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Alles begann in einem Kornfeld. Eine romantische Liebe zwischen zwei jungen Menschen an einem Sommerabend zwischen Blumen und Stroh, die Grillen zirpten und es duftete nach Heu. Genauso wie es Jürgen Drews in seinem Schlager "Ein Bett im Kornfeld" besingt. So habe ich mir meine Entstehung immer vorgestellt. Ich bin ein hoffnungsloser Romantiker und deshalb tröstet mich der Gedanke an eine solche Sommerromanze. Was allerdings dagegenspricht, dass es tatsächlich so war, ist mein Geburtsdatum: Ich kam im September auf die Welt.
Spätestens als ich mich ankündigte, war es dann aus mit der Romanze. Mein Vater stand nicht zu diesem "Produkt" der Liebe. Wobei das Wort "Produkt" hier seltsam klingt. Genauso seltsam wie das Wort "Erzeuger", das meine Mutter von nun an als Synonym für meinen Vater gebrauchte. "Erzeuger" - wie dämlich das klingt aus der Sicht eines Kindes, aus der Sicht des "Produkts". Ich bin doch nicht nur ein "Produkt", ein zusammengebastelter Mensch.
Bei Erzeugnissen denke ich eher an Milchprodukte oder Joghurtzubereitungen, etwas Zusammengerührtes halt. Ich verstehe natürlich, dass so manche Mutter den Vater ihres Kindes nicht Vater nennen möchte, weil er das Wort Vater in ihren Augen nicht verdient. Das traf auch auf meinen Vater zu. Er hatte diese Bezeichnung nicht verdient, da er die Rolle nie ausgefüllt, ja nicht einmal angenommen hatte. Er wollte nicht mein Vater sein und ich sollte nicht sein Kind sein. Am Ende war ich froh, dass ich wenigstens einen Stiefvater hatte, der meine Mutter später heiratete und den ich "Papa" nannte. Dass ich ein unehelich geborenes, nicht gewolltes Kind war und einen anderen Vater hatte, erfuhr ich ungefähr mit sechs Jahren. Ich weiß nicht genau, wo es herkam, aber dieses starke Gefühl, meinen richtigen Vater kennen zu wollen, zu wissen, wie er ist und was ich von ihm geerbt hatte, wurde von da an immer stärker. Es fühlte sich an wie ein loser Stecker, der nicht in der passenden Steckdose sitzt. Ich fühlte mich nicht vollständig, nicht verbunden mit meiner eigenen Herkunft.
Das Licht der Welt hatte ich im Jahr 1973 erblickt. In Sachsen in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik, kurz DDR, ganz in der Nähe von Leipzig. Da wir, als ich drei Jahre alt war, von Sachsen wegzogen, spreche ich keinen sächsischen Dialekt. Meine Mutter schon, und zwar richtig. Sprachlich ist von meiner Herkunft "nüscht" mehr übrig. Hin und wieder imitiere ich das Sächsische, was mir aber von sächsischen Ureinwohnern nicht abgenommen wird.
In meinem Geburtsjahr 1973 wurde auch das erste Mobiltelefonat geführt, das Wort "aufmüpfig" wurde Wort des Jahres und Bayern München war deutscher Meister. Also ein relativ normales Jahr.
Aber von all dem, was in diesem Jahr passierte, habe ich ja nichts wirklich mitbekommen. Zumindest habe ich es nicht in meiner Erinnerung abgespeichert. So beginnen meine bewussten Erinnerungen wie bei den meisten Menschen mit kurzen Erinnerungsfetzen, kleinen Erlebnissen. Das Früheste, an das ich mich erinnern kann, ist ein Besuch im Krankenhaus mit etwa zweieinhalb Jahren. Ich wurde wegen eines Leistenbruches operiert. Ich erinnere mich noch genau an die frischen weißen Laken in den Gitterbettchen der Kinderstation.
Der nächste Erinnerungsfetzen ist der Umzug, als ich etwa drei Jahre alt war. Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl der Entwurzelung, das mich mein weiteres Leben über begleiten sollte. Meine Eltern sind so oft umgezogen, dass sie scherzhaft meinten, wir bräuchten deshalb keinen Urlaub und keine Ausflüge zu machen, weil wir ja ständig in eine neue Gegend kamen. Wir sind so oft umgezogen, dass ich in meiner Schulzeit zehn verschiedene Schulen besucht habe. Der erste große Abschied fiel mir schwer. Bis dahin hatte ich in der Nähe meiner Oma und meiner Tanten und Onkel gewohnt. Und nun zogen meine Eltern von Sachsen nach Brandenburg, weit entfernt von meinen Verwandten und meiner ersten Heimat. Ich erinnere mich auch noch sehr genau, dass während des Umzugs mein Lieblingsspielzeug, eine Blechtrommel, verloren ging. Vielleicht hat man sie auch verschwinden lassen, da ich das ganze Dorf mit meinen nicht sehr musikalischen Künsten beglückt hatte. Mit dem Umzug versprachen mir meine Eltern, dass alles besser werden würde. Sie erzählten, was es an unserem neuen Wohnort alles geben würde und warum es sich lohnen würde, Abschied zu nehmen. Aber ich wollte nicht umziehen, überhaupt nicht. Und weil ich partout nicht wollte, lief ich weg. Am Ende hat alles nichts geholfen, wir sind umgezogen.
Die Ankunft in der neuen Heimat war dann eher ernüchternd. Die ersten Nächte musste ich mit meinem Vater auf einer Matratze schlafen, weil wir noch keine Möbel aufgebaut hatten. Es hat dann viele Tage gedauert, bis alles an seinem Platz war. Unsere direkten Nachbarn waren zwei ältere Damen. Eine davon sollte später meine Kindergärtnerin werden. Wir wohnten in der Dorfstraße 50, im letzten Haus des Dorfes, direkt hinterm Ortsschild. Um uns herum nur Felder und Wald und der Friedhof. Er war klein und für mich als Kind eher ein gruseliger Ort. Ich hatte schreckliche Angst vor allem, was mit Tod zu tun hatte. Und wann immer eine Beerdigung dort stattfand, verkroch ich mich in meinem Zimmer und ging nicht vor die Tür.
Direkt auf der anderen Straßenseite war die Müllkippe. Damals hat man einfach alles zum "Schuttplatz" gebracht. Und wenn ich sage "alles", meine ich alles. Es sollte für mich so etwas wie ein Abenteuerspielplatz werden, eine wahre Fundgrube.
Unser neues Zuhause war ein kleiner Hof mit Stallgebäuden, einem Schuppen, einem Keller, einer Waschküche und einem riesengroßen Garten. Also schon um einiges größer als unsere erste Wohnung. Aber trotzdem fühlte ich mich unwohl, nicht zu Hause und vor allem viel zu weit weg von meiner Oma, die ich liebte. Meine Oma war eine sanfte Frau und wie es sich damals gehörte für eine Oma trug sie eine Kittelschürze, ein Kopftuch und war nicht gerade schlank. Mein Opa war kurz vor meiner Geburt gestorben. Meine Mutter meinte immer, ich hätte einiges von ihm geerbt, zumindest was die Persönlichkeit anging.
Einige Wochen nach unserem Umzug besuchten wir meine Oma endlich wieder. Von da an freute ich mich immer sehr auf die Besuche bei ihr. Sie hatte auch einen großen Hof und viele Tiere. Manchmal blieb ich für längere Zeit bei ihr. Das war für mich immer wie nach Hause kommen. Es war alles so vertraut. Bis heute habe ich die Bilder von damals in meinem Kopf. Komischerweise wohnte meine Oma auch direkt gegenüber von einem Friedhof. Der hatte aber irgendwie nichts Gruseliges für mich. Wir besuchten dort oft das Grab meines Opas und machten es mit Blumen hübsch. Ich wollte alles wissen über meinen Opa. Meine Oma erzählte, dass er musikalisch war und häufig auf seiner Mandoline spielte. Nicht verwunderlich, denn sein Vater wiederum war Berufsmusiker.
Mein Opa war wohl auch ein hoffnungsloser Romantiker gewesen. Das gefiel mir sehr, schließlich sollte ich ihm in diesem Punkt sehr ähnlich werden. Er schrieb Gedichte und eines davon hing im Flur meiner Oma. Ein rotes Herz hatte er darauf gemalt und den Text hatte er mit einer Schreibmaschine getippt. Schade, dass ich meinen Opa nie kennengelernt habe. Ich glaube, wir hätten uns gut verstanden.
Bei meiner Oma gab es häufig auch etwas aus dem "Westpaket" von Tante Alwine. Das war die Schwester meiner Oma. Regelmäßig schickte sie eines der im Osten so beliebten Pakete. Das Größte war es für mich, ein Stück der köstlichen Schokolade aus dem Westen zu ergattern. Hin und wieder bekamen wir auch edel duftende Seife aus dem Westpaket. Ich konnte stundenlang daran schnuppern. Der Geruch liegt mir noch heute in der Nase und erinnert mich an diese Zeit, in der wir uns über ein Stück Seife und ein Stück Schokolade so sehr freuen konnten. Ich zumindest.
Gerüche haben mich schon immer sehr angesprochen. Zu fast jedem Erlebnis habe ich einen ganz bestimmten Duft in der Nase. Wenn ich diesen Duft rieche, erinnere ich mich sofort an eine bestimmte Situation. Meine Mutter bekam aus den Westpaketen meist ein Bleikristallglas. Damals war das wohl noch etwas Besonderes.
Zurück zu unserem Dorf in Brandenburg. Es war ein kleines Dorf und jeder kannte hier jeden. Damals arbeiteten viele direkt im Dorf. Fast alle waren in der sogenannten LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, beschäftigt. So auch meine Eltern. Sie arbeiteten im Kuhstall. Die Arbeit in der LPG hatte den Vorteil, dass man an Futtermittel und sogar Masttiere günstig herankam. Das Ganze nannte sich "Deputat" und meinte das Kontingent, das einem als Mitglied der Genossenschaft zustand. So kam es, das wir bald unsere ersten "Deputatschweine" bekamen. Dazu gab es noch ein paar Säcke Futter, das zumeist aus Weizen...
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