Schweitzer Fachinformationen
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Die Iglhaut kam aus dem Untergrund. Die Rolltreppe trug sie hinauf. Die Nacht, wie blank poliert. Niemand nahm das zur Kenntnis, nicht einmal die Iglhaut selbst. Sie war müde vom Flug, von der Ferne. Die Narbe an ihrer Seite juckte.
Am Eck ein Paar, unschlüssig, ob ihr Treffen hier zum Ende kam. Solche Abschiede konnten sich hinziehen, da wollte sie nicht weiter stören und ging näher am Klohäusel vorbei. Vor dem Eingang: zerknüllte Plastikhandschuhe, achtlos weggeworfen. War die Polizei wieder einer armen Seele auf die Pelle -?, dachte die Iglhaut. Es war gerade so ein halber Gedanke. Die andere Hälfte: dass Herakles' Imbiss sicher schon geschlossen hatte. Aber was sollte sie dem jetzt auch erzählen? Von einem Pauschalurlaub kam eine Iglhaut eigentlich nicht.
Diese Reise hätte sie nie selbst geplant. Sie war ihr widerfahren. Schuld hatte der Uli aus dem zweiten Stock, rechts. Nein, Valeria aus dem zweiten, links. Begonnen hatte es mit Gejammer: «Bei Kreuzworträtseln gewinnt man nicht den Hauptpreis. Das gibt es einfach nicht!» So letzten Monat der Uli bei einer Selbstgedrehten im Hof. «Ägypten. All-inclusive.» Uli, der aus seiner Windjacke den Brief mit der Gewinnbestätigung zog. «Eine Zumutung eigentlich. Was muss man denn gleich so ein Glück -?» Er sprach es aus, als sei das Wort von einem nässenden Ausschlag befallen. Der dritte Preis wäre es gewesen. Den dritten wollte er haben. Einen Allesmixer. Das sagte er zärtlich und mit Sehnsucht.
Die Iglhaut, die nicht mehr rauchte, den Geruch einer brennenden Zigarette aber immer noch schätzte, ließ sich von Uli die Vorzüge des Küchengeräts aufzählen. Er schwärmte von den Standard-Funktionen: Rühren! Häckseln! Kneten! Welche Gerichte mit so einem Gerät möglich wären. Er ließ Soufflés aufgehen, buk eigenes Brot und streute gehackte Kräuter wie Flitter auf Rezepte, die er hoffnungsfroh studiert hatte.
«Was siehst du mich so an?», unterbrach er sich dann.
«Ich?» Die Iglhaut hatte ein Treibholz aus der Garage zur Hand genommen und schnitzte es mit einem Messer zurecht. Sie fuhr mit dem Daumen über eine Wellenmaserung, sagte dann: «Ich schau nicht.»
«Und ob du.»
«Wirklich nicht.»
«Jetzt schaust du schon wieder so!»
«Bild dir nichts ein!» Ein Holzsplitter war ihr von der Schnitzklinge gesprungen. Die Iglhaut sah auf. «Aber wenn du schon fragst. Kochen wird dir der Mixer nicht beibringen.»
Ulis linkes Augenlid begann zu flattern, er faltete die Gewinnbestätigung, schob sie zurück in seine Windjacke. «Fürs Protokoll», sagte er. «Ich habe dieses Kreuzworträtsel in Minuten gelöst. In Rekordzeit, würde ich sogar behaupten.» Seine Zigarette ging empört zu Boden.
Die Iglhaut sah ihr nach. Da ging er dahin, der gute Geruch. Zurück blieb der leichte Muff vom Uli.
«Nichts wird mehr bei so einem Kreuzworträtsel erwartet.» Er schüttelte gleich eine weitere Selbstgedrehte aus dem zerknitterten Kuvert. «Keinerlei höheres Wissen. Die Allgemeinbildung», sagte er, «ist ein siecher Kassenpatient, ohne jede Hoffnung auf einen Termin beim Spezialisten.» Uli zündete die Zigarette nicht an, leider. «Aber das nur am Rande.»
«Natürlich nur am Rande. Wie immer.» Valeria war aus der Haustür getreten, ihr Telefon erleuchtet. Sie drückte die Iglhaut zur Begrüßung, Augen bei der eingehenden Nachricht.
Die Iglhaut nahm ein neues Stück Holz. «Stell dir vor, Valeria, Uli will mir gerade erzählen, wenn er ein Küchengerät gewonnen hätte, wäre er jetzt schon auf dem Weg zum Sternekoch.»
Uli wurde rot. «So doch nicht. Hab ich doch überhaupt nicht. Dass du immer gleich . Das Übertreiben steht dir nicht.»
«Natürlich steht ihr das!» Valeria tippte eine Antwort an ein mögliches Date. «Übertreibung», Valeria suchte ein Emoji in ihrer App, «Übertreibung», setzte sie noch einmal an, «ist das Rouge auf den Wangen des Alltags.»
Die Iglhaut schob beeindruckt die Unterlippe vor, aber Valeria war schon wieder ins Telefon abgetaucht.
Ulis Miene: Pein.
«Bist du gar nicht auf die Idee gekommen, dass du auch den ersten machen könntest?», fragte die Iglhaut, um ihn abzulenken.
Uli seufzte. «Sachpreise verstehe ich. Sind direkt Werbung fürs Produkt, wenn man die abbildet. Aber eine Reise?»
Auf das Stichwort hin tauchte Valeria aus ihrem Telefon auf. «Du hast eine Reise gewonnen? Wie phantastisch! Ich habe noch nie, ich wollte schon immer!»
Ulis Augenlid senkte sich müde. «Das Glück trifft stets die Falschen.»
Nach zwei Wochen Hurghada wollte die Iglhaut ihm zustimmen. Leicht waren die Ferientage nicht für sie gewesen, alleinstehend unter Familien, Mittvierzigerin unter Pensionisten, Schattenfreundin unter Sonnenbränden, eine, die ein Buch las zwischen lauter Telefonen. Und wem hatte sie das zu verdanken?
So ein Gewinn sei doch immer für zwei, hatte Valeria - mit halbem Blick aufs Telefon - angemerkt. Sie selbst könne ja nicht, wegen Thea. Aber die Iglhaut, die sei schon so lange nicht mehr weg gewesen, und wenn Uli sich mit seinem Glück derart schwertat, warum sich nicht zusammentun?
Die Iglhaut hatte erst noch gestaunt, als Uli, bedächtig nickend, den Brief wieder aus seiner Windjacke zog, dazu einen stumpfen Bleistift, und doch tatsächlich fragte: «Soll ich bei der Rückantwort besser Lebensgefährtin sagen oder doch Lebensabschnittspartnerin?»
«Da kannst du improvisieren», bestimmte Valeria über Iglhauts Kopf hinweg. «Aber, ganz wichtig: Du bittest um getrennte Hotelzimmer!»
«Ge-trennt», notierte Uli.
«Genau, weil deine Liebste schlimm schnarcht», diktierte Valeria.
Die Iglhaut staunte nicht mehr. Sie begann, innerlich zu fluchen.
«Wisst ihr, was noch viel schöner klingt?» Der Uli hob die Bleistifthand mit einem doppeldeutigen Lächeln. «Nicht Lebensgefährtin, Verlobte! Zweien, die sich versprochen sind, werden vor der Hochzeit Einzelzimmer bestimmt nicht versagt.»
«Wunderbar», lobte Valeria. «Da denkt einer mit.»
«So ersparen wir uns auch die Peinlichkeit mit dem Schnarchen», fügte Uli hinzu und zog ab, mitsamt ungerauchter Zigarette.
Als er im Haus verschwunden war, richtete die Iglhaut ihr Schnitzmesser auf Valeria. Auf keinen Fall werde sie Ulis «Glück» mit ihm teilen, nirgendwohin wolle sie verreisen mit dem!
Valeria schreckte das Messer nicht. «Beruhige dich. Ich hab dir Ferien umsonst besorgt.»
Aber der Ärger ging der Schreinerin so schnell nicht aus dem Messer. Von umsonst könne keine Rede sein! Vierzehn Tage mit Uli seien ein hoher Preis.
Valeria legte ihren Zeigefinger auf die Klinge, lenkte die Spitze von sich weg. «Iglhaut. Wann hat der Uli das letzte Mal die Stadt verlassen?»
Anfang der Zweitausender, hatten sie dann überschlagen. Seitdem nicht mehr. Schon wenn er in ein anderes Viertel musste, klagte er, als rechne er mindestens mit Jetlag. Und darauf fußte Valerias Idee: «Wir bestärken den Uli in dem Gedanken, dass er hier über sich hinauswachsen kann. Damit tut man ihm etwas Gutes.»
«Aber er wird es nicht schaffen», wandte die Iglhaut ein.
Valeria hob die Arme. «Ja eben: Vierzehn Tage, die dich nichts kosten, und nur für dich allein!»
Auch wenn das einleuchtend klang, die Idee hatte ihr nicht geschmeckt. Erst recht nicht, als der Uli, jetzt doch glücklich, bei ihr vor der Tür gestanden hatte, um ihr mitzuteilen, die Reise der «Verlobten» sei gemäß den Forderungen der «Hochzeitsplanerin» bei der Gewinnstelle organisiert.
Er hatte sich sogar ein paar neue Sandalen gekauft, wo eine Nagelschere die wichtigere Anschaffung gewesen wäre. Überlegte, ob er zur Vorbereitung ins Solarium solle, da die ägyptische Sonne völlig neue Anforderungen stelle an seinen «nordischen Teint».
Nordisch. Die Iglhaut schüttelte den Kopf, Uli war Hauttyp «Stubenhocker». Auch deshalb bereitete ihr seine überraschende Geschäftigkeit Sorgen.
Im Vorderhaus wurde schon geredet. Frau Ivanovic (3. Stock, links) passte sie im Hof ab: Eine Hochzeitsreise, bevor man überhaupt vor den Altar getreten ist . Wäre sie nie draufgekommen. Aber gut.
Tildi Rolff (3. Stock, rechts): «Immer wieder erstaunlich, dass der aufgeklärte Bürger so gern dort seinen Urlaub verbringt, wo die Grundrechte wenig gelten.»
Jasmina aus der betreuten Wohngemeinschaft (1. Stock, rechts): «Mit dem Reizberg? Haben Sie Torschlusspanik, Frau Iglhaut? Ich meine, da würde ich meine Schnecke lieber vertrocknen lassen, bevor der mich bewässert.»
Die Iglhaut knurrte Jasmina fort. An sich war sie Derbheiten nicht abgeneigt, aber Schnecke bewässern lassen. Das war ihr doch ein bisschen zu viel.
Frau Ivanovic, noch mal: «Dass Sie beide...
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