Schweitzer Fachinformationen
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Es hätte einer der schönsten Abende meines bisherigen Lebens werden sollen. Mein Cinderella-Moment. Zum ersten Mal als Gast zu einer der noblen Veranstaltungen gehen, nicht nur als Teil des Catering-Teams. Alles hätte perfekt sein können, aber diese Vorstellung war wohl mehr als naiv. Was war schon perfekt?
Diesen Sommer war ich endlich mit der Schule fertig gewesen und hatte mich auf meinen Traumjob als Pferdetrainerin gefreut, auf Red Oak, dem Gestüt, auf dem ich aufgewachsen war. Aber dann hatte Lord Huntington sich für jemand anderen entschieden und mir dafür eine Stelle bei Sam Beaumont vermittelt. Sam mochte ich vom ersten Moment an. Man merkte ihm kaum an, dass er aus einer adligen Familie stammte. Er war cool, unkompliziert, packte immer mit an und liebte es, in seinem Pub Gäste zu bewirten. Außerdem war er im Begriff, ein neues erfolgreiches Gestüt aufzubauen, und obwohl ich Red Oak vermisste, war ich dort mit der Arbeit als Pferdetrainerin sehr glücklich. Nur Sams Neffe, Henry Beaumont, der Duke of Winterset, hatte mir den Job nicht zugetraut und mir das Leben ziemlich schwergemacht . ja, bis wir uns ineinander verliebt hatten.
Nach unserer ersten Verabredung hatte sich sofort die Presse auf uns gestürzt. Aber das hatte ich versucht zu verdrängen. Irgendwie würde ich das schon hinbekommen, war ich mir sicher gewesen. Doch dann hatte ich auf der Feier Henrys Gespräch mit seiner Mutter belauscht, in dem er ihr anvertraut hatte, dass ich nicht mehr als eine nette Ablenkung sei. Dann war Lord Huntington zusammengebrochen, und zu guter Letzt hatte ich noch dieses Gespräch zwischen Dad und Lady Kerry belauscht. Im Moment zählte nichts anderes. Ich wollte Antworten, ich brauchte Antworten, aber ich schaffte es nicht, eine einzige von den Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten, in Worte zu fassen.
»Soll ich euch allein lassen?«, fragte Lady Kerry und sah zwischen Dad und mir hin und her, die Hände vor ihrer eleganten Reitjacke gefaltet.
Dad schüttelte kaum merklich den Kopf und strich sich ein paar der schulterlangen Haarsträhnen zurück, die sich aus dem Band in seinem Nacken gelöst hatten.
»Also gut, dann setze ich erst mal Tee auf. Ich schätze, das ist der richtige Moment für Tee.« Lady Kerry schloss die Küchentür hinter mir und ging dann an der Frühstückstheke vorbei zu der kleinen Eckküche mit den rustikalen Holzschränken.
Dad wies zu den Stühlen am Esstisch. »Bonnie, komm, setz dich. Wir werden dir alles erklären.«
Aber ich wollte mich nicht setzen. Am liebsten wäre ich auf und ab gelaufen, in mir tobte ein Sturm. Andererseits fühlte ich mich so schwach und erschlagen von dieser Neuigkeit, dass ich doch lieber auf die Eckbank rutschte, auf meinen Platz unter dem Fenster, wo ich so oft mit Dad Brettspiele gespielt hatte. Lady Kerry füllte den Wasserkocher, dann ließ sie sich schräg neben mir auf einen der Holzstühle sinken, während Dad sich einen Hocker von der Frühstückstheke heranzog.
»Du bist meine Tochter«, sagte er dann ernst, lehnte sich etwas vor und sah mir tief in die Augen. »Die bist du vom ersten Tag an gewesen. Und das wird immer so bleiben.«
»Du hast mich angelogen.« Mein Blick wanderte zu Lady Kerry. »Ihr alle habt mich angelogen. Wer weiß noch darüber Bescheid? Vanessa?« Doch das konnte ich mir nicht vorstellen. Sie hätte bestimmt etwas gesagt. Gleichzeitig hielt ich nach einem Tag wie heute aber auch nichts mehr für unmöglich.
Lady Kerry schüttelte den Kopf. »Vanessa weiß nichts davon. Nur George, Clementine, dein Dad und ich.«
»Clementine.« Lord Huntingtons Frau und Vanessas Mutter. Die Lady des Gestüts, die mich nie hatte leiden können. Jetzt wusste ich endlich, warum. Ich war das schmutzige Geheimnis ihres Ehemanns, eine wandelnde Erinnerung an eine andere Frau.
Ein bitteres Lachen stieg in mir hoch. Kein Wunder, dass sie nicht wollte, dass ich so viel Zeit mit Vanessa verbrachte. Ich fühlte mich einfach nur schrecklich. Mit einem Mal war ich auf mich allein gestellt. Ich gehörte zu niemandem mehr. Meine Mutter war gestorben, als ich noch ein Baby gewesen war, und jetzt verlor ich auch noch meinen Dad. Alles war eine Lüge, mein ganzes Leben.
»Meine Mum .«, fing ich an und versuchte, ihr Bild vor meinem inneren Auge heraufzubeschwören, aber alles, was ich sah, war das Foto auf meiner Kommode. Eine blonde Frau mit denselben grünen Augen wie ich, die zaghaft lächelte. Erinnerungen hatte ich keine an sie. Wieso hatte ich mich nie gewundert, dass ich nicht mehr Fotos von ihr besaß? Dass es keine von ihr und Dad gab? Wir sprachen auch kaum über sie. Denn wenn ich meinen Dad nach ihr fragte, wich er aus. Ich hatte immer angenommen, es sei zu schmerzhaft für ihn, über sie zu reden. Jetzt wusste ich, dass es einen anderen Grund gab.
»Wie . wie ist das abgelaufen? Hat sie dich betrogen? Oder warst du nie mit ihr zusammen? Was .«
»Bonnie, Liebes, es ist kompliziert.« Lady Kerry streckte ihre Hand nach mir aus und legte sie auf meine auf dem Tisch. An ihrem Ringfinger verlief ein blasser Streifen, wo sie früher einen Ehering getragen hatte, heute war ihr einziger Schmuck ein zartes goldenes Armband.
»Ich will, dass du weißt, dass wir dich alle sehr lieb haben«, sagte sie sanft.
Ich zog meine Hand unter ihrer weg, und Lady Kerry nickte verständnisvoll. Schließlich stand sie auf und füllte das heiße Wasser in drei Tassen, die sie aus dem Oberschrank nahm.
Ich sah zu Dad auf, der mit zusammengepressten Lippen dasaß und meinen Blick erwiderte.
»Von Anfang an«, bat ich und drehte wieder an meinem Armreif. »Was ist passiert?«
Dads Kiefer zuckte unter seiner Anspannung, und er strich sich nervös mit den Händen über die Oberschenkel. Dann nickte er kurz und holte Luft. »Allison . deine Mum«, fing er an zu erzählen, und ich spürte, wie schwer es ihm fiel, über sie zu reden. »Sie und George, also Lord Huntington, waren zusammen. Die beiden trennten sich aber nach ungefähr einem Jahr. Sie waren zu . verschieden.«
»Deiner Mutter war ihre Freiheit sehr wichtig, sie wollte selbst bestimmen, wie sie ihr Leben führt, genauso wie du«, erklärte Lady Kerry, ein wehmütiges Lächeln um die Lippen, während sie mit dem Tee zurück an den Tisch kam. »Und George . nun, er war schon immer sehr pflichtbewusst, und als sein Vater . dein Großvater . starb, hatte er allein die Verantwortung für Red Oak. Das Gestüt steckte in finanziellen Schwierigkeiten, und er musste sich darauf konzentrieren, diese zu lösen. Red Oak war . ist«, sie schloss kurz die Augen, voller Schmerz, als erinnerte sie sich daran, dass er in einem kritischen Zustand im Krankenhaus lag. Ich konnte mir vorstellen, wie groß ihre Angst um ihren Bruder war. »Red Oak ist sein Ein und Alles«, fuhr sie schließlich gefasster fort. »Allison fühlte sich irgendwann nicht mehr wohl hier, manchmal kam es ihr so vor, als wäre sie eingesperrt. Sie wollte reisen, die Welt sehen. Sie hatte gehofft, irgendwann würde George all das auch wollen, sich eine Auszeit nehmen, aber er hatte nur das Gestüt und seine Verantwortung im Kopf. Die Empfänge, die Komitees, all diese Verpflichtungen - das war einfach nichts für sie. Die beiden haben sich immer öfter gestritten, und irgendwann ist Allison ausgezogen. George traf die Trennung sehr, aber er konzentrierte sich ganz auf das Gestüt. Er wollte es nicht verlieren und brauchte Geld. Er kannte Clementines Eltern gut, und ja .«
»Er hat sie wegen des Geldes geheiratet?«
»Zweckehen waren damals, besonders in unseren Kreisen, gar nicht so selten, Bonnie. Ich weiß, das kannst du dir nur schwer vorstellen. Aber wir hatten damals wirklich ernste Probleme, und niemand sah einen Grund, warum George und Clementine nicht glücklich miteinander werden sollten. Er brauchte das Geld, und für sie war ein Earl ein guter Fang. Von Allison hörten wir eine ganze Zeit lang nichts. Aber dann war sie plötzlich wieder da. Und sie war schwanger.«
Gänsehaut kribbelte über meine Haut. Das also war meine Geschichte. Meine Mum und Lord Huntington. Sie hatten eine richtige Beziehung gehabt, ein Jahr lang, es war nicht nur eine Affäre oder ein One-Night-Stand gewesen. Meine Mutter hatte dort drüben gelebt, im Herrenhaus, bevor Lady Huntington da gewesen war, bevor es Vanessa und mich überhaupt gegeben hatte. Es war eine völlig andere, unvorstellbare Welt, von der Lady Kerry da sprach.
»George und Clementine hatten sich gerade verlobt, und Allison wollte ihn auch nicht zurück. Sie dachte nur, er hätte ein Recht darauf zu erfahren, dass er Vater wird.«
»Allison und ich waren Freunde«, fuhr Dad fort, die Hände zwischen die Knie gepresst. »Als es zwischen ihr und George aus war, trafen wir uns ab und zu, und ich half ihr beim Umzug. Sie nahm sich eine kleine Wohnung. Für dich und sie. Sie brauchte Hilfe, und irgendwann . funkte es zwischen uns. Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Und dann kamst du auf die Welt.«
»Und sie starb«, flüsterte ich. Obwohl ich bereits mein ganzes Leben lang mit ihrem Tod hatte umgehen müssen, brach es mir erneut das Herz. Wieso nur hatte sie so früh von uns gehen müssen? Wieso konnte sie jetzt nicht hier sein und mir alles erklären, mich trösten?
Meine Hand schloss sich automatisch um den Mondanhänger meiner Kette. Er passte vermutlich gar nicht wirklich zu dem glamourösen Abendkleid, aber ich nahm die Kette nie ab. Sie war meine ständige Erinnerung daran, dass ich auch eine Mutter gehabt hatte. Eine liebende Mutter, der ich wichtig gewesen war, das wusste ich von Dad. So oft...
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