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Der Himmel glänzte. Die Wintersonne tauchte Rom in klares, kreidehelles Licht.
Und Schwester Immaculata lächelte.
Die päpstliche Haushälterin war adventlich gestimmt. Heute war ihr Tag. Ihr Fest. Der 8. Dezember, Tag der «Santa Maria Immacolata», der unbefleckten Empfängnis. Ein Feiertag, natürlich, wie könnte es anders sein. Makellos rein. Wie ihre Küche, das Buffet, der blank gescheuerte Tisch, vor dem sie jetzt an diesem heiteren Morgen stand.
Zufrieden blickte sie auf ihr Werk. Schwester Immaculata, die Unbefleckte - diesen Namen trug sie nicht umsonst. Sie hatte ihn selbst gewählt, als sie dem strengen Orden der Bußfertigen Begonninen beigetreten war. Jung war sie damals gewesen, dachte sie versonnen - und straffte sich sofort wieder. Jung, aber diszipliniert. Pflichtbewusst. Streng. Zu sich und den anderen. Deshalb hatte es auch nicht lange gedauert, bis man sie auserwählte: erst als Haushaltshilfe, dann als Haushälterin des Papstes im Vatikan. An vorderster Front kämpfte sie seither ihren täglichen Kampf: gegen Gottlosigkeit, Luxus, Habgier. Und seit der Römer Petrus auf dem Papstthron saß, auch noch gegen Völlerei und die sündhafte Leidenschaft des Fußballs.
Papst Petrus entsprach in keiner Weise Immaculatas strengen, katholischen Moralvorstellungen. Zu sehr war er den weltlichen Genüssen, vor allem der üppigen römischen Küche und dem süßen Gebäck, zugetan. Zu ihrem Bedauern sah man es ihm auch an. Außerdem pflegte der Heilige Vater einen merkwürdig milden Umgang mit seinen Gläubigen und entwischte immer wieder zu Fuß - oder, schlimmer noch, auf der Vespa seines Privatsekretärs Francesco - aus dem Vatikan. Und schließlich neigte er, für Immaculata besonders ärgerlich, zu Humor und guter Laune. In einer Welt, die zur Gottlosigkeit tendierte und ohnehin dem Untergang entgegentaumelte, waren solche Eigenschaften völlig fehl am Platze. Darum bedurfte Petrus mehr als jeder andere seiner Vorgänger ihrer harten Hand und ihrer entschiedenen Führung.
Sie seufzte, während sie sich ihren Brennnesseltee hauchdünn aufgoss und einen Tropfen mit dem Schwammtuch entfernte. Der letzte Papst hatte sie an ihrem Namenstag stets überrascht: mit einem Brevier, einem Rosenkranz, einer Sammeltasse aus Lourdes. Und einmal sogar - sie wurde rot, wenn sie nur daran dachte - mit einer Kernseife in Form des nackten, heiligen Jesuleins.
Im vergangenen Jahr hatte sie bei Papst Petrus vergeblich auf solch eine kleine Aufmerksamkeit gewartet. Morgens, gleich nach dem Aufstehen. Auch nach dem Mittagessen, der Nachmittagsandacht, dem Abendbrot hatte er sich nicht zu ihrem Namenstag geäußert. Diesmal aber hatte sie einen Heiligenkalender gekauft, auf Petrus' Schreibtisch gelegt - und vorsichtshalber schon gestern Abend die entsprechende Seite aufgeschlagen. Das Bild am 8. Dezember zeigte die Madonna im Strahlenkranz, mit den zarten Füßen einen Drachen zertretend. Daneben hatte sie mit Rotstift (und in Druckbuchstaben): «Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, Santa Maria Immacolata» geschrieben. Das sollte als Erinnerung reichen.
Mit spitzen Fingern nahm sie die Caffettiera vom Feuer, die gurgelnd braune Brühe auf dem weißen Herd verspritzte. Papst Petrus bestand auf seinem morgendlichen Caffè, wie jeder andere vulgäre Italiener aus dem Volk. Mochte ihrer Meinung nach auch ein frisches Glas Wasser reichen, so wollte sie ihn heute nicht unnötig verärgern. Sie richtete das Tablett mit der Espressotasse und fand sogar noch zwei trockene, ungesüßte Haferkekse in der Schublade. Sie straffte ihre grauen Haare mit einer Klemme unter der Nonnenhaube, überprüfte den Sitz ihres Kragens, strich noch einmal über ihre gestärkte Festtagsschürze mit der kleinen Stickereiborte und öffnete die Küchentür. Kein Laut war zu hören. Ein gutes Zeichen.
Schwungvoll lief sie den Flur entlang, schwungvoll klopfte sie, schwungvoll öffnete sie die Tür zum päpstlichen Arbeitszimmer - und wäre beinahe der Länge nach gestürzt. Sie schaffte es gerade noch, das Tablett zu halten, doch der Espresso hatte sich schon über Teller, Kekse und, schlimmer noch, ihre Schürze ergossen. Wie durch ein Wunder war die päpstliche Soutane ohne den kleinsten Spritzer geblieben. Ein Wunder deshalb, weil Papst Petrus direkt vor ihr auf dem Boden kniete, inmitten einiger großformatiger und, wie sie sofort sah, äußerst schmutziger Pappkartons. Immaculata, gewöhnlich nie um eine scharfe Bemerkung verlegen, verschlug es die Sprache. Papst Petrus sah nicht einmal auf.
«Ich hätte mich in den letzten Jahren schon darum kümmern sollen», murmelte er und wühlte in einem großen Haufen Packpapier. «Ah, da ist es ja.»
Behutsam zog er einen kleinen, schmutzig weißen Wachsklumpen hervor und betrachtete ihn entzückt. Sein rundliches Gesicht glühte vor Freude. Er trug seine Lesebrille, sein Käppchen lag achtlos unter einem Haufen Packpapier. Seine wenigen, grauen Haare standen, verstrubbelt wie ein flaumiger Strahlenkranz, rings von seinem Kopf ab.
Immaculata fasste sich.
«Heiliger Vater», sagte sie in einem Ton, der nichts Gutes verhieß. «Hätten Sie irgendeine Erklärung für dieses, dieses .» - sie schnaufte kurz - «für dieses unwürdige Chaos an einem hochheiligen und feiertäglichen Morgen?»
Papst Petrus blickte irritiert nach oben. Seine Haushälterin hielt noch immer das Frühstückstablett umklammert, auf der die Espressotasse in der braunen Brühe herumrutschte. Ihre weiße Schürze war mit feinen Spritzern überzogen.
«Schade um den schönen Caffè», versuchte er es. Merkte aber sofort, dass dies der falsche Ansatz war. Er richtete sich ächzend auf und entschied sich für Angriff.
«Meine liebe Schwester Immaculata», sagte er in einem salbungsvollen Tonfall. «Vielleicht ist Ihnen gar nicht bewusst, welcher Tag heute ist?»
Immaculata sah ihn fassungslos an.
«Nun, dann wollen wir doch einmal das Datum überprüfen», sagte Petrus und nahm den Jahreskalender seines römischen Lieblingsfußballvereins von der Wand. Auf dem Dezemberbild wirbelte einer der Spieler in einem Salto über das Spielfeld - vor Freude über das gerade geschossene Tor.
«Heute», dozierte er, «ist der 8. Dezember. Und in ganz Italien beginnt damit traditionell die Weihnachtszeit. Ein besonderer Tag, liebe Immaculata, besonders für die vielen Familien in Italien, die am heutigen Festtag nach alter Sitte den Weihnachtsbaum aufstellen. Oder, wenn sie keinen haben», hier blickte er seine Haushälterin scharf über den Rand seiner Lesebrille an, «zumindest die Weihnachtskrippe vom Dachboden holen. Und, liebe Immaculata, genau das habe auch ich gerade getan.»
Mit einer weit ausholenden Handbewegung präsentierte er stolz die Landschaft aus Pappkartons und Staubflocken, die sich zwischen dem Schreibtisch und seinem kardinalroten Lieblingsohrensessel ausbreitete.
«Das Jesuskind habe ich zwar noch nicht gefunden, aber .»
Er beugte sich zu den Kartons und wühlte in ihnen herum. Die Brille rutschte dabei von seiner beachtlichen Römernase, was ihn aber nicht zu stören schien, denn er tauchte kurz darauf ohne wieder auf. In der Hand hielt er vorsichtig ein kleines Figürchen aus Holz.
«Diesen Josef hat mein Vater geschnitzt, genauso wie die Hirten und die ganze Heilige Familie. Meine Mutter hat die Kleider genäht und die Hüte. Die Schafe .» - hier hielt er triumphierend wieder den kleinen Wachsklumpen hoch - «sind noch von meiner Nonna. Genauso wie der erste König. Die beiden anderen hat meine Mutter später auf dem Markt aus Plastik nachgekauft. Am besten aber .», er tauchte wieder in den neben ihm stehenden Karton, «ist das Wasserrad. Leider ist es, äh, eher reparaturbedürftig .» Bekümmert sah er auf einige kleine Holzstückchen, die nun lose in seiner Hand lagen.
Immaculata hatte sich noch immer nicht gerührt. Nicht nur, dass Petrus ganz offensichtlich ihren Namenstag ignorierte, er besaß auch noch die Stirn, am heiligen Feiertag das Arbeitszimmer in Schutt und Asche zu legen. Statt eine Messe zu lesen, theologische Werke zu studieren und erleuchtete Predigten zu verfassen, baute er eine Krippe auf wie der kleine Mann aus dem Volk. Und natürlich ging es ihm dabei nicht um die Geburt des Herrn, sondern um die niedlichen Schnitzereien, die possierlichen Kleidchen, technische Spielereien und die Freude am Basteln. Kinderkram also. Nicht einen Tag länger würde sie sich das bieten lassen. Noch heute würde sie einen Brief an ihren Mutterorden aufsetzen und um sofortige Rückkehr ins Kloster bitten. Sollte sich doch eine andere in diesem Sündenpfuhl herumärgern. Sie jedenfalls würde ohne ein weiteres Wort kündigen.
Entschlossen drehte sie sich um - und ließ das Tablett mit lautem Klirren auf den Boden fallen, als eine riesige, rot getigerte Katze wie der Leibhaftige an ihr vorbei zur Tür hereinsprang.
«Hallo, hallo? Hallo, Angelo, bist du da?» Papst Petrus horchte auf. Es kam nicht häufig vor, dass er im Vatikan bei seinem Taufnamen gerufen wurde. Im Grunde konnte das eigentlich nur eines bedeuten .
Und wirklich: Noch ehe Immaculata die Tür mit Hinweis auf die päpstlichen Privatgemächer wieder zudrücken konnte, standen sie auch schon in seinem Arbeitszimmer, inmitten des Papiergewühls: zwei ältliche Damen, die eine rundlich, mit widerspenstigen grauen Löckchen, die andere schmal und hager, die weißen...
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