Schweitzer Fachinformationen
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Montag, 19. November 2018
Ich schaue auf die Uhr. 8 : 19 Uhr. Beinahe auf die Minute pünktlich. Mehr als genug Zeit für eine kleine morgendliche Trainingseinheit, bevor ich dann um 8 : 54 Uhr die Frühstückseier aufsetze. Zwei Eier, fünf Minuten, für den perfekt flüssigen Dotter. Drei Tage hat es gebraucht, bis ich das raushatte, aber das war es wert.
Doch vor den perfekten Eiern kommen zuerst noch zwanzig Minuten Cardio. Es war eine kleine Offenbarung dahinterzukommen, dass bloß zwanzig Minuten Training am Tag - mit einem Ruhetag meiner Wahl dazwischen - mehr als genug sind, um fit und in Form zu bleiben. Ich habe ein Lieblingsworkout auf YouTube, aber hin und wieder mache ich auch mal was anderes, nur der Abwechslung wegen, damit es nicht langweilig wird. Und das Schöne am häuslichen Training, so ganz allein, ist, dass niemand sieht, wie ich nach sechs Runden Liegestützen und Strecksprüngen keuchend nach Luft schnappe.
Auf das Cardio-Training folgt immer ein bisschen Entspannung: Dehnen, Atemübungen und positive Affirmationen. »Ich nehme mich selbst bedingungslos an«, gehört zu den neuesten Sätzen in meinem Repertoire. Heute Morgen kämpfe ich wieder einmal damit, mir das selbst abzunehmen; leicht über die Lippen geht es mir nicht. Diane, meine Therapeutin, sagt, ich soll trotzdem weitermachen, es müsse mir zur Gewohnheit werden, damit der neue Glaubenssatz wirken kann. Ich habe ihr gesagt, ich sei mir nicht sicher, ob man schamlose Lügen als Affirmationen benutzen sollte, was schließlich zu einem langen Hin und Her über Selbstsabotage führte.
Das morgendliche Fitnesstraining beendet, die Eier im Topf, stecke ich zwei Scheiben Sonnenblumenbrot in den Toaster und röste sie golden braun. Ich streiche eine bisschen Butter darauf, schneide sie fein säuberlich in schmale Streifen und platziere sie auf einem Teller. Als Nächstes kommen die Eier in die gepunkteten Becher und werden geköpft (das Beste an der ganzen Sache), und dann setze ich mich mit meinem Tee, die Tasse passend zu den Eierbechern, an den Tisch. Es ist 8 : 59 Uhr. Perfekt. Solche kleinen Erfolgserlebnisse bereiten mir ein geradezu diebisches Vergnügen.
Danach arbeite ich ein paar Stunden offline, mache mir zum Mittagessen ein Käse-Gurken-Sandwich und gehe schließlich ins Netz. Ich versuche, meine Online-Zeit zu begrenzen, weil ich nur zu gut weiß, wie leicht man sich in den unendlichen Weiten des Webs verfranzen kann. Eine Stunde im Netz kommt einem vor wie zehn Sekunden in der realen Welt. Ich habe mir sogar mal einen Zeitplan erstellt, ihn allerdings schnell wieder verworfen, weil er überhaupt keinen Spielraum ließ für spontane Google-Momente, wie beispielsweise, wenn man ganz dringend ein Rezept für Béchamelsoße braucht oder sich partout nicht an den Namen der fünften Ehefrau von Heinrich dem Achten erinnern kann (der fiel mir neulich zum Thema Frauenfeindlichkeit ein, und immer verwechsele ich die Katherinas).
Ich weiß, manche Menschen halten das Internet für die Wurzel allen Übels, aber ohne Netz könnte ich hier so ganz alleine nicht überleben. Buchstäblich. Alles, was ich zum Leben brauche, kann ich mir bequem nach Hause liefern lassen, oft sogar innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Frische Milch und Tampons und Batterien und Bücher. Ich muss nicht mal die Haustür aufmachen, wenn mir gerade nicht nach fremden Menschen ist. Ich habe einen Postkasten an der Haustür, groß genug selbst für Pakete. Eigenhändig angebracht und ziemlich stolz darauf.
Glücklicherweise habe ich irgendwann eine clevere App entdeckt, die meine Verweildauer im Netz nachhält und automatisch die Verbindung trennt, sobald mein Tageslimit von acht Stunden erreicht ist. Bis zu sechs Stunden bin ich der Arbeit wegen online, je nachdem, an wie vielen Projekten ich gerade sitze, mir bleiben also täglich nur noch zwei Stunden für misogyne Monarchen und alles andere. Und jedes Mal wundere ich mich wieder, wenn mein Limit erreicht ist. Aber es zwingt mich dazu, meine Zeit sinnvoll zu nutzen und auch noch andere Sachen zu machen.
Ich lese die neuesten Nachrichten (heute ist Weltmännertag, und sofort rattert mein Hirn einen ganzen Rattenschwanz an Meinungen und Gedanken zum Thema toxische Männlichkeit herunter), dann gehe ich auf GemeinsamSindWirStark, das Online-Selbsthilfe-Forum, bei dem ich mich angemeldet habe, nachdem Sadie mir irgendwann einen Link mit dem Betreff »GUCK DIR DAS AN!!!« geschickt hatte. Wieder mal eine ihrer genialen Ideen. Von denen hat sie viele. Ständig schickt sie mir Links zu neuen Büchern oder Artikeln, immer in der Hoffnung, irgendwas davon könne mir den entscheidenden Schubs versetzen, wieder ein normaler Mensch zu werden. Sie mailt mir Restaurantkritiken, schickt mir Groupon-Deals für Spa-Wochenenden und Nachmittagstee-Angebote. Nur so, schreibt sie dazu. Ich lösche sie ausnahmslos, ohne sie überhaupt zu lesen. Ich weiß, Sadie meint es nur gut, aber ich will meine Freizeit nicht damit verplempern, irgendwelche Forschungsarbeiten über Sozialphobien zu lesen oder Bücher über Platzangst von Menschen mit wahllos aneinandergereihten Buchstabenkürzeln hinter dem Namen.
Nur, damit wir uns nicht missverstehen, ich habe so was nicht.
GemeinsamSindWirStark war eine von Sadies besseren Ideen. Ich mag die Anonymität von Internetbekanntschaften, und es ist irgendwie tröstlich zu wissen, dass ich nicht die Verrückteste im ganzen Land bin. Heute sind achtundneunzig User online - ziemlich normal für einen Montagmorgen. Abends und am Wochenende ist deutlich mehr los, logisch. Ich habe das große Glück, von zu Hause zu arbeiten und mir meine Arbeitszeit frei einteilen zu können und nicht im üblichen Neun-bis-fünf-Hamsterrad festzustecken. Das vermisse ich kein bisschen. Oft arbeite ich bis spätnachts - ich finde es herrlich, wach zu sein, während die Stadt ringsum längst schläft.
Ich sage einigen der üblichen Verdächtigen Hallo und erkundige mich, wie ihr Wochenende so war. Janice (WEEJAN) hatte Stress mit ihrer aufmüpfigen Teenie-Tochter, hat es aber in einem Akt bewundernswerter Selbstbeherrschung geschafft, nicht gleich die ganze Quality-Street-Dose leer zu futtern (sie hat bloß acht Pralinen gegessen und sich hinterher auch nicht übergeben). Gary (RESCUEMEPLZ) erzählt von seinem katastrophalen Absturz - allen guten Vorsätzen zum Trotz - , aber was soll er auch machen, wenn die Wartezeit für einen Therapieplatz mittlerweile achtzehn Monate beträgt? Ich erzähle ihm, dass ich zwölf Monate habe warten müssen, bis meine Therapeutin Diane einen Platz für mich freihatte. Sie ist zwar nicht unbedingt mein Lieblingsmensch, aber nach den Gesprächen mit ihr geht es mir immerhin nicht schlechter als vorher. Janice schlägt vor, er solle sich doch für fünfzig Pfund die Stunde selbst einen Therapeuten suchen. Gary meint, die Zeiten seien hart, und er könne es sich nicht leisten, fünfzig Pfund die Stunde für so was hinzublättern. Worauf Janice etwas spitz anmerkt, dass er für Bier und Wodka doch bestimmt genauso viel in der Woche ausgibt, was nicht besonders gut ankommt. Ich lasse die beiden weiter über die Gefährlichkeit eigenmächtiger Selbstmedikation und die Stärken und Schwächen des Gesundheitssystems zanken. Wie üblich werden sie sich endlos im Kreis drehen und am Ende zu keinem Ergebnis kommen. Gerade will ich mich schon ausloggen, als ein privates Chatfenster auf dem Monitor aufpoppt.
CATLADY29: Hallo?
Mein Cursor schwebt unschlüssig über dem Profilbild - eine flauschige weiße Katze, die mir unwillkürlich ein Lächeln entlockt. Rasch überfliege ich die dazugehörigen Angaben: weiblich, 29, Glasgow.
PUZZLEGIRL: Hi!
CATLADY29: Ich weiß nicht, ob ich das so richtig mache. Ich bin zum ersten Mal hier . Ich brauche einfach nur jemanden zum Reden .
PUZZLEGIRL: Hey, ja, alles gut. Ich bin Meredith.
CATLADY29: Hi Meredith. Ich bin Celeste.
PUZZLEGIRL: Hi Celeste. Ich habe gesehen, du wohnst in Glasgow? Immer schön, andere Weegies kennenzulernen.
CATLADY29: Dann kommst du auch aus Glasgow? Oh, prima, da hat man gleich das Gefühl, mit einem echten Menschen zu reden. Wo wohnst du denn?
PUZZLEGIRL: Ich bin auf jeden Fall echt.
CATLADY29: Ich bin gerade in eine neue Wohnung in der Stadtmitte gezogen. Um die Ecke von der Kunsthochschule.
PUZZLEGIRL: Echt jetzt? Das ist mein altes Pflaster. Die guten alten Zeiten!
CATLADY29: Ich wohne in der Sanderson Street.
PUZZLEGIRL: Nicht im Ernst. Da habe ich auch mal gewohnt. Hausnummer 48. Wohnung A.
CATLADY29: Meredith, das glaubst du mir jetzt nicht. Ich wohne in 48D.
PUZZLEGIRL: OMG! Wie verrückt ist das denn? Die Wohnung gleich oben drüber!
CATLADY29: Wahnsinn, oder? Bis wann hast du denn hier gewohnt?
PUZZLEGIRL: Ich bin vor ungefähr fünf Jahren ausgezogen. Dachte, es wird Zeit, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und mir was Eigenes zu kaufen. Wie gefällt's dir da?
CATLADY29: Die Lage ist grandios. Aber die Wohnung ist winzig. Kaum größer als ein Katzenklo.
PUZZLEGIRL: LOL! Daran kann ich mich noch gut erinnern. Wo wir gerade bei Katzen sind . wer ist denn die weiße Schönheit auf deinem Profifoto?
CATLADY29: Ah, ja, das ist...
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