Schweitzer Fachinformationen
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»Ich sehe ihn vor mir, wie er in der Tür stand, in weißer Hose und Hemd, ganz verdreckt und voller Blutflecken. Es war Schützenfestmontag, deshalb trug er die Uniform. Er war völlig aufgelöst. >Ich bring' ihn um, ich mach' ihn fertig!<, hat er gerufen.« Susanne Asshauer atmete tief durch und tupfte sich vorsichtig die Augen, damit ihre Wimperntusche nicht verschmierte. Sie sah ganz anders aus, als Thorsten sich eine Sauerländerin vorgestellt hatte. Ihre Kleidung war die einer Geschäftsfrau. Sie trug die blonden Haare in einem modischen Kurzhaarschnitt und war dezent geschminkt.
Als Thorsten ihr Haus betreten hatte, war ihm als Erstes das mächtige Geweih gegenüber der Eingangstür ins Auge gesprungen, das dort an der holzvertäfelten Wand prangte. Ein Rothirsch, wie Susanne Asshauer ihm stolz erklärte. Der größte, der hier je einem Jäger vor die Büchse gekommen war.
Sie wohnte in einem Fachwerkhaus mit Geranien an den Fensterbänken. Dicke Balken vor der Vorderfront stützten einen großzügigen Balkon. An ihnen wuchs eine dichte Kletterrose empor, deren Triebe bis hinauf auf die Plattform reichten und sich dort um das Geländer wanden.
Susanne Asshauer führte Thorsten ins Esszimmer, das mit alten, aber augenscheinlich teuren Möbeln eingerichtet war. Sie war die Schwester des Toten und hatte ihn bereits erwartet. Neuigkeiten schienen hier schnell die Runde zu machen.
Ein Mann erhob sich bei seinem Eintritt und reichte ihm die Hand. Er war um die 1,90, etwa so groß wie Thorsten selbst, hatte aber vollere und dichtere Haare und einen gepflegten Vollbart, in dem sich schon weiße Strähnen zeigten. Er trug eine dunkle Anzughose und ein gestreiftes Hemd. Jäger schien er nur in seiner Freizeit zu sein.
»Gerd Asshauer«, stellte er sich vor. »Bitte nehmen Sie Platz. Sie müssen das Durcheinander entschuldigen, wir haben eben erst von dem Unglück erfahren.«
Mit dem Durcheinander meinte er wohl die zwei Fernsehzeitungen, die auf dem Esstisch lagen, denn sonst war alles penibel sauber und ordentlich. Thorstens Blick wanderte über die goldgerahmten Bilder, die an den Wänden hingen: Hier ein Reh, da ein Jäger mit Hund und Flinte über der Schulter, alles Szenen aus Wald und Natur. Im Hintergrund schallte Musik von Bushido aus einem Zimmer, was nicht so ganz zur Landhausidylle passen wollte.
»Sie sind passionierter Jäger, wie?«, fragte Thorsten.
Herr Asshauer nickte lächelnd. »Meine große Leidenschaft«, gab er nicht ohne Stolz zu. »Ein Ausgleich zur Arbeit am Schreibtisch. Ich bin Steuerberater, müssen Sie wissen. Meine Frau ist Anwältin, wir haben zusammen in Brilon eine Kanzlei.«
Daher kommt also das Geld, dachte Thorsten. Laut sagte er. »Bei so einem arbeitsintensiven Beruf bleibt wohl nicht allzu viel Zeit für Hobby und Familie?«
»Die Jagd ist mehr als ein Hobby, Herr Seidel«, belehrte ihn Gerd Asshauer. »Das ist ein Lebensinhalt. Dafür kann ein Beruf auch mal zurückstehen.«
»Oder die Familie«, bemerkte Thorsten.
Asshauer zuckte mit den Schultern. »Mein Frau wusste schon vor der Hochzeit, dass sie einen Jäger heiratet, nicht wahr, meine kleine Ricke?«
»Jetzt lass doch die Jagdgeschichten beiseite, Gerd«, wies sie ihn sanft zurecht. Sie hatte Thorsten einen Kaffee gemacht. Frisch gemahlen aufgebrüht, cremig und schwarz wie die Nacht; definitiv aus einem Kaffeevollautomaten. Herrlich.
Sie ging noch mal in den Flur und klopfte nachdrücklich mit der flachen Hand gegen die Tür, aus der Bushido rappte. »Benni, würdest du die Musik etwas leiser drehen?« Als sich nichts tat, klopfte sie noch etwas lauter und rief »Benni!« Leider waren ihre Mühen erfolglos und auch ein energisches Rütteln an der verschlossenen Tür brachte sie nicht weiter.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie noch mal. »Er ist fünfzehn.«
Thorsten nickte verständnisvoll. Sie waren alle einmal fünfzehn gewesen. Er stellte die üblichen Fragen zum Umfeld des Toten und erfuhr, dass Jürgen Gruber bei Hochsauerland Energie in Enste gearbeitet hatte und ein Einzelgänger gewesen war. Außer seiner Schwester hätte er keine Familie am Ort gehabt.
Ob er auch Jäger gewesen sei?
»Nee«, lachte Gerd Asshauer abschätzig. »Der war kein Jäger. Der war so ein Veganer, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Vegetarier«, korrigierte seine Frau.
»Und gab es Spannungen zwischen Ihnen deswegen?«
»Spannungen?« Gerd Asshauer schnaubte wieder. »Der Jürgen war ein verdammtes selbstgefälliges Arschloch - entschuldige, Susanne. Er hat etliche Leserbriefe an die Zeitungen geschrieben, in denen er über das neue Jagdgesetz schwadronierte, und dass es nicht weit genug gehe. Er hat keine Gelegenheit ausgelassen, öffentlich über uns herzuziehen.«
Thorsten glaubte sich erinnern zu können, dass er von diesem Jagdgesetz eine Überschrift in der Zeitung gesehen hatte, aber da ihn das Thema nicht interessierte, hatte er ihn nicht gelesen. »Was hat es denn mit diesem neuen Jagdgesetz auf sich?«
»Das ist ein Mist, den uns Rot-Grün eingebrockt hat«, erklärte Asshauer in einem Tonfall, der deutlich zeigte, was er selbst von der derzeitigen Regierung NRWs hielt. »Wir dürfen zum Beispiel keine wildernden Katzen mehr schießen. Das ist doch Wahnsinn! Jede Katze tötet im Jahr mehr als 300 Kleinvögel und Kleinsäugetiere. Das hat doch nichts mehr mit Ökologie zu tun, das ist reine Parteiideologie!«
»Und Ihr Schwager .«, lenkte Thorsten das Thema wieder auf den Fall.
»Mein Schwager hat stets darauf geachtet, dass Gesetze genau eingehalten werden«, griff Asshauer seinen Wink auf.
»Mein Bruder hat sich immer überall eingemischt«, erklärte Susanne Asshauer mit Bedauern in der Stimme. »Nicht nur bei den Jägern. Die Müllers hat er mal angezeigt, weil sie ein Stück zu weit auf dem Bürgersteig geparkt haben.«
Ihr Mann nickte. »Und wenn draußen in der Jagdhütte zu laut gefeiert wurde, hat er regelmäßig die Polizei gerufen.«
So einer also! »Da macht man sich auf so einem Dorf bestimmt nicht nur Freunde«, vermutete Thorsten.
»Das stimmt leider«, sagte Susanne Asshauer. »Aber er war schon immer so. Schon in der Schule ist er nicht gut mit anderen klargekommen. Ich fürchte, unsere Eltern haben ihn als Kind zu sehr verwöhnt. Er ist immer etwas Besonderes für sie gewesen. Mein Bruder war der Sohn, den sie sich immer gewünscht hatten.«
Das war für seine Schwester bestimmt nicht einfach gewesen. Thorsten machte sich Notizen, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, erst einmal alles zu sammeln, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen. Probleme gab es schließlich in jeder Familie.
In diesem Moment wurde Bushido um einiges lauter, da sich die Tür öffnete und ein Jugendlicher mit Baseballmütze, weißem T-Shirt und übergroßer Jeans ins Esszimmer kam und wortlos begann, Cornflakes in eine Schüssel zu kippen.
»Guten Morgen, Benjamin«, sagte Gerd Asshauer in strengem Tonfall. »Das ist ja schön, dass ich dich auch mal zu Gesicht bekomme. Wann bist du denn heute Morgen nach Hause gekommen? Und wo bist du gewesen?«
»Bei Lumme«, grummelte der Teenager und Thorsten beobachtete fasziniert, dass Hose und Gürtel bereits knapp unter seinem Gesäß endeten, welches nur von bunten Boxershorts bedeckt wurde. Er fragte sich, wie sie dort hielten ohne herunterzurutschen.
»Ich finde es nicht gut, dass du dich immer mit diesem Taugenichts herumtreibst!«, schimpfte sein Vater.
»Du könntest wenigstens mal grüßen.«, ermahnte die Mutter ihren Sohn. »Das ist Herr Seidel von der Kriminalpolizei.«
»Morgen«, brummte Benjamin, ohne sich umzusehen. Er stellte die Milch zurück in den Kühlschrank und schlurfte mit den Cornflakes in der Hand zurück in sein Zimmer.
»Und stell bitte die Musik leiser!«, rief sie hinterher.
Das Knallen der Tür war die einzige Reaktion auf ihre Worte.
»Entschuldigen Sie«, sagte Frau Asshauer noch einmal zu Thorsten.
»Du lässt ihm immer alles durchgehen!«, meinte ihr Mann vorwurfsvoll.
»Aber du!«, entgegnete sie wütend. »Wer hat ihm denn ständig diese Ballerspiele gekauft?« Sie brach in Tränen aus.
»Entschuldigen Sie«, presste sie hervor und schnäuzte sich wieder. »Es ist alles ein bisschen viel für uns.«
Gerd Asshauer legte ihr die Hand auf die Schulter. »Du solltest dich ein wenig hinlegen, Susanne. Wenn das alles war, Herr Kommissar .«
»Ich muss Sie noch fragen, was Sie Samstagabend gemacht haben.«
»Aber Sie glauben doch nicht, dass mein Mann.«, begann Frau Asshauer entrüstet.
»In meinen Beruf darf man nur das glauben, was sich beweisen lässt«, unterbrach sie Thorsten. »Und deshalb sammeln wir Fakten. Auch, um andere Aussagen anhand der Ihren überprüfen zu können.«
Gerd schnaubte. »Meine Frau ist zu Hause geblieben.
Und ich war gestern bei der Treibjagd und danach mit den Jagdgenossen im Gasthaus Zum goldenen Hirsch.«
Thorsten wurde hellhörig und forderte Herrn Asshauer auf, mehr über den Jagdabend zu erzählen.
Dann fiel der Name Krüger und Susanne blickte ihren Mann merkwürdig an. Der schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.
»Ich denke schon den ganzen Tag darüber nach«, begann sie schließlich. »Mein Mann ist dagegen es Ihnen zu erzählen, aber ich halte es für wichtig.«
»Alles, was Ihren Bruder betrifft, ist wichtig«, erwiderte Thorsten.
»Ich möchte nur...
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