Schweitzer Fachinformationen
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Wie sich die Erde bewegt. Wie langsam eine Hand nach oben kommt, Finger, die zweite Hand, knochig, und dieses Gesicht, von Würmern zerfressen. Eine Fratze, Augen, die schreien, Augen, die töten. Wie er aus dem Grab steigt. Und neben ihm noch einer, und noch einer. Wie sie ihre Zähne fletschen und über den Friedhof hinken. Wie Max und Baroni sich die Bäuche halten vor Lachen.
Im Friedhofsgarten die große Leinwand, übriggeblieben von der letzten Europameisterschaft, ein Beamer, zwei Freunde trinken Bier und schauen Zombiemassaker.
Ein Muss für einen Totengräber, hat Baroni gesagt.
- Und?
- Ein sehr schöner, ruhiger Film, Baroni.
- Ich wusste, dass dir das gefällt.
- Das ist ganz großes Gefühlskino.
- Was wohl Stein dazu sagt?
- Er packt gerade seine Koffer. Morgen ist Stein Geschichte.
- Er fährt also tatsächlich zur Kur, unser Herr Pfarrer.
- Der kommt nicht wieder.
- So leicht wirst du den nicht los, Max.
- Burnout, der kommt nicht mehr.
- Darauf trinken wir.
- Er sagt, ich bin dafür verantwortlich.
- Wenn er das sagt, wird es wohl so sein. Er ist schließlich Pfarrer.
- Er ist ein dummer alter Mann.
- Dann hoffen wir mal, dass etwas Besseres nachkommt.
- Der Neue ist nett, ich habe ihn in die Sauna eingeladen.
- Der neue Pfarrer geht mit euch in die Sauna?
- Warum nicht? Er kommt aus Afrika, der ist die Hitze gewöhnt.
- Depp.
- Er kommt wirklich. Er scheint sehr bemüht zu sein um seine neuen Schäfchen.
- Ihn stört das nicht, dass im Friedhofsgarten eine Sauna steht?
- Muss nicht jeder so ein Idiot sein wie Stein.
- Ein Schwarzer?
- Ja, das Dorf lebt seit Tagen in Angst, die alten Damen am Friedhof sagen, der Bimbo wird Unglück über die Gemeinde bringen.
- Bimbo?
- Die alte Apothekerin hat sogar Neger gesagt.
- Ungeheuerlich. Ich sage es immer wieder, du hättest mein Angebot annehmen sollen, Wien wäre besser für dich.
- Lass gut sein, Baroni.
- Das Angebot steht nach wie vor, du kannst die leerstehende Wohnung kostenlos haben, du lebst zwei Wochen im Monat kultiviert in Wien, und die anderen beiden Wochen kannst du immer noch hier mit deinen Leichen spielen.
- Du musst nicht jedes Monat wieder damit anfangen, mein Freund. Ich habe mich entschieden und die Entscheidung war richtig.
- Du gehörst nicht auf diesen Friedhof, ich werde dir das noch hundertmal sagen. Totengräber, das ist doch kein Beruf für einen jungen, attraktiven Mann. Stell dir doch mal vor, was wir gemeinsam in Wien bewegen könnten. Du und ich. Johann Baroni und Max Broll.
- Wenn du nicht gleich still bist, mache ich das hier auch mit dir.
- Was?
- Hast du das nicht gesehen?
- Was denn?
- Sie haben dem armen Zombie einfach den Kopf abgerissen.
- Ups.
Sie stoßen an, schlagen ihre Bierflaschen freundschaftlich aneinander, die Dachterrasse des Friedhofswärterhauses ist der schönste Platz auf der Welt, der Abend ist lau. Blut fließt. Die Zombies verspritzen ihr Innerstes, aus der Lautsprecherbox neben ihnen kommen angsterregende Geräusche, der Friedhof auf der Leinwand färbt sich rot. Max schüttelt grinsend den Kopf und holt Bier.
Es ist kurz vor Mitternacht. Hanni hat sich verabschiedet, als sie hörte, welchen Film sie sich ansehen wollten.
Männerabend, sagte Max.
Saufköpfe, sagte Hanni.
Sie umarmte ihn, als sie ging. Max vermisst sie, ihren Körper, ihre Haut, wie sie lacht. Kurz nur, er denkt an sie, lächelt. Er kommt zurück auf die Terrasse, immer noch laufen Tote zwischen den Gräbern herum, immer noch steigen sie aus dunklen Löchern, zerfetzen und zerreißen einander.
Baroni lacht. Max schaut hinunter auf seinen Friedhof, auf die Gräber, die Kreuze, die Kerzen. Gräber sind für ihn Alltag. Dass er Löcher für tote Menschen macht, ist für ihn selbstverständlich. Mit Toten ist er aufgewachsen, mit Knochen, die mit der Erde nach oben fliegen, mit weinenden Gesichtern, mit Blumenkränzen.
Von seiner Terrasse aus kann er den gesamten Friedhof überblicken. Beste Aussicht, schönes Leben. Rechts von der Friedhofsmauer, direkt unter ihnen, breitet sich sein Garten aus, neben der Blocksauna steht das zusammengenagelte Gerüst mit der Leinwand, an den Garten angeschlossen thront das Pfarrhaus, gegenüber erstrahlt Baronis Villa, ein architektonisches Meisterwerk, der Zweitwohnsitz des Mannes, der früher als Fußballer ein Vermögen verdient hat, ein Prachtbau, moderne Architektur vom Feinsten.
Die Augen von Max wandern im Kreis, er mag sein Leben, seine Wohnung, das Dorf. Dass Stein aus diesem Leben verschwindet, macht ihn glücklich.
Der Pfarrer steht am Fenster. Max begegnet seinem hasserfüllten Blick. Er winkt ihm zu. Mit Genugtuung und Freude sagt er ihm Aufwiedersehen. Baroni schüttelt den Kopf.
- Du bist bösartig, Max.
- Ich habe den Alten jetzt lang genug ertragen, und glaub mir, er war bösartig, nicht ich.
- Ist ja schon gut. Schau dir lieber an, wie die nächsten dreißig aus ihren Gräbern steigen, jetzt wird's erst richtig blutig.
- Muss ich mir eigentlich Sorgen machen, dass du solche Filme zuhause hast?
- Man muss in alle Richtungen hin offen bleiben.
- Was macht der da mit der Säge?
- Er schneidet sich das Bein ab, weil er von dem Zombie gebissen wurde.
- Er schneidet sich selbst das Bein ab?
- Er hat keine Wahl, Max.
- Das ist krank.
- Das ist meine absolute Lieblingsstelle, schau dir das an.
- Das geht zu weit, Baroni, was soll sich der Herr Pfarrer denken.
- Die Hand sägt er sich auch noch ab, das glaubst du nicht.
- Ein tapferer Bursche.
- Ich liebe diesen Film.
- Ein wirklich sehr, sehr schöner Film, Baroni, hat bestimmt einen Oscar bekommen.
- Das ist große Kunst.
- Genauso wie die hübschen Pünktchen in deinem Gesicht, die Anordnung der Flecken, die Formen, große Kunst, Baroni, ganz groß.
- Halt die Klappe, Max.
An allem war Baronis neue Freundin schuld.
Vor fünf Monaten hatte er Max überredet, ihn nach Wien zu begleiten, eine Woche lang Spaß in der Hauptstadt, hatte Baroni gesagt und sie für einen Flamenco-Workshop angemeldet, weil er die andalusische Tanzlehrerin zum Niederknien schön fand.
Max ist mitgefahren. Drei Abende lang stolperten sie im elften Bezirk über einen malträtierten Nussboden, drei Abende lang umwarb Baroni die Schöne. Am vierten Abend lag sie in seinem Bett. Charme, Liebe auf den ersten Blick oder Baronis peinliche, direkte Art, irgendetwas hatte dazu geführt, dass sich Sylvia Rodriguez Ortega in den ehemaligen österreichischen Stürmerstar verliebte. Aus seiner Zeit als Legionär spricht er etwas Spanisch, kennt die Kultur, die Eigenarten, die Vorlieben der spanischen Frauen.
Was für ein Weib, hat er gesagt.
La Ortega, wie Baroni sie nennt. Seit fünf Monaten sind sie ein Paar, seit fünf Monaten ist Baroni nicht mehr allein auf den Straßen. Die unzähligen flüchtigen Bettgeschichten sind Vergangenheit, das dauernde Gerede über Brüste und Ärsche auch. Baroni ist erwachsen geworden.
Vorübergehend, sagt Max.
Er ist kaum wiederzuerkennen, ist häuslich geworden, verkriecht sich in seinem Luxuswohnzimmer, macht die Vorhänge zu, versteckt sich mit seiner spanischen Schönheit vor der Welt. Nicht aber vor Max, die gemeinsamen Abende haben Tradition, und wenn la Ortega unterwegs ist, verbringt er nach wie vor mehr Zeit auf der Terrasse von Max als auf seiner eigenen. Die Liebe hat sich nicht zwischen die beiden gestellt, Hanni nicht, la Ortega nicht. Immer wieder sind sie zu zweit, immer wieder auch zu viert. Flamencoabende, gemeinsame Essen, Trinkgelage, schließlich auch Sauna.
Seit sie sich kennen, hat Max Baroni zu überreden versucht, mit ihm in die Friedhofssauna zu kommen, doch Baroni hat immer abgewehrt.
Nicht mit den Bauern, sagte er, niemals, nicht in diesem Leben.
Hunderte Aufgüsse wurden unten im Garten zelebriert, während Baroni oben auf seiner Terrasse stand und zuschaute, wie sie nackt im Garten lagen, im Schnee, im Herbstgras, in der Sommersonne glücklich, lächelnd neben den Toten. Max versuchte es immer wieder, doch Baroni blieb hart. Erst als la Ortega in sein Leben kam, öffnete er sich und würdigte das kleine Holzhäuschen. Zuerst mit Worten, später mit seiner Anwesenheit. Die kleine, mit Liebe zusammengenagelte Blocksauna wurde Baroni zum Verhängnis.
La Ortega schwärmte vom Schwitzen, sie bearbeitete Baroni mit allem, was sie hatte, wochenlang schrie sie nach oben, bat ihn herunterzukommen, mit ihr und den anderen zu schwitzen, doch Baroni blieb eisern. Erst als sie ihm androhte, nie mehr mit ihm zu schlafen, ging er mit ihr.
Baroni in der Sauna. La Ortega, Max und Hanni. Vor fünf Tagen, das Wasser auf dem Ofen, nackt, schön die Körper auf der Polarfichte, Max, wie er mit dem...
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