Schweitzer Fachinformationen
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Es war eine schöne Zeit für Tanabai und für den Passgänger. Mit dem Ruhm eines Rennpferds ist es wie mit dem Ruhm eines Fußballers. Der Junge, der gestern noch den Ball auf den Hinterhöfen vor sich hergetrieben hat, wird plötzlich der Liebling aller, Gesprächsthema für Kenner und Gegenstand der Begeisterung für die Masse. Solange er Tore schießt, wächst sein Ruhm ständig. Dann verschwindet er allmählich vom Spielfeld und wird vergessen. Und als Erste vergessen ihn diejenigen, deren Begeisterung am größten war. So ist es auch mit dem Ruhmeszug eines Rennpferds. Es ist berühmt, solange es ungeschlagen ist. Der Unterschied liegt nur darin, dass niemand das Pferd beneidet. Pferde können nicht neidisch sein, und die Menschen haben Gott sei Dank noch nicht gelernt, einem Pferd etwas zu neiden. Allerdings geht der Neid oft unbegreifliche Wege, und es haben schon Menschen Nägel in Pferdehufe getrieben, um ihren Widersachern zu schaden. O dieser schwarze Neid!
Die Prophezeiung des alten Torgoi erfüllte sich. In jenem Frühling stieg der Stern des Passgängers. Alt und Jung kannte ihn: Gülsary! Den Passgänger Tanabais. Die Zierde des Ails. Die dreckigen Steppkes, die noch kein R sprechen konnten, galoppierten durch die staubigen Straßen und schrien um die Wette: »Ich bin Gülsaly. - Nein, ich. Mama, sag, dass ich Gülsaly bin. Tschu, volwälts, a-iij, ich bin Gülsaly!«
Was Ruhm bedeutet und welche große Kraft ihm innewohnt, erkannte der Passgänger bei seinem ersten großen Rennen.
Es war am Ersten Mai.
Nach der Kundgebung auf der großen Wiese am Fluss begannen die Spiele. Von allen Ecken und Enden waren die Menschen zusammengeströmt, aus dem benachbarten Sowchos, aus den Bergen und selbst aus Kasachstan. Die Kasachen stellten ihre Pferde zur Schau.
Man sprach davon, dass es seit dem Krieg noch kein solches Fest gegeben hatte.
Schon am Morgen, als Tanabai ihn sattelte und mit besonderer Sorgfalt die Bauchgurte und die Befestigung der Steigbügel prüfte, spürte der Passgänger am Glanz der Augen und am Zittern der Hände seines Herrn, dass etwas Außergewöhnliches bevorstand. Der Herr schien sehr aufgeregt.
»Mach mir keine Schande, Gülsary«, flüsterte er, während er ihm die Mähne kämmte. »Wir können uns das nicht leisten, verstehst du! Du kannst dich nicht blamieren!«
Ein Ereignis lag in der von Stimmengewirr und geschäftigem Lärm erfüllten Luft. Neben ihnen sattelten die anderen Hirten ihre Pferde. Die Jungs waren ebenfalls hoch zu Ross, schreiend jagten sie umher. Dann saßen die Hirten auf, und alle ritten zum Fluss.
Gülsary stutzte, als er die Menschenmenge und die vielen Pferde auf der Wiese sah. Der Lärm und das Getöse drangen über den Fluss und die Wiesen bis zu den Hügeln. Die grell leuchtenden Tücher und Gewänder, die weißen Turbane auf den Köpfen der Frauen und die roten Fahnen flimmerten ihm vor den Augen. Die Pferde prunkten im besten Geschirr. Die Steigbügel klirrten, die Trensen klimperten, hell klangen die Silberanhängsel der Brustriemen.
Die Pferde mit ihren Reitern drängten einander, so eng standen sie. Sie stampften ungeduldig, zerrten am Zügel und scharrten mit den Hufen. Die Alten eröffneten die Spiele, sie bildeten einen Kreis und vollführten Reiterkunststücke.
Gülsarys Spannung wuchs, er bebte vor Kraft. Wie Feuer brannte es in ihm. Er wollte so rasch wie möglich in den Kreis stürzen und losjagen.
Als die Ordner das Zeichen gaben und Tanabai die Zügel lockerließ, trug ihn der Passgänger tänzelnd in die Mitte des Kreises. Durch die Reihen ging ein Raunen: »Gülsary! Gülsary!«
Alle, die am großen Rennen teilnehmen wollten, ritten vor. Es waren an die fünfzig Reiter.
»Bittet das Volk um den Segen!«, verkündete der Leiter der Spiele feierlich.
Die Reiter mit den glatt rasierten Köpfen und den straffen Stirnbinden ritten die Menge ab, hoben die geöffneten Hände, und wie ein Seufzer wallte das »Aameen« von einem Ende zum anderen. Hunderte von geöffneten Händen hoben sich an die Stirnen und senkten sich wie Wasserstrahlen über die Gesichter.
Dann zogen die Reiter zum Start, der sich in neun Kilometer Entfernung auf offenem Feld befand.
Die Spiele im Kreis begannen: Kämpfe zu Fuß und zu Pferde, Versuche, den anderen aus dem Sattel zu heben, Aufnehmen von Münzen in vollem Galopp und Ähnliches wurde geboten. Aber das war nur die Einleitung, der Hauptkampf begann dort draußen am Start, zu dem die Reiter aufgebrochen waren.
Gülsary erhitzte sich auf dem Weg. Er begriff nicht, warum sein Herr ihn zurückhielt. Neben ihm tummelten sich die anderen. Und da es so viele waren und alle vorandrängten, zitterte Gülsary vor Ungeduld.
Endlich standen alle in einer Reihe am Start, Kopf an Kopf. Der Starter ritt die Front ab und hob das weiße Tuch. Alles erstarrte vor Erregung und Anspannung. Das weiße Tuch senkte sich. Die Pferde rasten los, und mit ihnen stürmte Gülsary vorwärts. Die Erde dröhnte unter den Hufen, Staub wirbelte auf. Unter den antreibenden Zurufen der Reiter streckten sich die Pferde in wildem Galopp. Nur Gülsary ging im Passgang, darin lag seine Schwäche und seine Stärke.
Zunächst blieben alle beisammen, aber schon nach einigen Minuten zog sich das Feld auseinander, Gülsary sah, wie schnelle Pferde ihn überholten. Ihre Hufe schleuderten ihm heißen Schotter und trockene Lehmklumpen ins Gesicht. Überall galoppierten Pferde, schrien Reiter, pfiffen die Kantschus, wurde Staub hochgewirbelt. Zurück blieb eine Wolke über der Steppe.
Es roch nach Schweiß, stiebenden Funken und zerstampftem jungem Wermut.
So blieb es fast bis zum halben Geläuf. Vor dem Passgänger lag immer noch ein Dutzend Pferde. Kein Pferd lief auf gleicher Höhe mit ihm. Der Lärm der Zurückgebliebenen verhallte. Tanabai gab Gülsary die Zügel nicht frei, und das machte ihn wütend. Der Wind und die Erbitterung trübten ihm die Augen. Rasch glitt das Geläuf unter seinen Hufen dahin. Die Sonne rollte ihm als feuriger Ball entgegen. Sein Körper war in heißen Schweiß gebadet, und je mehr er schwitzte, desto leichter wurde ihm.
Die galoppierenden Pferde wurden müde und langsamer. Der Passgänger hatte die höchste Entfaltung seiner Kräfte noch nicht erreicht. »Tschu, Gülsary, tschu!«, hörte er die Stimme des Herrn, und die Sonne rollte ihm noch schneller entgegen. Wutverzerrte Reitergesichter, in der Luft stehende Peitschen, geöffnete, röchelnde Pferdemäuler flogen vorüber und blieben zurück. Die Macht der Trense war gebrochen. Gülsary spürte weder Sattel noch Reiter mehr, in ihm brauste nur der flammende Odem des Rennens.
Bald liefen nur noch zwei Pferde vor ihm, ein Grauschimmel und ein Fuchs, starke Rennpferde, und Gülsary holte sie lange nicht ein. Erst an einer Steigung ließ er sie hinter sich. Er nahm die Anhöhe, schwebend und schwerelos, als trüge ihn eine Meereswelle. In seiner Brust brannte es wie Feuer, und die Sonne strahlte noch heller, als er das Geläuf hinunterschoss. Doch bald hörte er hinter sich den Hufschlag aufkommender Pferde. Der Grauschimmel und der Fuchs forderten ihn. Sie schlossen von beiden Seiten dicht auf und gaben keinen Schritt mehr preis.
So jagten sie zu dritt Kopf an Kopf dahin. Gülsary schien es, als liefen sie nicht mehr, sondern als seien sie schweigend erstarrt. Er sah den Ausdruck der Augen, die angespannt vorgestreckten Mäuler, die Trensen, Zäume, Zügel. Der Grauschimmel blickte wild und trotzig, der Fuchs war unruhig, sein Blick unsicher. Er ließ als Erster nach. Sein umherirrendes Auge, das Maul, die geblähten Nüstern blieben zurück, und dann war er nicht mehr zu sehen. Der Grauschimmel quälte sich lange. Sein Auge funkelte in hilfloser Wut.
Dann blieb auch er zurück. Als die Gegner ausgeschaltet waren, wurde es leichter. Vorn schimmerte silbern der Fluss, grün leuchtete die Wiese, und schon drang das Tosen menschlicher Stimmen herüber. Die leidenschaftlichsten Zuschauer ritten johlend und schreiend am Geläuf entlang. Der Passgänger wurde plötzlich müde. Die große Entfernung machte sich bemerkbar, die Kräfte ließen nach.
Aber dort vorn rumorte und wogte die Menge. Das Schreien wurde immer stärker, und plötzlich hörte Gülsary klar und deutlich seinen Namen: »Gülsary! Gülsary!« Der Ruf verstärkte seine Kraft, riss ihn vorwärts.
Unter nicht enden wollendem Jubelgeschrei trabte Gülsary zwischen den Reihen hindurch, mäßigte den Gang und beschrieb auf der Wiese einen Kreis.
Aber das war noch nicht alles. Jetzt gehörten er und sein Herr nicht mehr nur sich allein. Während der Passgänger verschnaufte, lief die Menge zusammen, umschloss die beiden. Und wieder erklang der Ruf: »Gülsary, Gülsary, Gülsary!« Viele riefen auch: »Tanabai, Tanabai, Tanabai!«
Stolz und feurig trabte Gülsary in dem Kreis, mit hoch erhobenem Kopf und blitzenden Augen. Vom Hauch des Ruhmes trunken, beschrieb er tänzelnd ein Travers und fiel dann in eine Passage. Er spürte, dass er schön, stark und berühmt war.
Tanabai ritt mit den ausgebreiteten Armen des Siegers, und wieder wallte das »Aameen« wie ein Seufzer von einem Ende zum anderen, hoben sich Hunderte von geöffneten Händen an die Stirnen und senkten sich wie Wasserstrahlen über die Gesichter.
Unter den...
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