Schweitzer Fachinformationen
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Im Konferenzraum im zweiten Stock von Human Solutions, fünfzig Quadratmeter groß, blockte ich die ersten zwei Stunden von sieben bis neun. Ich wollte noch vor Arbeitsbeginn fertig sein. Und ich wollte, dass die Mitarbeiter noch mit einem Bein in den Träumen der Nacht stünden, noch halb in der Macht ihres Unbewussten, um dessen gewaltige Kräfte für den Prozess zu nutzen.
Ich trug einen Kapuzenpulli, blassgrau wie die Wände des Konferenzraums. Bevor das Team eintraf, schob ich den vier Meter langen Buchenholztisch mit den eingebauten Steckdosen an die Wand, verhängte die Flatscreens mit einem Bettlaken. Und in der Mitte des Raums stellte ich meine goldene, fast brusthohe Winkekatze aus Plastikblech auf, ein scheußliches Stück mit riesigen Augen und leprösen Flecken abgeplatzter Farbe.
Ich sagte kein Wort zur Begrüßung. Ich stupste nur das goldene Monster an, das stupide zu winken begann. Unschlüssig saß das Leitungsteam auf Hockern aus hellem Holz und starrte auf das Ungetüm. Auch Frau Seggle, die mit verschränkten Armen auf einer Holzbank an der gegenüberliegenden Wand saß, schien nicht sicher, wie weit sie sich auf dieses Geschehen einlassen wollte.
Dies, sagte ich und zeigte auf die Katze, ist Ihre Firma.
Misstrauisch sahen die Angestellten mich an. Ich baute mich vor dem Personalchef Schnelling auf. Darf ich Sie bitten, fragte ich und streckte ihm die rechte Hand entgegen.
Herr Schnelling sah sich um. Es sah aus, als hoffte er, seine Kollegen würden ihn in letzter Sekunde zurückhalten. Dann stand er auf, zog den roten Rundausschnitt-Pullover über dem zugeknöpften Hemd straff, machte fast einen Knicks, stellte dann die Beine auseinander und neigte misstrauisch den Kopf.
Ich ließ ihn stehen und suchte den nächsten Kandidaten. Kurz erwog ich Frau Yildiz, die Leiterin der Buchhaltung, täuschte eine ausgestreckte Hand an, zog sie wieder zurück, schlenderte dann weiter und fand den Vertriebschef Sebastian Zielinsky in seinem Yves-Klein-blauen Anzug.
Herr Zielinsky, sagte ich mitleidlos. Kommen Sie gerne auch mal in die Mitte. Der Vertriebschef bleckte die Zähne unter dem Schnurrbart, schaute verlegen in die Runde, zog dann den Kopf ins Doppelkinn und arbeitete sich in den Stand. Frau Yildiz, zählte ich auf. Herr Klein. Frau Liebherr.
Es dauerte eine Weile, bis alle Mitarbeiter ihren Platz gefunden hatten. Sie verteilten sich im Raum, tarierten Schritt für Schritt ihren Abstand zueinander aus, zu der Winkekatze, die ihre Firma darstellte, und, mit oder gegen ihren Willen, auch zu Frau Seggle, die abwartend dabeisaß. Streng verfolgte die Chefin die Bewegungen des Personalchefs, der unsicher Standbein und Spielbein verschob.
Schon nach wenigen Minuten war es der IT-Managerin Paula Liebherr offenbar gelungen, hinter dem Rücken der Katze ein eigenes Zentrum im Raum zu besetzen. Sie bildete einen Brennpunkt einer Ellipse, deren Scheitelpunkt durch Frau Seggle ging, und dort stand sie, mit kokett angewinkeltem Bein, die erstaunlich große rechte Hand zur Faust geschlossen am schwarzen Rock, als trüge sie eine Handtasche. Die Bluse strahlte weiß, die Kragenecken spreizten sich triumphal, und die strammen Wangen, die hoch über den Nasenflügeln ansetzten, gaben dem Gesicht einen optimistischen Schwung.
Ich stellte fest, dass die Finanzchefin die Gelegenheit nutzte, sich am äußersten Rand der Ellipse einzurichten. Ich hörte das Flüstern, mit dem Herr Schnelling das Tasten seiner Schritte kommentierte: Na, ein halber Meter geht wohl noch. Komm.
Die Bockigkeit des Kundenservice hatte ich erwartet. Er rührte sich kaum einen halben Meter von seinem Stuhl fort, die Grimasse aufgewühlt, aber starr, die Hände tief in den Hosentaschen. Ich wunderte mich auch nicht über die Treuherzigkeit, mit der sich der Personalchef fast auf Armlänge vor die Katze stellte und ihr in die Augen blinzelte.
Niemand hatte gesehen, wie ich den Gong aus dem Aktenkoffer holte. Aus dem Hinterhalt schlug ich den Filzklöppel auf das Metall, und die Luft des Konferenzraums pulste in auf- und abschwellendem Dröhnen. Dann rückte ich die Katze von ihrem Platz, schob sie auf den verblüfften Vertriebschef zu, der in seinem blauen Anzug rückwärts taumelte und auf seinen Stuhl fiel.
Und simsalabim haben wir eine neue Situation, rief ich aufmunternd in die Runde. Herr Klein, wie geht es Ihnen damit. Möchten Sie Ihre Position vielleicht noch einmal überdenken.
Nein, sagte der Kundendienst-Manager mit einem Frosch im Hals, der seine Anspannung zeigte.
Und warum nicht, Herr Klein, fragte ich. Ich ließ keinen Vorwurf durchscheinen, nichts als reines, offenherziges Interesse.
Mir gefällts hier, antwortete Herr Klein, und an seinen krampfenden Fäusten konnte ich sehen, dass er log. Genau hier gefällts mir, bekräftigte er.
Sehr schön, gab ich zurück. Möchte sich vielleicht sonst jemand einen neuen Platz suchen.
Ein eifriges Scharren, Trappeln und Schnüren begann. Herr Zielinsky, Herr Schnelling und Frau Yildiz sortierten sich in unterschiedlichen Radien, die gemeinsam hatten, dass sie sich in Frau Liebherr schnitten. Herr Zielinsky sah Frau Yildiz an, die wiederum Frau Liebherr fixierte, und Herr Schnelling verbarg sich mit hoffnungsvoller Miene hinter dem trainierten Rücken Sebastian Zielinskys. Nur Herr Klein blieb verbissen auf seinem Platz, weit weg vom Kraftfeld Frau Liebherrs, aber noch weiter entfernt von dem Katzenmonster, das stolz und einsam und golden auf dem Parkett stand und ins Leere winkte; eine Königin ohne Volk.
In diesem Moment trat Frau Seggle in die Arena. Auf geradem Weg steuerte sie auf die Katze zu, packte wie ein Schiedsrichter im Boxring das Blechtier an der Pfote und riss ihm den Arm hoch, dass es knackte. Sie packte so fest zu, dass das Winken aufhörte, und es mag fünf oder zehn Minuten gedauert haben, bis Sabine Seggle endlich losließ. Die Winkekatze fiel zu Boden, landete mit starr angewinkeltem Arm auf der Seite, und Frau Seggle wischte sich die Hand an ihrer Jeans ab.
Ich glaube, wir alle sind Frau Perger dankbar für den Einblick, den sie uns verschafft hat, sagte sie. Und jetzt gehen wir alle mit voller Kraft an die Arbeit.
In ihren Augen war nicht die Spur eines Lächelns.
***
Wie geht es Ihnen heute mit Ihrem Thema, Herr von Sendmühl, begrüßte ich den Klienten am Morgen in seiner Hütte. Sagen wir, auf einer Skala von eins bis zehn.
Trotzig bimmelnd starrte der Adlige mich an. Dann verzog er wie greinend den Mund. Ich musste an einen Sechsjährigen denken, dem jemand den Ton abgestellt hatte, und als der Ton wieder lief, fragte er: Welches Thema.
Ihr Thema, antwortete ich. Jeder Mensch hat ein Thema. Darum sind wir doch hier, Herr von Sendmühl, Sie und ich.
Ich wusste: Es war wieder Zeit für das Schweigen. Geduldig wartete ich, dass der Sammler zu sprechen begann. Warum Sie hier sind, weiß ich nicht, sagte er schließlich. Ich weiß nur, warum ich hier bin. Weil ihr mich verschleppt habt. Ihr seid doch schuld an der Schweinerei.
Ich möchte einen grundsätzlichen Gedanken mit Ihnen teilen, Herr von Sendmühl, sagte ich. Schuld und Unschuld haben bei dem, was wir hier vorhaben, keine Bedeutung. Ich bin auch keine Richterin, die Urteile fällt. Für mich hat erst mal niemand Schuld. Auch nicht Sie. Ich halte Sie für einen wertvollen Menschen. Ganz unabhängig von Ihrem Verhalten.
Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe, schimpfte er. Sie haben doch, was Sie wollen. Mich. Warum müssen Sie mir auch noch auf die Nerven gehen.
Ich beschloss, den Ausbruch des Sammlers einfach kommen und gehen zu lassen; ihn als Flut zu sehen, der in spätestens sechs Stunden eine Ebbe folgen würde; mich unter seinen Flutbergen hindurchzudrehen wie unsere Erde. Ich wusste, dass jetzt meine Professionalität gefragt war. Es war entscheidend, mein Mitgefühl für den Klienten mit viel Rollenklarheit zu verbinden. Mitgehen war die Devise, einfach mitgehen.
Vielleicht war dieser Ausbruch ein gutes Zeichen. Ich wusste, dass hinter jedem Konflikt, der im Laufe des Prozesses aufbrach, ein unbefriedigtes Bedürfnis stand; ein Bedürfnis nach Respekt oder nach Regeln, nach Bestätigung oder nach Bedeutung, nach Sinn, nach Unterhaltung oder nach Anerkennung der eigenen Einmaligkeit. Jeder Widerstand war ein Weg, ein Hinweis auf einen Abgrund, den es gründlich zu betrachten galt.
Das Ausmaß dieses Abgrunds hatte ich nicht erwartet. Der Sammler legte den Kopf schief, und sein Gesicht wurde zu einer Maske, rau und ledrig wie meine. Seine Hände streckten sich aus, als gehörten sie ihm nicht mehr. Er war ein Automat, spulte ein...
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