1 - Eutonie [Seite 1]
2 - Inhalt [Seite 6]
3 - Zum Geleit: Der geistige Ort der Eutonie [Seite 8]
4 - Vorwort [Seite 12]
5 - Teil I: Die Prinzipien der Eutonie [Seite 24]
5.1 - 1. Was ist Eutonie? [Seite 25]
5.2 - 2. Eutonie-Pädagogik [Seite 39]
5.3 - 3. Eutonie-Therapie [Seite 52]
6 - Teil II: Anwendungen der Eutonie [Seite 66]
6.1 - 4. Eine Auswahl schriftlicher Aussagen, Zeichnungen und Modelagen nach einem kurzen ersten Eutonie-Versuch [Seite 67]
6.2 - 5. Unser Körperbild [Seite 73]
6.3 - 6. Kontrollstellungen [Seite 88]
6.4 - 7. Physiologische Aufzeichnungen [Seite 93]
6.5 - 8. Spontan entstandene Aquarelle und Zeichnungen nach Eutonie-Behandlungen und Gruppenstunden [Seite 95]
7 - Teil III: Eutonie im Wandel [Seite 100]
7.1 - 9. Die Bedeutung der Eutonie für das Gesundheitswesen [Seite 101]
7.2 - 10. Methodenbeschreibung für den Studiengang Gesundheitsberufe an der European Universityof Health (EUH) [Seite 115]
7.3 - 11. Eutonie in der Prävention - Praxis und Forschung [Seite 127]
7.4 - 12. Körperbewusstheit in Empirie und Wissenschaft [Seite 136]
7.5 - 13. Eutonie für Musiker [Seite 139]
7.6 - 14. Körperwahrnehmung - Körperbewusstheit: Die Wirklichkeit des Augenblicks [Seite 160]
7.7 - 15. Hommage an Gerda Alexander zu ihrem 100. Geburtstag [Seite 167]
8 - Lebensdaten und Werke Gerda Alexanders [Seite 188]
9 - Literaturverzeichnis [Seite 192]
10 - Sachregister [Seite 196]
Im Zusammenspiel mit dem Partner und mit der Gruppe erfahren wir die Voraussetzungen für das soziale Verhalten. Das Akzeptieren des Anderen in seiner einmaligen Verschiedenheit in Einfühlung und Anpassung ohne Verlust der eigenen Individualität. Es wäre zu wünschen, dass viele Jugendliche von diesen Möglichkeiten, deren Erforschung ich meine Lebensarbeit gewidmet habe, Gebrauch machen könnten. Dabei ist ein steter Realitätsbezug als eine Hauptquelle der Spontaneität und ihrer Objektivierung von überragender Bedeutung. Denn es ist nicht gleichgültig, auf welche Weise man sich selbst verwirklicht. Unternimmt man die Suche im fortwährenden Kontakt mit der Umwelt, so entgeht man dem Risiko, sich im gefährlichen Nebel von Ideologien zu verlieren. Das Wesentliche in der Gestaltung unserer Schicksale ereignet sich durch das Einbezogensein in das Alltagsleben. Durch diese ihre Grundhaltung berührt sich die Eutonie mit den großen geistigen Strömungen des 20. Jahrhunderts, zu welchen wesentlich die «neue Pädagogik» gehört.
Das erklärt, warum ich in Frankreich auf ein so tiefes Verständnis meiner Arbeit gestoßen bin bei einer Vereinigung, deren Tätigkeit auf der Idee der neuen Erziehung beruht, vor allem bei den «Centres d' Entraînement aux Méthodes d' Education Active», mit denen ich seit vielen Jahren zusammenarbeite. Der Versuch, das Sein in seiner Ganzheit zu erfahren, ausgehend von einem lebendigen Kontakt, aus erlebten und wahrgenommenen Erfahrungen mit der Umwelt, steht im Zusammenhang mit den Grundgedanken der neuen Erziehung, als Weg zur Selbstwerdung durch die völlige Offenheit für die Menschen und für das Gesamtphänomen des Lebens. Durch diese Parallele zwischen Eutonie und neuer Erziehung wird noch ein Weiteres deutlich: die Achtung vor der Person. Durch ihre Ablehnung jeglicher Normierung und jeglichen Vorbildes, der Ritualisierung von Gesten oder der Mechanisierung von Bewegungen, jeder bloßen Zweckhaftigkeit, ergibt sich die Parallele von Eutonie und «neuer Erziehung». Das schließt ein, dass dem Schüler die Hauptrolle in der Eutonie-Arbeit zufällt. Er muss selber seine Entdeckungen machen und an seiner Entwicklung arbeiten. Erziehung und Rehabilitation sind darum in erster Linie Sache des Betroffenen, nicht die des Lehrers, dessen Rolle vielmehr darin besteht, diesen Prozess zu fördern, was von bloßer Passivität ebenso entfernt ist wie von normierender Einwirkung auf den Schüler.
Darum ist die Eutonie keinesfalls eine Methode im traditionellen Sinn, sondern eine neue Haltung gegenüber den Menschen und dem Leben. Die spezifischen Verfahren, die sie anbietet und die heute ein zusammenhängendes Instrumentarium von Arbeitsvorschlägen bilden, sind allein in dieser Sicht sinnvoll. Aber gerade darum ist die Eutonie ebenso wie die neue Erziehung umstritten. Die in Geschichte und Gesellschaft gründenden Widerstände, denen sie begegnet und die hier nicht zu analysieren sind, sind nicht allein für diese Situation verantwortlich. Vielmehr ist unsere geistige Verfassung noch so wenig auf die erforderlichen Veränderungen vorbereitet, dass selbst jene, die sich auf die Eutonie berufen, sie häufig verfälschen, ohne sich dessen bewusst zu sein - wobei sie allen möglichen Formen entfremdender Anwendung Vorschub leisten und dadurch den Sinn der Eutonie so weit entstellen, dass nur noch eine Ansammlung bloßer Techniken übrigbleibt.
Kopenhagen, im März 1978
Gerda Alexander