Schweitzer Fachinformationen
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Renata Adler ist Kult, ihre Stimme unwiderstehlich und Rennboot eine Wiederentdeckung. Daran lässt die Reaktion der Presse in den USA keinen Zweifel, als Adlers Debütroman im Frühjahr 2013 nach mehr als dreißig Jahren neu aufgelegt wird. Denn Jen Fain, die Hauptfigur, schlägt jeden mit ihrem Ton in den Bann. Ob spielerische Dates ohne Folgen, New Yorker Partys, mondäne Kurzurlaube oder das tägliche Abmühen als Journalistin - Jens Aufzeichnungen beschwören auf scharfsinnige und charmante Weise das urbane Leben einer jungen, unabhängigen Frau.
Niemand gestorben in diesem Jahr. Niemand von Glück verfolgt. Keine Geburten, keinerlei Eheschließungen. Siebzehn ehrfurchtgebietende Satiren wurden geschrieben – um mit einem Klischee aufzuräumen und, wie zu vermuten ist, stilbildend zu wirken. Das war, natürlich, ein Traum, aber viele der wichtigsten Dinge, finde ich, sind die, die einem im Schlaf einleuchten. Die freie Rede, Tennisspielen, Musik, Skifahren, Verhaltensweisen, die Liebe: du probierst sie nach dem Erwachen, scheust vielleicht vor dem Sprung, und schon nimmst du die Hürde. Der Rhythmus ist in dich eingegangen, nachts, als du schliefst, ein für allemal. Die Großstadt natürlich ist imstande, ihn zu torpedieren. Mit all den Schlaflosigkeiten, all den Rhythmen, die aufeinanderprallen. Die Verkäuferin, der Hausbesitzer, Gäste, die Eckensteher, man kommt auf sechzehn Varianten menschlicher Befindlichkeit pro Tag. Und es steht in jedermanns Macht, dein ganzes Leben in Frage zu stellen. Viel zu viele Leute haben Einfluß auf deine geistige Verfassung. Manchen Leuten ist Abneigung gleichgültig, sie genießen sie sogar. Von meinen Bekannten kaum einer.
»Es ist schlichtweg blödsinnig, die Segel bei Gegenwind zu setzen« sagte die Frau des italienischen Mineralwassermagnaten an Deck ihres schönen Schoners, der den ganzen Sommer im Hafen gelegen hatte. »Denn dann hast du sie die längste Zeit gesehen.«
Eine fette Ratte ist mir gestern abend an der 57igsten Straße über den Weg gelaufen. Sie kam unter dem Bauzaun unweit von Brendel's zum Vorschein, wartete wegen des Verkehrs, raste dann über die Straße auf den Bürgersteig Richtung Central Park, blieb eine Weile im Dunkel hocken und verschwand. Die zweite Ratte in dieser Woche. Die erste war mir in einem griechischen Restaurant begegnet, dessen Fensterbänke in Schoßhöhe verlaufen. Die Ratte kam über die Fensterbänke gerast, schnurstracks auf mich zu, dann an mir vorbei.
»Hast du das mitgekriegt?« sagte Will und nuckelte an seinem Glas Bier.
»Stattliche Maus«, sagte ich. »Sogar in den gepflegten Hotels haben sie jetzt kleine Mäuse, in den Bars und Empfangshallen.« Ich hatte Will zuletzt in Oakland gesehen, das Mal davor in Louisiana. Er beschäftigt sich mit Jura. Dann registrierte ich, wie links von mir irgend etwas, vielleicht ein aufgeschreckter Sinnespartikel an der Randzone meiner eigenen Wahrnehmung, auf mich zuraste. Meine Gabel klapperte.
»Du saßest da eigentlich gut«, sagte Will und grinste, »bevor du die Fassung verloren hast.«
Die zweite Ratte kann, selbstverständlich, auch meine erste Ratte von weiter oben gewesen sein, was bedeuten würde, daß man mich entweder verfolgt oder daß die Ratte zur selben Zeit wie ich ihre Runden dreht. Hygiene, geistige meine ich, ist jedoch die tiefstgreifend moralische Option unserer Zeit. Zwei Ratten, nun ja. Taxifahrer können durch die neuen Trennscheiben – sie kommen mir nicht einmal wirklich kugelsicher vor, ohne daß ich das je getestet hätte – die Richtungshinweise ihrer Fahrgäste kaum noch verstehen. Schalldicht. Also quetscht man sich, selbstverständlich, den Finger in der neu eingerichteten Geldschale. Nun ja, irgend jemand muß diese Trennscheiben verkauft, irgend jemand muß sie gekauft haben. Gangster. Was sonst. Ein Gefühl für den Geist der Zeit scheint nicht mehr zu existieren. Als ich mich eines Morgens zu einer eher unüblich frühen Stunde ans Aufstehen machte, sagte Will, der ebenso abrupt in den Schlaf stürzt, wie er gemächlich, sachte, den wachen Teil seines Lebens antritt: »Bitte bleib noch. Angst kennt jeder.« Ich erwischte, draußen im Regen, ein Taxi für die Heimfahrt, vor dem Waffenlager.
»Auf den Dow-Jones-Index«, sagte der Vater und hob das Glas. Sein achtundsechzigster Geburtstag. Haar und Schnurrbart waren silbrig.
»Jedem das Seine!« sagte der Sohn, vorsichtig lächelnd. Ein Radikaler war er nicht. Er hatte sich, selbständig, verraten und verkauft. Man lachte. Die gesamte Familie – die Enkelkinder an den Katzentischen nicht ausgenommen – trank. Die Szene wechselte.
Wenn ich allein, im Sportwagen, über Land peeste, begleitete ich das voll aufgedrehte Radio mit meinem Gesang. Nicht immer gerade eines der glücklichsten Lieder, wie Janis Joplins Lied mit der gelungenen Zeile: »Freedom's just another word for nothing left to lose.« Ja und nein, meine ich.
»Da ist keine Träne geflossen«, sagte der jugendliche Bauarbeiter bei der Beerdigung, als der altehrwürdige Gewerkschaftsführer mit zwei Schlaganfällen, drei Herzattacken und irgendeiner Lungengeschichte schlußendlich starb.
»Stimmt«, sagte der Geistliche, die im Dom versammelte Trauergemeinde musternd. »Keine Träne. Entweder hat die Totenwache zu lange gedauert, oder er war ein sehr sehr strenger Mann.«
»Und die andern sterben nie«, sagte ein junger schwarzer Politiker mit entschiedener Bitterkeit. »Man sieht sie aus ihren Limousinen wanken. Lauter Iren, alle senil, alle etliche Schlaganfälle hinter sich. Diese Gewerkschaftsbrüder. Sogar ihre Frauen haben's am Herzen. Aber eins weiß ich, sterben tun die nie.«
»Gewiß sterben die einmal«, sagte der Priester, verständnisinnig. »Keiner von ihnen ist unter sechsundsiebzig. Sie werden sehen. Kommt Zeit, kommt Rat.«
»Also dann auf die Zukunft«, sagte der schwarze Politiker.
»Gehen wir zu dir oder zu Elaine's?« fragte der junge Mann. Es war drei Uhr morgens. Er war frisch geschieden. Die gleiche Frage wurde vermutlich gerade in sämtlichen Taxis New Yorks gestellt. »Zu Elaine's«, sagte ich. Da fuhren wir dann hin. Auf Elaine's, auf den Dow-Jones-Index, auf die Zukunft also, der häuslichen Ruhe und Ordnung halber. »Freedom means nothing left.« Geldschalen in Taxis dienen als Hörgeräte, an denen man sich die Finger klemmt; kommt das Rückgeld sehr schnell, ist einem wie wenn man morgens aufwacht und im Bett Orientierungsversuche anstellt. An welchem Ende ist bloß die Wand, welches Ende zeigt in den oberen, welches in den unteren Teil der Stadt? Welche Stadt ist das überhaupt? In einigen der besten Hotels, in Flughafennähe, in Autobahnnähe, haben sie »Magic Fingers«, einen Apparat, der, steckt man einen angegebenen Betrag in ein Metallkästchen, dein Bett sechzig Sekunden in heftiges Gerüttel versetzt und dich darauf in friedlichen Schlaf. Mit Fingern hat das ganze nichts zu tun. Man fühlt sich eher wie im Schlafwagen, angenommen die Schienen sind in Ordnung. Ein Aufkleber auf dem Metallkästchen tut kund, »Magic Fingers« könne man auch bei sich zu Hause haben. Ich kenne niemand, der welche hat.
Ich arbeite für eine Zeitschrift, für die Standard Evening Sun. Seitdem ich diesen Job habe, haben mich vier Söhne berühmter Väter ausgeführt, zwei Geschäftsbonzen mit unvollendeten Romanen, drei Schriftsteller mit der Angewohnheit zu fragen: »Schenkst du mir das?«, kaum hatte ich etwas gesagt, das ihnen originell vorkam, sowie ein revolutionär gesinnter Redakteur, der mir übers Haar strich und sagte: »Du bist wirklich süß«, sobald ich eine Frage stellte. Ich habe bibbernd auf eiskalten Stufen gesessen, in einer Gruppe mit fünfzehn Radikalen, von denen zehn eine Analyse machten und sechs Kontaktlinsen trugen. Vieles hat sich verändert, mehrfach verändert, seitdem ich groß geworden bin, und wie alle in New York – von den Intellektuellen mal abgesehen – habe ich die verschiedensten Leben geführt und führe jetzt noch einige davon.
Eine Zeitlang meinte ich, ich hätte für nichts wirklich Interesse, weder fürs Theater, für Konzerte oder Museen, noch fürs Briefmarkensammeln. Nur ehrgeizige Beziehungen zu Menschen. Die waren einigermaßen intensiv. Zu allen möglichen Sorten von Menschen. Ich wurde zum Apostel des emotionalen Lebens. Inzwischen ist es mit meinem Ehrgeiz genauso bachab gegangen wie mit meinen Interessen. Ich habe den Überblick verloren. Ich warte ab, bis die Vorkommnisse von sich aus Gestalt annehmen. Ich erinnere mich gut, wie einmal jemand gesagt hat: »Man muß sich ganz in die Dinge versenken.« Also hab ich mich versenkt in Thriller, Reklame, Wochenzeitschriften. Derselbe Mensch schrieb immer »lau« oder »anfechtbar« dick an den Rand der Manuskripte unserer Nachrufschreiber. Jetzt denke ich »lau« und »anfechtbar« mehrmals täglich.
In dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, war gar nie soviel los. Und doch war das Leben nicht eintönig. Es schlief nahezu immer jemand im Haus, und wir sprachen sehr leise. Wenn Vater vor dem Frühstück um sechs Uhr aufstand, um zu schwimmen oder zu reiten, schliefen wir Kinder, die wir erst weit nach Mitternacht zu Bett gegangen waren, noch. Kam er dann mittags vom Büro zurück, gab es Mittagessen für ihn, Frühstück für uns, das wir bleich und wortlos einnahmen. Nach dem Essen machte Vater sein Mittagsschläfchen, und um drei legte sich Mutter, sobald sie ihm auf seinem Weg ins Büro nachgewunken hatte, ein Stündchen nieder. Wirklich alle miteinander wach waren wir nur beim Abendessen. Danach zog Vater sich auf sein Zimmer zurück, und Mutter blieb noch ein paar Minuten unten, um mit den Kindern zu sprechen. Zwanzig Stunden von den vierundzwanzig lag die Stille des Schlafs über dem Haus. Niemand dachte daran, jemanden zu wecken. Manchmal band ein unvernünftiges Kind nur so zum Spaß einen Chinakracher an einen Flußkrebs oder einen Frosch und zündete die Lunte. Oder es gab einem Waschbären ein Stück Zucker, der in seiner merkwürdig überempfindlichen Art hinging und...
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