Schweitzer Fachinformationen
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1 Es war nicht das erste Mal, dass er um sein Leben rannte. Und es würde höchstwahrscheinlich auch nicht das letzte Mal sein. In den vergangenen Jahrzehnten war er allerdings meistens vor wütenden Vätern geflohen, die ihn an Orten vorgefunden hatten, wo er ihrer Meinung nach nicht hätte sein sollen.
Doch heute rannte Gwenvael vor seiner eigenen Verwandtschaft davon. Nicht, dass das in irgendeiner Form neu gewesen wäre, aber es war schon eine Weile her, seitdem das zum letzten Mal hatte sein müssen.
Es stimmte schon, dass er den Mund hätte halten sollen. Dabei war es eine durchaus legitime Frage gewesen. Wie immer hatte seine Sippe aber alles unverhältnismäßig aufgebauscht und ließ ihre deplatzierte Wut jetzt an ihm aus.
Warum gaben sie nicht einfach zu, dass sie neidisch waren? Denn er war Gwenvael der Schöne. Drittgeborener Sohn und viertgeborener Nachkomme der Drachenkönigin, ehemaliger Hauptmann der Streitkräfte der Drachenkönigin im Norden und meistgeliebtes männliches Wesen im gesamten Gebiet der Dunklen Ebenen: Gwenvael war prachtvoll, großmütig und liebevoll.
Und seine Sippe hasste ihn dafür.
Abgesehen davon: Wer sollte ahnen, dass eine Königin so empfindlich sein konnte? Selbst eine menschliche.
Er hatte doch nur eine einfache Frage gestellt – »Ist das normal, dass du schon im siebten Schwangerschaftsmonat so dick bist?« Eine einfache Frage, die Tränen, unattraktive Schnieflaute und geschleuderte Waffen zur Folge gehabt hatte. Die Menschenkönigin mochte ihre Fähigkeit verloren haben, schnell zu laufen, aber ihr Wurfarm war immer noch effektiv. Sie hat mir fast mein verdammtes Ohr abgeschnitten!
Jetzt hatte der Gefährte der Königin – auch bekannt als Gwenvaels ältester Bruder und zukünftiger Drachenkönig der Südländer, Fearghus – das Bedürfnis, ihn wie ein Karnickel zu jagen.
Das war der Grund, warum Gwenvael davonrannte. Denn wenn Fearghus der Zerstörer Gwenvaels hübsches Gesicht tatsächlich zerstörte, würde man den großen Mistkerl nie dafür bestrafen. Man würde ihm wie immer seine brutalen Übergriffe verzeihen, während man Gwenvael seine sinnlichen nie verzeihen würde.
Er wurde nackt mit ein paar Küchenmädchen seines Großvaters erwischt? Sofort bekam er die Klaue seines Vaters am Hinterkopf zu spüren. Er deutete an, seine Mutter solle sich, wenn sie sich in ihrer menschlichen Gestalt befand, besser Dinge vermeiden, die die Größe ihres Hinterns betonten? Sofort bekam er die Klaue seines Vaters am Hinterkopf zu spüren. Er schmiss eine kleine Party zum achtzehnten Geburtstag seines jüngsten Bruders Éibhear, an der auch ein paar Mädchen aus dem örtlichen Bordell beteiligt waren? Sofort bekam er die Klaue seiner Mutter am Hinterkopf zu spüren.
Fearghus dagegen hatte ihm vor mehr als einem Jahrhundert die Schwanzspitze abgehackt und war bis heute nicht dafür bestraft worden. Während seine stachelbewehrte Schwanzspitze, die die meisten Drachen als Waffe benutzten, irgendwo in einem Fluss schwamm, schleppte Gwenvael einen Stumpf durch die Gegend. Glücklicherweise hatte er andere Verwendungsmöglichkeiten für seinen tragisch lahmen, entstellten Schwanz gefunden. Die meisten weiblichen Wesen wussten diese sehr zu schätzen.
Gwenvael schoss um eine Ecke, auf die Ställe zu und zum Hintereingang wieder hinaus. In diesem Moment sah er die süße Izzy, die Tochter der attraktiven Talaith und von Gwenvaels idiotischem Bruder Briec.
Izzy war nicht Gwenvaels echte Nichte; ihr leiblicher Vater war ein Mensch aus den Südländern gewesen, der viele Jahre zuvor in einer Schlacht gestorben war – lange, bevor Talaith und Briec sich kennengelernt hatten. Doch Izzy gehörte zur Familie, und er liebte sie heiß und innig, genau wie sie ihn. Oder zumindest hatte er das geglaubt, bis sie in ihn hineinrannte, als er vorbeistürmte, sodass er gegen eine der Stalltüren flog. Er vergaß ständig, wie stark seine menschliche Nichte war. Ihre Mutter mochte eine kleine, zarte Hexe sein, die dazu ausgebildet war, auf Befehl zu töten, doch Izzy war ein ziemlicher Rabauke – und gefiel sich in dieser Rolle ungemein.
Izzy stand über ihm und rief: »Hab ihn!«
»Iseabail!«, schrie er, am Boden zerstört. »Mein Liebling! Meine geliebte Nichte! Wie konntest du nur?«
»Du hättest nicht ihre Gefühle verletzen sollen. Das war gemein.« Sie wackelte mit dem Finger vor seinem Gesicht. »Sei nicht immer so gemein!«
Izzy. Die süße, schöne, aber ewig sonderbare Izzy. Ihre Treue der Königin gegenüber stand außer Frage. Selbst jetzt trainierte sie täglich mit den Soldaten, in der Hoffnung, in den Krieg geschickt zu werden, damit sie ihre Loyalität mit Blut beweisen konnte. Warum irgendwer das Bedürfnis zu so etwas hatte, ging über Gwenvaels Verstand. Er mochte es nicht zu bluten oder auf sonst eine Art verletzt zu werden. Er hatte seine Körperteile gern genau dort, wo sie hingehörten – und zwar funktionsfähig. Er hatte es seinem Vater mehr als einmal sagen müssen: »Ich sagte, ich würde für den Thron meiner Mutter kämpfen. Ich habe nie gesagt, ich würde dafür sterben!« Einfach nur, um den alten Dummkopf zu einem seiner schäumenden Wutanfälle zu provozieren, fügte er jedes Mal hinzu: »Findest du nicht, ich sehe viel zu gut aus, um zu sterben?«
»Ich dachte, du liebst mich!«, schrie Gwenvael Izzy an.
»Nicht, wenn du gemein bist!« Ihre Herzensgüte war so echt, dass ihm nur einmal ganz kurz – na ja, vielleicht auch zweimal – der Gedanke kam, sie für diesen Verrat mittels eines Feuerballs aus seinem Leben zu streichen.
Große, grobe Hände schnappten Gwenvael bei den Haaren und zerrten ihn von den Ställen fort.
»Lass mich los, du Bastard!«
»Du gehst wieder da rein, du Hurensohn«, knurrte Fearghus. »Du gehst wieder da rein und entschuldigst dich, und wenn es das Letzte ist, was du tust!«
»Es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste!«
Als Beweis, dass er da anderer Meinung war, hielt Fearghus kurz an, um ihm mit seinem Riesenfuß in den Magen zu treten.
»Au!«
»Du hast sie zum Weinen gebracht. Niemand bringt sie ungestraft zum Weinen!«
Sie durchquerten jetzt den Rittersaal des Schlosses auf der Insel Garbhán. Einst war dies ein Ort des Schreckens gewesen, das Machtzentrum von Lorcan dem Schlächter. Jetzt gehörte es der Frau, die Lorcans uneheliche Halbschwester war und gleichzeitig diejenige, die ihn geköpft hatte.
»Ich kann allein gehen«, erklärte er Fearghus, als ihm klar wurde, dass die elende Echse nicht die Absicht hatte, in absehbarer Zeit anzuhalten. Obwohl Gwenvael bei seinem Fluchtversuch seine natürliche – und prächtige – Drachengestalt hätte annehmen können, hätte er damit nur unnötig die Menschen verstört, die hier lebten.Und das tat er sehr ungern. Er mochte Menschen … Nun, er mochte weibliche Menschen. Die Männer hätte er auch entbehren können.
»Ich jage dich nicht noch mal«, knurrte Fearghus und schleppte Gwenvael die harte Steintreppe hinauf. Als Gwenvael anfing zu treten und versuchte, sich aus Fearghus’ Griff loszureißen, schnappte der Zweitälteste, Briec, Gwenvaels Beine und half Fearghus.
»Du verräterischer Mistkerl!«
»Was machen wir mit ihm?«, fragte Briec erwartungsvoll. »Werfen wir ihn aus einem Fenster? Komm, lass ihn uns aus einem Fenster werfen! Oder vom Dach!«
»Wir bringen ihn zu Annwyl.«
»Meinst du nicht, dass unsere Mutter es merkt, wenn er keinen Kopf mehr hat?«
»Sie wird es merken«, antwortete Fearghus, der Gwenvaels Gezappel ignorierte. »Die Frage ist: Macht es ihr etwas aus?«
Jetzt, vor dem Schlafgemach der Königin, trat Fearghus die Tür auf und warf gemeinsam mit Briec den armen Gwenvael in den Raum hinein. Die Tür knallte zu, und Gwenvael ging auf, dass ihn seine Brüder auf Gedeih und Verderb der Königin der Dunklen Ebenen ausgeliefert hatten. Man nannte sie auch die Blutkönigin der Dunklen Ebenen, die Köpfende, die Verrückte Schlampe von Garbhán, oder noch markiger: Annwyl die Blutrünstige. Aus irgendeinem Grund war die Menschenkönigin dafür bekannt, ein kleines bisschen aufbrausend zu sein.
Sich innerlich wappnend, blickte Gwenvael zu der schönen Königin Annwyl auf und sagte: »Meine liebe, süße Annwyl. Meine Seele sehnt sich nach dir. Mein Herz verzehrt sich nach dir. Sag mir, dass du mir meine vorschnellen, törichten Worte vergibst und dass unsere Liebe nie vergehen wird.«
Sie starrte ihn lange an, und dann, zu Gwenvaels größtem Entsetzen, brach sie schon wieder in Tränen aus.
In diesem Augenblick wusste er, dass er das seinen Brüdern nie verzeihen würde.
Sie nannten sie Die Reinholdt-Bestie. Oder kurz: Die Bestie.
Das gefiel ihr nicht, vor allem, weil ihr Name eigentlich Dagmar war, aber sie tolerierte es. Es gab schlimmere Dinge in ihrer Welt als einen Namen zu bekommen, von dem sie nicht glaubte, dass sie ihn verdiente.
Na gut … vielleicht verdiente sie ihn ein bisschen.
Dagmar klappte ihr Buch zu und seufzte. Sie wusste, dass sie sich nicht den ganzen Tag in ihrem Zimmer verstecken konnte, egal, wie sehr sie sich das wünschte. Sie wusste, sie musste sich ihrem Vater stellen und ihm sagen, was sie getan hatte. Die Tatsache, dass sie es für das Herrschaftsgebiet und das Volk ihres Vaters getan hatte, würde Dem Reinholdt, dem mächtigsten Warlord der Nordländer, wenig bedeuten. Doch sie hatte früh in ihrem Leben gelernt, die »fünf Minuten« ihres Vaters, wie sie sie gern nannte, zu ignorieren, wenn sie...
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