Schweitzer Fachinformationen
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Ein Schneesturm in Brooklyn, und den Auffahrunfall tut Richard als belanglose Episode ab. Aber kaum ist der eigenbrötlerische Professor zuhause, steht die Fahrerin des anderen Autos vor der Tür. Evelyn ist völlig aufgelöst: In ihrem Kofferraum liegt eine Leiche. Zur Polizei kann sie nicht, denn das scheue guatemaltekische Kindermädchen ist illegal im Land. Richard wendet sich Hilfe suchend an Lucía, seine draufgängerische chilenische Untermieterin, die ebenfalls an der Uni tätig ist. Lucía drängt zu einer beherzten Aktion: Die Leiche muss verschwinden. Hals über Kopf machen sie sich auf den Weg in die nördlichen Wälder, auf eine Reise, die die drei zutiefst verändern wird. Und am Rande dieses Abenteuers entsteht etwas zwischen Richard und Lucía, von dem sie beide längst nicht mehr zu träumen gewagt hatten."Nicht die Schwerkraft hält unser Universum im Gleichgewicht, sondern die Liebe." Isabel Allende erzählt uns eine Geschichte, wie nur sie es kann, beseelt, humorvoll und lebensklug. Eine Geschichte von Flucht, Verlust und spätem Neuanfang. Und davon, wie viel wir Menschen erleiden können, ohne unsere Hoffnung zu verlieren.
Ende Dezember 2015 ließ der Winter noch immer auf sich warten. Weihnachten kam mit seiner Überdosis Glöckchenklang, und die Leute trugen weiter T-Shirts und Sandalen, freuten sich über die Verwirrung der Jahreszeiten oder fürchteten die Klimaerwärmung, während hinter den Fensterscheiben künstliche, mit funkelndem Raureif bestäubte Bäume aufgestellt wurden, die unter Eichhörnchen und Vögeln Verwirrung stifteten. Drei Wochen nach Neujahr, als schon niemand mehr an eine kalendarische Verspätung glaubte, kam die Natur plötzlich zu sich, schüttelte ihre herbstliche Schläfrigkeit ab und ließ den ärgsten Schneesturm seit Menschengedenken über der Stadt niedergehen.
In einer Souterrainwohnung in Prospect Heights, einem Kellerloch aus Zement und Backstein mit einem Schneeberg vor dem Eingang, verfluchte Lucía Maraz die Kälte. Sie besaß das stoische Wesen der Menschen ihrer Heimat: An Erdbeben, an Überschwemmungen, an gelegentliche Riesenwellen und politische Erdrutsche war sie gewöhnt; geschah über geraume Zeit kein Unglück, wurde sie unruhig. Dennoch erwischte sie dieser nach Brooklyn verirrte sibirische Winter auf dem falschen Fuß. In Chile schneite es nur in den Anden und ganz unten im Süden, in Feuerland, wo der Kontinent in Inseln ausperlt, die antarktischen Winde einem den Frost in die Knochen treiben und das Leben hart ist. Lucía stammte aus Santiago, zu Unrecht gepriesen für sein lindes Klima, obwohl die Winter nasskalt, die Sommer trocken und sengend heiß sind. Die Stadt liegt zwischen violetten Bergen, die manchmal am Morgen weiß bemützt sind; dann strahlt das reinste Licht der Welt von den gleißenden Gipfeln wider. Sehr selten fällt über der Stadt ein trauriges, bleiches Puder, das wie Asche aussieht und die Stadtlandschaft nicht aufzuhellen vermag, ehe es zu brauner Matsche verkommt. Weiß ist Schnee nur in der Ferne.
In ihrem Bau in Brooklyn, der einen Meter unter Straßenniveau lag und sich schlecht heizen ließ, war der Schnee ein Albtraum. Die Eisblumen an den kleinen Fenstern machten das einfallende Licht noch schummriger, und die nackten Glühbirnen an der Decke sorgten kaum für Abhilfe. Die Wohnung verfügte nur über das Nötigste, eine wilde Mischung aus mehrfach weitergegebenen, abgewohnten Möbelstücken und ein paar Gerätschaften für die Küche. Ihr Eigentümer, Richard Bowmaster, hatte weder einen Sinn für Dekoration noch für Behaglichkeit.
Das Unwetter begann am Freitag mit dichtem Schneefall und heftigen Böen, die durch die fast menschenleeren Straßen fegten. Die Bäume bogen sich, und der jähe Frost tötete die Vögel, die in der trügerischen Milde des vergangenen Monats vergessen hatten, nach Süden zu ziehen oder sich ein warmes Plätzchen zu sichern. Die Stadtreinigung sollte hinterher säckeweise erfrorene Spatzen fortschaffen. Die mysteriösen Papageien auf dem Friedhof von Brooklyn überlebten den Schneesturm hingegen, wie man drei Tage später feststellen konnte, als sie wieder zwischen den Gräbern herumpickten. Schon seit Donnerstag hatten die Reporter im Fernsehen mit ernsten Mienen und Grabesstimmen, die sonst Berichten über Terroranschläge in fernen Ländern vorbehalten waren, vor dem nahenden Unwetter gewarnt und katastrophale Zustände für das Wochenende vorhergesagt. Für New York wurde der Notstand ausgerufen, und der Dekan der Fakultät, an der Lucía arbeitete, traf die entsprechenden Vorkehrungen und wies alle an, den Unterricht ausfallen zu lassen. Für Lucía wäre es ohnehin ein waghalsiges Unterfangen gewesen, sich nach Manhattan durchzuschlagen.
Den unverhofft freien Tag nutzte sie, um eine Totenerweckungssuppe zu kochen, dieses gehaltvolle chilenische Gericht, das einem Unglücklichen das Gemüt und einem Kranken den Körper stärkt. In ihren zurückliegenden vier Monaten in den USA hatte sie sich in der Cafeteria der Universität ernährt und wenig Lust verspürt zu kochen, außer in den seltenen Fällen, wenn sie von Heimweh befallen wurde oder Freunde zum Essen kamen. Für die Suppe bereitete sie jetzt eine kräftige, gut gewürzte Brühe aus angebratenem Fleisch und Zwiebeln, garte getrennt davon Gemüse, Kartoffeln und Kürbis und gab zu guter Letzt Reis dazu. Sie brauchte sämtliche verfügbaren Töpfe, und die kleine Kellerküche sah schließlich aus wie nach einem Luftangriff, aber das Ergebnis war es wert und verscheuchte das Gefühl von Einsamkeit, das sie befallen hatte, als das Schneegestöber draußen losging. Die Einsamkeit, dieser heimtückische, ungebetene Gast, wurde in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verbannt.
Als am Abend der Wind draußen brüllte, den Schnee um die Häuser trieb und aufdringlich durch die Ritzen pfiff, beschlich Lucía die Urangst ihrer Kindertage. Sie wusste, sie war sicher in ihrer Höhle; ihre Furcht vor der Naturgewalt war haltlos, es gab keinen Grund, Richard damit zu belästigen, außer dass er der Einzige war, an den sie sich unter den gegebenen Umständen wenden konnte, weil er in der Wohnung über ihr wohnte. Um neun gab sie dem Drang nach, eine menschliche Stimme zu hören, und rief ihn an.
»Was machst du so?«, sagte sie und gab sich Mühe, ihre Anspannung zu kaschieren.
»Ich spiele Klavier. Ist es zu laut?«
»Ich höre dein Klavier hier unten nicht, bei dem Weltuntergangsgetöse draußen. Ist das normal hier in Brooklyn?«
»Im Winter ist das Wetter manchmal schlecht, Lucía.«
»Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Einfach Angst, nichts Konkretes. Ich vermute, es wäre blöd, dich zu bitten, dass du kurz runterkommst und mir Gesellschaft leistest. Ich habe eine dicke chilenische Suppe gekocht.«
»Vegetarisch?«
»Nein. Ach, nicht so wichtig. Gute Nacht, Richard.«
»Gute Nacht.«
Sie genehmigte sich einen Pisco und schob den Kopf unters Kissen. Sie schlief schlecht, erwachte immer wieder aus demselben Traumsplitter, in dem sie in einem joghurtsauren, zähen Etwas Schiffbruch erlitten hatte.
Am Samstag war der Sturm auf seinem wütenden Weg weiter Richtung Atlantik gezogen, aber in Brooklyn war es noch immer trüb und kalt und schneite, und Lucía wollte das Haus nicht verlassen, denn auch wenn die Räumdienste bei Tagesanbruch mit der Arbeit begonnen hatten, war in vielen Straßen noch kein Durchkommen. Sie würde jede Menge Zeit haben, um zu lesen und ihre Seminare für die nächste Woche vorzubereiten. In den Nachrichten sah sie, dass der Sturm weiter Verwüstungen anrichtete. Sie freute sich auf die Ruhe, einen guten Roman, Erholung. Irgendwann würde sich jemand finden, der den Schnee vor ihrer Tür räumte. Die Jugendlichen aus dem Viertel würden gewiss bald von Haus zu Haus ihre Dienste anbieten, um sich ein paar Dollar zu verdienen. Sie beglückwünschte sich zu ihrem Dasein in diesem Kellerloch in Prospect Heights, wo sie tun und lassen konnte, was sie wollte. So schlecht war es hier gar nicht.
Am Nachmittag war sie das Eingesperrtsein ein wenig leid, gab Marcelo, dem Chihuahua, etwas von der Suppe ab und kuschelte sich dann mit ihm unter einem Berg von Decken auf die knubbelige Matratze eines Beistellbetts, um mehrere Folgen einer Krimiserie zu schauen. In der Wohnung war es frostig, und sie musste Wollmütze und Handschuhe anziehen.
In den ersten Wochen, als sie mit sich haderte, weil sie Chile verlassen hatte, wo sie wenigstens auf Spanisch lustig sein konnte, tröstete sie der Gedanke, dass alles sich wandelt. Das Unglück von heute ist morgen kalter Kaffee. Tatsächlich waren ihre Zweifel rasch verflogen: Die Arbeit gefiel ihr, sie hatte Marcelo, lernte Leute an der Universität und im Viertel kennen, überall waren die Menschen freundlich, und wenn man dreimal ins selbe Café ging, wurde man schon begrüßt, als gehörte man zur Familie. Die angebliche Kühle der Yankees war ein chilenischer Mythos. Die einzige irgendwie kühle Person, mit der sie zu tun hatte, war Richard Bowmaster, ihr Vermieter. Ach, zum Teufel mit ihm.
Richard hatte den braunen Sandsteinbau, der aussah wie Hunderte...
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