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Über 80 Jahre später
»Zum letzten Mal: Die Fanny gehört mir!«
Den rechten Arm abgewinkelt, die Faust drohend erhoben, bewegte sich der Hüne mit dem Jägerhut auf Christian zu. »Ich meine es ernst. Wenn du nicht deine Finger von ihr lässt, bringe ich dich um!«
»Und du glaubst, das ändert irgendwas?« Christian stemmte die Arme in die Hüften und verzog spöttisch den Mund. »Mach dich doch nicht lächerlich! Fanny hat . Fanny will . würde . Herrgott! Scheiße!«
Er fasste sich an die Stirn, als hätte er einen Migräneanfall, drehte sich zum Kamerateam um und winkte heftig ab.
»Stopp!«, ertönte eine ungehaltene Stimme. Klaus Beckmann, Regisseur der TV-Vorabendserie »Schicksalswege«, verließ seinen Posten und stapfte durch den Schnee auf die Kontrahenten zu. Seine rechte Hand wedelte mit dem Skript.
»Michi, was ist mit dir los?« Halb besorgt, halb freundschaftlich knuffte er seinen Star und hielt ihm den Text vor die Nase. »Du verhaust dich doch sonst nicht am laufenden Band! Schlecht geschlafen, oder was?«
»Quatsch.« Michael Fromberger, als Darsteller des Christian Sebald das zentrale Gesicht der Serie, schüttelte energisch den Kopf. »Mit mir ist alles in Ordnung.«
Es klang nicht überzeugend. Wie zur Bestätigung hob er erneut die Hände und presste sich beide Daumen an die Schläfen. »Ist vielleicht der Föhn«, sagte er entschuldigend.
»Föhn?« Beckmann blickte zum Himmel über der Schwarzentenn-Alm, an dem sich milchiges Blau mit dünnen Wolkenfeldern abwechselte. Für den späteren Nachmittag waren Plusgrade und Regen vorhergesagt. »Du spinnst ja«, gab er zurück. »Wir haben ganz normales Tiefdruckwetter.«
»Fühlt sich für mich aber nicht so an. Irgendwie bin ich heute nicht frei im Kopf.«
»Ja, das merke ich. Brauchst du 'ne Pause . vielleicht einen Kaffee?«
Fromberger schüttelte erneut den Kopf, so vehement, dass seine rotbraune Mähne herumwirbelte. »Naa, bloß koan Kaffee!« Wie immer, wenn er grantig wurde, verfiel er in seine heimische Mundart. »Mir is' eh scho zu warm.«
»Zu warm? Mach keine Witze.«
»Doch, es ist warm. Scheißwetter. Lass mich mal kurz durchschnaufen.«
»Okay, dann schnauf halt durch. Und danach versuch bitte, dich auf deinen Text zu konzentrieren. Hier«, er tippte auf die Stelle im Skript, »>Fanny hat sich längst entschieden, oder glaubst du etwa, sie würde mit einem Mörder zusammen sein wollen?<«
»Es ist ein komplizierter Satz, das musst du zugeben.«
»Na und? Bist du Profi oder nicht?«
Florian Winzer, der Hüne mit dem Jägerhut, im richtigen Leben Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele, stand mit zweifelndem Gesicht daneben. »Und wenn wir Take drei nehmen?«, fragte er. »Der war doch fehlerfrei und gar nicht so schlecht.«
»>Gar nicht so schlecht< ist dasselbe wie >gar nicht gut<«, widersprach Beckmann. »Entweder wir machen es perfekt oder wir lassen es. Also, Michi, komm, reiß dich zusammen.«
Die beiden Schauspieler nickten stumm und nahmen ihre ursprünglichen Positionen wieder ein. Beckmann stapfte zurück zum Aufnahmeteam.
»Können wir loslegen?«
»Alles klar«, bestätigte Fromberger und reckte den Daumen hoch. Beckmann warf erneut einen Blick zum Himmel. Die Wolken wurden dichter. Er holte tief Luft und schickte ein stummes Stoßgebet nach oben. Lieber Gott, lass die Szene im Kasten sein, bevor das Dreckwetter kommt. Dann gab er seiner Assistentin ein Zeichen.
»Achtung, wir drehen!«, rief die Regieassistentin, und das Team spulte die übliche Routine ab.
»Ton läuft!«
»Kamera eins läuft!«
»Kamera zwei läuft!«
»Schicksalswege, Folge dreizehn, Einstellung neun, Take sieben«, sagte der zweite Kameraassistent und betätigte die Synchronklappe.
»Und bitte!«, gab Beckmann das Kommando.
Florian Winzer erhob seine Faust. »Zum letzten Mal: Die Fanny gehört mir!«
Super, dachte Beckmann. Das klang noch eine Spur drohender als in den sechs Takes zuvor.
»Ich meine es ernst. Wenn du nicht deine Finger von ihr lässt, bringe ich dich um!«
So, jetzt dein Auftritt, Michi. Versieb es nicht schon wieder.
»Und du glaubst, das ändert irgendwas? Mach dich doch . mach doch . Oh Scheiße, was ist das?«
Ja, Scheiße, dachte Beckmann wütend. »Stopp! Zefixhalleluja, das darf ja wohl nicht wahr sein!«
Fromberger schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. »Was ist das?!«, wiederholte er, nun schreiend, und fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum, als wollte er einen Hornissenschwarm abwehren.
»Was ist was?«, fragte Winzer konsterniert, während Beckmann erneut auf die Schauspieler zustürmte.
»Michi! Bist du völlig meschugge?«
Michael Fromberger starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Pupillen verdrehten sich, und in seinem Gesicht stand nackte Panik. »Da . da!«
»Was? Wo?« Beckmann packte seinen Darsteller am Arm, aber der riss sich los und fing plötzlich an zu rennen, ziellos, stolpernd und rutschend im pappig feuchten Schnee. »Hilfe«, schrie er mit überschnappender Stimme, »ich verbrenne! Helft mir doch!«
»Der ist verrückt geworden«, sagte Winzer und blickte ihm verstört nach. Beckmann schwieg, auch die Mitglieder des Aufnahmeteams beobachteten die Szene stumm wie in Schockstarre. Die traumhafte Bergwelt ringsum wirkte plötzlich wie die Kulisse eines Horrorfilms.
Michael Fromberger hatte seine Jacke in den Schnee geworfen, riss sich das Hemd auf und versuchte vergeblich, es ebenfalls loszuwerden, auf seiner kopflosen Flucht vor etwas Unsichtbarem, das in ihm selber war. 50, 100 Meter, dann trugen ihn seine Füße nicht mehr. Er begann zu torkeln, erbrach sich schwallweise, als hätte er einen Vollrausch, und kreiselte mit verdrehten Beinen um die eigene Achse, bis er der Länge nach in den Schnee fiel und reglos liegen blieb. Ein vielstimmiger Aufschrei ertönte.
»Michi!!« Beckmann und Winzer rannten zu der Stelle, beugten sich über den reglosen Körper und drehten ihn auf den Rücken. Frombergers Anblick ließ beide zusammenfahren. Was da lag, glich einem Zombie. Das Gesicht war wachsbleich, der Mund stand offen, und sein toter Blick verlor sich im Nichts, während die Augäpfel regellos herumirrten, als hätten sie sich aus dem Kopf gelöst.
»Hey, Michi!«, rief Beckmann, tätschelte ihm die linke Wange und zog seine Hand erschrocken zurück. »Oh verdammt, ist der heiß!«
»Du meinst, er hat Fieber? So plötzlich?«
»Ja, fühl doch selber!«
Winzer berührte vorsichtig Frombergers Stirn und zuckte ebenfalls zurück. »Oh Gott! Der kocht ja fast!«
»Dreh bitte nicht durch!« Beckmann versuchte vergeblich, seine aufsteigende Panik zu unterdrücken. »Ganz ruhig. Immerhin atmet er noch.«
»Ja, stimmt«, sagte Winzer. »Aber . ganz komisch.«
Erst jetzt wurde Beckmann bewusst, dass Fromberger in flachen, hechelnden Zügen Luft einsog und ausstieß. »Ja, ich seh's. Scheiße, ist das Schnappatmung oder was? Keine Ahnung, was man da macht.«
»Als Erstes stabile Seitenlage«, schlug Winzer vor. »Das ist aus der Fahrschule bei mir hängen geblieben. Los, hilf mir.«
Er winkelte Frombergers rechten Arm an, kreuzte ihn mit dem linken vor der Brust, und gemeinsam legten sie den schlaffen Körper auf die Seite. Dann schlug Winzer die Beine des Bewusstlosen übereinander und überstreckte dessen Hals.
»So erstickt er nicht, falls er wieder kotzen muss«, erklärte er.
»Okay, sieht richtig aus«, konstatierte Beckmann aufatmend. Seine eigene Führerscheinprüfung lag fast 30 Jahre zurück; zu Erster Hilfe hätte man ihn nicht fragen dürfen. »Sag den anderen, sie sollen sofort den Rettungsdienst rufen. Oder nein, ich kümmere mich darum.«
Er fingerte nach dem Smartphone in seiner Anoraktasche und prüfte die Netzverbindung. Nur ein mickriger Balken ganz links auf der Skala, aber der würde für einen Notruf ausreichen. Mit zitternden Fingern tippte er die 112 auf seinem Telefon ein. Die Leitstelle meldete sich nach wenigen Sekunden, und Beckmann bemühte sich, seine Stimme unter Kontrolle zu bringen, während er das Vorgefallene schilderte.
»Verstanden. Der Rettungshubschrauber wird in zehn Minuten bei Ihnen sein. Lassen Sie den Mann so lange in stabiler Seitenlage, der Arzt wird dann das Nötige veranlassen.«
Inzwischen hatte sich fast das gesamte Aufnahmeteam um die Stelle versammelt. »Sollten wir ihn nicht besser in die Almhütte bringen?«, drängte der Mann mit der Handkamera.
»Oder wenigstens ins Wohnmobil«, mischte sich einer der Lichttechniker ein. »Im Schnee erfriert er uns womöglich, so ohne Jacke.«
»Bei der Körpertemperatur?« Beckmann schüttelte heftig den Kopf. »Er glüht ja förmlich. Ich finde, wir sollten ihn nicht unnötig bewegen. Sagt auch der Mann vom Rettungsdienst. Womöglich hat er ein . ein Hirnaneurysma oder so .«
»Ein was?«
»Ach, vergiss es, hab ich nur mal aufgeschnappt. Jedenfalls ist es besser, wenn er liegen bleibt. Wir haben doch Isomatten dabei. Das muss reichen, bis der Notarzt hier ist. Verfluchter Mist aber auch!«
Keine acht Minuten später warf das Echo der Berghänge ein anschwellendes knatterndes Dröhnen zurück. Über dem nahen Fichtenwald erschien ein Hubschrauber. Er blieb sekundenlang in der Luft stehen und sank...
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