Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der Wind blähte die Vorhänge und schickte einen Lichtstrahl, wie einen göttlichen Fingerzeig, direkt in Petrus' Kaffeetasse. Vom Petersplatz drang das Klock-Klock eiliger Absätze zum päpstlichen Frühstückszimmer empor, die Zwillingsbrunnen rauschten - Friede lag über der Ewigen Stadt. Petrus betrachtete den winzigen Lichtpunkt, der durch sein Zimmer huschte, die matten Perlen seines Rosenkranzes aufleuchten ließ und dann über seinem nachtschwarzen Caffè schwebte. Die Morgenmesse in seiner Privatkapelle lag hinter ihm, die Audienzen noch vor ihm. Und in dieser einen heimlichen Stunde dazwischen durfte er sich wie ein echter Römer fühlen. In solchen Augenblicken war Petrus gerne Papst, Bischof von Rom, Bischof seiner Heimatstadt. Für einen kurzen, aber glücklichen Moment fühlte er sich mit der Welt, mit urbi et orbi im Reinen. Er stellte seine Tasse ab, lauschte auf die Geräusche im Flur und tastete unter dem Polster seines kardinalroten Lieblingsohrensessels. Dann zog er mit geübtem Griff - als plötzlich ein Schatten die römische Morgensonne verdunkelte. Die Tür schwang auf, und da stand sie, groß und hager, die Haare mit zwei Klammern unter der Nonnenhaube gestrafft: Schwester Immaculata, Haushälterin des Papstes, erste und letzte Instanz im Vatikan. Misstrauisch musterte sie den Heiligen Vater: «Hoffentlich habe ich nicht beim Gebet gestört.»
Es war offensichtlich, dass Petrus nicht gebetet hatte. Zufrieden balancierte Immaculata ein Frühstückstablett zu einem Tischchen und arrangierte liebevoll drei Scheiben Toastbrot (ungetoastet!) und einen naturreinen Joghurt (geschmacksneutral!) neben dem Osservatore Romano, der Hauszeitung des Vatikans. Dann fiel ihr Blick auf den Papst - und ihre Miene gefror: Unter seiner schneeweißen Soutane leuchtete es rosarot. Petrus, der sich vergeblich bemüht hatte, die voluminöse Gazzetta dello Sport zurück unter das Polster zu stopfen, gab auf. Mit Unschuldsmiene zog er die Zeitungsseiten unter seinem Umhang hervor. «Millionen italienischer Katholiken interessieren sich für Fußball. Es ist meine Pflicht, mich über das zu informieren, was meine Schäfchen bewegt.»
«Vielleicht würden sie sich etwas weniger für weltliche Vergnügungen interessieren und etwas mehr für ihr Seelenheil unternehmen, wenn ihr Oberhaupt ihnen als Vorbild im Glauben voranginge. Es genügt nicht, nur von der Liebe Gottes zu predigen und vom ewigen Leben zu künden.» Immaculata deutete auf den Osservatore Romano. «Die Menschen brauchen auch Zurechtweisung und Zucht.»
Petrus betrachtete die Titelseite des Osservatore. Neben der Predigt vom letzten Sonntag war sein Bild abgedruckt: ein rundliches Gesicht mit einer breiten, fleischigen Nase. Ein schmaler Haarkranz. Wache blaugraue Augen. Die Predigt war, soweit Petrus sich erinnern konnte, recht lebensfroh ausgefallen - kein Wunder, dass sie nicht Immaculatas Beifall fand. Seine Haushälterin gehörte dem Orden der Bußfertigen Begonninen an, in dem zuverlässig alles verboten war, was andere Menschen am Leben schätzten.
«Du magst recht haben, Immaculata. Ich könnte nächsten Sonntag alle italienischen Männer auffordern, dem Fußball abzuschwören. Ich könnte ihnen sagen: Geht am Nachmittag nicht ins Stadion, sondern verbringt den Tag mit Buße und frommer Lektüre. Die Mitgliederzahl der Kirche würde sich dann ganz erheblich steigern.»
«Nicht auf die Zahl der Mitglieder kommt es an, sondern auf die Stärke des Glaubens.»
«Aber Glaubensstärke bedarf auch einer materiellen Grundlage, liebe Immaculata.» Petrus startete einen Gegenangriff. «Wenn du den Heiligen Vater mit Toastbrot abspeist, darfst du dich nicht wundern, wenn er den Versuchungen des Satans nicht gewachsen ist.»
«Bevor unser Herr vom Teufel versucht wurde, hat er vierzig Tage gefastet.»
«Deswegen hatte er auch keine Kraft mehr zum Fußballspielen. Das ist übrigens der Grund, weshalb die Heilige Schrift nichts darüber berichtet. Obwohl er seine Mannschaft schon zusammenhatte. Nach dem Ausfall von Judas waren es genau elf Spieler, mit denen .»
Laut krachend fiel die Tür ins Schloss. Immaculata, Leiterin des Haushalts seiner Heiligkeit, hatte die Stätte der Ketzerei verlassen.
Zufrieden verstaute Petrus den Osservatore Romano in seiner obersten Schreibtischablage und entfaltete die Gazzetta zu voller Größe. Gleich am Morgen ein Duell gegen Immaculata zu gewinnen war kein schlechter Start in den Tag - auch wenn ihm bewusst war, dass ihre Revanche nicht lange auf sich warten lassen würde. Denn Immaculata war nicht nur zänkisch und rechthaberisch, sondern auch überaus nachtragend. Die Summe ihrer schlechten Eigenschaften gipfelte in ihrer unerträglichen Frömmigkeit, die für einen Papst, das war sogar Petrus klar, natürlich kein Kritikpunkt sein konnte. Über die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens kursierten im Vatikan sehr verschiedene Theorien. Einige unterstellten ihr scheinheilige Inszenierung, andere jedoch - und zu diesen zählte er selbst - vermuteten Schlimmeres: Immaculata war wirklich «auf erschreckende Weise stock-katholisch», wie er Francesco - und nur Francesco - gegenüber zu sagen pflegte.
Das Allerschlimmste aber war, dass Immaculata sich standhaft weigerte, ihm etwas Gutes zu tun. Schon der morgendliche Caffè mit viel Zucker, auf dem Petrus bestand, war ihr ein schmerzender Stachel im keuschkatholischen Herzen. Denn Völlerei zählte eindeutig zu den sieben Todsünden. Brot und Wein hatte der Herr zu sich genommen - und das auch nur abends . Aber an diesem Morgen würde er nicht klein beigeben, o nein: Zumindest einmal in der Woche musste eine Andacht für Caffè, Calcio und Cornetti, die heilige Dreifaltigkeit des Italieners, abgehalten werden.
Wo Francesco nur blieb? Normalerweise wäre sein Privatsekretär mit Post und Presseschau schon lange bei ihm gewesen. Doch heute war er in besonderer Mission unterwegs .
Petrus vertiefte sich wieder in die Sportzeitung. Sofort kehrte seine Hochstimmung zurück: Es war Fußballweltmeisterschaft - und sie fand in Italien statt! Sorgen bereitete ihm allenfalls, dass die Squadra Azzurra eindeutig ein Problem auf dem linken Flügel hatte, verursacht durch einen Sehnenriss des Außenverteidigers. Man könnte de Carlo nach hinten ziehen . Aber dann müsste man das ganze Mittelfeld umbauen. Und das war ohnehin der schwächste Mannschaftsteil, seit Cassano gesperrt war.
Es klopfte leise. Dreimal. Das war das Zeichen! Petrus richtete sich auf. Eine dunkle Gestalt schob sich durch den Türspalt, das Gesicht verhüllt, die Kapuze tief über die Augen gezogen - Francesco! Er schien die Sache mit der Geheimhaltung sehr ernst zu nehmen.
Petrus betrachtete ihn väterlich. Es hatte Aufsehen erregt, als er ihn - vor kurzem erst - zum päpstlichen Privatsekretär ernannt hatte. Denn auf den ersten Blick war der Franziskanerpater nicht gerade die Idealbesetzung für den Posten: zu jung, zu naiv, tiefgläubig, weltfremd. Kein altgedienter Vatikandiplomat, sondern ein schwärmerischer Franziskanermönch aus der umbrischen Provinz - die Kurie war entsetzt gewesen. Doch Petrus hatte stur an seinem Kandidaten festgehalten. Und, wie sich wieder einmal zeigte, recht behalten: Auf Francesco war in jeder Situation Verlass.
Jetzt zog er sich die Kapuze von den dunklen Locken und stand für einen Moment nur da, fast jungenhaft verlegen. Er war groß und schmal und sah so gesund aus, als sei er gerade von den Sabiner Bergen herabgestiegen. Die Freude über den gelungenen Streich glänzte in seinen Augen, und vorsichtig zog er aus den Falten seines Habits ein mit Schleife verziertes Päckchen hervor. Petrus ahnte, was darin war: Cornetti con Crema, mit Ricotta gefüllte Sfogliatelle, Ciambelloni al Cioccolato . Mit geistlichem Geleitschutz direkt in den Vatikan importiert, vorbei an Immaculata, Feindin aller Ausschweifungen. Francescos Vorgänger hatten Jahre gebraucht, um diese heikle Aufgabe zu meistern, und der Junge schlich sich einfach so hier herein!
«Geschafft! Um nichts in der Welt wird Immaculata mich diesmal von meinem Frühstück abhalten.» Die Hand des Papstes griff gerade nach dem Päckchen, als sich die Flügeltüren zum Wohnzimmer noch einmal mit Schwung öffneten. Schnell bemühte sich Petrus um sein Autoritätsgesicht. Diesmal würde er Immaculata die Cornetti nicht kampflos überlassen, er würde dem wütenden Racheengel trotzen und -
«Ich störe nur ungern dieses festliche Frühstück», sagte Immaculata lächelnd mit einem Blick auf Seidenpapier und Gebäck. (Diese Lüge kostet dich mindestens zehn Vaterunser, dachte Petrus zufrieden.) «Aber die Polizei ist am Telefon und wünscht Sie dringend zu sprechen, Heiliger Vater.»
«Natürlich! Ein Telefonanruf!» Petrus begann, ungerührt die Schleife zu öffnen. «Steht das Papamobil im Parkverbot?»
«Es handelt sich», verkündete Immaculata und machte eine bedeutungsschwere Pause, «um Mord!»
«Ich habe niemanden ermordet», erläuterte Petrus freundlich. «Päpste morden nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bei mir ging es bislang immer anders.»
«Möglicherweise ist es sogar mehr als nur ein Mord .» Immaculata senkte ihre Stimme zu einem unheilvollen Flüstern.
«Du meinst: Es sind zwei Morde?»
Doch Immaculata war nicht aus der Fassung zu bringen. Im düsteren Predigerton fuhr sie fort: «Dann kam einer der sieben Engel, welche die sieben Schalen trugen, und sagte zu mir: Komm, ich zeige dir das Strafgericht über die große Hure, die an den vielen Gewässern sitzt. Denn mit ihr haben die Könige der Erde Unzucht getrieben, und vom Wein ihrer Hurerei wurden...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.