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Im Haus der Familie Löwenström, Stockholm
Gemessen daran, dass ihre Cousine und sie sonst eigentlich ein eher beschauliches gesellschaftliches Leben führten - und selbst das war noch großzügig ausgedrückt -, schien der Dezember geradezu ein hektischer Monat werden zu wollen, dachte Beatrice. Sie machte sich gerade für einen Besuch beim Landeshauptmann fertig, zu dem die ganze Familie fahren wollte - außer Tante Harriet, die wie immer unpässlich war. Beatrice legte ein Paar Ohrringe an und freute sich über die Abwechslung in ihrem Alltag. Tante Harriet war kränklich, und Onkel Wilhelm arbeitete von frühmorgens bis spätabends, wobei er sowieso keinen Wert auf Geselligkeit legte. In der Wintersaison, in der die meisten ihrer Altersgenossinnen diverse gesellschaftliche Ereignisse besuchten, mussten Sofia und Beatrice miteinander und mit ihrer englischen Gesellschafterin vorliebnehmen. Sie lasen, machten kleine Erledigungen und besuchten ab und zu ein paar Freunde. Am Wochenende ging die ganze Familie in die Kirche, und ein paar wenige Male im Monat lud der Onkel abends Geschäftsfreunde ein, für die die Cousinen anstelle von Tante Harriet die Gastgeberinnen spielten. Beatrice hatte einige Jahre gebraucht, um sich an dieses langweilige Dasein zu gewöhnen, das nur durch ein paar Monate Sommerfrische auf dem Land unterbrochen wurde. Als sie noch jünger waren, hatten die Mädchen wenigstens Gouvernanten gehabt und waren von Edvards Hauslehrer mit unterrichtet worden, aber nach ihrer Konfirmation war man der Meinung, dass weitere Bildung für sie überflüssig sei.
Immerhin komme ich viel zum Sticken, dachte sie und zog die langen Abendhandschuhe an, die zu ihrem neuen elfenbeinfarbenen Kleid gehörten. An der Vorderseite war es glatt, fast keusch, doch hinten breitete es sich zu einer eleganten, goldbestickten Schleppe aus. Sie griff den dazugehörigen Schal und ging zur Treppe.
«Bist du fertig?», erkundigte sich Sofia, die schon auf sie wartete. Beatrice nickte. Sie war froh, dem Haus in der Drottninggatan eine Weile zu entkommen.
Die Familie verabschiedete sich vom Portier und trat hinaus in die Abendkühle. Das Wetter war umgeschlagen, schon die ganze letzte Woche war es sehr kalt gewesen. Auf dem Mälaren und Saltsjön hatte sich eine erste dünne Eisschicht ausgebreitet, und in der Luft lag das Versprechen von Schnee.
Im Salon der großen Residenz des Landeshauptmanns stand die Gastgeberin, Karin Hielm, und begrüßte die nach und nach eintreffenden Gäste. Sie gab ihnen die Hand, verbeugte sich vor den Aristokraten und umarmte die Frauen, die sie gut kannte. In einer großen Kristallschale wartete schon die Bowle. Die schweren Vorhänge waren vorgezogen, um die Kälte draußen zu halten, und in mehreren Kaminen brannte ein Feuer, das den Raum gut erwärmte. Beatrice nippte an der roten Bowle.
Karin und ihr Mann, der Landeshauptmann von Stockholm, Hjalmar Hielm, luden jeden Herbst zu einem großen, wenn auch eher formlosen Abendessen ein, zu dem um die dreißig Gäste kamen. Sofia und Beatrice hatten sich schon wochenlang auf diesen Abend gefreut. Beatrice wurde einem Mann namens Johan Stjerneskanz vorgestellt, einem jungen Juristen, der nach Karins Worten außerordentlich geschickt und begabt sei. Sofia knickste vor einem älteren Grafen und seiner Frau und lobte das Kleid ihrer Tochter. Der Landeshauptmann gab Wilhelm Löwenström die Hand, machte einen kleinen Scherz und kassierte dafür nur eine gequält amüsierte Miene. Der allzu ernsthafte Wilhelm hatte die unglückliche Neigung, Scherze misszuverstehen.
«Wie schön, euch zu sehen», sagte Karin. Sie drückte den Mädchen die Hand und lächelte sie liebevoll an. «Ich muss mich ein wenig unter meine Gäste mischen, aber ich habe hier jemand, mit dem ihr bereits bekannt seid, wie ich gehört habe.»
Sie trat einen Schritt beiseite, und Beatrice erblickte einen Mann, den sie sofort wiedererkannte.
Graf Rosenschöld kam ihnen über den weichen Teppich entgegen. Unangenehm berührt überlegte Beatrice, was der Mann hier wohl machte. Natürlich wusste sie, dass Karin und Hjalmar jeden kannten, der in Stockholm etwas darstellte, aber mit Rosenschöld hätte sie nun wirklich nicht gerechnet in dieser hübschen und gemütlichen Wohnung.
«Fräulein Beatrice. Fräulein Sofia.»
Beatrice knickste und musterte sein Gesicht. Eigentlich sieht er gar nicht so übel aus, trotz seines Alters, und wenn er nicht so arrogant wäre, könnte ich ihn vielleicht sogar mögen, dachte sie. Doch als der Graf seinen Blick ganz ungeniert auf Sofias Ausschnitt ruhen ließ, kam Beatrice zu dem Schluss, dass sie ihn doch niemals würde respektieren können.
Nach einigen Minuten Plauderei verbeugte sich der Graf endlich und ging weiter. Beatrice und Sofia tauschten einen erleichterten Blick, da kam auch schon der nächste Freund der Familie auf sie zu und forderte Sofias Aufmerksamkeit.
Beatrice hatte diese Wohnung schon immer gemocht. An den Wänden hingen so viele Gemälde und Fotografien, dass die rote Brokattapete kaum mehr zu sehen war. Es gab kein Sofa und keinen Stuhl, der nicht mit einem gehäkelten Überwurf oder einem Seidenschal dekoriert war. Die zahlreichen Leuchter sorgten für ein weiches, gemütliches Licht. Am anderen Ende des Salons sah Beatrice, wie Karin ihre Freunde begrüßte, sie zum Lachen brachte und allen das Gefühl gab, willkommen zu sein. Beatrice mochte Karin und Hjalmar sehr. Karin war klug und hatte immer ein freundliches Wort für sie übrig, während der Landeshauptmann überhaupt nichts dabei fand, mit einer jungen Frau zu diskutieren und sich ihre Ansichten anzuhören, ohne ärgerlich zu werden. Das Paar war für sein gastfreundliches Heim und seine großzügigen Soupers bekannt und . Da sah Beatrice, wie Karin einen weiteren Gast begrüßte, und beinahe wäre ihr das Herz stehen geblieben. Das war er - der dunkelhaarige Mann aus der Oper. Die Dame des Hauses hakte sich bei ihm unter und steuerte direkt auf Beatrice zu.
Als läge ein eigenes Kraftfeld um ihn, dachte sie, eine beherrschte Energie, die seine ganze Umgebung dumpf und beschränkt wirken ließe - so kam es ihr vor. Der Salon hallte immer noch vom Gelächter der Gäste und dem Klirren der Gläser wider, doch als dieser Mann den Raum durchquerte, schienen alle Geräusche zu verstummen.
Und dann standen die beiden auch schon vor ihr.
«Das ist Seth Hammerstaal», stellte Karin ihn vor und lächelte strahlend. «Er ist erst vor kurzem aus New York zurückgekommen. Ich glaube, wir haben uns zum letzten Mal vor einem Jahr gesehen.» Sie drückte seinen Arm. «Auf jeden Fall hat er mir schrecklich gefehlt.»
Beatrice sah den Mann namens Seth an. Sie fragte sich, ob er wohl erwähnen würde, dass sie sich bereits begegnet waren, doch er verriet mit keiner Miene, ob er sie überhaupt wiedererkannte. «Seth, darf ich dir Beatrice Löwenström vorstellen? Sie ist die Nichte von Wilhelm Löwenström, den du schon begrüßt hast.» Karin blickte sie beide an. «Seltsam, dass ihr zwei euch noch nicht begegnet seid.»
Beatrice. Der Name passt zu ihr, dachte Seth und musterte das ausdrucksvolle Gesicht. In Karins Salon glänzte sie in ihrem hellen Kleid wie ein Sonnenstrahl.
«Entschuldigt mich», sagte Karin, die gerade einen neu eingetroffenen Gast entdeckt hatte. «Seth, bist du so gut und unterhältst Beatrice ein wenig?» Sie lächelte und verschwand.
Beatrice sah aus, als hätte sie die Gastgeberin am liebsten am Arm festgehalten - aber die war schon wieder weg.
«So, Fräulein Beatrice. Wie möchten Sie denn unterhalten werden?», fragte er.
Sie runzelte die Stirn, und ihm dämmerte, dass sie die Zweideutigkeit seiner Worte wahrscheinlich gar nicht erfasst hatte. «Haben Sie denn noch weitere Gemälde ansehen können?», fuhr er deshalb rasch fort. Sie warf ihm einen verunsicherten Blick zu, und Seth begriff, dass sie nervös war. Der Ruf einer Frau konnte allzu leicht Schaden nehmen, und dass sie ihm in der Oper gefolgt war, konnte ihrem Ansehen durchaus großen Schaden zufügen, wenn es bekannt wurde. «Ich habe niemand davon erzählt», raunte er ihr zu.
Auf ihrem Gesicht machte sich Erleichterung breit, und sie lächelte ihn an. «Danke», sagte sie. «Ich war nicht einmal sicher, ob Sie sich überhaupt an mich erinnern.»
Seth ließ den Blick über den zarten Hals schweifen, wo rote Haarlocken schneeweiße Haut umspielten. Das war keine Frau, die er so schnell vergessen konnte.
«Sagen Sie, wie hat Ihnen denn überhaupt die Aida gefallen?», erkundigte er sich und fragte sich insgeheim, ob sie wohl gemerkt hatte, dass er die Oper vor Ende der Vorstellung verlassen hatte.
«Ich fand sie ganz wunderbar», antwortete sie. «Ich liebe solche Geschichten.»
«Sie meinen Wirklichkeitsflucht und tragische Liebe?», fragte er skeptisch.
Sie nickte. Weitere Strähnen ihres roten Haares lösten sich aus ihrer Hochsteckfrisur. Eine Strähne hier, eine Locke da. «Sie fanden die Oper also nicht prätentiös?», fragte er weiter.
«Wie bitte?»
«Sie wissen schon, anspruchsvoll, anmaßend», erwiderte er ernst.
Beatrice brach in Gelächter aus, und es versetzte ihm einen Stich. Sie hatte Grübchen. Und einen ziemlich breiten Mund. «Wissen Sie, ich musste das Wort zu Hause nachschlagen.»
«O Gott.» Sie biss sich auf die Lippen. «Ich muss auf Sie ja ganz schön .»
«Gebildet wirken?», schlug er vor, und sie errötete leicht. Die nächste Strähne löste sich aus dem Knoten und kringelte sich um ihren Hals.
«Ich bitte um Entschuldigung», sagte sie. «Ich weiß, dass das eigentlich...
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