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Dating hat irgendein übler Schurke erfunden, nur um die Menschheit zu quälen. Zu dramatisch? Gar nicht. Für introvertierte Menschen wie mich, die im Grunde unter einer Sozialphobie leiden, ist Dating ebenso angenehm wie das Waxen der Bikinizone. Wie Periodenkrämpfe am zweiten Tag des Zyklus. Wie ein überraschender Notfalleingriff beim Zahnarzt, bei dem - dreimal dürfen Sie raten - der Praxis gerade das Novokain ausgegangen ist.
»Ich entschuldige mich noch mal wegen des Biers«, sage ich zu dem Mann, der mir gegenübersitzt.
»Schon gut«, antwortet er so kurz angebunden, dass eins klar ist: Gar nichts ist gut.
Der Abend ist eine Katastrophe. Nicht dass es in der Vergangenheit je gut für mich gelaufen wäre, aber diesmal ist es so richtig mies. Einen Mann schon in den ersten zehn Minuten eines Dates abgeschreckt zu haben, dürfte mein neuer Rekord sein. Denn John, dessen Poloshirt und Khakihose triefend nass und bierbefleckt sind, nachdem ich das Glas versehentlich quer über den Tisch in seinen Schoß geschleudert habe, sieht aus, als wolle er jeden Moment aufspringen und verschwinden. Woraus ich ihm keinen Vorwurf machen kann.
Wie konnte ich nur glauben, dass ich das hier hinkriege? Mein letztes Date ist Jahre her, und selbst damals hatte ich nicht allzu viel dafür übrig. Ich gehöre zu den Leuten, die um keinen Preis die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen wollen. Denen partout nichts mehr einfallen will, wenn der Mann auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches sie eindringlich ansieht.
Und wieder stelle ich mir die Frage: Warum bist du überhaupt hier, Annie?!
Ach ja richtig. Es war dieser Brownie. Na ja, zuerst war es wohl die Erkenntnis, dass irgendetwas in meinem Leben fehlte. Obwohl ich den Blumenladen eröffnet hatte, von dem meine Mom Zeit ihres Lebens geträumt hatte, nagte dieses Gefühl nach wie vor an mir. Also kam ich zu dem Schluss, dass ich einen Plan brauchte, um mein perfektes Gegenstück zu finden - denn das ist der einzige Punkt auf meiner Liste, der noch nicht abgehakt ist. Und da ich John schon länger anschmachte (meine Schwester und ich bezeichnen ihn immer als den Heißen Banker), war er in meinen Augen der geeignetste Kandidat.
Die Jobkriterien für die fragliche Aufgabe sind ziemlich klar umrissen und basieren auf der innigen Liebe, die die Ehe meiner Eltern prägte. Zum einen muss er aus dieser Stadt kommen und auch seine Wurzeln in Rome, Kentucky, haben; zum zweiten sollte er eine sichere Anstellung haben; drittens muss er freundlich sein und mich beruflich unterstützen und viertens sich eine Familie wünschen.
Mehr Ansprüche habe ich gar nicht.
Als ich also neulich zur Bank ging, um einen Scheck einzureichen, nutzte ich meinen einmal jährlich auftretenden extrovertierten Moment und fragte ihn, ob er irgendwann mal Lust hätte, sich mit mir zu verabreden. Wundersamerweise sagte er ja, und ich benötigte die gesamte darauffolgende Woche, um mich von dem Stress und der Beklommenheit zu erholen, die mein Vorstoß in mir ausgelöst hatte.
Wie auch immer: Als ich vorgeschlagen hatte, sich zur Abwechslung mal nicht in Rome selbst, sondern ein wenig außerhalb zu treffen (unter anderem um zu verhindern, dass die Menschen in unserem neugierigen Kaff gleich zu tratschen anfangen), schlug er das Peppercorn vor, ein hübsches Restaurant etwa eine halbe Stunde Fahrt von unserem Heimatort entfernt. Yelp hat mir dann verraten, dass dort tolle und riesige Brownies serviert werden. Das ist das ganze Geheimnis.
Nur wegen dieses Desserts sitze ich noch hier und lasse dieses quälend peinliche Date über mich ergehen.
Ich wünschte, ich könnte meinen Schwestern schreiben und sie fragen, was ich jetzt tun soll. Aber dazu müssten sie überhaupt erst einmal wissen, dass ich mich mit einem Mann treffe, was mir eben jene Aufmerksamkeit bescheren würde, die ich zu vermeiden versuche.
Sobald meine Schwestern von meiner Suche nach einem Ehemann erfahren, wissen es auch alle anderen. Wie furchtbar, wenn Mabel (meine Ersatz-Grandma) versuchen würde, mich mit jedem verfügbaren Junggesellen aus ihrem Bekanntenkreis zu verkuppeln. Deshalb behalte ich mein Vorhaben lieber für mich - wie meistens.
Der einzige Grund, warum ich meine fürchterliche Sozialphobie momentan zu überwinden versuche, ist der, dass ich die Ehe definitiv für das eine Puzzleteil halte, das in meinem Leben noch fehlt. Ich wünschte, ich könnte meine Eltern anrufen und nach ihrer Meinung fragen, aber sie sind gestorben, als ich drei war, insofern steht das nicht zur Debatte. Stattdessen will ich in ihre Fußstapfen treten. Mit achtundzwanzig glücklich verheiratet sein. Rein rechnerisch bleibt mir also noch weniger als ein Jahr, um den einen Menschen zu finden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will.
Zu blöd, dass ich mich vorher mit möglichen Kandidaten verabreden muss.
Ich lächele zu John empor in der Hoffnung, dadurch seinen Ärger über die durchweichten Klamotten zu lindern. Aber ich bin Annie Walker: schüchtern, zurückhaltend und außergewöhnlich introvertiert. Und ich spüre, dass dieser Mann keine Sekunde länger in meiner Gesellschaft verbringen will. Mein Lächeln gerät zur zittrigen Grimasse. Wahrscheinlich wirkt es wie ein Zähnefletschen. Und beben vielleicht sogar meine Nasenflügel?
Ich schaffe das einfach nicht.
John räuspert sich und versucht ebenfalls, ein zwangloses Lächeln zustande zu bringen. Das zugegebenermaßen besser gerät als meines. »Also . wie ist es so, einen Blumenladen zu führen?« Er klingt gelangweilt.
Am liebsten würde ich mich wie ein Schmetterling aus der Verpuppung befreien, die Außenhaut abstreifen und nach Mexiko davonfliegen. Mein Herz rast, und dieses piekfeine Restaurant kommt mir plötzlich viel zu laut vor. Ich gehöre nicht hierher. Meinen Schwestern Madison und Emily würde es hier viel eher gefallen.
»Annie?«, fragt John, als ich nicht sofort antworte.
Genau! Konversation. Du schaffst das, Annie. Der Mann hat ein Thema angeschnitten, über das du gern redest! Also mach den Mund auf! Blumen! Ist doch pillepalle-kinderleicht.
Ich schlucke und bereite mich innerlich auf eine Antwort vor. »Ähm - es macht Spaß.« John wartet einen Augenblick, dann beugt er sich ein wenig vor. Offensichtlich erwartet er noch mehr. »Großen Spaß«, füge ich hinzu, um sein Bedürfnis nach einer Antwort mit höherem Wortanteil zu befriedigen.
Ich würde es ja noch weiter ausführen, aber das Einzige, was mir durch den Kopf geht, ist der Fortpflanzungszyklus von Blumen (der mich außerordentlich fasziniert), und ich habe das deutliche Gefühl, dass John nicht der Typ ist, den Biologie zum Staunen bringen kann. Also schließe ich den Mund wieder.
»Also . großen Spaß?«, fragt er, und ich nicke. »Na, dann ist es ja gut.« Er atmet tief ein, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und wendet den Blick ab. Unbehagliches Schweigen senkt sich auf uns herab. Bei den meisten Menschen würde diese Situation den Impuls auslösen, etwas zu sagen - irgendetwas - aber nicht bei mir. Ich erstarre sogar noch mehr. Das Gewicht, eine Unterhaltung führen zu müssen, lastet viel zu schwer auf meinen Schultern.
Ich bin in meiner Familie die Schweigsame. Diejenige, die ihre Nase ständig in ein Buch steckt, weil sie Welten vorzieht, in denen sie nicht mit anderen Menschen interagieren muss. Es ist so viel leichter, über Beziehungen zu lesen, als sie zu pflegen. Und außerdem weniger gefährlich. Figuren in einem Buch kann ich nicht beleidigen. Ich kann nichts Falsches zu ihnen sagen. Und sie können mich auch nicht verurteilen.
Als John sein Mobiltelefon zückt und anfängt herumzuscrollen, wird mir klar, dass ich bei der Unterhaltung einen Vorstoß wagen muss, sonst ist der Abend zu Ende, bevor er begonnen hat. »Also, John«, setze ich an, und während der darauffolgenden zehn Minuten habe ich eine Art Blackout, denn ich plappere nonstop vor mich hin. Erst bei dem letzten Satz erlange ich das Bewusstsein wieder: »Und deshalb besteht der Hauptzweck der Pflanze in der Reproduktion.«
»Wow. Okay. Das waren . ziemlich viele Informationen über Blumen«, sagt er beinahe gequält. Offensichtlich hat ihn mein Vorstoß ins Reich der Konversation geradewegs durchbohrt, so dass er jetzt verblutet.
Ich lächele schüchtern und schaue mich nach unserer Kellnerin um. Hier drin ist so viel los, dass sie, nachdem sie uns die Getränke gebracht hat, nicht mal dazu gekommen ist, unsere Bestellung entgegenzunehmen. Dabei hätte ich eine kleine Unterbrechung jetzt bitternötig.
Nichts.
»Also - äh - hast du wenigstens irgendwelche Hobbys?«, fragt er.
Auweia! »Wenigstens«! Er findet mich mittlerweile so uninteressant, dass er sich an jedem Strohhalm festhält.
Unter dem Tisch zerknülle ich den Stoff meines Kleides. Ich habe durchaus ein Hobby -, aber selbst meine Schwestern wissen nichts davon. Einem Mann, der aussieht, als verursache ihm schon das bloße Zusammensein mit mir physisches Unbehagen, werde ich ganz sicher nichts davon erzählen.
»Blumen sind sowohl mein Hobby als auch mein Beruf.«
»Klar«, sagt er höflich, denn schon wieder habe ich damit jegliche Konversation im Keim erstickt. Warum bin ich nur so? Ich muss endlich reden. Ihm Fragen stellen! Warum fallen mir keine ein? Mein Hirn ist wie leer gefegt, blank poliert, sauber.
Er trommelt mit dem Finger auf den Tisch und wendet den Blick ab.
In einem Anfall von Panik platze ich mit dem Ersten heraus, das mir in den Sinn kommt. »Ich will heiraten.«
Ach, sieh...
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