Schweitzer Fachinformationen
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Drei nackte Leiber, wie sie einfach daliegen und sich nicht rühren, nur die Körper im frischen Schnee. Wie die Sonne auf sie fällt, wie sie sich räkeln, ihre Haut am Boden. Um sie herum die Friedhofsmauer, dahinter hunderte Gräber. Der kleine Garten, das Friedhofswärterhaus, das Pfarramt, Baronis Villa. Wie sie ihre Glieder wohlig von sich strecken, Hanni, der Lehrer und Max. Es ist kalt, die Tür der Blocksauna steht offen. Ein kleiner Holzbau, aus einem Kamin kommt Rauch.
Max genießt die Kälte, die Wärme in sich, sein Herz, wie es rast, er genießt den Sonntagvormittag in seinem Garten. Hannis Brüste neben ihm, das alt gewordene Fleisch seines Volksschullehrers, der blasse, schmächtige Körper. Zusammen haben sie die Blocksauna gebaut, nachdem das Hallenbad geschlossen hatte. Zuerst war es nur ein Selbstbausatz auf ebay, dann ein LKW voll Holz, dann das Paradies, in das sie sich bei jeder Gelegenheit flüchteten. Die Saunarunde. In nur zwei Tagen hatten sie ihr neues Glück errichtet, hatten Bohlen über Bohlen gelegt, genagelt, gesägt, zusammen getrunken und gelacht, wenn Stein aus seinem Fenster schrie.
Stein war gegen die Sauna. Als er begriff, was unter seinem Schlafzimmerfenster vor sich ging, war das Fundament bereits fertig. Max schlug einen Nagel tief in die Polarfichte, Stein stand plötzlich hinter ihm.
- Was soll das, Broll?
- Guten Tag, Herr Pfarrer.
- Was machen Sie da?
- Ich nagle.
- Das Fundament, das ganze Holz, ich will nicht annehmen, dass es das wird, was ich mir denke.
- Ein kleiner Tipp: Es hat nichts mit Jesus zu tun.
- Broll.
- Stein.
- Sie bauen eine Sauna.
- Korrekt.
- Im Friedhofsgarten.
- Und?
- Das ist pietätlos, Broll.
- Pietätlos?
- Die Toten, Broll.
- Liegen da drüben.
- Sie hören sofort damit auf.
- Sie sollten jetzt besser gehen, Stein.
- Sie werden sich hier nicht entblößen, vielleicht gar nackt durch den Friedhofsgarten laufen. Das werden Sie nicht tun, Broll.
- Das ist mein Garten, Stein, mein Garten.
- Und mein Friedhof.
- Meine Sauna.
- Keine Sauna, Broll. Nicht hier.
- Doch, Stein, hier.
- Das werden wir ja noch sehen.
Stein ging. Max hämmerte weiter, die anderen hatten schmunzelnd zugehört und dabei weiter ein Stück Holz nach dem anderen an seinen Platz gelegt. 36 Stunden später goss Hanni das erste Mal auf, nackt liefen sie durch den Garten, tranken, lachten. Stein stand oben hinter seinem Vorhang und schaute nach unten. Damals. Auch jetzt wieder. Zwei Jahre später sind ihm die nackten Körper unten im Schnee immer noch Dornen in den Augen. Wie er das Fenster aufreißt und mit wütenden Augen nach unten schreit: Nicht am Sonntagvormittag, Broll.
Er lehnt sich weit aus dem Fenster, sein Kopf ist rot vom Sonntagsmesswein. Er starrt die Beine an, die Hände, Arme, Schenkel. Immer wieder schaut er weg, kippt seinen Kopf Richtung Himmel, immer wieder kehren seine Augen zu den Nackten zurück, zu Hanni, sie bleiben auf ihr liegen, auf ihrer Haut.
Max dreht leicht seinen Kopf, schaut nach oben. Langsam hebt er seine Hand und winkt, ein kleines Lächeln ist auf seinen Lippen, die Wintersonne in seinem Gesicht. Er blinzelt, streckt sich, Hanni schaut ihn an. Max erinnert sich daran, an die gemeinsame Zeit, er sieht es in ihren Augen, wie sie sich immer noch danach zurücksehnt, ihn zurückhaben will. Gestern, auch jetzt noch, immer. Hanni und Max.
Wie sie lächelt, wie Max beiläufig zurücklächelt, wie sein Blick wieder nach oben zum Pfarrer geht. Er überlegt, ob er ihn ignorieren soll, er bleibt liegen, spürt, wie sein Körper langsam auskühlt, er weiß, dass er es ihr wieder sagen muss. Dass sie damit aufhören soll, dass es nichts bringt, dass es nicht gut ist, wenn alles wieder von vorne anfängt, dass es vorbei ist. Er spürt ihre Blicke, die von Stein. Max steht auf.
Stein ist der zweite Pfarrer, den Max begleitet, den er erträgt, von dem er sich erklären lassen muss, was sich gehört und was nicht. Steins Vorgänger hat zumindest an manchen Tagen Spaß verstanden, Stein selbst tut das nicht. Er ist der Vollstrecker des Herrn, der Richter über Gut und Böse. Max spürt seine Verwünschungen täglich in seinem Rücken, den Hass, der aus dem kleinen dicken Mann kommt. Max schreit nackt zu ihm hinauf.
- Was gibt es heute zu Mittag, Stein?
- Broll, ziehen Sie sich an.
- Wie war die Messe?
- Ich kann das nicht länger dulden, Broll. Es reicht. Sie ziehen sich sofort an, alle ziehen sich an.
- Hanni, es reicht.
- Das ist mein Ernst, Broll, das hat jetzt ein Ende.
- Hanni, du sollst dich jetzt anziehen, der Herr Pfarrer hat für heute genug gesehen.
Max lacht. Das Fenster geht zu wie immer, die Drohungen sind leer wie immer. Nichts passiert, nur drei Nackte im Garten, die Sonne, Hanni, wie sie nicht aufhört, Max anzusehen, seinen Körper, sein Gesicht. Wie sie die Männer mit zärtlichen Klapsen zurück in die Sauna treibt. Wie Baroni zum Essen ruft.
Es ist nicht Baronis Stimme, die Max hört, es ist Musik, mit der Baroni ihn nach oben lockt, weg von den anderen. Baroni steht auf der Terrasse, er hat einen Hühnerflügel in der Hand, winkt und grinst. Max steht im Garten und schaut nach oben, er tritt von einem Bein auf das andere, ignoriert die Kälte, er liebt dieses Klavierkonzert, er will nur die Sonne in seinem Gesicht, die Musik, er will sie spüren, kalt auf seinen Fußsohlen. Er beginnt zu laufen, rennt durch den Garten, wärmt sich, laut die Musik von oben, Max kennt jeden Ton, er rennt, Baroni lacht. Sein nackter Freund läuft durch den kalten Garten, er ist glücklich. Einfach so.
Fünf Jahre ist es her, dass Baroni am Discoparkplatz verzweifelt versucht hat, sich vor den Dorfproleten zu retten, ihren Schlägen zu entkommen. Max hat ihm geholfen, hat ihn gehört, keine Hilferufe, sondern Beschimpfungen. Mit jedem Tritt, den Baroni einstecken musste, wurden sie lauter, er schrie die Dörfler an, machte sie noch wütender, mit jedem Wort, mit jedem Stöhnen, das er unterdrückte. Anstatt sich zu unterwerfen, bellte er, kläffte, kratzte, biss.
Max schaute zuerst nur zu. Er wusste, wer es war, der da eine Abreibung bekam, wer da herumschrie, anstatt still und verwundet liegen zu bleiben. Johann Baroni, großer Sohn des Dorfes, Bundesligafußballer in Österreich, Deutschland, Spanien, ein Star, Torschützenkönig, Held, Mythos fast, dann zur Ruhe gesetzt, Pensionist mit Zweitwohnsitz in seiner alten Heimat, zurückgekehrt zu den Wurzeln. Im Dorf geboren, im Dorf aufgewachsen, seine ersten Tore beim kleinen Provinzverein gefeiert, dann die große weite Welt entdeckt und das Dorf vergessen, schließlich ins Dorf zurückgekehrt, als ob nichts gewesen wäre. Das rieben sie ihm unter die Nase, immer wenn er ihnen unterkam. Er war keiner mehr von ihnen, egal, ob sie ihm zugejubelt hatten früher, er bekam Schläge, denn heute tat er nichts mehr für sie, erinnerte sie nur daran, wie erfolglos sie waren, wie klein.
Sie schlugen auf ihn ein. Weil sein Mund zu weit aufging, wenn er betrunken war, weil er das blöde Gerede nicht einfach hinnahm, weil er sich wehrte. Baroni war Stürmer, kein Verteidiger, er holte aus, anstatt einzustecken. Vor fünf Jahren vor der Disco, sein Gesicht, schmerzverzerrt, wütend. Max beschloss zu helfen.
Wie verwundert sie waren, als er plötzlich auf sie zustürmte und um sich schlug. Baroni löste sich aus den Umklammerungen, lief zur Höchstform auf, gemeinsam mit Max schlug er sie in die Flucht. Sie prügelten in Gesichter, Bäuche, Rücken, überall hin. Wie Max aus der Nase blutete. Wie seine Schulter weh tat, wie Baronis Gesicht blau war, seine Rippen schmerzten. Wie wild waren sie, rasend, mit Leidenschaft. Max und Baroni, Freunde seit dieser Nacht. Sie lachten verletzt und holten sich Bier. Am Parkplatz saßen sie und tranken. Damals, wortlos. Jetzt die Musik von oben.
Max, wie er durch den Garten rennt, dann durch die kleine Tür in der Mauer. Max will nach oben, zu Baroni, zu der Musik, zum Essen, er will unter die Dusche, das warme Wasser. Zufrieden geht er ins Bad und wärmt sich, er mag diesen Sonntag, er mag sein Leben, alles stimmt, nichts sollte anders sein.
Agnes serviert auf der Terrasse. Die Pfarrersköchin, die heimlich für ihn kocht, die sich immer wieder über den Kirchplatz schleicht mit Plastikdosen und Töpfen, Agnes, die liebevoll Mahlzeit sagt. So wie sie es schon vor zwanzig...
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