Schweitzer Fachinformationen
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Nehmen Sie sich einmal einen Moment Zeit, um sich selbst die Frage zu stellen: Was ist Nähe? Auf welche Weise erfahren Sie sie? Was macht sie in verschiedenen Beziehungen aus? Verändert sie sich von Mensch zu Mensch, und nimmt sie in verschiedenen Kultur- und Sprachräumen oder Gemeinschaften jeweils andere Formen an? Was eigentlich ist Nähe?
Es ist schwierig, diese Fragen endgültig zu beantworten, auch wenn es viele Theorien dazu gibt. Aber eines ist sicher: Auf abstrakte Weise können wir nichts über das Thema Nähe lernen.
Wer noch nie eine enge Beziehung zu einem anderen Menschen hatte und wer sich vor allem noch nie eine dieser Beziehungen bewusst näher angeschaut hat, wird sich schwer damit tun, das Wesen von Nähe zu beurteilen. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis scheint darin zu liegen, wie stark die Verbindung ist, die wir herzustellen vermögen, und in der Bereitschaft, für diese Verbindung in jeder Art von Interaktion offen zu sein. Und das Ergebnis liegt meiner Meinung nach darin, dass in einem Augenblick der Nähe unser Gefühl des Menschseins oder dessen, was uns alle verbindet, gestärkt wird. Denken Sie einmal an den Moment, in dem Sie einem geliebten Menschen in die Augen geschaut und etwas so Bewegendes empfunden haben, dass Sie es nicht in Worte zu fassen vermochten. Oder an eine Gelegenheit, als sich irgendwo zufällig mit einer gänzlich unbekannten Person ein ausgiebiges Gespräch entwickelte, das Ihnen ein Gefühl davon gab, wie unglaublich schön und voller Überraschungen das Leben sein kann.
Menschliche Nähe ist eine unsichtbare Kraft, und mir persönlich gibt diese Kraft ein besseres Gefühl dafür, was es bedeutet, Mensch zu sein. Wenn ich von Stadt zu Stadt reise und Vorträge halte, habe ich immer zwei Magnete dabei. Während meines Vortrags hole ich sie hervor, um die unbestreitbaren Kräfte zu veranschaulichen, die zwischen ihnen wirken, und die illusorische Natur des Raums, der sie voneinander trennt. Hält man zwei Magnete nahe aneinander, lässt sich die Energie zwischen ihnen deutlich spüren. Sie ist unzweifelhaft vorhanden. Man kann die Kraft der Anziehung oder Abstoßung spüren, aber man kann sie nicht sehen. So wie es eine unsichtbare, zwischen den Magneten wirksame Kraft gibt, so gibt es auch eine Kraft, die zwischen Ihnen und jedem anderen Menschen wirksam ist. Die Verbindung, die zwischen uns entsteht und die wir Nähe nennen, ist nicht anders als diese magnetische Kraft. Auch sie wirkt in dem Raum zwischen uns. Stellen Sie sich also vor, Sie könnten Eisenspäne zwischen diesen Magnetpolen ausstreuen, um die Verbindungslinien zwischen ihnen sichtbar zu machen. Das ist es, worum es mir ging: diese energetische Verbindung in den Fokus zu rücken und das, was spürbar ist, auch sichtbar zu machen - das heißt, den Raum dazwischen zu beleuchten.
Dabei entschied ich mich für das Mittel, das mir auf meinem bisherigen Weg bereits so gute Dienste geleistet hatte - die Videokamera -, um ein einfaches Gespräch zu filmen und zu sehen, ob sich dieser Zwischenraum zeigen würde. In jeder dieser Sitzungen saßen sich zwei Personen gegenüber und stellten einander Fragen, die speziell auf ihre Beziehung zugeschnitten waren. Ich ließ beide Teilnehmer*innen etwa ein Dutzend dieser Fragen in einer vorgegebenen Reihenfolge stellen, um so den Raum für eine Verbindung zu schaffen und den Anstoß für ein kathartisches Gespräch zu geben. Auf diese Weise wurden sie mit Fragen konfrontiert, die für beide überraschend waren (beim Verlesen der Fragen sahen sie diese zum ersten Mal), und hatten damit die Chance, sich auf einen Dialog einzulassen, den sie sonst nicht geführt hätten. Gefilmt haben wir diese Sitzungen jeweils mit drei Kameras - als Totale und zwei Nahaufnahmen. Auf diese Weise sind die Gesichter der Dialogpartner*innen direkt nebeneinander wie auf einem geteilten Bildschirm zu sehen. So vernimmt man nicht nur das Gesagte, sondern sieht zugleich unmittelbar die Reaktion der Teilnehmer*innen darauf. Dadurch haben wir den besagten »Zwischenraum« sichtbar gemacht.
Wir haben diesem Projekt den Namen {THE AND} gegeben, weil es in einer Beziehung nicht um ein Ich oder Du geht, um ein Wir oder Sie. Es geht um dich und mich, um uns und sie. Es ist das »Und«, das uns verbindet. Es ist das »Und«, das die Verbindung zwischen dem Du und dem Ich herstellt und ein Wir erschafft. Dieses »Und« ist der energetische Raum zwischen uns. Und indem wir unsere Aufmerksamkeit und unsere Kameras auf diesen Zwischenraum richteten, gelang es uns, ein klareres Bild davon zu bekommen, was Nähe bedeutet, als ich es je für möglich gehalten hätte. Indem man beide Gesichter zugleich zeigt, bekommt man eine Ahnung von den unsichtbaren Fäden, die beide Beteiligten verbinden. Das duale Bildformat (und manchmal auch das Triptychon-Format, wenn wir zusätzlich die Totale zeigen) beleuchtet den Raum dazwischen und vermittelt einen Eindruck von der zugrunde liegenden Verbindung jenseits der gesprochenen Worte. Und das ist genau genommen eine einzigartige Erfahrung. Wie oft haben wir schon Gelegenheit, die Gesichter beider Beteiligten an einem Beziehungsgespräch in Großaufnahme zu sehen, während sie ihre Gefühle offen voreinander ausbreiten? Entweder sehen Sie die Gesichter eines anderen Paares im Profil oder, wenn Sie selbst Gesprächsteilnehmer*in sind, nur das Gesicht Ihres Gegenübers. Bei {THE AND} sehen Sie beide Personen zugleich und von vorne. Das ist keine normale menschliche Alltagserfahrung und offenbart somit eine einzigartige Perspektive, wie wir sie sonst wohl kaum zu Gesicht bekommen würden.
Daraus entstand das Format unseres Dokumentarfilmprojekts {THE AND}, das 2015 mit einem Emmy für neuartige Ansätze im Dokumentarfilm und zahlreichen anderen Preisen ausgezeichnet wurde. Das Filmprojekt verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Internet und erreichte Hunderte von Millionen von Zuschauer*innen, einschließlich prominenter Persönlichkeiten wie Robert De Niro und Anne Hathaway. An dem Projekt haben bislang fast zwölfhundert Paare aus elf Ländern teilgenommen, quer durch alle Altersgruppen und das ganze Spektrum der Ethnien, Kulturen, der Geschlechter und der sexuellen Orientierung, und es werden immer mehr. Zusätzlich zu der großen Vielfalt an Beziehungsformen, die wir dadurch auswerten konnten, haben uns in den vergangenen zehn Jahren einige Teilnehmer*innen wiederholt aufgesucht, um ihren Partnerschaftsdialog auf diese Weise fortzusetzen. Somit geht {THE AND} nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe, da sich dabei zugleich ablesen lässt, wie sich eine Beziehung im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Im Grunde genommen waren und sind wir dabei, ein Archiv zwischenmenschlicher Beziehungen für unsere heutige Zeit anzulegen - eine audiovisuelle Bibliothek des Menschseins, aufbauend auf den emotionalen Erfahrungen, wie sie im Beziehungsdialog zur Sprache kommen.
Bei einigen der Gespräche, die wir gefilmt haben, wurde ich Zeuge unglaublicher Momente der Nähe und Verbundenheit, die ich in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen werde. Und auch wenn es manchmal den Anschein hatte, als würde zwischen den Beteiligten nicht viel passieren, so war, als wir uns das Gespräch nochmals in der doppelten Frontalansicht der beiden Gesichter anschauten, auf einmal doch mehr auf der Ebene des Austauschs zu erkennen. Verbal und energetisch mag sich der Dialog zunächst belanglos angefühlt haben, aber das Zweipanel-Format von {THE AND} gab etwas zu erkennen, das unter der Oberfläche lag. Selbst wenn eine*r der Beteiligten auf eine Frage überhaupt nicht antwortete, sprach der Gesichtsausdruck, mit dem beide aufeinander reagierten, Bände über die Art ihrer Beziehung. Und sowohl für unser stetig wachsendes Publikum als auch für mich selbst war das unglaublich faszinierend. {THE AND} funktionierte. Es brachte Licht in den so schwer zu erhellenden und doch so bedeutsamen Raum der engen Bindung zwischen zwei Menschen.
In der Anfangszeit des Projekts wussten wir nie, was uns erwarten würde. Wir arbeiteten zwölf bis vierzehn Stunden am Tag mit acht oder neun Paaren und mit jedem von ihnen mindestens eine Stunde lang. Wir ließen ihnen so viel Zeit, wie sie wollten oder benötigten. Und ich erinnere mich, wie ich bei Filmaufnahmen in Amsterdam einmal so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung hatte. Ich befand mich in einem großen Lagergebäude, in dem vier Scheinwerfer auf zwei sich gegenübersitzende Personen gerichtet waren sowie drei Kameras, die jedes Detail ihres Austauschs einfingen. Und aus dieser entrückten Perspektive dachte ich bei mir: Das ist wirklich verdammt seltsam und eigentlich unglaublich! Es ist, als würde man studieren, wie Menschen . menschlich sind? In unserem Team sagen wir gerne, dass wir wirklich gut darin sind, Menschen genau das sein zu lassen: menschlich. Und ich denke, die audiovisuelle Bibliothek der Gespräche, die wir bis jetzt aufgebaut haben, ist ein sprechender Beweis dafür. Jedes Gespräch ist eine Überraschung und eine Offenbarung für sich. Zum Zeitpunkt, als sie geführt wurden, erschienen uns einige der Dialoge einfach umwerfend und andere eher belanglos. Dennoch wussten wir, dass aus jedem einzelnen Gespräch etwas zu lernen war und dass wir das, was lehrreich an ihnen war, mit unserem Doppelpanel-Format festhalten konnten.
Ich begann mich zu fragen, was da eigentlich vor sich ging. Warum funktionierte, was wir taten,...
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