Schweitzer Fachinformationen
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Auf der Suche nach dem legibrerianischen Hasen, der scheinbar fliegen kann, reist der englische Naturforscher Clarke in den Süden Argentiniens. In Begleitung des jungen Aquarellmalers Carlos Alzaga Prior und des Gauchoführers Guana begegnet »der Engländer« einer Gruppe indigener Mapuche, die ihm schließlich bei seiner Mission helfen und ihn in ihre Lebensweise sowie Sprache einführen. Als Gegenleistung soll Clarke ihnen bei der Suche nach dem vermissten Stammesanführer helfen. Doch ist dieser wirklich entführt worden? Existiert ein hasenförmiger Diamant der Witwe Rondeau tatsächlich? Auch eine Reihe ungewöhnlicher Phänomene macht dem Naturforscher zu schaffen: menschengroße Enten, improvisierte Kehlenschlitzer, ein Betrunkener, der ihm über den Kopf fliegt, eine durch unterirdische Tunnel reitende Kriegerkolonne und sein Doppelgänger, der ihm um Mitternacht begegnet.
Voll Witz, Ironie und mit dem bekannten Aira-Zauber reflektiert César Airas Großwerk subtil über die Liebe, den Kolonialismus des viktorianischen Zeitalters und die Realitäten, die die Sprache formt.
Schweißgebadet, die Augen schreckgeweitet, sprang der Restaurator aus dem Bett, stand eine Weile schwankend auf den kalten Fliesen und flatterte mit den Armen wie eine Ente. Er war barfuß und im Nachthemd. Zwei weiße, sehr saubere Laken, von den Konvulsionen des Alptraums zerwühlt und verknäult, waren das einzige Bettzeug auf einer Pritsche aus Bronzerohr und Lederriemen, die ihrerseits das einzige Möbel in dem kleinen Siesta-Alkovens war. Er griff sich eines der Laken und wischte sich Gesicht und Hals damit trocken. Noch pochte ihm vom nachwirkenden Entsetzen das Herz bis zum Hals; die Nebel der Benommenheit aber begannen sich bereits zu lichten. Er tat einen Schritt, dann noch einen; setzte den ganzen Fuß auf den Boden, denn er gierte förmlich nach seiner festen Frische. Er trat ans Fenster, lupfte mit der Fingerspitze den Vorhang. Der Hof war menschenleer, Palmen, senkrecht stehende Sonne, Stille. Er kehrte zur Pritsche zurück, legte sich aber nicht hin; vielmehr setzte er sich nach kurzer Überlegung auf den Boden, die Beine ausgestreckt, der Rücken aufrecht. Die Kälte der Fliesen an seinem nackten Gesäß verursachte ihm einen wohligen Schock. Er zog die Beine an und begann mit einer Folge von Klappmessern. Dazu nahm er die Hände hinter den Kopf, weil sich dadurch die Anstrengung noch steigern ließ. Anfangs musste er sich ins Zeug legen, später lief es wie am Schnürchen, schnell und geschmeidig, der Schwerkraft zum Trotz, und gab ihm Zeit nachzudenken. Er machte hundert am Stück, zählte automatisch in Zehnerblöcken und hing derweil seinen Gedanken nach. Er rekonstruierte den Alptraum in all seinen Details, gleichsam als selbstauferlegte Strafe. Das Wohlgefühl körperlicher Aktivität löschte den Schrecken der Erinnerung. Oder löschte ihn nicht so sehr, als dass es ihn handlich machte, zu einer weiteren Zahl im Rahmen seiner gymnastischen Übungen. Die allgemeine Bedeutung dieser Gespenster, die ihn zur Stunde der Siesta heimsuchten, blieb ihm durchaus nicht verborgen. Es waren die Eins, die Zwei, die Drei, die Vier, die Fünf, die Sechs, die Sieben, die Acht, die Neun, die Zehn. Wie sehr irrten diese tintenklecksenden Wilden, wenn sie annahmen, es handle sich um die Schatten seiner Verbrechen, die auf sein Gewissen fielen. Das hieße ja, rückwärts zu zählen: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins. Dabei verhielt es sich genau umgekehrt, und wenn seine Feinde sich so präzise irrten, dann weil die Opposition der Ort war, von dem aus man alles verkehrt herum sah; die Verbrechen, die er nicht begangen hatte, waren es, die ihn verfolgten, die Gewissensbisse, das Maß nicht vollgemacht zu haben. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Er war zu weich gewesen, hatte sich mit dem Üblichen zufriedengegeben. Sie sagten, er sei ein Monster, er dagegen bedauerte, irgendwo unterwegs die Gelegenheit verpasst zu haben, wirklich eines zu werden. Er bedauerte, nicht seine eigene Opposition zu sein, um sich, wie eine gut gemachte Stickerei, auf beiden Seiten zu verwirklichen. Eins, zwei, drei, vier . Es hatte ihm an Fantasie gefehlt, und ohne Fantasie konnte sich die Grausamkeit nicht voll entfalten. Fünf, sechs, sieben, acht . Die Träume waren das invertierte Bild der Anschuldigungen in Hieroglyphisch, die in jenen illustrierten Schmähschriften erschienen, früher in Der Schrei, später in Rosas Verrecke (was für kindische Namen). Verdrehte Welt. Eine Literatur war das. Das Rätsel der Träume fand seine Auflösung in der Traurigkeit über das vergangene Leben. Ihm fehlte das wahre erfinderische Genie, die poetische Gewandtheit. Neun . In seiner ein wenig barbarischen Unverblümtheit sich selbst gegenüber gestand er sich das ein und bedauerte es. Aber woher, woher bloß sollte er das Talent nehmen, die fantastische Negativität der Schreiberlinge von Montevideo in die Wirklichkeit, in das Leben, ins Argentinische zu verwandeln. Zehn, hundert .
Er genehmigte sich einen halben Liter Gin mit kaltem Wasser, während der andere eine Seite schrieb. Ein Gläschen pro Zeile, was nicht zu viel war. Jemand schreiben zu sehen faszinierte ihn. Er fand darin ein Schauspiel, das wie wenige sich selbst genügte, das dem Zuschauer nichts abverlangte. Sicher, er musste von seiner persönlichen Geduld etwas beisteuern, aber davon hatte er reichlich, so viel, dass er manchmal dachte, nichts könne ihren Rahmen sprengen. Der Zeitraum, in dem sich seine mündlichen Absichten in eine wohl formulierte und kalligrafierte Seite verwandelten, verging ihm wie im Flug. Darum war er so auf Sorgfalt bedacht. Es schien nichts zu passieren, aber er sah einen Brückenschlag zwischen Personen, nicht mehr und nicht weniger; in der dämmrigen Luft des Arbeitszimmers sah er den blassen Schemen eines Gespenstes. Gesten erzeugten immer eine Perspektive, erst recht, wenn sie jene des Schreibens waren. Die Bewegung von Arm, Hand, Pupille, Schreibfeder war eine prall gefüllte Absicht, wie eine Blase voll gespenstergeschwängerter Luft. Gespenster waren eine Person, die zu einer anderen wird. Er sah alles wie in feuchtem Glanz, als steckten die Dinge in einer Hülle aus sublimiertem Wasser. Das war eine Wirkung des Getränks in der flirrenden Hitze, aber auch Teil der Szene. Er behauptete, herausgefunden zu haben, dass gegen Hitze am besten Gin mit Wasser half; was er nicht sagte, war, dass ihm Hitze eigentlich nichts ausmachte. Doch die Illusion von Kälte zu erzeugen, als sehnlichen Wunsch, wenn Hitze herrschte, und umgekehrt, konnte wunderbar wirksam sein, um Äußerungen wirklich werden zu lassen; das erklärte, warum die Menschheit in prototypischer Gestalt der Engländer so leidenschaftlich über das Wetter sprach. Es war eine Welt in der Welt, aber nicht als Theater, sondern ernst genommen und geglaubt. Vielleicht bestand darin der Sinn der Drinks, die er sich mixte: das kalte Wasser für die Temperaturumkehr, der Gin für den Glanz, ohne den es keine Hüllen gab oder sie zumindest nicht zu sehen waren. Alles erschöpfte sich im Übergang von einem Zustand in einen anderen, von einem Körper in einen anderen, von einer Möglichkeit in eine andere. Und darin lag zuletzt auch die Erklärung dafür, warum er und sonst keiner der Restaurator und nichts anderes als der Restaurator war. Er war es, weil . Weil? Nein, es war ihm wieder entfallen, mit derselben blitzartigen Geschwindigkeit, mit der es ihm eingefallen war. Er zuckte die Schultern, im Geiste natürlich. Der Moment des Verstehens war verstrichen, ohne dass er es gemerkt hatte. Eine unbestimmte Zeit lang blieb er starr wie eine Mumie und dachte an nichts. Seine einzige Bewegung war, sich das Glas an die Lippen zu führen. Auf einmal reichte ihm der Sekretär das Blatt, ein Ausbund an Sorgfalt. Und mit der anderen Hand die Feder, damit er unterschriebe.
Hatte er sein Tagwerk verrichtet, das unendlich leicht war, wie nicht vorhanden, dann ging und setzte er sich unter das Laubdach, wo Manuelita ihm den Mate bereitete. Diese Stunde der Entspannung in intimer, familiärer Runde verwendete er darauf, nachzudenken. Paradoxerweise tat er das mit gänzlich leerem Kopf. Unmöglich, möchte man meinen, aber jemandem mit einer so hohen Meinung vom eigenen Verstand gelang das mühelos. Eine vielstimmige Menge Vögel sang, und drei oder vier Hunde liefen zwischen den sich vergnügenden Kindern hin und her. Ein Halbkreis aus Zitronenbäumen hinter ihm sorgte für saubere Luft; ein Korbweidenbaum direkt vor ihm, mit Zweigen, die unmittelbar aus dem Boden wuchsen, sah aus wie eine wildwüchsige Ikebana, die man dort platziert hatte, um ihm eine Freude zu machen. Die stark zertrampelte Erde unter den Weinranken war ihm zu Ehren leicht begossen worden. Manchmal, wenn er an nichts dachte, konnte es passieren, dass er sich für den einzigen Menschen auf Erden hielt, den einzigen wirklich lebendigen. Nicht ein Lüftchen regte sich, aber die Hitze war alles andere als erdrückend. Manuelita, hässlich und bleich, lief mit dem Mate in der Hand zwischen Küche und Sessel hin und her. Ihr geliebtes Papachen trank im Laufe solcher Sitzungen kaum ein halbes Dutzend Mates, weshalb es nicht lohnte, die Vorrichtungen dafür nach draußen zu verfrachten. Sie wartete im Stehen, während er mit schockierendem Geräusch am Röhrchen saugte. Rosas fand seine Lieblingstochter weder reizvoll noch intelligent; eher war er davon überzeugt, dass sie blöde war. Blöde und versnobt, das war Manuelita. Das Schlimmste aber war ihr unentschuldbarer Mangel an Natürlichkeit. Eine unansehnliche Marionette. »Sie ist eine meiner furchtbarsten Marotten«, pflegte er seinen Freunden zu gestehen. Er hatte an diesem Mädchen einen Narren gefressen, wusste aber nicht warum. Es herrschte eine Art Missverständnis zwischen ihnen, so weit sah er klar, aber auch nicht einen Millimeter weiter. Sie war fest davon überzeugt, dass ihr Papachen sie vergötterte. Er aber fragte sich, wie er sie hatte zeugen können. Zum Glück war eine Vaterschaft immer ungesichert. Die Mutterschaft dagegen so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn er Manuelita anschaute, fühlte sich Rosas als Frau, als Mutter. Seit Jahren spielte er mit dem Gedanken, sie mit Eusebio zu verheiraten, einem seiner Idioten. Das war sein geheimer Plan, skandalöses Vergnügen am Unmöglichen. Das Skandalöse daran war, dass das Unmögliche, wie jeder weiß, immer als Erstes Wirklichkeit wird. Als er daher eines Tages sah, dass die Wilden ihm in ihren Schmähschriften genau diesen Plan andichteten, kannte seine Verblüffung keine Grenzen. Ganz sicher hatte er davon kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Und sie schrieben nicht nur davon, sondern fertigten auch, wie es ihre eingefleischte Gewohnheit war, eine Zeichnung voller Spruchblasen an. Klar, dass die dreckigen...
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