Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 1
Solange
Ich war in diesem Haus aufgewachsen, kannte jede Fläche und jede Ecke, jede Nische und jeden Winkel: die Risse im Ziegeldach von den Hurrikans, die ansonsten nicht mehr Schaden angerichtet hatten, als die Hausverkleidung zu beschädigen. Oder den Betonboden auf der einzigen Steinterrasse der State Street, um den man sich dringend hätte kümmern müssen. Diese kleinen Makel fielen mir jedes Mal ins Auge, wenn ich meinen Volkswagen auf die kopfsteinbepflasterte Auffahrt lenkte. Mein Dad hatte dieses Haus im Craftsman-Style seinen ursprünglichen Besitzern abgekauft. Eine Zeit lang waren wir im Umkreis von zwei Blocks die einzige schwarze Familie in Uptown New Orleans. Deshalb legte ich immer noch Wert darauf, dass es so hübsch und makellos aussah wie zur Zeit meines Vaters. Aber in der letzten Zeit hatte ich die Dinge schleifen lassen. Was soll ich sagen? Ich hatte eben viel zu tun. Und ich war noch nie der gehorsame Typ gewesen.
Doch als ich an diesem warmen Herbsttag in die Auffahrt einbog, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Oder dass etwas zu sehr stimmte, je nach Blickwinkel. Die kaputten Dachziegel waren ersetzt worden. Die neuen strahlten zwischen den alten heraus. Und der Beton war dort, wo er um die Verandasteine neu verfüllt worden war, ganz dunkel. Mein zehnjähriger Sohn, Gus, war übers Wochenende bei meinem Exmann Julius. Er hatte mir bei diesen Reparaturarbeiten eigentlich helfen wollen. Aber als er Zeit dazu hatte, hatte ich ihm geantwortet: »Nein, ich mache es allein. Ich kann selbst für mich sorgen, danke schön.«
Aber zwischen Zehnstunden-Schichten mit griesgrämigen Nachrichtencrews, die irgendwelchen Eilmeldungen hinterherjagten, und meinem Job als Moderatorin am Wochenende hatte ich keine Zeit, eine vernünftige Instandhaltungsfirma ausfindig zu machen oder mich bei der Arbeit umzuhören, ob jemand ein gutes Bauunternehmen kannte. In New Orleans waren Letztere ziemlich schwer zu finden, denn viele waren in das riesige Bauprojekt mit Eigentumswohnungen im Warehouse District eingebunden oder arbeiteten bei staatlichen Wiederaufbaumaßnahmen mit. Und Julius war nie ein guter Handwerker gewesen. Mein Exmann war Unternehmer, der kreative Typ - zumindest sah er sich selbst so. Wer also hatte diese Reparaturen ausgeführt? Wenn Julius sich darum gekümmert oder jemanden damit beauftragt hätte, wüsste ich es sicher.
Erst als ich parkte, entdeckte ich den weißen Lieferwagen vor meinem Haus, aus dem eine lange Leiter hervorragte. Jemand war hier. Leise stieg ich aus, schloss meine Autotür nicht ganz. In diesem Augenblick hörte ich das klingende Geräusch von Metall auf Metall aus dem Garten. Meine journalistischen Instinkte waren in höchster Alarmbereitschaft. Lass deine Tasche im Auto. Nimm nur die Schlüssel mit. Bereite dich darauf vor, sie dem Überraschungsgast entgegenzuschleudern. Geh nicht ins Haus. Beobachte es von außen. Ich trug Absätze, also ging ich auf Zehenspitzen über den Seitenweg. Ich bemerkte, dass der undichte Gartenschlauch ebenfalls repariert worden war. Wow. Schön. Aber dennoch. Wie? Und wer?
Ich sah zur anderen Straßenseite hinüber. Dr. Franz in dem Backstein-Kolonialbau gegenüber wusch gerade sein Auto. Okay, gut. Es würde also einen Zeugen geben, der mich schreien hörte, falls derjenige, der in meinem Garten bastelte und hämmerte, eigentlich in mein Haus einbrach.
Bing, bing, plink, plink. Die Geräusche hörten nicht auf. Entschlossen ging ich auf das Tor zu, um es aufzuschließen - doch das Schloss war verschwunden, einfach herausgeschraubt! Mein Herz machte einen Satz. War es vielleicht besser, nicht weiterzugehen, sondern gleich die Polizei zu rufen? Ich tastete nach meinem Handy, aber dann fiel mir ein, dass es in meiner Handtasche im Auto war. Verdammt. Ich betrat den Rasen. Meine Absätze versanken in feuchtem Boden. Wer hatte hier gesprengt?
Vorsichtig spähte ich um die Ecke, und da sah ich ihn: Ein junger Mann beugte sich über einen tragbaren Sägebock und hämmerte auf irgendetwas ein. Seinem Aussehen nach war er vielleicht fünfundzwanzig, maximal dreißig. Verwaschene kakifarbene Arbeitshosen, nackter Oberkörper, ein weißes T-Shirt, das aus seiner Gesäßtasche hervorsah.
Es waren 23 Grad, ein heißer Tag für November, deshalb trug er wohl kein Hemd und enthüllte einen muskulösen Rücken, der von der Sonne tief gebräunt war. Wenn mich die Polizei nach einer Personenbeschreibung fragen sollte, würde ich angeben, dass er Italiener, Grieche oder Spanier war. Er war schlank, hatte eher den Körperbau eines Tänzers als den eines Bauarbeiters. Nein. Bei der Polizei würde ich wohl kaum vom »Körper eines Tänzers« sprechen, nicht wahr? Ohne Schuhe war ich eins sechzig groß, also schätzte ich ihn auf eins achtzig. Sein Kopf war mit dichten, schwarzen Locken bedeckt. Sehnige Unterarme. Nicht dass ich ihn bei der Polizei als sehnig beschrieben hätte, das hätte ich nie gesagt. Dick vielleicht. Muskulös? Nein. Moment. Warum hätte ich seine Unterarme überhaupt beschreiben sollen? Nun ja, sie waren bemerkenswert.
Er hämmerte weiter an etwas Filigranem herum, das auf einer Platte zwischen den Sägeböcken lag. Sein Werkzeuggürtel hing schief auf seinen mageren Hüften. Noch mehr Werkzeuge lagen ordentlich auf einem tragbaren Arbeitstisch, der auf der hinteren Terrasse aufgestellt war. (Ja, Herr Wachtmeister, in diesem Augenblick entdeckte ich einen jungen, schlanken Mann mit südländischem Aussehen und dem Körper eines Tänzers, brauner, straffer Haut, schwarzem, lockigem Haar, mageren Hüften und unglaublich erotischen Unterarmen - und er führte an meinem Haus Reparaturen durch. Verhaften Sie ihn.)
Der Mann wirkte völlig entspannt. Zu Hause. In meinem Zuhause. Vielleicht war die Polizei gar nicht notwendig.
»Ähem.«
Er hörte mich nicht.
»Hallo«, sagte ich etwas lauter.
Da flog sein Hammer nach hinten und landete nur wenige Zentimeter vor mir im Gras. »Heilige Scheiße!«, rief er und wandte sich um. »Sie haben mich aber erschreckt!«
»Ich habe Sie erschreckt? Das ist mein Garten, in dem Sie da vor sich hin hämmern.«
Jetzt konnte ich endlich auch sein Gesicht in voller Schönheit betrachten. Er war extrem männlich und gut aussehend, hatte aber auch sanfte Züge: freundliche, braune Augen, volle Lippen. Er lächelte schief und stützte eine Hand in die Hüfte. Mit der anderen zog er das T-Shirt aus der Gesäßtasche, um sich die Stirn abzuwischen. »Wie lange stehen Sie denn schon da?«, fragte er.
Plötzlich wurde mir klar, dass ich meine Autoschlüssel so heftig umklammert hielt, dass sie sich schmerzhaft ins Fleisch bohrten. »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Den ganzen Tag. Ich habe die zerbrochenen Dachziegel ersetzt, ein paar Steine auf der Terrasse neu gelegt, den Rasen gesprengt .«
»Ich weiß. Das habe ich gesehen. Wer hat Sie engagiert? Ich ganz sicher nicht.«
»Und ich bin gerade dabei, den Zaun zu reparieren, aber das hier ist nur eine vorübergehende Lösung. Sie brauchen eindeutig ein neues Schloss. Eins mit Bolzen, finde ich. Ich meine, wir sind hier in Uptown, wo es einigermaßen sicher ist, aber man weiß schließlich nie.«
Er hatte einen leichten Akzent, nicht aus der Gegend, vielleicht aus dem Osten von Texas? Ich war Journalistin, weshalb ich derlei Details automatisch sofort wahrnahm. Dafür war ich bekannt.
Ich ging einen Schritt auf ihn zu, während er den Kopf versonnen neigte. Er betrachtete meine Schuhe, meine Beine, meine Taille, meine Brüste. Ich hatte eine leuchtend blaue Seidenbluse an, die gleiche, die ich heute früh bei der Nachrichtensendung getragen hatte. Ich spürte, wie mein Körper von einer Strömung erfasst wurde, die mich sofort von innen erwärmte. Solange, dieser Mann ist ziemlich jung. Und du bist eine berufstätige, geschiedene Frau, hast einen Sohn und einen Job in der City, durch den du ziemlich im Rampenlicht stehst. Es wäre nicht passend, zu flirten. Mit diesem Mann. Der unaufgefordert dein Grundstück betreten hat. Der dein Haus repariert. Und er ist viel jünger als du.
»Wer sind Sie, und wer hat Sie engagiert?«, wiederholte ich und rieb mir den Nacken. Die Nerven.
»Ich habe Durst. Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben? Dann kann ich mich mit dem lecken Geschirrspüler befassen - das heißt, sofern Sie mich ins Haus lassen.«
Dieser Mann war eindeutig sexy. Ein wenig großspurig. Und ein Spieler.
Mit fester Stimme antwortete ich: »Sie werden wohl durstig bleiben müssen, wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie geschickt hat und was Sie auf meinem Grundstück zu suchen haben.«
»Na gut, ich sage es Ihnen - wenn Sie . den Schritt akzeptieren.«
Buchstäblich in dem Augenblick, da ihm die Worte über die Lippen kamen, wusste ich Bescheid. Es begann also - endlich. Diese Sache. Diese S.E.C.R.E.T.-Sache.
Meine Begleiterin Matilda hatte gesagt, dass es innerhalb eines Monats losgehen würde. Dass ich bei manchen meiner Fantasien vorgewarnt würde, dass andere hingegen sich einfach . entfalten würden. Mein Gott, wie oft hatte ich mit dem Gedanken gespielt, den Hörer in die Hand zu nehmen und diesen Sex-Quatsch zu canceln, bevor er überhaupt beginnen konnte? Ich hatte für so etwas keine Zeit. Sex war früher mal durchaus wichtig für mich gewesen. Mit Julius hatte er eine riesige Rolle gespielt, bevor unsere Beziehung den Bach runterging. Aber ich war jetzt einundvierzig, Himmel, Arsch...
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