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Das Beispiel aus Marokko (Abb. 1) aus dem 14. Jahrhundert zeigt keine naturalistischen Darstellungen wie Konturen, Oberflächen oder Perspektiven, sondern einen Komplex verschiedener Ornamentarten, darunter geometrische, vegetabile und epigraphische Motive, die sich in unterschiedlichen Stilformen wiederholen und ausdrücken. Im oberen Bereich vermischen sich die kalligrafischen, linearen Gestaltungselemente mit den anderen ornamentalen Motiven, sodass sie kaum noch lesbar sind. Im mittleren Wandbereich ist eine andere Schriftart zu erkennen, die zusätzlich mit pflanzlichen Motiven verziert ist. Obwohl die Schrift, wie zum Beispiel der Kufi-Duktus14, durch ihre expressive Schriftform und Verschmückung schwer lesbar ist, wird sie formal und symbolisch als Gottes Wort wahrgenommen.15 Es ist eine heilige, schöne Schrift, die auf den arabischen, islamischen Betrachter schön und als religiöse Empfindung wirkt, die ihm Freude bereitet im Sinne eines übersinnlichen Glücks. Wie Alhazen in seinem Buch Sabra die Schönheit der Schrift beschrieb: "Die Schönheit der Schrift beruht allein auf ihrer inneren Ordnung."16 Aus diesem Grund gilt die islamische Kunst als eine Weiterentwicklung der Ornamentik, indem sie die Schrift mit dem Ornament kombinierte und synthetisierte und sie von sprachlichen Zusammenhängen und Funktionen trennte.17
Abb. 1 Islamische Ornamentik, Wandpartie, Meknes-Marokko, 14. Jahrhundert
Die islamische Symbolik lässt sich durch die zentralen Aussagen und Schriften des Islam erklären. Dadurch erkennt man nicht nur dekorative Verzierungen, sondern auch eine symbolische Ästhetik, deren Wirkung und erhabener Eindruck selbst als symbolhaft verstanden werden können. Geometrische Strukturen, unendliche Bewegungen, Symmetrie und Schönheit tragen eine symbolische und mystische Bedeutung. Oleg Grabar und Richard Ettinghausen haben sich zu einem Stuckpaneel geäußert: "[.] in effect the whole surface of the wall is ornament. [.] it is the first - and in certain ways the purest and the most severe-example of that >delight in ornamental meditation and aesthetic exercise< which has been called the arabesque."18
Die arabische Sprache wurde mit ihrer langen vorislamischen Geschichte, ihrem poetischen und melodischen Potenzial sowie ihrer reichen Metaphorik zu einem zentralen Medium spirituellen Ausdrucks. Aus der vorislamischen Zeit übernahm sie nicht nur die formale Struktur, sondern auch eine dichterische Aura mit besonderem Charakter - eine Sprache, die seit jeher als Sprache der Dichtung galt. Diese Eigenschaften verliehen ihr einen geistigen Reichtum, der weit über das rein Sprachliche hinausgeht. Durch die hohe Kunst der Dichtung prägte und verfeinerte die arabische Sprache maßgeblich die kulturelle Identität, Zivilisation und das Bildungsverständnis der islamischen Welt. Also wurde das ideale Bild der arabischen Kultur in der vorislamischen Zeit durch die Dichtung wahrnehmbar und metaphorisiert.19 Das heißt, dass die einzig anerkannte Kunst des arabischen Raums die Dichtung war, welche dank der arabischen Sprache einen wesentlichen geistigen Einfluss auf den arabischen Geschmack ausübte. So hat die Sprache seit der vorislamischen Zeit ihren Wert und ihre Bedeutung beibehalten und durch ihre Melodie und ihre Potentialität eine mystische Bedeutung bekommen. Was diese Potentialität und Schönheit bestätigt hat, ist die Religion, indem diese im islamischen Glauben von Gott ausgewählt und als die Sprache des Korans gekrönt wurde, da der ,Prophet Mohammed'20 den Koran auf Arabisch von ,Gabriel' erhalten und verkündigt hat. Eine geometrische und expressive kalligraphische Ästhetik gibt der islamischen Kunst eine weitere mystische Dimension. In diesem Sinne taucht die Schrift in vielen unterschiedlichen kalligraphischen Formen als Ideographie auf.21
Die Kalligraphie zeigt sich auf Grund dessen als Symbol des Wort Gottes. Sie wird mit geometrischen Welten verwoben und ist eine symbolische Darstellung, die eingerahmt und als Bild gezeigt wird. Die Ästhetik der Kalligraphie, welche im Islam des Mittelalters als die wichtigste Kunstform galt,22 zeigt sich im mittleren Wandbereich. Die arabische Schrift dient der gesamten Ornamentik, denn sie hat eine gewisse Expressivität, welche ihr eine bestimmte Wirkung garantiert. Kalligraphie und Geometrie schweben untrennbar in dem ornamentalen Kosmos, und es herrscht eine permanente Bewegung in der gesamten ornamentalen Ordnung. Es ist dementsprechend anzunehmen, dass die islamische, ornamentale kalligraphische Kunst eine ganz außergewöhnliche Motivintegration und Verflechtung hervorgebracht hat, sodass trotz ihrer abstrakten Betonung dadurch die Spiritualität der islamischen Welt ausgedrückt werden konnte. So spricht Hamann von "diesem Irrgarten verschlungener Fäden eines dichten, ewig wechselnden, immer wieder ausweichenden und doch in ein Gesetz und schönste Flächenproportion gebändigten Ornaments."23 Die göttliche Schönheit stellt sich zudem durch die heilige Schrift beziehungsweise die Schönheit der Kalligraphie her. Die expressive kalligraphische lineare Bewegung wird nach Nahid Kirmani als ein ästhetischer Gottesbeweis gesehen, in dem die außergewöhnliche Schönheit der Schrift Gottes nachweisbar wird. Die arabische Schrift symbolisiert also nicht nur durch den Inhalt, sondern auch ideographisch durch die Schriftform und die Erhabenheit ihrer Erscheinung Gottes Wort.24
Abb. 2: Eine Kombination von Sternmotiven, ein Auschnitt von (Abb. 1)
Um daher über die Form dieser ornamentalen Kunst zu sprechen, muss zuerst mit der geometrischen Dimension dieser Kunst und ihrer philosophischen Geschichte begonnen werden. Im unteren Bereich der Wand, in der Abbildung 1 oben, sind andere ornamentale Elemente und Motive zu sehen, die den gesamten Bereich überdecken und schmuckhaft wirken. Die gesamte Ornamentik befindet sich in einer unaufhörlichen Veränderung und in einer permanenten Geburt von abgeleiteten Musterformen. Der untere Bereich zeigt zum Beispiel eine gewisse Kraft, welche vom Hintergrund zum Betrachter kommt. Er erinnert an das Licht oder an ein permanentes vegetabiles Herauswachsen. Der mittlere Bereich hat eine andere Bewegung, die die Dynamik und die expressive Bewegung einer weiteren arabischen Schriftart zeigt. Sie bewegt sich von rechts nach links. Durch ihre Motive ist eine lebendige Kreisbewegung von links nach rechts entstanden. Diese permanente Bewegung verleiht den Wandflächen eine unendliche Bewegung. Der obere Bereich wird mit einer anderen Technik durchgeführt. Diese Technik verschmilzt die Architektur so mit der Ornamentik, dass die Materialität der Wände visuell überwunden und dadurch eine neue, metaphysische Dimension eröffnet wird. Zwischen den drei Hauptbereichen sind noch weitere ornamentale Bereiche zu sehen. Einige Inschriften sind zu lesen, die Gottes Namen-Eigenschaften25 bedeuten Im unteren Bereich (Abb. 2) ist das beliebte Sternmotiv zu sehen, das in der islamischen Kunst des Mittelalters häufig verwendet wurde. In diesem Bereich finden sich unterschiedliche Formkombinationen und geometrische Konstruktionen, darunter vier- und achtzackige Sterne, die mit weiteren geometrischen Elementen kombiniert sind. Diese Muster werden mithilfe von Zirkel und Lineal konstruiert - eine Methode, die als Lösung für klassische Probleme der euklidischen Geometrie galt.26 An diesem Beispiel bemerkenswert ist das flächenfüllende und das unendliche Wachsen der ornamentalen Stern-Motive, die von bestimmten Treffbereichen herauswachsen und sich durch Harmonie, Ausgeglichenheit und Buntheit auszeichnen. Solche Sternmotive können mit Beispielen von der Alhambra verglichen werden. Es sind noch weitere geometrische Kombinationen und Muster zu sehen, die symmetrisch behandelt werden und die den Eindruck von Widerspiegelungen, unendlichen Wiederholungen, Intensität und Dichte sowie von einem permanenten Herauswachsen erwecken können, als ob sie dem Betrachter durch die Geometrie etwas mitteilen wollten.
Die Geometrie, die von dem altgriechischen Wort geometria (Erdmessung)27 kommt, war die Erklärungssprache naturwissenschaftlicher Betrachtungen, die bei den Griechen, vor allem bei Euklid, gefunden wurden.28 Diese naturwissenschaftliche, geometrische Sprache wurde im islamischen Mittelalter vertieft und weiterentwickelt und von zwei verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet: zum einen als naturwissenschaftliche Illustration und Erkenntnis und zum anderen als Ausdruck des Göttlichen, versöhnbar mit der Mathematik, der Astronomie, der Philosophie und dem Schönen. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und Gesetze haben dazu gedient, eine göttliche Symbolik zu erschaffen, welche die Blüte und die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften trägt und durch sie ausgedrückt werden kann. Das ist das, was auf dem Bild zu reflektieren ist.
Die islamische geometrische Ornamentik weist...
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