Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Wie weit ist der Weg, den wir gehen müssen, um im Leben anzukommen? Isabel Allende erzählt von Flucht und Neuanfang und den zärtlichen Verheißungen einer eigentlich unmöglichen Liebe.
Gerade beginnt der junge Katalane Víctor Dalmau seine vielversprechende Karriere als Arzt, da bricht der Bürgerkrieg aus. Seine Familie beschließt, das belagerte Barcelona zu verlassen, und macht sich auf den beschwerlichen Weg über die Pyrenäen. Unterwegs erfährt Víctor vom Tod seines geliebten Bruders an der Front, aber er bringt es nicht über sich, seiner hochschwangeren Schwägerin Roser davon zu erzählen. Als auch in Frankreich kein Bleiben ist, organisiert er in letzter Minute für Roser und sich eine Überfahrt nach Südamerika. Im chilenischen Exil kommen sich die beiden näher. Ist es Liebe? Für sie und Víctor scheint ein spätes gemeinsames Glück greifbar nahe - bis plötzlich eine weitere politische Katastrophe ihre Pläne zu vereiteln droht .
Macht euch fit Jungs, trainiert
zum neuen Töten, neuen Sterben,
bald streut man wieder Blumen aufs Blut.
Pablo Neruda, »Blutig war .« Das Meer und die Glocken
Der kleine Soldat gehörte zur Schnullerkohorte, der Truppe von Kindern, die man rekrutiert hatte, als keine jungen und keine alten Männer mehr übrig waren für den Krieg. Víctor Dalmau nahm ihn zusammen mit anderen Verwundeten in Empfang, die wegen der Eile wenig behutsam aus den Güterwaggons geschafft und wie Baumstämme auf die Strohmatten am Bahnsteig im Nordbahnhof abgeladen wurden, um dort auf weitere Transporte zu warten, mit denen sie auf die Lazarette der Ostarmee verteilt werden konnten. Reglos lag der Junge da, mit dem ruhigen Ausdruck von einem, der die Engel gesehen hat und sich vor nichts mehr fürchtet. Wer weiß, wie viele Tage er schon durchgeschüttelt von einer Trage auf die nächste, von einem Militärposten zum nächsten, von einer Ambulanz in die nächste verladen worden war, bis er schließlich mit diesem Zug Katalonien und den kalten Boden aus Stein und Beton erreichte. Im Bahnhof kümmerten sich mehrere Ärzte, Sanitäter und Krankenschwestern um die Verwundeten, schickten die schwersten Fälle sofort weiter, sortierten die anderen nach der Art ihrer Verwundung - Gruppe A: Armverletzung, Gruppe B: Beinverletzung, Gruppe C: Kopfverletzung und so fort - und verteilten sie mit einem Pappschild um den Hals auf die Krankenhäuser. Die Verwundeten kamen zu Hunderten hier an, für Diagnose und Entscheidung blieben nur wenige Minuten, doch die Aufregung und das Durcheinander hier waren nur vordergründig. Niemand blieb unversorgt, niemand ging verloren. Wer operiert werden musste, wurde nach Manresa ins alte Hospital Sant Andreu gebracht, wer eine andere Behandlung benötigte, in eins der umliegenden Lazarette geschickt, und einige blieben besser, wo sie waren, weil man nichts mehr für sie tun konnte. Freiwillige Helferinnen benetzten ihnen die Lippen, redeten leise mit ihnen und wiegten sie wie ihre eigenen Kinder, weil sie wussten, dass irgendwo anders eine andere Frau dasselbe für ihren Sohn oder Bruder tun würde. Später brachten die Bahrenträger sie in die Leichenhalle. Der kleine Soldat hatte ein Loch in der Brust, und der Arzt, der ihm rasch den Puls fühlte und nichts fand, entschied, dass hier auch Morphium und Trost nicht mehr halfen. An der Front hatte man seine Wunde mit einem Lappen abgedeckt, sie mit einem umgedrehten Blechteller geschützt und dann den Oberkörper verbunden, aber wie viele Stunden, Tage, Züge das her war, ließ sich unmöglich sagen.
Víctor Dalmau war dort, um den Ärzten zur Hand zu gehen. Er hätte die Anweisung befolgen, den Jungen liegen lassen und sich um den Nächsten kümmern sollen, aber er dachte, wenn der Kleine durch den Treffer, den Blutverlust und den Transport nicht gestorben war, dann musste er einen zähen Lebenswillen besitzen und es wäre ein Jammer, müsste er sich jetzt hier auf dem Bahnsteig dem Tod doch noch ergeben. Vorsichtig nahm Víctor den Verband ab und sah staunend, dass die Wunde offen lag und so sauber war, als hätte sie jemand auf diese Kinderbrust gemalt. Er konnte sich nicht erklären, wie das Geschoss die Rippen und Teile des Brustbeins hatte zerschlagen können, ohne dabei das Herz zu zerfetzen. Víctor hatte sich eingebildet, er hätte in den drei Jahren, die er seit Ausbruch des Bürgerkriegs zunächst an der Front in Madrid und Teruel, später im Lazarett von Manresa Dienst getan hatte, bereits alles gesehen und wäre abgehärtet gegenüber dem Leid seiner Mitmenschen, aber ein lebendes Herz war ein neuer Anblick für ihn. Er starrte auf die letzten Schläge, wie sie langsamer wurden, die Pausen länger, bis sie ganz ausblieben und der kleine Soldat ohne ein Seufzen verstarb. Einen kurzen Augenblick sah Víctor wie gelähmt in den roten Krater, in dem jetzt nichts mehr pulste. Von allen Erinnerungen an den Krieg sollte das seine klarste und hartnäckigste bleiben: dieses fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre alte Kind, noch bartlos, verdreckt von der Schlacht, schmutzig von geronnenem Blut, vor ihm auf einer Strohmatte, mit seinem Herz im Freien. Er konnte sich nie erklären, warum er drei Finger der rechten Hand in die grausige Wunde steckte, das Herz umfasste und rhythmisch, völlig ruhig und selbstverständlich einige Male zudrückte, ob dreißig Sekunden oder eine Ewigkeit, er wusste es nicht. Doch dann spürte er, wie das Herz zwischen seinen Fingern zum Leben erwachte, erst kaum merklich bebte und gleich darauf entschlossen und gleichmäßig schlug.
»Junger Mann, hätte ich das nicht mit eigenen Augen gesehen, ich würde es nicht glauben«, sagte in feierlichem Tonfall einer der Ärzte, der unbemerkt zu Víctor getreten war.
Energisch rief er zweimal nach den Trägern und wies sie an, den Verwundeten unverzüglich mitzunehmen, es handele sich um einen besonderen Fall.
»Wo haben Sie das gelernt?«, wandte er sich wieder an Víctor, als die Träger den kleinen Soldaten aufhoben, der weiter aschfahl war, aber atmete.
Víctor Dalmau, der nie viel Worte machte, erklärte in zwei Sätzen, dass er drei Jahre in Barcelona Medizin studiert hatte, ehe er als Sanitäter an die Front gegangen war.
»Und gelernt haben Sie das wo?«, wiederholte der Arzt.
»Nirgends, ich dachte, es gibt nichts zu verlieren, da .«
»Sie hinken.«
»Linker Oberschenkel. Teruel. Heilt ab.«
»Gut. Von jetzt an arbeiten Sie mit mir, hier vergeuden Sie Ihre Zeit. Wie heißen Sie?«
»Víctor Dalmau, Genosse.«
»Lassen Sie das. Für Sie: Herr Doktor, und unterstehen Sie sich nicht, mich zu duzen. Haben wir uns verstanden?«
»Verstanden, Herr Doktor. Aber auf Gegenseitigkeit, bitte. Sie dürfen mich Herr Dalmau nennen, auch wenn das die anderen Genossen treffen wird wie eine Ohrfeige.«
Der Arzt lächelte gequält. Am Tag darauf begann Víctor Dalmau das zu lernen, was seinen Lebensweg prägen sollte.
Wie alle Beschäftigten im Hospital Sant Andreu und den anderen Lazaretten erfuhr auch Víctor Dalmau, dass die Chirurgen sechzehn Stunden lang einen Toten auferweckt und er den OP als Lebender verlassen hatte. Ein Wunder, sagten viele. Fortschritt der Wissenschaft und der Kleine außerdem zäh wie ein Ackergaul, erwiderten andere, für die Gott und die Heiligen abgedankt hatten. Víctor nahm sich vor, den Jungen zu besuchen, wohin man ihn auch verlegt haben mochte, aber gehetzt von den Wirren der Zeit gelang es ihm nicht, den Überblick zu behalten über Begegnungen und Abschiede, Anwesende und Verschwundene, Lebende und Tote. Für eine Weile schien es, als hätte er dieses Herz vergessen, das in seiner Hand gelegen hatte, weil sein Leben so schwierig wurde und anderes vordringlich war, aber Jahre später, am anderen Ende der Welt, sah er den Jungen in seinen Albträumen wieder, und von da an besuchte der Kleine ihn ab und zu, bleich und traurig, mit seinem leblosen Herzen auf einem Tablett. Víctor erinnerte sich nicht mehr an seinen Namen oder hatte ihn vielleicht nie gewusst und nannte ihn aus naheliegenden Gründen Lazarus, der kleine Soldat indes vergaß den Namen seines Retters nie. Kaum dass er sich aufsetzen und ohne Hilfe einen Schluck Wasser trinken konnte, erfuhr er von der Heldentat des Sanitäters im Nordbahnhof, eines gewissen Víctor Dalmau, der ihn aus dem Reich der Toten zurückgeholt hatte. Man bestürmte ihn mit Fragen, wollte wissen, ob es Himmel und Hölle wirklich gab oder ob die Bischöfe sie erfunden hatten, um allen Angst einzujagen. Der Junge war vor Kriegsende wieder gesund und ließ sich zwei Jahre später in Marseille den Namen Víctor Dalmau auf die Brust tätowieren, unterhalb der Narbe.
Eine junge Milizionärin, das Barett schräg auf dem Kopf, um die hässliche Uniform aufzupeppen, erwartete Víctor an der Tür zum OP, und als er mit Dreitagebart und fleckigem Kittel schließlich herauskam, gab sie ihm einen gefalteten Zettel mit einer Nachricht der Telefonistinnen....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.