Schweitzer Fachinformationen
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Ich steige ins Taxi, einen beigen 240 D Mercedes, schätzungsweise Baujahr 1990. Die Sitze sind etwas abgewetzt, und die Fenster stehen alle offen. Mit Höchstgeschwindigkeit prescht der arabische Taxifahrer am Flughafen los. Eigentlich habe ich keine Eile, denn die Dubai International Spine Conference, wo ich einen Vortrag zur endoskopischen Operationstechnik halten werde, startet erst um siebzehn Uhr. Das Fachpublikum besteht aus Operateuren, die weltweit die konventionelle offene Operation am Rücken durchführen. Es sind einige der ganz Großen der Wirbelsäulenchirurgie dabei. Und dann ich, der Speaker Dr. Florian Alfen, mit seiner innovativen Technik.
Es ist unglaublich heiß im Taxi. Leider ist mein Koffer von Muskat/Oman, wo ich einige endoskopische OPs im Al Shatti Private Hospital durchgeführt habe, nicht mitgekommen. Ich bin alle sechs Wochen dort, weil ich die Königsfamilie um den omanischen Sultan Quabus bin Said behandle. Auch die Eliteeinheit der Fallschirmspringer gehört zu meinen Patienten, junge Soldaten mit Bandscheibenvorfällen, die ich im Militärkrankenhaus in Muskat unter militärischer Aufsicht operiere. Die Visiten am Tag nach der OP finden mit Militärärzten in Uniform statt. Am Anfang fand ich das sehr aufregend. Meine Ergebnisse waren bis jetzt sehr gut. Inshallah. So Gott will.
Ausgerechnet heute ist mein Gepäck verloren gegangen. Das ist mir noch nie passiert und gerade jetzt besonders unangenehm, weil ich gleich auf der Bühne stehen muss. Zumindest trage ich schon einen Anzug und habe meine Aktentasche mit dem Laptop sowie allen Dokumenten bei mir. Den Vortrag kann ich also schon mal halten. Während wir uns dem Zentrum von Dubai nähern, spüre ich, wie mir der Schweiß von der Stirn aufs Hemd tropft. Langsam wird mir bewusst, was ein einziges Outfit bedeutet. Hoffentlich funktioniert der Hotelservice reibungslos. Okay, ganz ruhig bleiben.
Vor mir liegt der wichtigste Auftritt meiner Karriere. Im Jahr 2000 habe ich die Endoskopie-Technik am Rücken erlernt und dann eineinhalb Jahre von morgens bis oft tief in die Nacht durchgeführt. Seither weiß ich, dass die offene Bandscheibenoperation am Rücken dem endoskopischen Verfahren unterlegen ist.
Die Endoskopie, sofern man sie beherrscht, richtet also insgesamt weniger Flurschaden am Rücken an und hat geringere Risiken und Nebenwirkungen für Patienten. Auch wenn die Lernkurve für diese Technik lang ist, gehört der Endoskopie am Rücken die Zukunft. Davon bin ich überzeugt! Deshalb habe ich 2002 in Würzburg eine orthopädische Praxis eröffnet, wo ich vorwiegend Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen behandle: Die mit geringen Beschwerden, etwa leichten Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule, therapiere ich mit konservativen orthopädischen Maßnahmen: Medikamenten, Spritzen, Physiotherapie, Massagen und medizinischer Kräftigungstherapie nach Werner Kieser, dem Gründer einer auf Rücken spezialisierten Fitnesskette. Er hat ein Studio neben meiner Praxis, wo ich leihweise zwei seiner Maschinen stehen habe, an denen meine Patienten mit leichten Beschwerden oder nach einer Operation an der Wirbelsäule ihre Rückenmuskulatur aufbauen. Da ist zum einen die sogenannte Cervicalextensor-Maschine zum Training der Muskulatur an der Halswirbelsäule, kurz CE-Maschine; und zum anderen die Lumbalextensor-Maschine zum Training der Muskulatur an der Lendenwirbelsäule, kurz LE-Maschine.
In den 1980er-Jahren forschte der Amerikaner Arthur Jones, ein Pionier auf dem Gebiet des Krafttrainings, zum Thema Rehabilitation an der Wirbelsäule. Er fand heraus, dass die tiefe Rückenmuskulatur eine wichtige Rolle für die Rückengesundheit spielt. Diese Muskelpartie liegt sehr nah an der Wirbelsäule und lässt sich nicht willentlich beeinflussen beziehungsweise steuern. Daher muss sie isoliert trainiert werden, damit die Muskeln am Becken und in den Beinen bei der Rückenstreckung nicht automatisch die Arbeit übernehmen. Um das zu gewährleisten, entwickelte Jones die MedX, einen Vorläufer der heutigen CE- und LE-Maschinen, damit über die Fixierung des Beckens und der Beine der tiefe Rückenstrecker gezielt trainiert wird. Werner Kieser hat das Patent von Arthur Jones erworben und das Training weiterentwickelt.
Patienten mit ernsteren Diagnosen, zum Beispiel einem großen Bandscheibenvorfall oder einer Einengung der Nervenlöcher oder des Spinalkanals, operiere ich endoskopisch. Im Akutfall wäre ein intensives Training der Rückenmuskulatur mit der CE- oder LE-Maschine zu gefährlich. Das ist noch nicht wirklich erforscht. Daher besteht die Gefahr, den bereits vorhandenen Schaden an der Wirbelsäule zu vergrößern.
Die Kooperation zwischen Werner Kieser und mir ist gut für uns beide: Für mich, weil durch die Nähe zum Kieser-Studio potenzielle Rückenpatienten auf mich aufmerksam werden. Und für Kieser, weil ich seine Kunden beim Training berate. Als Arzt sowie Kraft- und Ausdauersportler geht es mir nicht nur darum, meine Kenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben. Ich möchte Menschen zur Bewegung motivieren, eine sehr schöne Aufgabe, die mir viel Spaß macht. Werner Kieser und ich haben uns von Anfang sehr gut verstanden und sogar einige Male Vorträge gemeinsam gehalten. Er erläuterte unter dem Motto »Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz«, wie man trainieren muss, um Operationen zu vermeiden, und ich erklärte, wie man schonend am Rücken operiert, wenn es nicht mehr anders geht.
Das Hupen des Taxifahrers holt mich in die Realität zurück. Das heutige Konferenz-Publikum dürfte gespannt sein, was ich präsentiere. Die Chirurgen, die Mehrheit der Anwesenden, werden vermutlich nicht hören wollen, dass die Endoskopie eine wesentlich schonendere und effektivere Technik am Rücken ist. Verständlich, denn das könnte ihre Expertise, vielleicht sogar ihren Job gefährden. Da darf mich so eine Kleinigkeit wie der Verlust des Koffers nicht zurückwerfen. Bis spätestens morgen, wenn die Live-OPs in einem Krankenhaus vor Ort stattfinden, sollte mein Gepäck angekommen sein. Bei dem Gedanken daran, zu operieren, während ausgewählte Konferenzteilnehmer im OP-Saal oder von der OP-Galerie aus zusehen, kommt Anspannung auf. Es ist ungewohnt, wenn einem so viele Leute über die Schulter schauen. Stopp! Ich fokussiere mich, gehe im Kopf noch einmal meine Präsentation durch, alles auf Englisch selbstverständlich, bis der Taxifahrer mit quietschenden Reifen vor dem Hotel hält. Eine Staubwolke türmt sich neben dem Wagen auf. Ich nehme mein Handgepäck und öffne die Tür. Mein feuchter Anzug verbindet sich sofort mit dem Straßenstaub. Das kann was werden, denke ich und gehe in die Lobby.
Der europäische Spezialist für endoskopische Wirbelsäulenchirurgie checkt mit feuchtem und leicht bräunlich gefärbtem Hemd ein. Ich wohne in der 8. Etage des Hotels, der Vortrag findet in der 4. Etage statt. Alles perfekt organisiert. Noch drei Stunden, bis ich an der Reihe bin. Ich gebe dem Hotelservice meinen Anzug und mein Hemd, in der Hoffnung, dass alles rechtzeitig sauber und gebügelt ist. Dann trinke ich etwas Wasser und ruhe mich eine Weile aus. Als mein Anzug zwei Stunden später gebracht wird, mache ich mich schnell fertig. Denn ich komme nicht gern zu spät. Bei einem Vortrag bin ich lieber deutlich zu früh da, um mich in Ruhe mental auf meine Präsentation einstellen zu können. Hoffentlich ist der General schon da, den ich gestern in Muskat wegen eines sehr schmerzhaften großen Bandscheibenvorfalls operiert habe. Er zählt zu den führenden Militärs im Oman, ist beruflich stark eingespannt und konnte wegen der Beschwerden nicht mehr gehen und stehen. Heute, gerade mal 24 Stunden nach der OP, werde ich ihn dem Publikum als Patientenbeispiel vorstellen.
Als ich kurz vor 17 Uhr den Kongress-Saal betrete und zur Bühne gehe, verstummt das Stimmengewirr. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren in dem bereits verdunkelten Raum, die Temperatur beträgt höchstens 18 Grad, es ist gefühlt eiskalt im Wüstenstaat. Am Podium angekommen, ist es so still im Saal, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Vor mir sitzen rund 200 Wirbelsäulenspezialisten, fast nur Männer. Mein heutiges Ziel besteht darin, ihnen die endoskopische Wirbelsäulenchirurgie näher zu bringen und aufzuzeigen, dass man Operationen am Rücken nicht mehr offen durchführen muss. Ich kann die Skepsis im Raum förmlich spüren.
«Guten Abend, meine Damen und Herren. Herzlich willkommen zu meinem Vortrag über die endoskopische Operation an der Wirbelsäule.« Ich schaue ins Publikum und frage: »Wer von Ihnen führt Wirbelsäulenoperationen durch?«
90 Prozent der Hände schnellen hoch.
»Wer von Ihnen ist mit der Endoskopie am Rücken vertraut?«
Keiner meldet sich.
Okay, das wird Arbeit. Neue Methoden, gerade in der Medizin, werden häufig abgelehnt. Aber ich bleibe entspannt, weil ich die Technik bereits in drei europäischen Ländern eingeführt habe und anfängliche Skepsis gewohnt bin. Ich habe spannende OP-Filme dabei und natürlich meinen Patienten, den General. Außerdem kenne ich alle offenen Verfahren an der Wirbelsäule und habe sie praktiziert, denn ursprünglich komme ich aus der Neurochirurgie. Wäre das nicht der Fall, bräuchte ich hier gar nicht anzutreten.
Als Erstes erläutere ich den Anwesenden den Unterschied zur klassischen offenen Bandscheibenoperation: Bei der Endoskopie wird das Gewebe des Bandscheibenvorfalls über ein Instrument von 6,2 Millimeter Durchmesser, das mit Kamera, Arbeits- und Spülkanal ausgestattet ist, entfernt. Der Eingriff wird über einen Zugangsweg durch den Nervenkanal, etwa zwölf bis vierzehn Zentimeter von der Wirbelsäule...
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