Schweitzer Fachinformationen
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Heiße Maroni am Eingang zur Metro. Sie erinnern mich daran, was ich seit meiner Kindheit mit der Zeit verloren habe. Der Rauch steigt in die Luft und verfliegt. Der Duft breitet sich in der Straße aus und weht bis zur António Maria Cardoso, wo ich meinen Dienst versehe. Ich werde mit leeren Händen alt. Das Leben, Aurora, mitunter ist es eine Spazierfahrt in einem Boot ohne Ruder. Manchmal vergeht eine lange Weile ohne ein einziges Auto, das mir eine Münze einbringt. Der Kopf fängt an davonzufliegen und ist nur schwer wieder einzufangen. Ich bin da, vielleicht sieht man mich dort stehen, die Straße auf und ab gehen, aber der Kopf von Boa Morte ist unterwegs zum Cais das Colunas, überquert den Tejo nach Barreiro, tanzt, Seixal, Sacavém, der Kopf von Boa Morte wandert hinunter zur Algarve und wieder zurück. Wer hätte gedacht, dass ich einmal so enden würde, als einer, der diese Straße der Lebenden und der Toten auf und ab läuft, der von der Barmherzigkeit der anderen lebt und bewacht, was gar nicht in Gefahr ist? Mitunter, stets gegen sieben Uhr abends, taucht ein junges Liebespaar auf. Sie gehen im Theater einen Kaffee trinken, ich kenne sie schon, sie geben mir jedes Mal einen Euro. Die Gewohnheiten aller, die hier verkehren, sind mir vertraut. Nach einer gewissen Zeit ist die Straße ein Zuhause oder das Büro der Revison, mit festen Zeiten und den immergleichen Gesichtern. Man könnte erwarten, dass jeder Tag etwas Neues bringen würde. Aber die António Maria Cardoso ist wie eine vom Uhrmacher aufgezogene Uhr. Wir sind Gewohnheitstiere, und die Stadt ist aus unserer fixen Idee gemacht, stets das Gleiche zur gleichen Zeit zu tun. Ich gehe die Straße hinauf, ich gehe die Straße hinunter, ich komme mit meinen Studien voran.
Ich bleibe in der Rua António Maria Cardoso nahe der Unterstadt. Boa Morte tritt seinen Dienst frühmorgens an, bricht in Prior Velho auf, wenn es noch Nacht ist. Mit dem Wind um die Nase ist Lissabon am Morgen richtig schön. Gestern habe ich bis zu so später Stunde geschrieben, dass mir heute die Finger wehtun. Nachträge zu dem Plan für den Gemüsegarten, den wir hinter dem Haus von Dona Idalina, unserer Vermieterin, anzulegen gedenken, aber eins nach dem anderen. Beim Parkplatz angekommen, ziehe ich meine Weste an. Das dort ist die Straße, sie gehört niemandem, aber ich trage stets die Weste, um mich, ich weiß nicht, wie ein Angestellter zu fühlen.
Dein Vater bricht gegen fünf zur Arbeit auf, um Viertel nach fünf bin ich auf dem Weg. Die Weste ist eine von diesen grauen Westen, die ich beim Paga Pouco aufgetrieben habe. Wenn es für den Bus reicht, schaue ich während der Fahrt aus dem Fenster, schlafe ein wenig, wenn nicht, gehe ich zu Fuß, aber im Herzen sage ich mir stets »Los, Boa Morte, Zeit, zur Arbeit zu gehen«. Das erinnert mich sogleich an die alten Zeiten, Speditionsangestellter Boa Morte da Silva, mit Firmenschild und Büro, schönem Schreibtisch, Walnussfurnier, das werde ich nicht vergessen, handgefertigt in der Stadt Guimarães, die Herren von der Revison haben deinen Vater geachtet, Kind, das kannst du mir glauben, ich habe sogar die Vertreter der Geschäftsleitung ganz bis nach Silva Porto, heute Cuíto, begleitet, wir sind dorthin gefahren, um die Kakaolieferungen in Empfang zu nehmen, die weiter nach Pretoria gehen sollten, dein Vater war verantwortlich für die Bestandsaufnahme und den Versand der Waren. Meine Hefte, mein Arbeitstisch, meine Hemden, Stifte, Füllfederhalter, mein Kind, eine hübsche kleine Uhr, die mir mein Chef, der unvergessene Doktor Octávio Semedo, geschenkt hat. Behandelt wie ein Mensch. Dann träume ich vor mich hin und führe laute Selbstgespräche. Wir machen unsere Bemerkungen über Frauen, ich und mein Selbst, das ja noch ein junger Knopf ist. Der Bahnhof ist immer eine Überraschung, jede Woche gibt es dort etwas Neues, stets ist irgendetwas anders, hat ein Café aufgemacht, ein Geschäft geschlossen, ist der Wachmann ein anderer junger Mann. Die Münzen vom Vorabend reichen nur für die Hinfahrt, für die Rückfahrt muss ich das Tagesende abwarten. Am Chiado, so heißt der Ort, bleibe ich vor dem Theater stehen, einem schönen großen Gebäude, dem Teatro São Luiz.
Nebenan befindet sich das Café A Brasileira, vor dem sich eine Statue des Dichters Fernando Pessoa befindet. Oh salzige Flut, wie viel von deinem Salz sind Tränen Portugals. Morgens muss ich zu der Baustelle am Ende der Straße gehen und die Poller holen, die Jacaré mir besorgt hat, um die Parkplätze für die Geschäftsinhaber der Gegend zu markieren. Das ehemalige Gebäude der Geheimpolizei Pide wird gerade zu einer geschlossenen Wohnanlage umgebaut. Wenn ein Wagen wegfährt, markiere ich den Platz mit zwei Pollern, so müssen die Herren nicht suchen. Sie kommen gegen acht, halb neun, manchmal gehe ich für einen von ihnen in die Wäscherei, die Hemden abholen, er gibt mir zwei Euro, ein andermal bringe ich ein Kind in die Schule, noch ein Euro oder irgendetwas anderes, und wenn auch nur ein Butterbrötchen und ein Espresso. Manchmal stelle ich mich in der Brasileira an den Tresen, dein Vater läuft nämlich nicht schmutzig herum, mein Kind. Hab niemals, niemals, niemals Mitleid mit deinem Vater.
Gerne würde ich deine Stimme hören, Aurora, deinen Worten lauschen und in deine Augen sehen, neben dir lebendig sein, atmen wie du. Ich werde Abdul von Tia Nina teuer dafür bezahlen, dass er einen Stapel Papiere und Informationen mitnimmt, um in Bissau nach dir zu suchen. Ein kleines Armband für dich ist auch dabei, ich weiß nicht einmal deine Größe, ich habe sie mithilfe der jungen Frau im Laden überschlagen. Der Alltag lässt keine großen Sprünge zu. Ich denke an dich in Bissau, wo so viel Missachtung und Gewalt herrschen, da kann eine alte Seele keine Ruhe finden. Hast du das Gymnasium abgeschlossen, Kind? Vielleicht bin ich sogar schon Großvater und weiß es nicht, bin Vater einer verheirateten Tochter und weiß es nicht. Ich habe einen Platz im Fegefeuer erwischt, Abteilung Parkplatz in der Stadt.
Mädchen, was ein Mann den ganzen Tag auf der Straße nicht alles zu sehen bekommt! Kleine Kinder mit Mutter und Vater, große Motorräder, traurige Männer, Männer mit fröhlichem Gesicht. Frauen, also gut, Damen, schick gekleidet, wie ich sie nur zu meiner Zeit in Pretoria gesehen habe. Anfangs hat es mich gestört, den ganzen Tag zu stehen.
Ich habe furchtbare Rückenschmerzen bekommen, den Kopf zu voll gehabt vom Anblick der vielen Leute. Man gewöhnt sich an alles, und immerhin reicht es für das Abendessen und ein Zimmer in Dona Idalinas Viertel. Dona Idalina? Ein Engel, diese Frau. Ich gehe immer in das Haus meiner Vermieterin, um das Telefon zu benutzen. Neulich, habe ich es schon erzählt?, habe ich mir in den Finger geschnitten, als ich Vando dabei geholfen habe, die Satellitenantenne in der Kneipe des Viertels anzubringen, Dona Idalina hat mir einen Verband angelegt und mir auch ein Medikament gegen die Kopfschmerzen besorgt, der Arzt vom Gesundheitszentrum kommt manchmal nicht, keine Ahnung, warum nicht, entweder, weil er nicht kann, oder weil er es nicht schafft. Aber die eigentliche Neuigkeit ist meine Idee, hinter Dona Idalinas Haus einen Gemüsegarten anzulegen. Sie überlässt mir das Grundstück, es hat einen Brunnen. Ich könnte Avocados pflanzen, Tomaten, Rüben, Spinat, Kartoffeln, vielleicht sogar Zuckerrohr. Das würde reichen, um die Kinder im Viertel satt zu bekommen und womöglich sogar noch etwas zu verkaufen, in der Innenstadt am Rossio oder am Largo de São Domingos. Mit dem Geld wäre ich dann nicht mehr nur auf den Parkplatz angewiesen.
Ich kann mich an den Chiado noch aus den Zeiten des Wiederaufbaus erinnern, nach dem Brand. Alles hat sich verändert. Morgens komme ich an, wenn die Bäcker nach Hause gehen, abends geht es hier schlimm zu. Die Fixer, sie rennen nachts von einer Ecke zur anderen, ich mit meinem Geld vom Parkplatz beschleunige meinen Schritt und bin immer auf der Hut. Es ist, als könnte ich sie riechen. Kind, dein alter Vater hinkt bereits. Die Zeit walzt uns nieder, das wirst du noch lernen, wenn es bei dir so weit ist.
Im vergangenen Frühling habe ich Jardel kennengelernt. Es nieselte, als ich aus dem Bus stieg und diesen Hund neben mir sah. Klein, voller Flöhe, trottete er hinter mir her, vom Campo Grande bis zum Chiado. An dem Tag konnte ich nicht mit der Metro fahren, ich hatte kein Geld. Seit dieser ersten Begegnung begleitet mich der kleine Jardel überallhin, nachts schläft er am Chiado, wenn ich morgens eintreffe, erwartet er mich schon, als würde ich gerade nach Hause kommen. Er kann zwar nicht sprechen, aber sobald er mich erblickt, leckt er mir die Beine und wedelt überglücklich mit dem Schwanz.
Anfangs hat mich das ganz durcheinandergebracht, dieser Hund, verdammt, keine Ahnung, ob das Tier jemandem gehört, nachher heißt es noch, ich hätte ihn gestohlen, aber wenn ich ihn jetzt sehe, überkommt mich die Freude, und die Straße wird ein bisschen heiterer.
Jetzt ist hier August, die Stadt schläft. Der Ferienmonat ist hart, in der António Maria Cardoso kommen keine Autos vorbei, niemand kommt vorbei. Ich gehe zur Rua do Loreto, dort kenne ich ein Mädchen, das an der Straßenbahnhaltestelle lebt, sie ist aus São Tomé und Príncipe, aber geboren in Portugal, sie tut mir leid.
Sie sitzt den ganzen Tag an der Haltestelle der 28, wann immer sie mich sieht, wechseln wir ein paar Worte, wenn ich mit Jardel komme, freut sie sich, sie heißt Fatinha und hat mir gesagt, sie sei zwanzig Jahre alt.
Die Kleine duscht nicht, sie hat schwer Diabetes, und ich...
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