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»Du weißt doch genau, dass ich nicht wirklich eine Wahl habe, oder?«, frage ich beinahe nebensächlich, wobei ich mich zu meiner Schwester herumdrehe. Reflexartig rutscht mir ein »Autsch!« heraus, als ich einen kurzen Schmerz spüre. Wohl meine eigene Dummheit.
Melissa sitzt derweil hinter mir und lacht mich schallend aus, bevor sie sagt: »Selbst schuld. Ich versuche immerhin gerade, dir einen Zopf zu flechten. Hör einfach auf, so herumzuzappeln.«
Über diesen Kommentar kann ich nur die Augen verdrehen. »Ob ich wie tot dasitze oder nicht, die Haare ausreißen wirst du mir sowieso.«
Das ist zugegeben eine Lüge. Sie agiert seit jeher sehr sanft. Außerdem bezweifle ich, dass sie noch die Kraft besitzt, tatsächlich grob zu sein, selbst wenn sie es wollte.
»Hey, nicht ablenken!«, dringt es von dem Platz hinter mir an meine Ohren. »Du hast mir noch nicht geantwortet.«
»Doch, natürlich war das eine Antwort«, erkläre ich schlicht und etwas trotzig. »Was soll ich groß tun?«
Da ich sie kenne, bin ich mir sicher, dass sie jetzt gerade die Augen verdreht.
»Du weißt genau, was ich meine. Was würdest du tun, wenn du könntest? Oder willst du mir erzählen, du - ausgerechnet du - hast noch nie darüber nachgedacht?«
Zwar klingt Mels Stimme schwach, doch betrachtet man ihren Zustand, kann man sich leicht erdenken, wie energisch ihr kleiner Monolog klingen würde, müsste sie nicht nach jedem halben Satz nach Luft schnappen.
So lasse ich meine Gedanken mit einem leisen, jedoch hörbaren Seufzer abschweifen. Bloß das gelegentliche Ziepen an ein paar Strähnen hält mich weiter im Raum.
»Wenn ich nicht hier wäre .« Tja, wo wäre ich dann? Es ist eine Frage, die ich tatsächlich nicht beantworten kann. Wie sollte ich auch? Ich kenne es nicht anders als so, wie es eben ist, daher kann ich es mir auch nicht vorstellen. Und wieso sollte ich ausgerechnet Melissa diese Frage beantworten? Um ehrlich zu sein, wundert es mich, dass ausgerechnet von ihr so eine Frage kommt. Wenn eine von uns beiden sich mit ihrer Situation abgefunden hat, dann mit Sicherheit .
»So, ihr zwei!« Eine laute Stimme lässt uns zur Tür herumfahren. Sie unterbricht damit abrupt meine Gedanken.
Überraschend kommt sie trotz dessen nicht. Wir wissen immerhin beide einzuschätzen, wann es Zeit für uns wird.
»Für heute ist Schluss! Geht zu Bett. Ihr müsst morgen früh aufstehen. Melissa darf ihren Tagesplan nicht durcheinanderbringen. Ihre Gesundheit ist bekanntlich das Wichtigste!«
Klar. Ihre Gesundheit! Von wegen .
»Sie hat schließlich eine Aufgabe zu erfüllen«, sagt sie abschließend und eindringlich, wobei sie uns ins Visier nimmt. Vor allem mich - diesen lästigen Störfaktor, den man allerdings auch irgendwie noch braucht.
Ich muss an mich halten, um nicht genervt die Augen zu verdrehen wegen dieses lächerlichen Schmierentheaters, welches sich mir Tag für Tag bietet.
Immer wieder diese Märchen über Schicksal und Vorsehung . Unsere Aufgabe, hm? Nichts dergleichen ist daran schuld, dass wir heute hier sind. Nur ein Mann - und dieser Mann ist nicht Gott, auch wenn er es zu gern glauben möchte.
»Sie wäre gesünder, würde der Alte sie nicht die ganze Zeit ausnutzen«, murre ich vor mich hin, als mein Zwilling mein Haar fixiert und mir den fertigen Strang über die Schulter wirft, damit ich ihn inspizieren kann.
»Cool . Danke, Mel«, sage ich und erhebe mich von der Matratze mit dem weichen, rosafarbenen Bezug.
Als ich mich noch einmal zu ihr umdrehe, sehe ich genau in das Gesicht, welches ich schon so oft in meinem Leben gesehen habe. Dieses blasse Antlitz, welches der schalen Spiegelung auf der Oberfläche einer trüben Straßenpfütze gleicht - der matte, kaputte Spiegel meiner selbst.
Wenn ich sie so sehe, zieht sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Ich weiß dann nicht, wie ich atmen soll. Wie ich ihr sagen soll, dass alles gut wird. Ich bin schließlich die Ältere. Und auch jetzt entkommt mir kein Wort des Mutes. Kein aufmunternder Zuspruch.
Ihr welliges, langes blondes Haar - meinem so ähnlich, doch ihres so schwach und spröde - fällt ihr sanft über die Schultern. Der Blick aus den grünen Augen wirkt müde, aber hoffnungsvoll, so wie das zarte Lächeln auf ihren trockenen, aufgeplatzten Lippen.
Wie eine zerstörte Puppe .
»Samantha! Nun komm schon mit.«
Diese Stimme! . Sie macht mich aggressiv.
»Ich komme ja schon!«, meckere ich, doch nach wie vor weiß ich nicht, was ich zu meiner Schwester sagen soll, außer: »Sorry, Mel, wir sehen uns morgen Früh.«
»Gute Nacht, Sam«, höre ich sie noch sagen, als ich den hellen, flauschigen Teppich überquere auf meinem einsamen Weg zur Tür und drehe mich noch einmal zu ihr um. Irgendetwas lag in ihrer Stimme, das ich nicht zu verstehen vermag, was mich jedoch stutzig macht.
Dennoch bleibt ein Gutenachtgruß von meiner Seite leider aus, ebenso wie die Frage nach dem Warum, da ich bereits auf dem Gang vor der Tür stehe und diese direkt vor meiner Nase zugeschlagen wird, als ich gerade den Mund öffnen will.
»Danke .«, ist daher alles, was ich vor mich hin murmle, während unsere hauseigene Cruella de Vil neben mir herläuft und mich bis zu meinem kleinen Zimmer eskortiert wie eine Gefangene, die ich irgendwie auch bin.
»Super! Schon wieder nur unsinniger Müll.« Mit diesen Worten werfe ich einen Stoß Zeitschriften achtlos in den für solcherlei Dinge vorgesehenen Eimer und seufze.
Manchmal frage ich mich, ob sie wirklich glauben, dass ich diesen Schund lese, und wenn ja, was sie sich davon versprechen. Dass es mir plötzlich gefällt, eingesperrt zu sein? Wie ein Vogel im Käfig?
Nein, das ist nicht ganz richtig. Der Vogel im Käfig . Das ist wohl eher Mel. Nur, was bin dann ich?
Eine Frage, auf die ich bis heute keine Antwort weiß, daher versuche ich sie einfach zu ignorieren, als ich mich kopfschüttelnd von der hellen Kommode abwende und in mein beschauliches Zimmer sehe. Es gelingt mir jedoch nicht ganz.
Was ich bin? . Ich bin das Nichts. Die Luft, die meine Schwester zum Atmen braucht. Doch gebe ich ihr nie genug, um auf Dauer überleben zu können. Es reicht einfach nicht aus, um sie zum Abheben zu bewegen. Ihre Flügel sind gebrochen. Verkrüppelt. Nicht fähig zu fliegen .
Ich selbst hatte nie flugfähige Flügel, schwebe nur so vor mich hin. Komme nicht vor und nicht zurück. Das ist zumindest die Art, wie ich mich beschreiben würde.
Schnaubend setze ich einen Fuß vor den anderen auf dem blanken Fußboden aus kalten, polierten und lackierten Holzbrettern. Parkett nannte man es, glaube ich. Doch der Begriff wird kaum noch gebraucht. Heute gibt es fast nur noch das Crain Wood. Einfach nur synthetisches Holz.
Mir ist klar, dass es ein unglaubliches Privileg ist, noch echtes Holz unter den Fußsohlen spüren zu dürfen. Genau deshalb habe ich auch keinen Teppich hier. Doch das Gefühl wird immer einen bitteren Nachgeschmack haben, solange ich lebe.
Als ich so darüber nachdenke, macht es mich wütend. Alles hier . Alles. Es ist falsch! Nichts weiter als Schein. Ein hübscher Glanz, doch nichts davon ist echt. Nicht die Kommode neben der Tür, auf der sich immer wieder diese dummen Zeitschriften stapeln. Nicht der Mülleimer daneben. Nicht der Schrank zu meiner Linken mit dem Spiegel darüber, den ich immer abdecke - nur um zu erkennen, dass, immer wenn ich den Raum verlasse und wieder zurückkehre, jemand das Tuch entfernt hat. Nicht der Fernseher, mit dem ich mir so oft die Zeit vertreibe. Und auch nicht das Bett unter dem einen Fenster, von dem aus ich meine Schwester dabei beobachten kann, wie sie Tag für Tag über den Hof zur Straße läuft, um dort joggen zu gehen - sich gesund zu halten -, um frei zu sein für einen kurzen Augenblick und um dann wieder zurückzukehren in ihren eigenen goldenen Käfig.
Ich trete an den Spiegel heran, um die Decke wieder drüberzuwerfen, als mir neben dem Kleinkram, der mir hin und wieder gebracht wird, eine unscheinbare Notiz auffällt.
»Pass gut auf deine Schwester auf - C«.
Nur eine Zeile. Und ich weiß genau, von wem sie kommt. Dafür muss man kein Genie sein.
»Das ist doch Schwachsinn!« Mit einer aufgebrachten Bewegung wische ich über die Fläche des Tisches und fege dabei den gesamten Bestand zu Boden. Alles. Die Notiz. Stifte. Einen Block. Die Fläschchen. Pillendöschen. Das alte Musikabspielgerät - MP3-Player, glaube ich. Ein paar Schminkutensilien. Sogar die Haarbürste und meine Haarspangen. Und es fühlt sich für einen Moment gut an, einfach dabei zu schreien. Es rauszulassen und nicht einmal zu wissen, wieso genau in diesem Augenblick.
Klar wird mir das Ausmaß meines Ausrasters erst, als ich mich mit den Händen auf der Oberfläche unter mir abstütze und schwer atme. Den Blick hebe ich nur aus Reflex zum noch nicht komplett verdeckten Spiegel.
Das Mädchen, das mich aus der klaren Oberfläche heraus anschaut, erkenne ich nicht wieder, obwohl ich sie jeden Tag sehe. Wann bin ich nur so schwach geworden? . Vielleicht war ich es einfach schon immer.
Meine eigenen grünen Seelenspiegel blicken mir ohne Hoffnung entgegen. Überdruss steht darin geschrieben. Wo ist der Sinn im Leben, wenn man sich immer nur versteckt? Und dann noch vor sich selbst. . Es ist erbärmlich.
Ohne zu wissen, was ich nun tun soll, ziehe ich mit einem Ruck die Decke nach unten, um auch den Rest des verräterischen Glases zu verhängen.
»Was soll es noch?«...
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