Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Sechs Monate zuvor
Das Leben ist ein Kinderspiel, bis jemand die Hosen voll hat.
Ausnahmsweise war dieses Mal nicht Vlad Konnikov der Übeltäter. Zum Glück wusste er aber, was zu tun war. Denn Vlad blickte auf eine unselige Historie von Verdauungskatastrophen zurück, für die er erst kürzlich eine Diagnose bekommen hatte. Nun ging der Mann mit der ärztlich bescheinigten Glutenallergie und gelegentlichen Reizdarmsymptomen nicht mehr ohne Notfall-Kit aus dem Haus.
Und jetzt gab es definitiv einen Notfall.
Vlad holte seine Tasche aus dem Hotelzimmer, fünf Etagen über dem Festsaal, wo er als Trauzeuge an der Hochzeit seines besten Freundes teilnahm. Er rannte die Treppen hinunter in das Halbgeschoss über dem Foyer. Dort traf er auf den anderen Trauzeugen, Colton Wheeler. Der Country-Star bewachte die Tür zur Herrentoilette.
«Noch immer schlecht?» Vlads starker Akzent war ausgeprägter als sonst, weil er in Hektik und angetrunken war. Schließlich war das hier eine Hochzeit, und - Verdauungsprobleme hin oder her - er war Russe. Russen betranken sich bei Hochzeiten. Dieses Klischee traf hier einmal zu.
«Übel. Wie ein Maschinengewehr.» Colton hielt eine imaginäre Waffe hoch und feuerte. «An deiner Stelle würde ich da nicht reingehen.»
«Ich muss. Er ist der Bruder. Er muss Rede halten.»
«Das wird in absehbarer Zeit nicht passieren, außer er hält sie vom Klo aus.»
Beim Klang hastiger Schritte drehte Vlad sich um. Der Bräutigam, Braden Mack, kam auf dem Fliesenboden rutschend vor ihm zum Stehen. «Wo bleibt mein Bruder?»
Colton verzog das Gesicht und zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
«Immer noch?» Mack fuhr sich durch die Haare und fluchte, als er merkte, dass er sich dadurch die Frisur versaut hatte. Bei seinen Haaren war er pingelig. «Meine Güte, was hat er gegessen?»
Vlad zuckte die Achseln. «Wahrscheinlich Käse.»
Käse war auch Vlads ärgster Feind gewesen, bis er über die Sachlage aufgeklärt wurde. Er hatte die falschen Käsesorten mit den falschen Lebensmitteln kombiniert. Jetzt hielt er sich strikt an eine bestimmte Diät, nahm täglich seine Medizin und konnte so viel Käse essen, wie er wollte, solange es der richtige war. Er war praktisch ein neuer Mensch.
«Ich weiß, was zu tun ist.» Vlad öffnete sein Notfall-Kit, holte eine Schachtel Pfefferminztee heraus und gab Colton einen Teebeutel. «Schnell. Lass das in der Küche aufbrühen.»
Colton beäugte den Tee. «Ernsthaft?»
«Mach einfach.» Vlad lockerte die Schultern und dehnte den Nacken. «Gut. Ich bin bereit. Ich geh rein.»
Colton hob kapitulierend die Hände. «Es ist deine Nase.»
«Ich komme mit.» Mack zog seine Smokingjacke straff. «Er ist mein Bruder. Ich halte das aus. Schließlich bin ich mit dem kleinen Scheißer aufgewachsen.»
«Großer Scheißer», widersprach Colton und trat zur Seite. «Glaub mir. Er ist ein großer Scheißer.»
Vlad drückte die schwere Tür auf, die in den Angeln quietschte. «Liam?», fragte er sanft und näherte sich den Kabinen wie ein Unterhändler einem Geiselnehmer. «Hier ist Vlad. Und Mack.»
«Geht weg», ächzte jemand.
Vlad deutete auf die letzte Kabine. Mack nickte und wagte sich mit zusammengezogenen Brauen einen Schritt weiter vor.
«Wie läuft's, Mann?», fragte er.
Liam stöhnte bloß. Mack kicherte hinter vorgehaltener Hand.
«Lass das», flüsterte Vlad. «Verdauungsprobleme sind kein Spaß. Auch wenn du das denkst.»
«Du hast recht, Mann.» Mack straffte die Schultern. «Wir haben uns zu oft über dich lustig gemacht. Ich bin froh, dass es dir besser geht.» Er tätschelte Vlad den Bauch. Verblüfft hob er die Augenbrauen. «Verdammt, Alter! Du hast ja Stahl unter dem Hemd.»
«Ich bin Profisportler.» Vlad schob Macks Hand weg. «Was dachtest du, was ich da habe?»
Vlad war Verteidiger in der Eishockeymannschaft von Nashville. Dadurch hatte er diese Gruppe erfolgsverwöhnter Schwachköpfe erst kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Colton war bei Weitem der Berühmteste von ihnen, aber auch die anderen standen im Who's who dieser Stadt weit oben. Vlad war nicht mal der einzige Profisportler unter ihnen. Gavin Scott, Yan Feliciano und Del Hicks spielten im Baseballteam von Nashville, und Malcolm James spielte Football in der NFL-Mannschaft der Stadt. In den letzten sechs Jahren, seit Vlad in die USA immigriert war, um Eishockey zu spielen, waren diese Jungs seine besten Freunde geworden. Mack hielt die Gruppe durch den Secret Book Club zusammen. Sie lasen von Frauen geschriebene Liebesromane und lernten dadurch, bessere Männer zu sein. Diese Männer und diese Bücher hatten Vlads Leben verändert. Und deshalb würde er Mack jetzt nicht im Stich lassen, sondern dafür sorgen, dass sein Bruder die wichtigste Rede des Abends halten konnte.
«Ich fasse es nicht», stöhnte Liam in der Kabine. Dem folgte ein Geräusch, das Mack entsetzt zurückweichen ließ. «Was soll ich bloß tun?»
Vlad blieb solidarisch vor der Kabinentür stehen. Jahrelang war er der Mann gewesen, der bei seinen Freunden die Abflussrohre verstopfte oder von dem dies zumindest erwartet wurde. Den Ruf war er zum Glück losgeworden. Kaum jemand verstand, was es hieß, den eigenen Körper zum Feind zu haben. Aber klar, jeder fand einen Furz zur falschen Zeit zum Schreien komisch. Außer der Furzer selbst. Nichts war vergleichbar mit der Panik, die einen überkam, wenn sich plötzlich mitten unter Leuten der Verdauungstrakt warnend zusammenkrampfte und nirgends ein Klo in der Nähe war. «Ich kann helfen», sagte Vlad ruhig.
«Ihr müsst nicht hierbleiben», stöhnte Liam. «Mir wäre sogar lieber, ihr geht.»
«Man lässt einen Freund mit Darmproblemen nicht allein.»
«Doch, genau das tut man», erwiderte Liam. «Und jetzt geht.»
«Du bist der Bruder des Bräutigams. Der Trauzeuge. Du musst die Rede halten.»
«Kann ich nicht.» Es folgte ein beweiskräftiges Geräusch.
Vlad verzog mitfühlend das Gesicht. Er holte aus seinem Notfall-Kit ein Fläschchen hervor und reichte es unter der Tür durch. «Reib dir etwas davon auf den Bauch.»
«Was wehtut, ist mein gottverdammtes Arschloch!»
«Das wird die Krämpfe lindern», versicherte Vlad. «Glaub mir.»
Als Nächstes zog er eine Schachtel schnell wirksamer Pillen gegen Durchfall hervor und schob sie ebenfalls durch den Spalt. «Nimm davon direkt zwei. Es dauert ein bisschen, bis sie wirken, aber sie helfen.»
Eine glänzende schwarze Schuhspitze zog die Schachtel vom Spalt weg. «Danke, Mann.»
Als Letztes förderte Vlad eine nagelneue Packung Herrenunterwäsche zutage, die denselben Weg nahm. «Nur für alle Fälle», sagte er und richtete sich wieder auf.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und herein kam Colton, in der Hand eine dampfende Tasse und über Mund und Nase eine Stoffserviette als Atemschutz. «Hier ist der Pfefferminz-Kacka-Tee.»
«Mack», stöhnte Liam. «Was soll ich bloß wegen der Rede machen?»
«Du kannst sie später halten, wenn es dir besser geht.»
«Apropos», nuschelte Colton durch die Serviette. «Liv steht draußen. Sie will wissen, was los ist.»
Mack und Vlad sahen sich erschrocken an. Liv war die Braut, eine bildschöne, toughe Frau, die jeden Mann der Gruppe das Fürchten lehrte. Und am meisten Liam, wie es schien.
Mack fasste Vlad bei den Schultern. «Hast du Lust, eine Rede zu halten?»
Vlads Magen zog sich zusammen. «Äh, ich?»
«Ich wüsste keinen, der mir lieber wäre.»
«Ich, äh, hab nichts vorbereitet.» Vlads Stimme klang belegt, und seine Augen schwammen plötzlich in Tränen. Auch dafür war er in der Gruppe berüchtigt: spontane Gefühlsausbrüche. Er konnte einfach nicht anders, und dagegen gab es keine Pillen. Er weinte bei Hochzeiten, Romanen, Songs, Werbeclips und niedlichen Tierfilmen. Und jetzt sollte ausgerechnet er bei Macks Hochzeit eine Rede halten? Das würde er nicht durchstehen.
Mack legte ihm eine Hand in den Nacken und drückte leicht. «Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du einfach sagst, was dir in den Sinn kommt. Keiner hat ein so großes Herz wie du.»
Vlad wischte sich eine Träne weg. «Ich bin es, der sich geehrt fühlt.»
Liam presste einen Laut hervor, der den zarten Moment abrupt beendete.
«Vielleicht sollten wir uns draußen weiter unterhalten», schlug Mack vor.
Vlad nickte, und Mack wandte sich der Kabine zu. «Wir sehen später noch mal nach dir, okay?»
«Danke, großer Bruder», stöhnte Liam. «Wenn ich dich nicht hätte.»
«Gleichfalls, kleiner .»
Ein weiteres Geräusch ließ sie hastig das Weite suchen.
Vor der Tür schritt Liv im Brautkleid mit verschränkten Armen auf und ab. «Na endlich!» Sie warf die Hände hoch. «Ich war drauf und dran, reinzukommen. Wie geht es ihm?»
«Er wird wieder», sagte Vlad, «aber das kann dauern.»
Mack klopfte ihm auf den Rücken. «Vlad wird die erste Rede halten, damit wir weitermachen können.»
Ein weicher Ausdruck stahl sich auf Livs Gesicht, und sie lächelte Vlad an. Wegen dieses Lächelns, das wusste er, hatte Mack sich in sie verliebt. Unter ihrer rauen Schale war Liv flaumweich wie ein Küken. Sie schlang die Arme um seine Schultern. «Ich werde weinen.»
«Ich auch.» Er drückte sie sanft.
«Ich hasse es, wenn ich weinen muss.»
«Ich weiß. Darum werde ich für dich mit weinen.»
Mack zog Liv von ihm weg und gab ihr einen Schmatz auf die Lippen. «Lass uns...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.