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5.13 Uhr
Er fiel unter dem Kreuz, immer und immer wieder. Jedes Mal, wenn er sich aufgerappelt hatte, stolperte er von neuem. Das Gewicht drückte ihn auf die Erde. Und er wusste, das nächste Mal würde er es nicht schaffen. Schweiß lief ihm in die Augen, er torkelte vorwärts. Die Menschenmassen verschwammen vor seinem Blick. «Kreuziget ihn, kreuziget ihn!»
Noch ein Schritt.
Und noch einer.
Dann fiel er.
Zum letzten Mal.
Erstarrt blieb er liegen. Die Kühle des Bodens kroch ihm in die Knochen. Er war unfähig sich zu rühren. Vor Angst. Vor Erschöpfung. Er hielt die Augen geschlossen, um seinen eigenen Tod nicht mit ansehen zu müssen. Doch er hörte Schritte. Sie kamen näher, immer näher.
Unerbittlich.
Energische Schritte, die in seinen Ohren dröhnten und erst kurz vor seinem Kopf zum Stillstand kamen.
«Selbstkasteiung ist der erste Schritt zur Besserung.»
Petrus öffnete die Augen. Nein, das hier war kein Traum. Über ihm schwebte, schwarz umrandet, das Gesicht von Immaculata. Allerdings, und das irritierte ihn, blickte sie nicht strafend, sondern wohlwollend auf ihn herab.
«Ich rechne es Ihnen hoch an, dass Sie die Passionszeit so ernst nehmen, Heiliger Vater. Auf den Steinfliesen neben dem Bett zu schlafen, zeugt von der eisernen Willenskraft, sich selbst über seinen Körper zu erheben. Das Fasten hat Ihnen gutgetan!»
Petrus erhob sich mühsam. Die Knochen taten ihm einzeln weh vom Sturz aus dem Bett, seine linke Schulter schmerzte. Und die Bilder seines Albtraums hielten ihn noch immer gefangen. Das Kreuz, er hatte das Kreuz getragen und war gefallen.
Er fröstelte in seinem Leinennachthemd und blickte sehnsüchtig auf sein prächtiges Himmelbett und die dicke Federdecke, die er gegen Immaculatas erbitterten Widerstand durchgesetzt hatte. Jetzt noch für einen Moment die Füße aufwärmen .
Aber da riss seine Haushälterin beide Fensterflügel auf, um die eiskalte Morgenluft gleichmäßig im Raum zu verteilen. Über den Dächern des Apostolischen Palastes erblickte er ein Stück grauen Himmels.
Karfreitag.
Und er hatte das Kreuz nicht halten können .
Heute Abend musste er es tragen. Die Welt würde zusehen, wie er das Kreuz während der Prozession schulterte, ohne zu wanken.
Das war seine erste Pflicht - als Stellvertreter Christi auf Erden.
18 Uhr
«O my god .», rief George-William Mortimer, Earl of Sunderness. Er blinzelte durch seine Brille, als könne er nicht glauben, was er da vor sich sah. Wie eine Erscheinung war die päpstliche Pressesprecherin im Gewühl der Journalisten und Fotografen aufgetaucht, die den Pressesaal des Heiligen Stuhls bevölkerten. In einem schwarzen Hosenanzug aus schmeichelndem Stoff, der ihre Figur karfreitäglich verhüllte und trotzdem betonte. Ihre dunklen Locken hatte sie zu einem strengen Knoten hochgesteckt. Auf ihrem Dekolleté blitzte ein Kruzifix aus Diamanten.
Ein wahrer Blickfang.
Der Earl seufzte.
«Sie kennen die Contessa nicht?», fragte der französische Kollege von Le Monde süffisant, während er ein schmales, silbernes Aufnahmegerät aus der Tasche zog. «Dachte ich mir schon. Bei den Vaticanisti habe ich Sie noch nie gesehen.»
«Bei den Vaticanisti?»
«Sie sind wirklich neu hier», sagte der Franzose und lehnte sich lässig in seinem Klappstuhl zurück. «Vaticanisti - so nennen sich die am Heiligen Stuhl akkreditierten Journalisten. Die Vatikanexperten der Weltpresse. Zu denen Sie sich doch auch bald zählen wollen, oder?»
«Ich schreibe für den Tatler», sagte der Earl.
«Das ist doch dieses britische Klatschmagazin?»
«Wer Klatsch lesen will, greift zur Sun», antwortete der Earl ungerührt. «Zu dieser primitiven, billigen Boulevardzeitung für die ungebildete Masse. Im Tatler finden Sie kultivierte Gesellschaftsreportagen aus gehobenen Kreisen. Adel vor allem. Aber auch neues Geld. Hauptsache gehoben.»
«Und warum recherchiert ein kultivierter Gesellschaftsreporter im Vatikan?»
«Im Juni-Heft starten wir eine Serie über den italienischen Hochadel. Dazu gehören einige der ältesten Familien Europas. Die Medici in Florenz, die Borghese in Rom. Eng verflochten mit der Kirche, fast alle Päpste der frühen Neuzeit kamen aus diesen Clans. Und sie sind immer noch sehr einflussreich. Bei der Prozession später im Kolosseum werden einige dabei sein. In der Nähe des Heiligen Vaters, natürlich.»
Der Vaticanista von Le Monde musterte seinen Nachbarn. Der Earl wirkte trotz der Schwüle gepflegt, ganz im Gegenteil zu den hier versammelten verschwitzten Reportern. Seine rotblonden Haare waren akkurat gescheitelt, er trug eine Brille mit Goldrand. Über dem Revers seines dezenten, grauschwarzen Anzugs ringelte sich eine schmale Uhrenkette. Das Einstecktüchlein in der Brusttasche saß perfekt, und selbst die Blässe des schlanken, beinahe hageren Gesichts unterstrich, dass der Earl anderes zu tun hatte, als hektisch Artikel in ein Notebook zu klopfen.
«Willkommen», sagte Contessa Giulia da gerade in das allgemeine Gemurmel. Sie stand nun vorne im Pressesaal am Mikrophon, direkt unter den beiden goldenen, gekreuzten Schlüsseln, dem Emblem des Papstes. «Herzlich willkommen zu unserer außerordentlichen Pressekonferenz .»
«Wirklich bemerkenswert», flüsterte der Earl. «Ich habe gehört, dass sie sich sehr . offenherzig kleiden soll?»
«Nicht am Karfreitag. Da liegt alles im Grabe. Aber warten Sie ab: In zwei Tagen ist Ostern.»
«Karfreitag ist ein Tag der Buße und Einkehr», fuhr Giulia fort und schickte einen strafenden Blick in Richtung des Franzosen. «Wir beten an diesem Tag den Kreuzweg des Herrn. Seit vielen Jahrzehnten ist es Tradition, dass der Heilige Vater mit seinem Kreuzweg am Kolosseum an die Leiden des Herrn erinnert. So wird es auch in diesem Jahr sein. Und doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in diesem Jahr alles anders.»
Allgemeines Geraune setzte ein, einige der Vaticanisti klappten sofort ihre Notebooks auf, die anderen griffen gleich nach Smartphone und iPad.
«Dem Heiligen Geist hat es gefallen, unseren Heiligen Vater an einen verborgenen Ort im Vatikan zu führen.» Giulia setzte eine kunstvolle Pause. «Erst vor wenigen Wochen fand Papst Petrus II. einen Schatz, der künftig zum Wertvollsten gehören wird, was der Vatikan in seinen Mauern birgt. Es handelt sich» - Giulias Stimme zitterte - «um die Gebeine des Apostels Petrus. Der Heilige Vater wird sie heute erstmals der Stadt Rom und der ganzen Christenheit zeigen. Er hat Menschen aus seiner Diözese gebeten, die Reliquien bei der Prozession mitzuführen. Ihnen voran wird der Heilige Vater schreiten, das Kreuz auf der Schulter.»
Jetzt gab es kein Halten mehr. Die Journalisten twitterten, telefonierten, klapperten auf ihren Tastaturen, einige sprangen auf, riefen dazwischen.
«Ruhe», sagte Giulia. «Bitte?»
Der spanische Kollege hatte das Rennen gemacht. «Contessa, wie kann der Heilige Vater die Gebeine des Petrus gefunden haben, wenn doch Papst Pius XII. schon vor Jahrzehnten das Grab des Apostels entdeckt hat?»
«In den Jahren 1940 bis 1949 fanden unter dem Petersdom Ausgrabungen statt, das ist richtig», sagte die Contessa. «Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass dabei zwar das Grab, nicht aber die Gebeine des Apostels gefunden wurden. Aber ganz offensichtlich hat Pius XII. die Gebeine gefunden und aus Gründen, die wir nicht kennen, vor der Welt verborgen. Die Reliquien wurden im Nachlass von Pius gefunden. Sie waren mit Hinweisen versehen, die klar darauf schließen lassen, dass Pius die Knochen in der Nekropole des Vatikans geborgen hat. Selbstverständlich haben wir sie von einer kurzfristig einberufenen Expertenkommission wissenschaftlich untersuchen lassen. Sie stammen eindeutig aus dem ersten Jahrhundert nach Christus.»
Der amerikanische Kollege versuchte sich vorzudrängeln, aber Giulia ignorierte ihn.
«Ich habe noch weitere gute Nachrichten», fuhr Giulia fort. «Wie Sie wissen, haben sich die Christen in England vor einigen Jahrhunderten von Rom abgewandt. Aber der Heilige Geist hat in unseren Brüdern und Schwestern auf der Insel eine große Sehnsucht hervorgerufen, sich wieder mit der heiligen katholischen Kirche zu vereinigen. Es ist ein wunderbares Zeichen, dass heute der Erzbischof von Canterbury bei uns weilt und an der Prozession teilnehmen wird. Der Heilige Vater ist sich sicher, dass viele Millionen englische Christen ihn im Gebet auf diesem Weg begleiten werden.»
«Überrascht?», fragte der französische Vaticanista von der Seite.
«Solche Gerüchte gibt es schon länger», sagte der Earl. «Die Queen tobt, heißt es. Aber der Heilige Geist hat den Erzbischof anscheinend so gründlich erleuchtet, dass sogar die Königin machtlos ist.»
«Neben dem Erzbischof von Canterbury wird der Heilige Vater von einem weiteren geistlichen Würdenträger begleitet werden, der Ihnen kein Unbekannter sein dürfte», sagte Giulia und hob die Stimme. «Es handelt sich um Kardinal Oscuro.»
«Oscuro!» Der Franzose bearbeitete sein Notebook. «Das ist tatsächlich eine Sensation.»
«Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es um Kardinal Oscuro immer wieder unschöne Gerüchte gab.» Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte Giulia. «Was auch immer gewesen sein mag: Der Heilige Vater und Kardinal Oscuro wandeln heute gemeinsam...
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