Schweitzer Fachinformationen
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»Meine Schwestern sollen kommen!«
Der General schaute auf das elfjährige Kind hinab, das ihn und seine Soldaten anschrie.
Er wusste nicht, was passiert war. Sie war zu Anfang so eine liebenswürdige Bereicherung gewesen. Ruhig. Bescheiden. Sie hatte sich nicht zur Wehr gesetzt, als sie sie abgeholt hatten. Nur ihre Schwestern. Dem seltsamen Haufen von Leuten, die in einer kleinen Häusergruppe mitten in Wisconsin wohnten, war es kaum möglich gewesen, die beiden älteren Mädchen zurückzuhalten.
Eigentlich hatten sie gar nicht wie richtige Schwestern ausgesehen. Eine war schwarz und hochgewachsen, die andere eine zierliche Asiatin mit kräftigen Schultern - er hatte angenommen, dass sie Turnerin war. Die Tochter seiner Schwester hatte auch solche Schultern und sie würde zur Sommerolympiade fahren.
Am liebsten hätte er den beiden Mädchen die Nummer eines Musterungsoffiziers gegeben. Jeder, der so unnachgiebig kämpfte, sollte eine Karriere beim Militär in Betracht ziehen.
Ihre kleine Schwester hatte sich jedoch nicht gewehrt. Sie hatte nur den Kopf gesenkt, sich einen Rucksack voller Notizbücher geschnappt und dann war sie seinen Männern nach draußen zum Wagen gefolgt. Während der ersten beiden Wochen war sie ruhig geblieben.
Dann hatte sich etwas verändert. Sie hatte sich verändert. Und zwar drastisch. Einer der Psychiater, die sie mit der Aufgabe betraut hatten, die Gefühle des Kindes zu überwachen, meinte, sie leide an »Depressionen« und brauche Medikamente.
Zuerst hatte der General nichts von Medikamenten wissen wollen. Einem elf Jahre alten Mädchen Medikamente zu geben, war seiner Einschätzung nach völlig unangemessen, und niemand wollte schließlich die Funktionsweise des Gehirns dieses Wunderkindes beeinträchtigen. Er hatte angenommen, dass sie lediglich etwas Disziplin brauchte. Sie musste in ihm die Vaterfigur sehen, die sie nie gehabt hatte. Also war er zu ihr gegangen und hatte versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Das hatte nicht geholfen. Sie hatte ihn bloß mit säuerlicher Miene angeschaut, bis sie - nach einer Woche, in der er sie regelmäßig besucht hatte - plötzlich ein schweres Laborinstrument aus Metall nach ihm geworfen hatte. Beinahe hätte sie ihn am Kopf erwischt, doch er war rechtzeitig in die Hocke gegangen. Dann hatte sie zu schreien begonnen: »Meine Schwestern sollen kommen!«, und seither hatte sie nicht mehr damit aufgehört.
Ganz gleich, was sie zu ihr sagten oder womit sie sie zu bestechen versuchten, sie wollte es nicht hören. Sie wollte, dass ihre Schwestern kamen, und das anscheinend sofort.
Trotz seiner besten Absichten hatte er dem Psychiater schließlich nachgegeben und sich von seinen Vorgesetzten die Zustimmung geholt, dem Mädchen Medikamente zu verabreichen.
Vor dem Labor wartete in diesem Moment medizinisches Personal mit einer Spritze mit dem Medikament, das sie ausgewählt hatten, weil das Fräulein ihnen seine Tabletten ins Gesicht spuckte, wenn sie versuchten, sie dazu zu zwingen, diese einzunehmen.
Der General versuchte es noch einmal: »Also, Miss Stasiuk .«
Sie schlug mit der Hand auf die Granittheke. »MacKilligan. Ich bin eine MacKilligan!«, schrie sie. »Und meine Schwestern sollen kommen!«
»Ich habe es versucht«, sagte er zu ihr, bevor er einen Schritt nach hinten machte. »Schwester?«
Die Privatkrankenschwester des Psychiaters kam mit einem Edelstahltablett herein, auf dem eine aufgezogene Spritze lag.
Sobald das Kind die Spritze sah, bekam es richtig Angst. Seine Augen weiteten sich und es wich zurück, bis es gegen den Labortisch hinter sich stieß.
»Bleiben Sie weg von mir«, wimmerte das Mädchen. »Bleiben Sie weg von mir.«
»Es ist alles gut, Miss Sta. ähm . MacKilligan«, redete er besänftigend auf sie ein. »Wir wollen nur, dass Sie sich besser fühlen. Habe ich recht, Schwester?«
Die Krankenschwester nickte und trat vor. »So ist es.«
Das Mädchen starrte die Krankenschwester eindringlich an, bevor sie sie unvermittelt beschuldigte: »Sie versuchen, mich umzubringen.«
Die Feststellung wurde ruhig, aber so entschieden vorgebracht, dass alle im Raum erstarrten und sie ansahen.
»Was?«, fragte der General.
»Sie versuchen, mich umzubringen«, wiederholte sie.
Der General blinzelte schockiert. »Natürlich tun wir das nicht. Miss MacKilligan .«
»Sie wollen meinen Tod! Sie arbeiten für die andere Seite!«
»Welche andere Seite? Wovon redest du? Niemand versucht, dich umzubringen. Wir versuchen nur, dir zu helfen!«
Das Gesicht der kleinen Schlange war rot und sie ballte die Hände zu festen kleinen Fäusten. Alle Muskeln ihres Körpers waren angespannt, als sie kreischte: »Sie versuchen, mich uuuuuumzubringen!«
Ihre Stimme war so laut, dass es dem General vorkam, als würden die Fenster im Labor klirren, doch er war sich sicher, dass das lediglich seine Fantasie war, die unter solch seltsamen Umständen Amok lief.
»Niemand versucht, dich umzubringen!«, überschrie er das Gebrüll des Kindes. »Wir haben diesen ganzen Stützpunkt für dich gebaut. Also beruhig dich und lass dir deine Medizin geben!«
Die Krankenschwester stand jetzt neben ihm und rief mit einem Seufzen nach zwei Pflegern. Die Männer kamen herein, gingen zu dem Mädchen und versuchten, es an den Armen zu packen und festzuhalten. Jetzt sah der General den Widerstand, den er nicht gesehen hatte, als sie sie hergebracht hatten.
Wie ein wirbelnder Derwisch in Panik trat und schlug das Kind um sich, sprang von den Männern weg und schrie wild, bevor es flüchtete.
»Haltet sie fest!«, befahl die Krankenschwester, und die Pfleger jagten dem Kind durch das große Labor hinterher. Aber wann immer sie in seine Nähe kamen, duckte es sich unter ihren Beinen hindurch, sprang über ihre greifenden Hände hinweg oder warf irgendetwas nach ihnen, sodass es ihnen immer wieder entwischte.
Der General verdrehte die Augen und nickte einem seiner Männer zu. Der Soldat schloss die Tür und schnitt dem Kind den Fluchtweg ab. Der General gab zwei anderen Männern ein Zeichen.
Mit präzisen Bewegungen näherten die Soldaten sich dem Mädchen. Einer riss das Kind hoch und drückte es sich mit dem Rücken an die Brust.
»Wenn Sie so freundlich wären«, forderte der General die Krankenschwester auf.
Sie stellte das Tablett auf einen Labortisch und zog die Kappe von der Injektionsnadel. Dann ging sie auf das Kind zu.
Zappelnd und schreiend tat das Mädchen sein Bestes, sich gegen den Mann zu wehren, der es umklammerte, während ein anderer Soldat ihm den den Arm festhielt. Doch die ausgebildeten Männer bezähmten das Mädchen mühelos, ohne ihm Schaden zuzufügen.
Dankbar, dass dieses Desaster fast vorüber war, stieß der General den Atem aus und ließ den Blick durch den Raum wandern. In diesem Moment wurde ein Metallgitter in der Decke von einem in einem Turnschuh steckenden Fuß weggetreten, sodass es einem Pfleger auf den Kopf krachte und ihn mit einer ernsten Kopfverletzung zu Boden gehen ließ.
Die asiatische Halbschwester des Wunderkindes sprang aus dem Schacht auf den Boden. Die andere Schwester folgte ihr. Sobald ihre Füße auf dem Boden aufkamen, packte sie den zweiten Pfleger und schleuderte ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit quer durch den Raum, während das andere Mädchen auf den Soldaten zustürmte, der ihre Schwester festhielt. Als sie sich ihm näherte, hob sie plötzlich einen Fuß und stemmte ihn gegen den Labortisch. Sie stieß sich in Richtung des anderen Laborarbeitsplatzes ab, drückte den anderen Fuß gegen den Granit und warf sich auf den Soldaten.
Sie schlang ihren Körper um dessen Kopf, doch der Soldat ließ seine Gefangene nicht los. Der zweite Soldat ging auf die älteste Schwester zu, aber sie packte seinen ausgestreckten Arm und schwang ihn gegen den Labortisch. Dann legte sie ihm einen Arm um den Hals und drückte ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch. Sie hob ein Bein, trat kräftig gegen den Unterschenkel des Soldaten und brach ihm das Knie. Sein Schrei hallte durch den Raum.
Der General seufzte verärgert. Wenn dieser Auftrag abgewickelt war, hatte er sich eine Medaille verdient. Denn das hier war verdammt noch mal lächerlich!
Der Soldat weiter vorn im Raum riss die Tür auf und schrie den Männern, die im Gang Wache standen, zu: »Ich brauche Hilfe hier drin!« Sie kamen mit gezogenen Pistolen hereingelaufen, doch sobald sie im Raum waren, blieben sie stehen und senkten sofort ihre Waffen.
Der General wusste nicht, warum, bis er den kalten Lauf eines Revolvers an der Schläfe spürte.
»Lassen Sie meine Schwester gehen, oder ich blase diesem Hurensohn das Gehirn weg«, verlangte die Älteste gelassen und ohne Panik in der Stimme, die man bei ihrer kleinen Schwester heraushörte.
Es war ein trauriger Tag, an dem ausgebildetes Militär nicht mit drei kleinen Mädchen fertigwurde, von denen die Älteste noch keine achtzehn war.
Der Soldat, um dessen Kopf sich noch immer die mittlere Schwester gewickelt hatte, ließ das kleine Mädchen los. Stevie MacKilligan trat von ihm weg und strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht.
Dann richtete sie ihren Blick auf die Krankenschwester, die immer noch die Spritze in der Hand hielt.
»Sie waren ja wirklich wild darauf, mir das da zu verabreichen«, sagte sie.
»Es ist nur etwas, das dir helfen soll«, beteuerte die Krankenschwester sanft und vernünftig. »Damit du ruhig bleibst.«
»Wirklich?« Das Kind riss der Schwester die Spritze weg. »Dann versuchen Sie es doch...
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