Schweitzer Fachinformationen
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Am 21. September, dem Tag des Frühlingsanfangs nach Miss Roses Kalender, wurden die Räume gelüftet, die Betten und Decken in die Sonne gelegt, die Möbel gewachst und die Fenstervorhänge des Salons ausgewechselt. Mama Fresia wusch die geblümten Cretonnegardinen ohne Kommentar, sie war überzeugt, daß die getrockneten Flecken von Ratten stammten. Im Patio bereitete sie große Tongefäße mit heißer Waschlauge und Panamarinde vor und weichte die Vorhänge einen ganzen Tag darin ein, stärkte sie nach dem Waschen in Reiswasser und ließ sie in der Sonne trocknen; dann wurden sie von zwei Frauen gebügelt, und als sie wieder wie neu waren, wurden sie aufgehängt, um die junge Jahreszeit zu begrüßen. Eliza und Joaquín, gleichgültig gegenüber Miss Roses Frühlingsturbulenzen, liebten sich nunmehr auf den grünen Samtvorhängen, die weicher waren als die aus Cretonne. Es war nicht mehr kalt, und die Nächte waren klar. Sie liebten sich nun schon seit drei Monaten, und Joaquíns Briefe, gewürzt mit poetischen Wendungen und flammensprühenden Liebeserklärungen, waren erheblich seltener geworden. Eliza litt, wenn ihr Geliebter wieder so abwesend war, manchmal umarmte sie ein Phantom. Sosehr das unbefriedigte Verlangen sie auch schmerzte und die ständigen Heimlichkeiten sie belasteten, hatte das Mädchen doch nach außenhin ihre Ruhe wiedererlangt. Sie verbrachte die Stunden des Tages mit denselben Beschäftigungen wie vorher, unterhielt sich mit ihren Büchern und Klavierübungen oder betätigte sich eifrig in der Küche und im Nähstübchen, ohne die geringste Lust zu bezeigen, aus dem Haus zu gehen, aber wenn Miss Rose sie um ihre Begleitung bat, folgte sie ihr bereitwillig wie jemand, der nichts Besseres zu tun hat. Sie ging früh schlafen und stand früh auf wie immer, sie hatte guten Appetit und sah gesund aus, aber Miss Rose und Mama Fresia waren nicht so leicht zu täuschen. Sie ließen sie nicht aus den Augen. Sie bezweifelten, daß der Liebesrausch so plötzlich verpufft sein sollte, aber als Wochen vergingen und Eliza noch immer keine Spur von Verstörtheit zeigte, legte sich ihre Wachsamkeit allmählich. Vielleicht waren die Kerzen für den heiligen Antonius doch etwas nütze gewesen, überlegte die India; vielleicht war es ja gar keine Liebe gewesen, dachte Miss Rose ohne viel Überzeugung.
Die Nachricht von den Goldfunden in Kalifornien hatte Chile im August erreicht. Anfangs war es nur ein verrücktes Gerede von betrunkenen Seeleuten in den Bordellen von El Almendral gewesen, aber ein paar Tage später meldete der Kapitän des Schoners »Adelaida«, daß die Hälfte seiner Matrosen in San Francisco desertiert sei.
»Das Gold ist überall, du kannst es mit der Schaufel einsacken! Man hat Klumpen so groß wie Orangen gesehn! Jeder, der ein bißchen Mumm hat, kann da glatt Millionär werden!« erzählte er, keuchend vor Begeisterung.
Zu Beginn dieses Jahres hatte nahe der Mühle eines Schweizer Farmers am Ufer des American River ein gewisser Marshall im Wasser ein Plättchen Gold gefunden. Dieses gelbe Partikelchen, das den Wahnsinn entfesselte, wurde entdeckt neun Tage nachdem der Krieg zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten mit der Unterzeichnung des Vertrages von Guadalupe Hidalgo beendet worden war. Als sich die Neuigkeit verbreitete, gehörte Kalifornien nicht mehr zu Mexiko. Bevor bekannt wurde, daß dieses Land auf einem unerschöpflichen Schatz saß, war niemandem viel daran gelegen gewesen; für die Amerikaner war es Indianergebiet, und die Pioniere zogen es vor, Oregon zu erobern, wo sich, wie sie glaubten, die Landwirtschaft besser betreiben lasse. Mexiko betrachtete es als eine Ansammlung von Spielhöllen und Gaunern und ließ sich nicht herab, seine Truppen hinzuschicken, um es während des Krieges zu verteidigen. Bald nach dem Fund verkündete Sam Brannan, Herausgeber einer Zeitung und Mormonenprediger, der entsandt worden war, um seinen Glauben zu verbreiten, die Neuigkeit auf den Straßen von San Francisco. Vielleicht hätten sie ihm nicht geglaubt, sein Ruf war ein wenig zwielichtig – es ging das Gerücht, er habe schlechten Gebrauch von dem Geld Gottes gemacht, und als die Mormonenkirche verlangte, er solle es zurückgeben, habe er erwidert, das werde er gern tun, gegen eine von Gott unterschriebene Quittung –, aber er stützte seine Worte mit einer Flasche voller Goldstaub, die von Hand zu Hand ging und die Menge aufpeitschte. Bei dem Schrei Gold! Gold! ließ jeder zweite alles stehen und liegen und machte sich auf zu den Goldfeldern. Die einzige Schule mußte geschlossen werden, weil nicht einmal die Kinder blieben. In Chile hatte die Neuigkeit die gleiche durchschlagende Wirkung. Der Durchschnittslohn betrug zwanzig Centavos am Tag, und die Zeitungen redeten davon, endlich sei El Dorado entdeckt, die Stadt, von der die Conquistadoren geträumt hätten, die Stadt, deren Straßen mit dem kostbaren Metall gepflastert seien: »Der Reichtum der Minen ist so groß wie der, von dem die Geschichten Sindbads erzählen oder das Märchen von Aladins Wunderlampe; stellen Sie sich ohne Angst vor Übertreibung vor, daß der Gewinn sich auf eine Unze pures Gold pro Tag beläuft«, berichteten die Blätter und fügten hinzu, es sei genügend da, um Tausende Männer Jahrzehnte hindurch reich zu machen. Das Feuer der Habsucht breitete sich sofort auch unter den Chilenen aus, die Bergmannsseelen hatten, und im Monat darauf setzte sich die Stampede Richtung Kalifornien in Bewegung. Verglichen mit jedem Abenteurer, der vom Atlantik angesegelt kam, hatten die Chilenen nur den halben Weg zurückzulegen. Die Reise von Europa nach Valparaíso dauerte drei Monate und von dort nach San Francisco weitere zwei. Die Entfernung zwischen Valparaíso und San Francisco betrug keine siebentausend Meilen, während zwischen der Ostküste Nordamerikas und den Fundorten um Kap Horn herum fast zwanzigtausend Meilen lagen. Das war, wie Joaquín Andieta überlegte, ein beachtlicher Vorsprung für die Chilenen, weil sich die zuerst Gekommenen natürlich die besten Goldadern sichern würden.
Feliciano Rodríguez de Santa Cruz stellte die gleiche Rechnung an und beschloß, sich sofort mit fünf seiner besten und verläßlichsten Bergarbeiter einzuschiffen, denen er eine gute Belohnung versprach als Ansporn und als Entschädigung dafür, daß sie ihre Familien verlassen und sich in diese gefahrvolle Unternehmung stürzen sollten. Es nahm drei Wochen in Anspruch, bis Gepäck und Ausrüstung beisammen waren für einen mehrere Monate dauernden Aufenthalt in jenem Land im Norden, das er sich öde und wild vorstellte. Er war erheblich im Vorteil gegenüber der Mehrzahl der Ahnungslosen, die blindlings und ohne die nötigen Mittel loszogen, getrieben von der Lockung eines leicht errungenen Vermögens, aber ohne die geringste Vorstellung von den Gefahren und Mühen des Vorhabens. Er war nicht bereit, wie ein Bauernknecht zu schuften und sich den Rücken krumm zu machen, er wollte mit allem wohlversorgt sein und auch zuverlässige Diener mitnehmen, wie er seiner Frau erklärte, die ihr zweites Kind erwartete, aber darauf bestand, ihn zu begleiten. Paulina gedachte mit zwei Kindermädchen und ihrem Koch zu reisen, dazu mit einer Kuh und Hühnern, um auf See Milch und Eier für die Kleinen zu haben, aber ihr Mann widersetzte sich dem energisch. Der Einfall, mit der Familie auf dem Buckel auf eine solche ungewisse Fahrt zu gehen, war der schiere Wahnsinn. Seine Frau hatte den Verstand verloren.
»Wie hieß noch dieser Kapitän, der, der mit Mr. Todd befreundet war?« unterbrach ihn Paulina mitten in seiner Predigt, während sie, eine Tasse Schokolade auf dem stattlichen Bauch balancierend, an einem Blätterteigküchlein mit Karamel knabberte – das Rezept stammte von den Klarissinnen.
»John Sommers vielleicht?«
»Ich meine den, der das Segeln satt hatte und über Dampfschiffe redete.«
»Genau der ist es.«
Paulina dachte eine Weile nach, dabei futterte sie fleißig ihre Küchlein und überhörte freundlich die Liste der Gefahren, die ihr Mann aufzählte. Sie war runder geworden und glich kaum noch dem grazilen Mädchen, das mit geschorenem Kopf aus einem Kloster geflohen war.
»Wieviel habe ich auf meinem Londoner Konto?« fragte sie schließlich.
»Fünfzigtausend Pfund. Du bist eine sehr reiche Frau.«
»Das reicht nicht. Kannst du mir das Doppelte leihen zu zehn Prozent Zinsen, zahlbar in drei Jahren?«
»Was dir für Sachen einfallen, mein Gott, Frau! Wofür zum Teufel brauchst du so viel?«
»Für ein Dampfschiff. Das große Geschäft ist nicht das Gold, Feliciano, das ist im Grunde nur Flitterkram. Das große Geschäft sind die Bergleute. Sie brauchen alles in Kalifornien und werden bar bezahlen. Es heißt, die Dampfer können geraden Kurs fahren und sind nicht von den Launen des Windes abhängig, sie sind größer und schneller. Die Segelschiffe gehören der Vergangenheit an.«
Feliciano verfolgte seine Pläne weiter, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, die finanziellen Vorahnungen seiner Frau nicht zu mißachten. Mehrere Nächte hindurch konnte er nicht schlafen. Er wanderte durch die protzigen Salons seines großen Hauses, vorbei an Säcken mit Proviant, Kisten mit Werkzeugen, Fässern mit Pulver und Stapeln von Waffen, und maß und wog Paulinas Worte ab. Je mehr er darüber nachdachte, um so richtiger erschien ihm die Idee, in Transport zu investieren, aber bevor er irgendeinen Beschluß faßte, besprach er sich mit seinem Bruder, der sein Partner bei allen Geschäften war. Der hörte ihm mit offenem Munde zu, und als...
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