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»Liebe sollte grenzenlos sein«
Amira war eine meiner letzten Interviewpartnerinnen. Der Kontakt kam über eine Freundin zustande. Ich hatte davor mit ihr telefoniert und war sehr froh, dass sie sich zu einem Interview bereit erklärte, ohne mich vorher gesehen zu haben. Bei Tee und Nussecken fingen wir an zu quatschen und das Interview zu führen.
Ich denke, es gibt verschiedene Arten von Liebe. Ich denke, Liebe sollte grenzenlos sein, ohne dass man etwas zurückerwartet. Wenn ich sage, dass ich jemanden liebe oder generell sehr viel Zuneigung für jemanden verspüre, dann erwarte ich nichts im Gegenzug. Also ich gebe, gebe, gebe und will nichts nehmen. Liebe ist Aufopferung, Selbstlosigkeit, diese ganzen Dinge kombiniert. Ich denke, man kann viel dazu sagen. Aber für mich ist Liebe Selbstlosigkeit.
Meine Erfahrung mit Liebe ist, dass ich mehr reinstecke, als ich zurückbekomme. Der Begriff Liebe bedeutet für mich immer geben und nicht nehmen. Ich glaube, das wird von vielen ausgenutzt. Wenn ich mich fallen lasse, dann lasse ich mich auch sehr stark fallen. Ich bin dann mit vollem Herzen, voller Seele und allem dabei. Dann denke ich mir immer, okay, wir sind jetzt so weit, wir können jetzt eigentlich heiraten. Ich bin immer sehr involviert. Für mich ist es immer sehr intensiv. Aber es gibt halt Leute, die nicht so denken, und dann clasht das. Wenn es so weit auseinandergeht, dann frage ich mich: Habe ich mir etwas eingebildet? War das überhaupt so?
Im Moment bin ich jemand, der alles richtig krass empfindet. Eine kleine Geste ist eine Million Euro für mich wert. Auf der anderen Seite können mich kleine Dinge sehr verletzen. Das kann ich dann auch nicht vergessen. Ich denke tagelang darüber nach, und das beeinflusst mein Selbstwertgefühl. Ich denke dann, okay, vielleicht war ich nicht gut genug. Dann kommt diese ganze Debatte: Was heißt gut genug? Für wen gut genug? Bei Rückschlägen suche ich die Probleme nicht bei der anderen Person, sondern bei mir selbst. Liebe ist zwar sehr schön, aber ich muss sie mit Vorsicht genießen, weil ich zu involviert bin. Wenn die andere Person darüberhinweg ist, bin ich das noch nicht. Liebe beeinflusst mich schon sehr stark, im Positiven und im Negativen.
Das ist ein bisschen überspitzt dargestellt. Die Gefühle waren schon sehr stark. Ich dachte, es wäre bei der anderen Person auch so, aber das war nicht der Fall. Die ganzen Vibes haben gestimmt. Ich dachte, wir wären auf der gleichen Wellenlänge. Ich dachte, okay, daraus kann mehr werden. Aber als ich das angesprochen habe, hieß es, das geht zu schnell. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Es hat mich sehr mitgenommen. Ich hatte auch nie wirklich eine Erklärung. Es war so abrupt. Dann musste ich gucken, wie ich damit umgehe. Ich dachte, vielleicht war ich nicht witzig oder hübsch genug. Also, es hat sehr an meinem Selbstwertgefühl genagt.
Ein paar Freunde wussten, was passiert war, aber nicht im Detail. Ich habe das am Anfang nicht vielen erzählt. Meine Freunde wussten zwar teilweise, dass ich bi bin, aber es war nicht so, dass ich offen darüber sprechen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass es komisch rüberkommt, wenn ich über eine spezifische Person rede, die kein Junge ist. Deswegen habe ich mich immer zurückgehalten. Als es vorbei war, habe ich auch gar nicht darüber geredet. Ich bewältige Dinge eher allein. Ich schreibe dann nicht allen Personen: »Ja, ich bin voll traurig.« Das ist eigentlich sehr toxisch. Ich hatte nicht wirklich jemanden, mit dem ich detailliert darüber sprechen konnte, was passiert war. Die Trennung beschäftigt mich immer noch. Ich habe das Gefühl, ich bin darüber hinweg, aber das Gefühl des Verletztseins ist noch da. Ich habe keine Erklärung, warum es passiert ist. Diese Fragen sind noch im Raum, und ich hätte sie gerne beantwortet. Aber es geht nicht.
Ich glaube, da ist dieses Bild von mir, das Leute haben. Es ist eher positiv, witzig. Ich will dieses Bild nicht kaputt machen, indem ich sage, ich bin traurig oderwütend. Generell will ich vor anderen Leuten nicht als schwach dastehen. Aber hauptsächlich habe ich Identitätsprobleme, wenn es um meine Persönlichkeit geht. Deshalb verstelle ich mich oft. Wenn man darüber nachdenkt, ist das Problem, dass ich immer versuche, gut genug für andere Menschen zu sein. Ich stelle meine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. Meine Probleme mache ich mit mir allein aus, weil ich das Gefühl habe, dass es vielleicht langweilig ist, wenn ich über meine Gefühle rede. Oder dass die Leute das Interesse an mir verlieren. Ich denke, es ist diese indirekte Angst, nicht gut genug für die Leute zu sein.
Es gibt diese body dysmorphia, aber ich habe das mit meinem Gesicht. Ich weiß nicht, wie mich andere wahrnehmen. Ich sehe auch auf jedem Bild anders aus. Ich habe immer noch kein festes Bild von mir. Aber nach dem Ende der Beziehung habe ich gedacht, vielleicht habe ich mich komisch verhalten. Vielleicht war meine Körpersprache komisch. Vielleicht war mein Gesicht von der Seite nicht so schön. Diese ganzen Kleinigkeiten habe ich dann gedacht. Dann habe ich mein Gesicht und meinen Körper selbst analysiert. Geschaut, wo ich an meinem Gesicht und an meiner Körpersprache arbeiten kann. Das hat nicht geholfen, weil ich versteift war. Wenn ich zu viel über Dinge nachdenke, dann funktioniert eigentlich gar nichts, dann sinkt mein Selbstbewusstsein. Ich denke, die Probleme waren schon vor ihr da, aber sie hat es richtig krass gemacht. Ich habe mich ihr anvertraut, mit ihr über Sachen gesprochen, die ich niemandem vor ihr anvertraut habe. Sie hat dann trotzdem das gemacht, wovor ich Angst hatte und wovon sie gesagt hatte, dass sie es nicht machen würde. Das war ein weiterer Vertrauensbruch.
Unsere Verbindung war so intensiv, weil wir viel über Gefühle geredet haben. Auch viel über mentale Probleme. Dinge, die ich sonst keinem erzählt habe, habe ich ihr erzählt. Sie hat mir im Gegenzug auch viel erzählt. Ich hatte das Gefühl, dass siemir wirklich zuhört. Wenn ich etwas nicht erzählt habe, hat sie gemerkt, dass etwas anders ist. Sie hat es an meinem Verhalten gemerkt. Wenn ich nicht geschrieben habe, hat sie gefragt: »Ist etwas los?«
Ich habe ihr auch von meinen Ängsten erzählt. Auch, dass ich Angst habe, nicht gut genug für Leute zu sein. Sie wusste das alles. Sie meinte dann, dass ich deswegen keine Angst haben brauche. Sie hat alles dafür getan, dass ich mich richtig fallen lasse. Als es dann so weit war und ich mich fallen gelassen habe, wurde es ihr anscheinend zu viel. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie selbst Probleme hat. Sie ist Türkin, und sie hat mir erzählt, dass sie große Probleme mit ihrer Familie hat. Ihr Vater hatte einen Schlaganfall, war im Krankenhaus. Deswegen ist sie auch weggezogen, weil sie Ruhe brauchte. Keine Ahnung, was letztendlich das Problem war, ob es etwas mit ihrer Psyche zu tun hatte, ob es wirklich an mir lag. Was mich gestört hat, war dieser Vertrauensbruch. Sie hat gesagt, es geht ihr zu schnell. Aber für mich war es ein Vertrauensbruch, weil ich dachte, okay, warum geht es dir zu schnell? Ich dachte, wir sind auf derselben Wellenlänge? Was sie auch oft gesagt hat. Wir haben über ganz viele Dinge geredet. Über Urlaub, im Ernst halt. Dann war es am Ende doch nicht so ernst, und ich habe mich gefragt: Bin ich dumm? Wie konnte ich das nicht merken? Was ist da passiert?
Das sind bei mir ganz viele Problempunkte. Ich würde schon sagen, ich bin eine gläubige Muslima. Ganz am Anfang, als ich gemerkt habe, ich bin bi, habe ich versucht, das zu unterdrücken. Mein Impuls war, zu googeln, wie man im Islam darüber denkt. Natürlich kamen immer nur negative Dinge: dass man es unterdrücken soll, dass es eine Prüfung von Gott ist. Das habe ich mir sehr lange eingeredet. Ich habe auch selbst gemerkt, dass meine Psyche im Arsch ist, weil ich diesen inneren Konflikt hatte: Soll ich so fühlen oder nicht? Soll ich es unterdrücken oder nicht? Letztendlich habe ich Frauen auf der Straße angesehen, wie ich sie islamisch betrachtet nicht ansehen sollte. Dann habe ich mich einfach schlecht gefühlt und Schuldgefühle bekommen. Es hat sich eine Art religiöses Trauma entwickelt, weilich einfach die ganze Zeit alles unterdrücken musste. Wenn ich darüber geredet habe, dann nur im negativen Sinne mit Freunden, die auch muslimisch sind.
Auf der einen Seite glaube ich alles, was im Koran steht. Auf...
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