Schweitzer Fachinformationen
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1 Eine altmodische Verlobung
Groß und funkelnd wie der Karren der heiligen Rosalia dröhnte der Isotta Fraschini die Via Grande empor, die sich durch das Dorf Camagni schlängelte. Unter dem Stoffverdeck am Lenkrad saß Pietro Sala - schwarze Ledermütze, blaue, wattierte Jacke, Fliegerbrille, Schal -; neben ihm Leonardo, ebenfalls mit Mütze, Brille und zweireihigem, grauem Staubmantel. In jeder Kurve schrammte der Wagen haarscharf an den Hauswänden entlang. Zahlreiche Augenpaare spähten ängstlich durch die Fensterläden.
Die Via Grande war wie leergefegt. Mit Vorräten und Waren beladene Lasttiere waren hastig an die Eisenringe längs der Treppen gebunden worden, die in die Straße mündeten. Wie aufgeschreckte Ameisen hatten sich die Menschen mitsamt ihren Schubkarren, Fuhrwerken und Kutschen in Sicherheit gebracht. Fremde drängten sich in den Eingängen der Palazzi und auf den Türschwellen der Läden zusammen, die Fuhrleute hatten ihre Karren dicht an die Mauern gelenkt und den Maultieren eine Decke über den Kopf geworfen. Hier und da ertönte ein Eselsschrei oder ein entgeisterter Ausruf. Die Hunde waren in Lauerstellung. Die Eingangstreppen und Kirchenstufen hatten sich in Tribünen und Zufluchtsstätten verwandelt.
Als das von unbelebter Energie getriebene Gefährt vorbeizog, brachen die Schüler des Convitto Nazionale, die sich auf den Schulbalkonen drängten, in begeisterten Applaus aus. Das genügte, um die Normalität wiederherzustellen. Die Hunde kläfften, die Menschen strömten neugierig auf die Straße. Trotz des Auspuffqualms, der in Augen und Nase brannte, rannten die Kinder dem Wagen nach. Wer sind diese Leute? Was machen sie hier? Wo fahren sie hin? Was ist das für ein Auto? In der letzten Kurve verlangsamte der Isotta Fraschini, nahm dann Anlauf und landete schließlich auf dem kleinen Platz vor dem barocken Palazzo Tummia.
Vor der eigens von Blumentöpfen frei geräumten, blitzblank geputzten Pförtnerloge - der Fußboden glänzte, es roch nach Seifenlauge - stand Don Totò bereit, um den Schwager des Hausherrn, Barone Peppino Tummia, in Empfang zu nehmen. Ein letztes Aufbrüllen des Motors, ein Schwenk des Steuerrades, und der Isotta Fraschini passierte das Tor. Pietro sprang aus dem Wagen. Nachdem er Don Totò und die Stallburschen flüchtig begrüßt hatte, stürmte er die Treppe zum Piano nobile hinauf und ließ den verschwitzten Leonardo zurück, der der kleinen, stetig anwachsenden Menschentraube, die sich um ihn und das Auto scharte, eine ausführliche Schilderung der höchst abenteuerlichen Reise aus Fara lieferte. »Und, gefällt dir das Auto?«, fragte Don Totò. Leonardo warf ihm einen langen Blick zu und knöpfte sich den Überrock auf, der ihm bis auf die Schuhe reichte und unter dem eine Kutscherlivree zum Vorschein kam. »Nein. Ich bin der Kutscher der Familie Sala, wie schon mein Vater Don Ciccio, und genau das bleibe ich!«
Das Schlafzimmer der Barone Tummia war zweigeteilt: Auf der einen Seite befand sich das eigentliche Schlafzimmer, in das Caterina, das Hausmädchen der Baronin, Pietro eingelassen hatte, und auf der anderen, versteckt hinter einem Vorhang, ein Salon, der am Ende der Repräsentationsräume lag. Vollständig angekleidet lehnte Giuseppina Tummia in den Kissen und häkelte. Als ihr die Ankunft ihres Bruders angekündigt wurde, setzte sie sich auf, legte die Handarbeit beiseite und breitete sich das Schultertuch sittsam über die nackten Füße.
»Pietru, was für eine Freude, dich zu sehen . Du warst seit Ewigkeiten nicht mehr hier.«
Pietro ließ sich unbefangen auf der Bettkante nieder und plauderte sogleich drauflos, damit seine ältere Schwester keine Fragen stellen oder ihm Vorwürfe machen konnte. Vergeblich.
»Ich begreife nicht, wie unser Vater dir erlauben konnte, mit dem Automobil zu kommen. Auf diesen Straßen! Das ist lebensgefährlich, für dich und für die Hunde. Die kommen vor Schreck noch unter die Räder, und dann gerät der Wagen ins Schleudern, und du bezahlst mit deinem Leben!«
»Der Fortschritt hat eben seinen Preis. Ein Reiter riskiert dafür, vom Pferd zu fallen oder Schlimmeres. Und vergiss nicht, dass ich ein Glückspilz bin . das wird bei den Autos nicht anders sein. Bei der >Targa Florio< letztes Jahr hat der Isotta Fraschini glänzend abgeschnitten, er ist absolut zuverlässig. Ich werde schon nicht umkommen, das verspreche ich dir!« Pietro ergriff die Hand der Schwester und küsste sie. »Dein Mann hat mir erzählt, Fuma Vecchia stehe zum Verkauf und euer Schwager Ignazio Marra sei damit betraut. Ich sehe ihn heute Vormittag. Ich würde gern ein Jagdrevier daraus machen und den Turm zu einer Sommerfrische umbauen. Dann wären wir Nachbarn und würden uns häufiger sehen.«
»Sobald deine erste Begeisterung verflogen ist, wirst du es genauso fallen lassen wie das Haus in Palermo, das Ducrot für dich eingerichtet hat. Wie lang hat es dich dort gehalten? Zwei oder drei Monate? Dir gefällt es nur in Monte-Carlo!« Giuseppina blickte auf ihre Häkelarbeit und schüttelte den Kopf. »Noch so eine Flause!« Und dann: »Wie geht es Mamà?«
»Wie immer: Sie sitzt glücklich zwischen ihren jungen Nonnen und häkelt Stolas, genau wie du«, sagte er mit einem schwer zu deutenden, leicht gereizten Gesichtsausdruck. Dann verabschiedete er sich von seiner Schwester und versprach, bis Mittag zurück zu sein.
Mit lästiger Beharrlichkeit stemmte der Wind sich in den engen Straßen gegen die Passanten, die so taten, als kümmerte sie der Fremde nicht, der erhobenen Hauptes und forschen Schrittes an ihnen vorüberlief.
»Amerikaner?«, fragte die Zuckerbäckerin.
»Nicht doch! Der muss Italiener sein«, antwortete ihre Enkelin.
»Was will er hier?«
»Keine Ahnung«, entgegnete die Enkelin zerstreut.
»Besser Amerikaner als Italiener. Die bringen wenigstens Geld, statt uns mit ihren Steuern auszuplündern!«
»Viel besser!«, rief eine Kundin, die gerade eine Tüte Kringel gekauft hatte. »Die Italiener rauben uns die Söhne! Denkt nur an all die schmucken Kerle, die der Militärdienst und der Krieg in Afrika uns genommen haben!«
Die Hausmeisterloge schien verwaist. RECHTSANWALT IGNAZIO MARRA stand auf einem Schild an der Eingangstür. Niemand war da, um Pietro zu empfangen, doch dann tauchte eine Hand aus dem Dunkel auf, bedeutete ihm mit kreisendem Zeigefinger, die Treppe in den zweiten Stock hinaufzusteigen, und dann mit gerecktem Daumen, auf die Klingel zu drücken.
Süßer Jasminduft lag in der Luft. Pietro sog ihn tief ein, jeder Atemzug erfüllte seine feine Nase mit Wohlgefühl. Auf den Stufen waren tappende Schritte zu hören, dann war es wieder still. Vor dem weit geöffneten Fenster auf dem Treppenabsatz hing eine üppige Kaskade rosig-weiß blühender Zweige. Ein dunkelhaariger Junge drückte sich in die Ecke neben dem Fensterrahmen und spähte gebannt in den Hof hinunter. Als er Pietro bemerkte, fuhr er zusammen, lupfte die Mütze und setzte seinen Abstieg fort.
Ignazio Marras Büro war nüchtern eingerichtet: mit Büchern und Aktenordnern gefüllte Vitrinen, ein Schreibtisch und Stühle aus dunklem Holz. Zwei Drucke an der Wand verrieten seine politische Zugehörigkeit: ein betagter Francesco Crispi mit Walrossbart und ein junger, versonnener Giuseppe Mazzini. Die geschäftliche Unterredung dauerte nur kurz - Pietro akzeptierte die vom Verkäufer geforderte Summe und verlangte nur den Turm vor der Unterschrift noch besichtigen -, und die beiden wollten gerade auseinandergehen, als Kindergeschrei zum Fenster emporschallte. Neugierig beugte sich Pietro hinaus. »Alle Achtung! Ich hatte den üblichen Innenhof erwartet, doch das ist ja ein grünes Paradies. Ist das Ihr Werk?« Pietro hatte dem Schwager seiner Schwester gegenüber einen familiären Ton angeschlagen.
Da Ignazio kein Haus auf dem Land besaß, hatte er den Hof in ein idyllisches Refugium verwandelt, wo man der sommerlichen Hitze entgehen, Besuch empfangen und die Kinder spielen konnten.
»Die Pflanzen haben sich den Hof geradezu einverleibt«, sagte er stolz. »Ringsherum habe ich eine Art Korridor frei gelassen, auf den die Wirtschaftsräume und das Speisezimmer hinausgehen, und entlang der Mauern zwölf Sträucher Kletterjasmin gepflanzt. Inzwischen ist er bis zu den Fenstern emporgewachsen. Der Duft gibt mir das Gefühl, auf dem Land zu sein, und außerdem hält er die Mücken fern.«
In der Mitte des Hofes erhob sich eine mit blühenden Rosen überwachsene Gartenlaube, von der vier buchsbaumgesäumte Pfade abgingen.
»Der einzige Luxus, den ich mir gegönnt habe, ist die moderne Glastür zum Speisezimmer.« Er deutete in Richtung der mit Terrakottafliesen gepflasterten runden Terrasse davor, die mit gusseisernen Tischen, Stühlen und Bänken, Kübelbäumchen sowie zwei nackten Frauenstatuen bestückt war. Direkt unter dem Bürofenster lag ein kleiner Duftgarten mit Lavendel, Rosmarin, Salbei, Oregano, Zitronengras und Lorbeerbäumen, in der Mitte eine Glyzinienlaube, in deren Schatten zwei Frauen saßen und ein Tischtuch bestickten. Der Gemüsegarten lag vor der Küche: Töpfe mit Petersilie, Minze und Basilikum, ein schmales, rechteckiges Beet mit blühenden Auberginenpflanzen und dichten Bananenstauden. Von hier oben hatte Ignazio den gesamten Garten im Blick. Unter den großen Bananenblättern stand eine greise Frau - vermutlich eine alte Magd - in einem dunkelblauen Kleid mit spitzengesäumter Haube und hellblauer Schürze und hängte nasse Taschentücher in die Lorbeerzweige, ohne sie festzuklammern. Ignazio deutete auf zwei konzentrische Kreise: ein Rondell aus Zitrusbäumen, zwischen...
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