Schweitzer Fachinformationen
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Zwanzig Jahre nach dem Abitur lädt Franziska drei Schulfreundinnen zu einer gemeinsamen Bergtour ein. Mit Rucksäcken voller Geheimnisse, Geschichten und Sorgen machen sie sich auf den Weg zum Arlberg. Das Abenteuer beginnt mit einer fröhlichen Pickup-Fahrt zum Fuß des Berges, doch bald schon verfliegt die Leichtigkeit: Der Anstieg zum Stierlochkopf ist beschwerlich, und sie müssen sich den Herausforderungen der Natur stellen.
Ihr Nachtlager schlagen die vier Frauen direkt unterhalb des Gipfels auf. Unter sternenklarem Himmel tauschen sie Erinnerungen an die Schulzeit aus, erzählen von ihren Lebenswegen, da kommt es zum Streit . Die Freundinnen müssen erkennen, dass sie einander nach all den Jahren fremd geworden sind. Ob es gelingt, die Freundschaft zu retten?
Ein Roman über eine besondere Frauenfreundschaft, schicksalhafte Entscheidungen und die inspirierende Kraft der Natur.
Franziska Brenner rannte die gewohnte Route heute schneller als üblich. Sie raste über Gehwege, durch hübsche Wohnsiedlungen hinaus aus dem kleinen Städtchen in die frühlingskahlen Hügel, wo die unzähligen Holzmasten der Hopfenbauern wie verblasste Mikadostäbe in den grauen Himmel ragten. Sie sah die Raben nicht, die sich auf den kreuz und quer gespannten Drahtseilen versammelt hatten. Sie spürte die Kälte nicht, die einzelne Nebelfetzen vom unbedeckten Ackerboden in ihre Atemluft mischten. Sie sah die Sonne nicht, die zwischen den Nebelschichten durch schmale Lücken blinzelte. Franziska rannte. Sie versuchte mit aller Kraft, schneller zu sein als ihre Gedankengespenster.
Doch die Geister blieben hartnäckig. Sie klopften ohne Unterlass in Franziskas Kopf. Mit Gewalt drückten sie gegen ihre Stirn. Schmerzhaft. Pausenlos. Sie füllten ihr Bewusstsein aus, ließen sich nicht abstellen. Sie konnte ihnen nicht davonrennen, und es schien unmöglich, einen Gute-Laune-Satz darüberzulegen. Die bewährten Strategien funktionierten nicht. Es war sinnlos.
Franziska drosselte das Tempo und steuerte auf eine alte Holzbank zu, die am Rand eines Hopfenackers aus dem Bodennebel ragte und sie in ihrer Einsamkeit berührte. Sie lief jeden Tag hier vorbei. Die Bank hatte sie noch nie wahrgenommen. Sie hielt inne, stützte die Hände auf die Knie und wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich beruhigte. Als Franziska aufschaute, sah sie das Hochhaus am Rand von Tettnang und am Horizont den Bodensee, der grau und dunkel schimmerte. Ein Meer der Traurigkeit. Sie setzte sich auf die feuchte Bank und schob die Hände unter die Oberschenkel. Der gestrige Abend lief wie ein Film in ihrem Inneren ab. Schmerzverzerrt kniff sie die Augen zu. Die Erinnerung stoppte nicht. Tränen tropften auf die glänzend schwarzen Leggins. Sie würde Elina verlieren. Elina wollte fort. Viel zu früh. Und vermutlich für immer.
Franziska versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, als sie selbst achtzehn geworden war. Auch sie hatte sich damals voller Energie gefühlt und geglaubt, die Welt warte nur auf sie, sie könne alles erreichen, das Leben sei ein Spiel und das Glück auf ihrer Seite. Niemals hätte sie sich vorstellen können, wie schnell diese jugendliche Euphorie ins Gegenteil umschlagen würde. Sie öffnete die Augen, wischte die Tränen mit dem Handrücken weg und stand auf. Von einem Drahtseil erhob sich ein Schwarm Raben und flog lautlos Richtung See. Franziska schaute den Tieren sehnsüchtig hinterher.
»Es wird Elina ähnlich ergehen wie mir«, dachte sie und wusste doch: »Ich kann es nicht verhindern. Wir sind nun mal als Menschen auf die Welt gekommen, und die Freiheit und das Fliegen sind allein den Vögeln vorbehalten.«
Franziska schwenkte die Arme, um die Kälte zu vertreiben, die plötzlich von allen Seiten gleichzeitig angekrochen kam. Sie konnte nicht länger stehen bleiben, sie trippelte kurz auf der Stelle und joggte dann in ruhigerem Tempo weiter, die gewohnte Strecke entlang. Wie jeden Tag. Wie lange eigentlich schon? Sie versuchte, ihre Konzentration auf Jahreszahlen und Fakten zu lenken. Ihr Geist war damit für eine Weile beschäftigt. Fakten, Daten, Handfestes. Auch wenn es keine fröhlichen Zahlen waren, so war es doch besser, als den Schmerz dahinter fühlen zu müssen. Sie war hier etwa 750 Mal entlanggerannt, seit dem Tag, als sie die Wohnung in Tettnang gefunden hatte. Ihr siebzehnter Umzug damals. Ihr sechzehnter mit den beiden Mädchen. Manchmal waren sie nur ein paar Monate an einem Ort geblieben, einmal aber fast drei Jahre. Doch immer war irgendwann der Moment gekommen, an dem Franziska spürte, dass ihre Geschichte durchgesickert war. Die Blicke der Nachbarn veränderten sich von einem Tag auf den anderen. Sie wurde plötzlich mit Samthandschuhen angefasst. Sie hörte das Gewisper und Geflüster, wenn sie mit den Kindern auf dem Spielplatz schaukelte oder Elina zur Schule begleitete. Wie sie es hasste, das Mitleid, dieses Verstehen-Wollen und doch niemals Erfassen-Können.
Sie waren jedes Mal gegangen, hatten all ihre Habseligkeiten in den klapprigen VW-Bus gepackt und waren weitergezogen. Irgendwohin, wo das Leben günstig und eine passende Einrichtung für Mara in der Nähe war. Immer weit entfernt vom Bodensee, weit fort von ihrer alten Heimat, dem kleinen Dorf in Österreich.
Franziska rannte mit federnden Schritten über den nachgiebigen Waldboden. Sie sprang über die flachen Wurzeln der Fichten und fröstelte, als sie das Geflecht bewusst wahrnahm. Elina war völlig wurzellos. Wie sollte sie einem Sturm standhalten? Elina war ohne Vater aufgewachsen. Sie hatte ihre Großeltern nie kennengelernt, hatte keinerlei Bezug zu Onkeln, Tanten oder Cousins. Da war niemand. Niemand, den Elina kannte. Und es mangelte nicht nur an Verwandtschaft, es fehlte schlicht alles, was Menschen unter dem Begriff »Heimat« zusammenfassten. Die unbeschwerte Kindheit, Erinnerungen an Sonntagsausflüge und Badenachmittage, Grillfeste, Schulfreundinnen, Nachbarinnen, Familienurlaub und Kindergeburtstage. Nichts. Nur Rückblicke auf eine überforderte Mutter und Sonntage in zu kleinen Wohnungen. Elinas einzige Wurzel bestand aus einem dünnen Bändchen zu ihr. Franziska machte sich keine falschen Hoffnungen. Elina würde keine junge Frau werden, die abends ihre Mutter anrief. Sie würde dankbar sein müssen, wenn zu Weihnachten oder zum Geburtstag eine WhatsApp-Nachricht kam. Vielleicht mit einem Smiley. Hoffentlich mit einem lächelnden.
Der Pfad führte aus dem Wald heraus, änderte die Richtung und ging ein kurzes Stück steil den Hügel hinauf. Franziska wurde langsamer, doch sie hielt nicht inne. Der Anstieg wärmte sie. Sie kam ins Schwitzen. Als sie den höchsten Punkt erreicht hatte, öffnete sich wieder die Aussicht auf den See. Der Anblick gab ihr Kraft. Sie legte an Tempo zu. Bei dem Wort Heimat tauchte vor ihrem inneren Auge stets der Bodensee auf. Dabei war sie dort weder geboren worden noch aufgewachsen. In Bregenz am See hatte sie allerdings fünf Schuljahre im Internat verbracht. Rückblickend waren es die besten Jahre ihres Lebens gewesen. Die einzige Zeit, in denen sie Freundinnen an ihrer Seite gehabt hatte. Ihren achtzehnten Geburtstag hatten sie gemeinsam gefeiert. Mit Eierlikör aus altmodischen Glasschalen hatten sie auf Franziskas Zukunft angestoßen und sich ausgemalt, wie grandios das Leben als Erwachsene sein würde. Wie naiv sie damals waren!
Doch diese drei Mädels hatten sie angenommen, wie sie war. In diesem Viererzimmer war sie einfach nur eine Schülerin gewesen. Wie so viele. Sie hatten gestritten und gelacht, über alles geredet und gemeinsam geweint, wenn Susanne wieder mal krank vor Liebeskummer war. Sie hatte für alle die komplizierten Mathehausaufgaben gelöst, Linda hatte Spinnen ausgesetzt und Blumen für den Biounterricht gepresst, und Katja war die Unbarmherzige gewesen. Sie hatte immer freiheraus gesagt, was sie dachte, und das war selten schmeichelhaft gewesen. Durch Katja hatte sie gelernt, sich eine dickere Haut zuzulegen und nicht jede Anspielung persönlich zu nehmen. Was wohl aus ihr geworden war?
Franziska war derart in ihren Erinnerungen gefangen, dass sie den Ast übersah. Mit einem überraschten Aufschrei landete sie unsanft auf dem kalten Waldboden. »Aaah!« Ihr linker Fuß schmerzte. Sie setzte sich auf und betastete vorsichtig den Knöchel. Das rechte Knie und die rechte Handfläche waren aufgeschürft. Das Zentrum des Schmerzes war jedoch eindeutig der linke Knöchel. Sie tastete nach ihrem Handy in der Tasche des Sportshirts. Es schien heil geblieben zu sein. Gott sei Dank, wenigstens das.
Sie war umgeknickt. Nur eine kurze Unachtsamkeit. Weiterlaufen konnte sie nicht. Vielleicht schaffte sie es, nach Hause zu humpeln? Sie schaute auf dem Handy nach der Uhrzeit, schätzte die Entfernung ab. Nein, unmöglich. Sie brauchte Hilfe. Sie entsperrte ihr Handy und rief Elina an. Niemand ging ran. Franziska versuchte es erneut. Vermutlich ließ Elina es einfach klingeln, weil sie glaubte, sie wolle ihr die Sache mit Berlin ausreden. Verflixt noch mal. Sie stellte keine großen Erwartungen an ihre Tochter. Aber war es zu viel verlangt, ans Handy zu gehen, wenn ihre Mutter sie anrief? Franziska gab auf. Elina war stur wie sie selbst. Sie würde ihr eine Sprachnachricht schicken. Vielleicht reagierte sie dann.
»Elina. Bist du daheim? Ich habe mir den Fuß...
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