültigen Jagdschein machen wollte. "Und neben diesem Mann saß ein unglaublich eleganter Hund, von dem ich sofort fasziniert war", erinnert sich Janisch. Schöne Hunde kannte er zuhauf. Die gab es schließlich auch in Deutschland. "Was diesen Hund so besonders machte, das war sein lebendiges, freundliches Wesen und der wache, intelligente Blick."
Der Ausbilder des Kurses, ein in der Gegend sehr bekannter Förster und erfahrener Hundeführer, war offenbar nicht so angetan: Zunächst fragte er die in der Runde sitzenden Jungjäger, welche Jagdhunde ihrer Meinung nach für die spätere Arbeit im Revier denn so in Frage kämen. Vom Deutsch-Drahthaar über die Großen und Kleinen Münsterländer, Pudelpointer bis hin zum Jagdterrier wurde alles genannt. Bestätigendes Nicken des Ausbilders. Gezielt wandte er sich dann an den Ungarn. Hier lautete die Antwort erwartungsgemäß: "Magyar Vizsla". Mit Stentorstimme stellte der Ausbilder anschließend fest: "Das merken Sie sich: Ein deutscher Jäger führt einen deutschen Jagdhund!"
Und so ging das bis weit über das Jahr 2000 hinaus: "Mein Vater, ein langjähriger und 300-prozentiger Drahthaar-Mann und Wachtel-Führer, hätte mich fast gesteinigt, als ich mir meine Vizsla-Hündin kaufte", erzählt eine niedersächsische Jägerin. "Ich stand wohl knapp vor der Enterbung." Tatsächlich raubte die Nachricht über den ungarischen Familiennachwuchs dem Mann zunächst die Stimme. "Ich hab's ihm am Telefon erzählt,...