Schweitzer Fachinformationen
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Hilfe!
Stumm liegt die Bitte auf meinen Lippen. Ich habe Angst, sie laut auszusprechen, denn ich ahne, dass ich nur Schweigen ernten werde. Die Hitze lastet so schwer auf mir wie der Eisenring um meinen Hals. Der Gestank der Toten steht in der Luft. Meine Haut ist von einer dicken Staub- und Schmutzschicht überzogen. Jeder Knochen tut mir weh.
Donner, der wie Trommelwirbel klingt, reißt mich aus meinem Dämmerzustand. Er lockt mich aus der dunklen Ecke meines hängenden Käfigs zu den gerundeten Eisenstangen. Mit klirrenden Ketten um die Fußgelenke drücke ich das Gesicht so weit wie möglich durch die Stäbe. Regen und Gischt fallen durch den Schacht über meinem Gefängnis.
Ich schließe die Augen und atme tief ein.
Oya .
Der Name der Göttin durchdringt mich. Er bewegt etwas in meiner Seele. Der von ihr aufgepeitschte Sturm ruft nach mir wie ein Lied. Er trägt das Versprechen in sich, mich zu heilen.
Eine Weile wäscht der peitschende Regen meine Schmerzen fort. Der ferne Donner erinnert mich an bessere Tage. Die heulenden Winde versetzen mich in die schneebedeckten Berge von Ibadan, dem Dorf, in dem ich vor dem Überfall lebte. Wenn es bedrohlich donnerte, lag ich zitternd in meinem Bett.
Es war Mama, die mir zeigte, dass ich keine Angst vorm Regen haben muss.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Liebes.« Selbst nach so vielen Jahren legt sich die Erinnerung an Mamas Stimme schützend um mein Herz. Ich spüre die Wärme ihrer weichen Finger an meiner Wange. Die Zärtlichkeit, mit der sie sprach.
»Oya besucht uns nicht nur im Tod«, flüsterte Mama mir ins Ohr. »Wir können sie auch in Gewittern und peitschenden Winden fühlen.«
Ich erinnere mich, wie Mama mich überredete, aufzustehen und an Baba und Tzain vorbeizuschleichen, die fest in ihren Hängebetten schliefen. Es war nicht das erste Mal, dass sie mich nachts mit auf den Berg nahm, doch noch nie zuvor hatte sie es bei einem Gewitter getan.
Sie fasste mich an der Hand und führte mich einen gewundenen Pfad hinauf. Ich konnte kaum etwas sehen, weil der Wind mir meine weißen Haare ins Gesicht peitschte. Unsere nackten Füße rutschten über den kiesbedeckten Weg. Jedes Mal, wenn ich umkehren wollte, ermutigte mich Mama weiterzugehen.
Als wir den abgeflachten Gipfel erreichten, wirkten die Hütten unseres schlafenden Dorfes hundert Meter weiter unten wie Ameisenhügel. Jedes Mal, wenn ein Blitz den Himmel erhellte, sahen wir die zackige Silhouette der Berge um uns herum. Es war, als könnte ich die Wolken berühren, wenn ich die Hand nur weit genug ausstreckte.
»Spüre sie, Zélie.«
Ich zitterte im prasselnden Regen, doch Mama wurde durch den Wolkenbruch umso lebendiger. Sie streckte ihre Arme weit aus und reckte das Gesicht dem Chaos entgegen.
Als sich um sie herum knisternde Blitze entluden, sah sie aus wie eine Göttin.
»Das ist es, kleine Zél.« Mama nickte. Ich schloss die Augen und reckte die Hände ebenfalls den tobenden Himmeln entgegen. »Oyas Gewitter bringen nicht nur Regen. Sie künden uns auch von ihrem heiligen Wandel.«
Ich bewege Mamas Worte in meinem Herzen, bis meine Augen anfangen zu brennen. Immer wenn ich denke, ich hätte nichts mehr zu verlieren, verliere ich alles.
Ich habe vergessen, wie oft ich im vergangenen Mond nach meinen Göttern gerufen habe. Wie oft die Antwort nichts als Kummer war. Ich traue mich nicht mehr zu hoffen.
Je mehr ich hoffe, desto tiefer falle ich.
»Nein! Bitte nicht!«
Die schrillen Schreie eines Mädchens dringen durch die Holzbohlen über mir. Sie werden immer lauter, ich ziehe den Kopf ein. Ich weiß nicht, was mehr weh tut: die Schreie der jungen Maji oder die quälende Stille, als sie verstummen.
Schon immer gab es Feinde zu bekämpfen. Schon immer gab es jene, die den Maji übelwollten. Ich wusste, dass das Kämpfen womöglich niemals endet. Doch ich hätte nie gedacht, dass sich diese Kämpfe über die Grenzen Orïshas hinaus ausdehnen.
Fast einen vollen Mond ist es jetzt her, dass die Skulls die Ufer Orïshas überfielen. Ein voller Mond ist vergangen, seit meine Maji und ich aus unserer Heimat entführt wurden. Nachdem wir auf dem Schiff wieder zu uns kamen, wurden wir nach Geschlechtern getrennt.
Es war das letzte Mal, dass ich meinen Bruder Tzain sah.
Am Anfang war ich zusammen mit den anderen weiblichen Ältesten gefangen - den Mitgliedern der wieder zum Leben erweckten Maji-Clans. Doch seit dem letzten Halbmond bin ich in diesem Laderaum des Schiffes eingeschlossen, isoliert, muss die Folter der Skulls allein über mich ergehen lassen.
Noch immer weiß ich nicht, warum sie uns entführt haben. Ich habe keine Ahnung, wohin wir segeln. Ich weiß nur, dass wir Maji dem Sieg näher waren als je zuvor, bevor die Skulls uns entführten.
Wir waren kurz davor, den Krieg zu gewinnen.
»Attacke!«
Die Tätowierungen auf meiner Haut erglühen, ihr flackerndes Licht umgibt meinen Körper.
Steine und Erde wirbeln um unsere Füße.
Die Rinde der Bäume in der Nähe platzt ab.
Eine Legion von Tîtánen wirft sich uns entgegen, schimmernd in ihren goldenen Rüstungen. Als ich die Hand hebe, erstarren alle Tîtánen an Ort und Stelle.
Ich balle meine Faust, und sie winden sich .
Als ich die Augen schließe, habe ich ihn wieder vor mir: den Kampf um Lagos. Wir brachten die Magie heim nach Orïsha, doch sie kehrte nicht nur zu den Maji zurück. Das heilige Ritual erschuf ebenfalls Tîtánen, so dass Königin Nehanda und ihr Gefolge von Soldaten über verheerende Kräfte verfügten.
Vor unserem letzten Angriff opferte Mama Agba ihr Leben, damit ich mein Herz mit denen der anderen neun Maji-Ältesten verbinden konnte. Gemeinsam bildeten wir eine Macht, der die Tîtánen nicht genug entgegenzusetzen hatten. Zu einer geschlossenen Front vereint, befahlen die Ältesten über die Erde und lenkten die Winde.
In jener Nacht hätte das Ende der Monarchie besiegelt werden müssen. Es war die Nacht, in der alle Maji zusammenstanden, um die Herrschaft über das Königreich zurückzuerobern. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung sollte der Kampf vorbei sein.
All unser Schmerz war vergolten.
Jetzt jedoch .
Ich betrachte meine gefesselten Hände. Meine nackte braune Haut. Die Tätowierungen, die früher leuchteten, sind verschwunden. Meine weiße Haarpracht wurde mir abrasiert. Die Magie, für deren Rückkehr ich so hart gekämpft habe, ist tot. Mein Orïsha ist ferner als je zuvor.
Ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll.
Ich weiß nicht, wie ich an meinem Lebenswillen festhalten soll.
»Bitte, Oya .«, flüstere ich erneut, gehe wieder das Risiko ein, nicht erhört zu werden. Dumpf hallt der Donner durch den Lichtschacht. Ich rede mir ein, er wolle mir beweisen, dass Oya mich doch nicht verlassen hat, obwohl ich weit entfernt von Orïshas Gestaden bin.
»Bitte!« Ich denke an all die Begebenheiten, wenn die Göttin reagierte. Wenn ich kurz einen Blick auf ihren rasenden Geist erhaschte, der wie ein Orkan tobte. »Bitte befreie uns von den Skulls. Bitte bring unser Volk nach Hause .«
»Bindið hendr honum!«, brüllt jemand.
Als ich die harsche, gutturale Sprache der Skulls höre, zieht sich mir der Magen zusammen. Schwere Stiefel poltern über die Holzdielen über meinem Kopf, Sägemehl rieselt mir in die Augen. Beim Gedanken an den kalten Griff eines Skulls weicht jedes Gefühl aus meinen Fingern. Mein Hals brennt in Vorahnung der dicken Nadel, die sie gleich hineinrammen werden, um mir wieder das giftige Majazit ins Blut zu pumpen. Jeden Abend zur selben Zeit kommt der Kerl und spritzt mir das Gift in die Adern, um mich zu betäuben.
»Bitte, Oya!«
Ich versuche, die Magie zu spüren, die meine Göttin mir einst schenkte - jene Macht, Geister zu erwecken, die verschieden sind. Ich ertrage nicht noch mal, wenn die ekelhaften Hände der Skulls mich zu Boden drücken. Wenn es so schmerzt, dass ich kaum noch einen Laut hervorbringe.
Es gab Zeiten, da hörten ganze Armeen geisterhafter Gestalten auf mein Kommando, Zeiten, in denen meine schemenhaften Soldaten durch die feindlichen Reihen pflügten wie ein Sturm. Wenn ich nur einen einzigen von ihnen heraufbeschwören könnte, würde ich die Skulls von mir fernhalten.
Mit einem Schemen an meiner Seite hätte ich eine Chance.
»Bitte!«, flehe ich wieder. Doch egal, wie sehr ich mich bemühe, die Kraft kommt nicht zurück. Enttäuscht starre ich auf meine ausgestreckten Hände. Seit wir von Orïshas Ufern lossegelten, habe ich die Kraft meiner Magie nicht mehr gespürt .
Die Holztür zu meinem Verlies wird aufgestoßen. Ich krabbele in die hinterste Ecke des Käfigs. Angst verschließt mir den Mund. Sobald die Feinde mich sprechen hören, schlagen sie zu.
In tanzendem Fackellicht kommt der erste Skull herein. Die Flamme erhellt die Maske, die sie alle tragen: aus Bronze und Blut geschmiedete Schädel. Zerdrückte Knochenteile werden zu einem großen, angelaufenen Schädel zusammengesetzt.
Der Skull hat seine kastanienbraunen Locken zu Zöpfen...
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